Urteil des VG Gelsenkirchen vom 29.11.2001

VG Gelsenkirchen: bezifferung, rechtshängigkeit, aufenthaltswechsel, sozialhilfe, adresse, form, anerkennung, umzug, verzinsung, sicherheitsleistung

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 2 K 7181/00
Datum:
29.11.2001
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 7181/00
Schlagworte:
Geltendmachen, Kostenerstattung
Normen:
SGB X § 111
Leitsätze:
Ein bloßes Anmelden der Forderung genügt den Voraussetzungen des
§ 111 SGB X nicht. Für ein Geltendmachen im Sinne von § 111 SGB X
sind folgende Mindestanforderungen zu benennen: Es muss der Beginn
der Leistung, die Art der gewährten Hilfe, die Person des
Hilfeempfängers und der Wille, Kostenerstattung zu verlangen, zum
Ausdruck gebracht werden.
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die für Frau E. M. und ihren
Sohn B. L. in der Zeit vom 1. September 1996 bis zum 31. August 1998
aufgewendeten Sozialhilfeleistungen in Höhe von insgesamt 36.346,20
DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 21. Dezember 2000 zu erstatten.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 38.000,00 DM
vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Sozialhilfeaufwendungen,
die die Klägerin Frau E. M. , geb. am 15.02.1970, und ihrem Sohn B. L. M. , geb. am
25.04.1990, in dem Zeitraum vom 1. September 1996 bis zum 31. August 1998 als Hilfe
zum Lebensunterhalt nach den Bestimmungen des BSHG gewährt hat.
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Frau M. und ihr Sohn standen in dem Zeitraum von August 1994 bis einschließlich
August 1996 im Sozialhilfebezug der Beklagten. Am 27. August 1996 verzogen beide
aus in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin. Am 30. August 1996 beantragten Frau
M. und ihr Sohn bei der Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Bestimmungen
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des BSHG. Die Klägerin gewährte ab dem 1. September 1996 laufende Hilfe zum
Lebensunterhalt.
Mit Schreiben vom 2. September 1996 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie als
örtlich zuständiger Sozialhilfeträger ab dem 1. September 1996 Hilfe zum
Lebensunterhalt nach dem BSHG gewähre. Da die Hilfegewährung innerhalb eines
Monats nach dem Aufenthaltswechsel erforderlich geworden sei, werde
Kostenerstattung nach § 107 BSHG i. V. m. § 111 BSHG angemeldet. Es werde um
Kostenzusage gebeten. Mit Schreiben vom 18. November 1996 teilte die Beklagte der
Klägerin mit, dass sie in dem Hilfefall M. , E. , die Kostenerstattungspflicht gemäß § 107
BSHG für die Zeit vom 1. September 1996 bis zum 31. August 1998 anerkenne. Es
werde gebeten, die Nettokosten halbjährlich in Rechnung zu stellen.
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Die Klägern gewährte Frau M. und ihrem Sohn jedenfalls bis einschließlich Dezember
2000 (mit Ausnahme kurzer Unterbrechungen) Hilfe zum Lebensunterhalt.
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Mit Schreiben vom 5. Dezember 2000 nahm die Klägerin Bezug auf die Kostenzusage
der Beklagten vom 18. November 1996 und teilte mit, dass sie Frau E. M. und ihrem
Sohn in dem anerkannten Erstattungszeitraum vom 1. September 1996 bis zum 31.
August 1998 durchgängig Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 und § 11 Abs. 1 BSHG gewährt
habe. Eine Unterbrechung der Hilfe für einen zusammenhängenden Zeitraum von mehr
als zwei Monaten sei nicht erfolgt. Die Aufwendungen hätten im ersten Jahr 19.994,85
DM betragen und somit die Bagatellgrenze von 5.000,-- DM überschritten. Im gesamten
Erstattungszeitraum seien Leistungen nach dem BSHG in Höhe von insgesamt
36.346,20 DM gewährt worden. Eine detaillierte Aufstellung der Aufwendungen sei dem
Schreiben als Anlage beigefügt. Unter Bezugnahme auf § 107 BSHG i. V. m. § 97 Abs.
2 Satz 1 und § 111 BSHG werde um Erstattung der Aufwendungen in der Höhe von
36.346,20 DM gebeten.
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Mit Schreiben vom 13. Dezember 2000 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie
dem Antrag auf Kostenerstattung nicht entsprechen könne. Unter den in § 107 BSHG
geschilderten Voraussetzungen bestehe bei einem Umzug ein
Kostenerstattungsanspruch gegen den bisherigen Träger der Sozialhilfe. Durch
Rechtsprechung sei inzwischen klargestellt, dass auch bei
Kostenerstattungsansprüchen von Sozialhilfeträgern untereinander die Ausschlussfrist
des § 111 SGB-X zu beachten sei. Danach sei der Anspruch auf Erstattung
ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens 12 Monate nach
Abschluss des letzten Tages, für den die Leistung erbracht worden sei, geltend mache.
Das bedeute auch, dass anerkannte Kostenerstattungsansprüche spätestens innerhalb
von 12 Monaten nach Entstehen, also nach Erreichen des Kostenumfangs von 5.000,--
DM, durch Bezifferung geltend gemacht werden müssten. Dabei reiche es nicht aus, den
erstattungspflichtigen Träger um Anerkennung zu ersuchen. Vielmehr müsse innerhalb
der festgesetzten Frist der Anspruch im Einzelnen beziffert, also geltend gemacht
werden. Das vorangegangene Ersuchen um Anerkennung der Kostenerstattungspflicht
werde lediglich als Anmeldung der Kostenerstattungsansprüche gewertet, nicht
dagegen als die eigentliche Geltendmachung. Da der Kostenerstattungsanspruch nicht
fristgerecht geltend gemacht (beziffert) worden sei, könne dem Begehren nicht
entsprochen werden.
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Mit ihrer am 21. Dezember 2000 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren
weiter. Sie trägt ergänzend vor: Die Beklagte gehe zu Unrecht davon aus, dass die
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Jahresfrist des § 111 SGB-X nicht eingehalten worden sei. Bei der Geltendmachung
eines Kostenerstattungsanspruchs handele es sich zwar um eine empfangsbedürftige
Erklärung, allerdings sei diese Erklärung an keine besondere Form gebunden. Jede
Mitteilung, aus der deutlich werde, dass ein Erstattungsanspruch erhoben werde, sei
ausreichend. Eine detaillierte Darlegung des Anspruchs in allen Einzelheiten sei für die
Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs dem Grunde nach nicht erforderlich.
Für die Geltendmachung eines Erstattungsanspruches sei der Wille, rechtssichernd tätig
zu werden, der sich aus einer entsprechenden Erklärung ergeben müsse, ausreichend.
Im Übrigen sei bei der vorliegenden Kostenerstattung zu beachten, dass es sich um die
Erstattung von Sozialhilfeleistungen handele. Diese stellten Leistungen dar, die quasi
kalendertäglich neu entstünden. Damit müsse es ausreichen, eine einheitliche
Anmeldungserklärung auch auf künftig entstehende Erstattungsansprüche anzumelden,
so dass eine Bezifferung des Erstattungsverlangens innerhalb der Jahresfrist des § 111
SGB-X nicht erforderlich sei. Aus dem Schreiben der Klägerin vom 2. September 1996
ergebe sich eindeutig der Wille, rechtssichernd in Bezug auf die Geltendmachung eines
Erstattungsanspruches tätig zu werden. Dies reiche für eine Anmeldung aus, da
innerhalb der Jahresfrist des § 111 SGB-X nur die rechtssichernde Geltendmachung
einer Erstattungsforderung erfolgen müsse. Würde man darüber hinaus fordern, dass die
Erstattungsforderung auch zu beziffern sei, würde dies der Regelung des § 111 SGB-X
entgegenstehen. Eine Kostenerstattungsforderung gemäß § 107 BSHG bei Umzug
eines Hilfeempfängers in den Zuständigkeitsbereich eines anderen
Sozialleistungsträgers sei vom zeitlichen Umfang her auf zwei Jahre begrenzt.
Weiterhin bestehe ein Kostenerstattungsanspruch nur dann, wenn die in § 111 Abs. 2
BSHG genannte Bagatellgrenze in Höhe von 5.000,-- DM für den Zeitraum der
Hilfegewährung von bis zu zwölf Monaten überschritten worden sei. Kosten, die unter
dieser Bagatellgrenze lägen, seien nicht zu erstatten. Die 12-Monatsfrist für die
Berechnung der Bagatellgrenze im Sinne des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG sei aber
innerhalb des für § 107 BSHG festgelegten Kostenerstattungszeitraumes von zwei
Jahren frei wählbar. Werde innerhalb dieses frei wählbaren 12-Monats-Zeitraumes die
Bagatellgrenze überschritten, seien auch die vor und nach diesem Zeitraum
entstandenen Aufwendungen, soweit sie innerhalb der Frist von zwei Jahren nach § 107
BSHG anfielen, erstattungsfähig. Diese Regelung würde ausgehölt, sofern es für die
Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruches erforderlich sei, diesen innerhalb
der Ausschlussfrist des § 111 SGB-X dem Betrag nach zu beziffern. Eine genaue
Bezifferung der zu erstattenden Kosten sei oft erst nach Ablauf der in § 111 SGB-X
genannten Jahresfrist möglich, so dass es ausreichen müsse, die Erstattungsforderung
beim erstattungsverpflichteten Kostenträger dem Grunde nach anzumelden. Ansonsten
würde die freie Wahl des 12-Monats-Zeitraumes in Bezug auf die Überschreitung der
Bagatellgrenze eingeschränkt werden. Dies könne nicht der Intention des Gesetzgebers
bei der Regelung des Kostenerstattungsrechtes entsprochen haben.
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die für Frau E. M. , geb. 15.02.1970, und ihrem
Sohn B. L. , geb. 25.04.1990, in der Zeit vom 1. September 1996 bis zum 31. August
1998 entstandenen Sozialhilfeaufwendungen in Höhe von insgesamt 36.346,20 DM
nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit gemäß § 107 BSHG zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt ergänzend vor: In dem Zeitraum zwischen dem 18. November 1996 und dem
13. Dezember 2000 habe kein Schriftwechsel zwischen den Parteien stattgefunden.
Nach § 111 SGB-X sei der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der
Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten
Tages, für den die Leistung erbracht worden sei, geltend mache. Die Klägerin habe es
versäumt, innerhalb von zwölf Monaten die getätigten Aufwendungen
erstattungsrechtlich geltend zu machen. Die Ausschlussfrist habe mit Ablauf des Monats
August 1998, da mit Ablauf dieses Monats die Kostenerstattungspflicht nach § 107
BSHG endete, zu laufen begonnen. Die Frist nach § 111 SGB-X habe damit am 31.
August 1999 geendet. Innerhalb dieser Frist habe die Klägerin ihren Anspruch auf
Kostenerstattung gemäß § 107 BSHG nicht geltend gemacht. Erst mit Schreiben vom 5.
Dezember 2000 - und damit außerhalb der 12-monatigen Frist -, habe die Klägerin ihre
Kosten beziffert. Nach Auffassung der Beklagten sei die nach § 111 SGB-X verlangte
Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruches nicht durch das Schreiben vom 18.
November 1996 erfolgt. Dieser Schriftsatz habe vielmehr auf der Grundlage des früher
gültigen § 112 BSHG die Anmeldung gegenüer dem kostenerstattungspflichtigen Träger
beinhaltet, einen Kostenerstattungsanspruch geltendmachen zu wollen. Eine solche
Anmeldung stelle keine Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruches dar,
sondern lediglich eine entsprechende Absicht. Der nach der Aufhebung des § 112
BSHG auch im Bereich des BSHG zur Anwendung kommende § 111 SGB-X stelle
demgegenüber höhere Anforderungen. Es müsse mit inhaltlich hinreichender
Bestimmtheit deutlich werden, welche Leistungen zu erstatten seien. Das Schreiben
vom 18. November 1996 entspreche damit inhaltlich der typischen Anmeldung nach §
112 BSHG, besage hingegen nichts über den Leistungszeitraum bzw. die
Leistungshöhe und lasse damit auch die Prüfung der Rechtmäßigkeit des
Erstattungsverlangens nicht zu. Die Beklagte verweist in diesem Zusammenhang auf
das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 15. März 2000 (9 K 5532/98).
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte nebst der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten
damit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage ist als Leistungsklage begründet.
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Nach § 107 Abs. 1 BSHG ist der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes,
wenn eine Person vom Ort ihres bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts verzieht,
verpflichtet, dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe die dort
erforderlich werdende Hilfe ausserhalb von Einrichtungen i. S. d. § 97 Abs. 2 Satz 1
BSHG zu erstatten, wenn die Person innerhalb eines Monats nach dem
Aufenthaltswechsel der Hilfe bedarf. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
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Zwischen den Beteiligten allein streitig ist die Frage, ob der Erstattungsanspruch der
Klägerin wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 111 SGB-X
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ausgeschlossen ist.
Der Erstattungsanspruch der Klägerin ist nicht gemäß § 111 Satz 1 SGB-X, der seit dem
1. Januar 1994 nach Aufhebung des § 112 BSHG auch für die Erstattung von
Sozialhilfeleistungen gilt, ausgeschlossen. Nach § 111 Satz 1 SGB-X ist das der Fall,
wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des
Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht.
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Eine Geltendmachung i. S. d. genannten Vorschrift ist nach Auffassung der Kammer
durch das Schreiben der Klägerin vom 2. September 1996 erfolgt.
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Der Begriff „geltend macht" ist in der Gesetzessprache nicht eindeutig auf einen
bestimmten Tatbestand hin festgelegt. Unabhängig von jedem besonderen rechtlichen
Bezug wird unter Geltendmachung soviel wie „Vorbringen", „anführen", „behaupten",
nicht zugleich aber auch „darlegen in allen Einzelheiten" verstanden. Der Wille,
zumindest rechtssichernd tätig zu werden, muss einer bestimmten Handlung unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles deutlich erkennbar zugrunde liegen,
soll sie konkludent als Geltendmachung eines Erstattungsanspruches gewertet werden
können. Unter einem Geltendmachen kann daher sowohl die gerichtliche
Anspruchsverfolgung als auch eine außerhalb eines förmlichen Verfahrens abgegebene
Erklärung zu verstehen sein. Ein Anspruch kann auch schon vor Beginn der
zwölfmonatigen Ausschlussfrist geltend gemacht werden.
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Vgl. von Wulffen, Sozialgesetzbuch, SGB X, 4. Auflage 2001, § 111 Anm. 4; vgl.
Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch - SGB X -, Stand 01.12.1999, § 111 Anm. 3a sowie
Pickel, SGB X, Stand April 2001, § 111 Anm. 29.
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Bei der Geltendmachung handelt es sich danach um eine empfangsbedürftige
Erklärung, die jedoch an keine besondere Form gebunden ist. Eine Mitteilung, aus der
deutlich wird, dass ein Erstattungsanspruch erhoben wird, ist ausreichend, eine
Darlegung des Anspruchs in allen Einzelheiten ist nicht erforderlich.
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Auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt ein Geltendmachen des
Erstattungsanspruches nach § 111 Satz 1 SGB X voraus, dass das Erstattungsbegehren
unmissverständlich zum Ausdruck gebracht worden ist. Aus dem Erstattungsbegehren
muss ausreichend deutlich werden, welche Leistungen zu erstatten sind. Es müssen
zumindest die Umstände, die im Einzelfall für die Entstehung des
Erstattungsanspruches maßgeblich sind, hinreichend konkret mitgeteilt werden, eine
Bezifferung der Kosten ist hingegen (noch) nicht erforderlich.
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Vgl. BSG, Urteil vom 23. Februar 1999 - B 1 KR 14/97R - Fürsorgerechtliche
Entscheidung der Verwaltungs- und Sozialgerichte (FEVS) 51, 112.
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Soweit in der Entscheidung des Bundessozialgerichts weiter ausgeführt wird, dass die
Geltendmachung weiterhin die Benennung des Zeitraumes voraussetze, für den
Sozialleistungen erbracht worden seien, geht die Kammer davon aus, dass dieses
Erfordernis in den Fällen nicht aufzustellen ist, in denen ein Erstattungsbegehren bereits
vor oder zu Beginn der Leistungsaufnahme zum Ausdruck gebracht wird. Denn zu
diesem Zeitpunkt steht der Zeitraum, für den die Sozialleistung voraussichtlich erbracht
werden wird, noch nicht fest. Für welchen Zeitraum Sozialleistungen nach einer
entsprechenden Mitteilung erbracht werden werden, ist von einer Vielzahl von
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Umständen abhängig, die zum Zeitpunkt der Mitteilung noch nicht bekannt sind.
Sinn und Zweck der in § 111 Satz 1 SGB X getroffenen Regelung ist, dass mit der
Geltendmachung von Erstattungsansprüchen nicht unbegrenzte Zeit gewartet werden
darf, vielmehr sollen Ansprüche zwecks schneller Klarstellung der Verhältnisse
möglichst bald geltend gemacht werden, damit der potenzielle Erstattungspflichtige sich
möglichst frühzeitig darauf einstellen kann, die Befriedigung etwaiger
Kostenerstattungsansprüche sicher stellen zu können. Der Erstattungsverpflichtete soll
möglichst frühzeitig, jedenfalls aber innerhalb der Frist des § 111 Satz 1 SGB X in die
Lage versetzt werden, sich mit geltend gemachten Erstattungsansprüchen auseinander
zu setzen und sie auf ihre Begründetheit hin zu überprüfen. Diesem gesetzgeberischen
Anliegen würde nicht hinreichend Rechnung getragen, wenn bei zukunftsoffenen
Lebenssachverhalten nicht bereits bei der Leistungsaufnahme eine Geltendmachung i.
S. d. § 111 Satz 1 SGB X möglich wäre.
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So im Ergebnis auch: Niedersächsiches OVG, Beschluss vom 30. August 1999 - 4 L
3033/99 -; VG Hannover, Gerichtsbescheid vom 29. Juni 1999 - 15 A 8582/98 -; a.A. VG
Arnsberg, Urteil vom 15. März 2000 - 9 K 5532/98 -.
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Es ist zu berücksichtigen, dass bei regelmäßig wiederkehrenden Leistungen, die jeweils
für einen bestimmten Zeitabschnitt - in der Regel für einen Kalendermonat - erbracht
werden und bei denen rechtlich zwischen den monatlich fällig werdenden Leistungen zu
unterscheiden ist, hinsichtlich der Einzelleistungen gesonderte Erstattungsansprüche
entstehen. Diese setzen gfs. auch eine gesonderte Ausschlussfrist in Gang, da es nach
§ 111 Satz 1 SGB-X auf den Zeitraum ankommt, für den die einzelne Leistung erbracht
wurde, so dass eine Zusammenfassung der einzelnen Zeitabschnitte zu einem
einheitlichen Gesamtzeitraum unzulässig ist.
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Vgl. Hauck/Haines, a. a. O., § 111 Anm. 7.
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Die als Folge der abschnittsweise vorzunehmenden Betrachtungsweise möglicherweise
eintretende Konsequenz, dass für einen Teil der Erstattungsansprüche die
Ausschlussfrist abgelaufen ist, während sie für einen anderen Teil noch läuft, muss nach
Einschätzung der Kammer dadurch vermieden werden können, dass eine einheitliche
Anmeldungserklärung für alle künftigen Erstattungsansprüche abgegeben wird, ohne
dass insoweit das nicht erfüllbare Postulat aufgestellt wird, der
Kostenerstattungsanspruch müsse der Höhe und hinsichtlich des Zeitraumes nach
exakt angegeben bzw. beziffert werden.
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Aus dem Vergleich mit der durch die jetzige Regelung des § 111 SGB X seit dem 1.
Januar 1994 aufgehobenen Vorschrift des § 112 BSHG ergibt sich jedoch, dass ein
blosses Anmelden der Forderung nicht mehr ausreicht. Zusammengefasst sind an das
Geltendmachen für den vorliegenden Fall folgende Mindestanforderungen zu
benennen: Es muss der Beginn der Leistung, die Art der gewährten Hilfe, die Person
des Hilfeempfängers und der Wille, Kostenerstattung zu verlangen zum Ausdruck
gebracht werden.
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Diesen genannten Maßgaben entspricht das Schreiben der Klägerin vom 2. September
1996. In diesem hatte die Klägerin der Beklagten mitgeteilt, dass Frau E. E1. M. , geb.
am 15.02.1970, zusammen mit ihrem Sohn B. L. M. von F. nach L1. verzogen sei. Auf
die alte Adresse und die neue Adresse wurde hingewiesen. Weiterhin wurde mitgeteilt,
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dass seit dem 1. September 1996 Hilfe zum Lebensunterhalt durch das Sozialamt der
Klägerin als örtlich zuständigem Sozialhilfeträger gewährt werde. Weiterhin führte die
Klägerin aus, dass, da die Hilfegewährung innerhalb eines Monats nach dem
Aufenthaltswechsel erforderlich geworden sei, Kostenerstattung nach § 107 BSHG i. V.
m. § 111 BSHG angemeldet werde. Es werde um Kostenzusage gebeten. Aus dem
genannten Schreiben ergibt sich bei verständiger Würdigung des Erklärten mithin -
unbeschadet der Formulierung „angemeldet" -, dass die Klägerin für die genau
bezeichneten Hilfeempfänger die Leistungen aufgenommen hat und sie daher wegen
des Vorliegens der Voraussetzungen des § 107 BSHG von der Beklagten
Kostenerstattung begehrte. Dementsprechend bat die Klägerin auch um eine
Kostenzusage der Beklagten, die mit Schreiben vom 18. November 1996 abgegeben
wurde. Die Klägerin hat damit zum Ausdruck gebracht, dass sie gestützt auf § 107
BSHG i. V. m. § 111 BSHG die Erstattung der Leistungen begehrt, die sie den
Hilfeempfängern während der kommenden zwei Jahre erbringen wird. Der
Leistungsbeginn ist mit dem 1. September 1996 benannt worden. Da zum Zeitpunkt der
Abfassung des Schriftsatzes vom 2. September 1996 noch nicht feststand, ob für die
Dauer des gesamten Zweijahreszeitraumes Hilfeleistungen erbracht werden würden
und ob jedenfalls die Bagatellgrenze des § 111 BSHG überschritten sein würde, konnte
zu diesem Zeitpunkt eine Bezifferung des Erstattungsanspruches noch nicht erfolgen.
Aus dem Schreiben vom 2. September 1996 ergibt sich jedoch unzweifelhaft, dass die
Klägerin von der Beklagten die Erstattung der von ihr zu gewährenden Leistungen
begehrte. Aufgrund dieses Schreibens wurde die Beklagte in die Lage versetzt zu
überprüfen, ob sie sich grundsätzlich zur Kostenerstattung gemäß § 107 BSHG für die
Zeit vom 1. September 1996 bis zum 31. August 1998 verpflichtet sieht. Diese
Überprüfung hat die Beklagte auch vorgenommen und dementsprechend mit Schreiben
vom 18. November 1996 mitgeteilt, dass sie ihre Kostenerstattungspflicht für den
Hilfefall M. E. anerkenne. Der Umstand, dass der Bitte der Beklagten, die Nettokosten
halbjährlich in Rechnung zu stellen, durch die Klägerin in der Folgezeit nicht
entsprochen worden ist, kann eine andere Beurteilung nicht rechtfertigen. Denn dieser
Hinweis ist nicht geeignet, das als Geltendmachung eines Anspruches zu verstehende
Schreiben der Klägerin vom 2. September 1996 nachträglich hinsichtlich seiner
rechtssichernden Funktion einzuschränken. Wäre der Beklagten an einer zeitnäheren
Übersicht der von der Klägerin erbrachten Leistungen in der Folgezeit gelegen
gewesen, so hätte auch sie sich erneut an die Klägerin wenden und um Bezifferung
eines Teilbetrages bitten können.
Der Klägerin stehen für den zugesprochenen Erstattungsanspruch seit
Rechtshängigkeit der Klage am 21. Dezember 2000 gemäß §§ 288, 291 BGB in
entsprechender Anwendung Prozesszinsen in Höhe von 4 % vom Hundert pro Jahr zu.
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Nach §§ 288, 291 BGB hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an eine
Geldschuld mit 4 v.H. für das Jahr zu verzinsen, und zwar auch dann, wenn er nicht in
Verzug ist. Die genannten bürgerlich rechtlichen Vorschriften sind im
Erstattungsrechtstreit zwischen Sozialhilfeträgern anwendbar und werden nicht etwa
durch Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes ausgeschlossen.
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BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2001 - 5 C 34.00 -, FEVS 52, 433; Urteil vom 18. Mai
2000 - 5 C 27.99 -, FEVS 51, 546.
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Denn mit der Aufhebung der eine Verzinsung ausschließenden Spezialnorm des § 111
Abs. 2 Satz 2 BSHG 1990 (BGBl. I 1991, 94) mit Wirkung vom 1. Januar 1994 sind in
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Ermangelung anderweitiger Aussagen des aufhebenden Gesetzes die allgemeinen
Grundsätze über die Verzinsung öffentlich rechtlicher Ansprüche wieder in Geltung
gesetzt worden.
BVerwG, Beschluss vom 29. Dezember 1995 - 5 B 31.95 -, FEVS 47, 9 (11).
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Der Erstattungsanspruch ist hier mit der Klageerhebung am 21. Dezember 2000
rechtshängig geworden, §§ 81 Abs. 1, 90 VwGO.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
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Das Urteil ist gemäß § 167 VwGO i. V. m. § 709 ZPO gegen Sicherheitsleistung
vorläufig vollstreckbar.
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