Urteil des VG Gelsenkirchen vom 07.06.2010

VG Gelsenkirchen (kläger, grundstück, lärm, mauer, höhe, gutachter, umgebung, bestandteil, lasten, wohngebäude)

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 6 K 3008/08
Datum:
07.06.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 3008/08
Schlagworte:
Nachbarklage; Lärm; Rücksichtnahme; Supermarkt; Lebensmittelmarkt;
TA Lärm, Lärmgutachten
Normen:
BauGB § 34
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten
der Beigeladenen tragen die Kläger.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Den Klägern
wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn
nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
1
Die Kläger wenden sich gegen den Neubau eines Lebensmittelmarktes auf dem an ihr
Grundstück in süd-östlicher Richtung angrenzenden Grundstück der Beigeladenen zu
2., die ihr Grundstück von der Beigeladenen zu 1. erworben hat.
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Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Im F. 7a in H. -I. (Gemarkung C. , Flur 32,
Flurstücke 648 und 555). Das etwa 65 m lange Grundstück ist im nördlichen,
straßenrandnahen Bereich mit einem Wohnhaus bebaut. In südlicher Richtung schließt
sich ein Garten mit verschiedenen Nebengebäuden an.
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In östlicher Richtung schließt sich - weiter nach Süden versetzt - das Grundstück Q.
Straße 165 der Beigeladenen zu 2. an (Flurstücke 653 - ehem. 95 und 96 -, 556, 557,
693, 559, 560, 561, 562), auf dem die Beigeladene zu 1. im Jahr 2007 einen
Lebensmittelmarkt "Plus", inzwischen "Netto" errichtet hat. Der Markt ist seit Dezember
2007 in Betrieb.
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Die genannten Grundstücke befinden sich nicht im Geltungsbereich eines
Bebauungsplans.
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Die Umgebung des Grundstücks der Kläger besteht an der Straße Im F. nahezu
ausschließlich aus Wohnnutzung. Die Q. Straße weist südlich der Einmündung Im F.
und nördlich der Einmündung Biele auf beiden Seiten neben Wohnnutzung zahlreiche
gewerbliche und geschäftliche Nutzungen auf. Im einzelnen sind dies: Filliale der
Sparkasse (Gebäude Nr. 171), Rechtsanwaltskanzlei (Nr. 169), Zahnarztpraxis (Nr.
167), zwei Spielhallen "Zocky's Play" (Nr. 135 und Nr. 127), Aldi-Einzelhandelsmarkt
(Nr. 133, Stellplatzanlage unmittelbar angrenzend an die südliche Grenze des
Grundstücks der Beigeladenen zu 2.), Friseurgeschäft (Nr. 125), Gaststätte und
Reisebüro (Nr. 121/Biele 2), Blumengeschäft (Nr. 114) und ein Elektrofachgeschäft (Nr.
118).
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Unter dem 27. Juli 2007 erteilte der Beklagte der Beigeladenen zu 1. eine
Baugenehmigung zum "Neubau eines Lebensmittelmarktes mit eigenständigem
Backshop". Nach den von der Beigeladenen zu 1. eingereichten Bauunterlagen liegt
das Verkaufsgebäude im südöstlichen Bereich des genannten Grundstücks. Bestandteil
der Genehmigung sind 68 Stellplätze, die entlang der nördlichen und westlichen
Grundstücksgrenze angeordnet sind. Die Ein- und Ausfahrt zum Grundstück befindet
sich an der Q. Straße an der östlichen Seite des Grundstücks. Der Anlieferbereich des
Marktgebäudes liegt als abfallende Rampe an der süd-westlichen Ecke des Gebäudes.
Der Eingang zum Markt befindet sich an der nord-westlichen Ecke des Gebäudes,
daneben ist an der nördlichen Gebäudeseite die Sammelanlage für die Einkaufswagen
angeordnet. In den Baugenehmigungsunterlagen ist auf dem beigefügten Lageplan
entlang der gesamten nördlichen (unter Einschluss des Versprungs des Grundstücks
entlang dem Flurstück 562) und westlichen Seite des Grundstücks der Beigeladenen zu
2. eine Wand als Sichtschutz und Einfriedung mit einer Höhe von 2 Metern eingetragen,
wobei eine teilweise bereits bestehende Wand einbezogen werden sollte. Für die
Laderampe ist eine 3 Meter hohe und 7 Meter lange Lärmschutzwand vorgesehen.
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Nach der zur Baugenehmigung gehörigen Flächenberechnung sollte die
Nettoverkaufsfläche insgesamt 796,46 qm betragen, wovon 27,18 qm auf den
Backwarenladen entfallen sollten.
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Als Betriebszeiten wurden für den Lebensmittelmarkt werktags der Zeitraum von 8.00
bis 22.00 Uhr und für den Backwarenladen die Zeiträume werktags von 6.00 bis 20.00
Uhr sowie sonntags von 11.00 bis 17.00 Uhr genehmigt.
9
Bestandteil der Baugenehmigungsunterlagen ist ein Schallgutachten vom 19. Februar
2007. Einen eigenen Immissionspunkt für das Grundstück der Kläger berücksichtigt der
Gutachter nicht. Er geht unter anderem von der Annahme aus, dass die zu errichtende
Schallschutzwand die folgende Anforderungen erfüllt: Fugendichtigkeit,
Bauschalldämmmaß von >= 25 dB. Der Gutachter legt die vorhandene Lärmbelastung
durch den benachbarten Aldi-Markt als Vorbelastung zugrunde. Für die als
Wohngebiete eingestuften Gebiete wird im Gutachten ein Zuschlag für Tageszeiten mit
erhöhter Empfindlichkeit berücksichtigt. Eine Berechnung der Lärmimmissionen an
Sonn- und Feiertagen (Backwarenladen) erfolgte nicht. Für die Frequentierung des
Parkplatzes zog der Gutachter nicht die Vorgaben der Parkplatzlärmstudie des
Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz heran, da deren Werte nach seiner
10
Auffassung auf veralteten Annahmen aus dem Jahr 1987 mit einem weniger dichten
Ausbau des Fillialnetzes von Lebensmitteldiscountmärkten beruhten. Daher hätten - so
der Gutachter weiter - die realistischeren Annahmen der Hessischen Straßen- und
Verkehrsverwaltung aus dem Jahr 2000 (Band 42 der Schriftenreihe) herangezogen
werden müssen. Auszugehen sei daher von 1.560 Kunden pro Tag (gegenüber der
Annahme von täglich etwa 2.000 Kunden in der bayerischen Parkplatzlärmstudie).
Nach dem Gutachten werden die für die sechs ausgewählten Immissionspunkte
geltenden Immissionsrichtwerte von 50 bzw. 60 dB(A) tagsüber und 35 bzw. 45 dB(A)
nachts sowie die geltenden Spitzenpegelrichtwerte nicht überschritten. Am
ausgewählten Immissionspunkt Wohngebäude Im F. 3 ergibt sich nach den
Feststellungen des Gutachters ein Gesamtbeurteilungspegel (tagsüber) von 49 dB(A).
11
In der Baugenehmigung heißt es unter "Auflage 7", durch Schranken oder ähnliche
Absperrmaßnahmen sei sicherzustellen, dass das Betriebsgelände ausschließlich zu
den Betriebszeiten befahren werden kann. Unter Ziffer 8 heißt es:
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"Die im Lageplan eingezeichnete Wand zur Einfriedung und zum Sichtschutz ist massiv
(Mauerwerk o.ä.) bis in eine Höhe von 2 m auszuführen."
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In Ziffer 9 der Baugenehmigung ist geregelt, dass die Immissionsrichtwerte der
Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm) vor den nächstbenachbarten
Wohnungen nicht überschritten werden dürften, wobei für die Wohnungen N.-----straße
12 und 14 sowie Im F. 3 Werte von 50 und 35 dB(A) (tagsüber/ nachts) und für die
Wohnungen Q. Straße 135 und 167 von 60 und 45 dB(A) (tagsüber/ nachts) angegeben
sind. Nach Ziffer 13 der Baugenehmigung ist das von der Beigeladenen zu 1. vorgelegte
Schallschutzgutachten vom 19. Februar 2007 Bestandteil der Baugenehmigung.
14
Die Baugenehmigung wurde den Klägern nicht bekanntgegeben.
15
Unter dem 30. November 2007 erteilte der Beklagte der Beigeladenen zu 1. eine erste
Nachtragsgenehmigung zur Änderung der Fensteranlage und eine zweite
Nachtragsgenehmigung zur "Änderung Geländeoberfläche/ Schallschutzwand", mit
denen die von der ursprünglichen Baugenehmigung abweichende Bauausführung
genehmigt wurde. In der 2. Nachtragsgenehmigung heißt es:
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"Auflage
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Die im Lageplan eingezeichnete Schallschutzwand ist in Höhe von 2,00 m, gemessen
vom Nachbargrundstück aus, zu errichten."
18
Im beiliegenden Lageplan ist die auch in den Unterlagen zur
Ursprungsbaugenehmigung eingezeichnete Mauer mit der mehrfachen Bemerkung
dargestellt: "Wand = Sichtschutz + Einfriedung. H (max) = 2,00 m gemäß Gutachten
erstellen." Weiter ist mehrfach die Bemerkung "Betonwand (0,12 m)" angefügt.
19
In einem Nachtrag vom 27. Juni 2007 zum Schallgutachten vom 19. Februar 2007 des
Gutachterbüros V. und Partner, der ausweislich der 2. Nachtragsgenehmigung
Bestandteil dieser Genehmigung sein soll, heißt es, wegen des nach Osten und nach
Norden abfallenden Geländes des Grundstücks Q. Straße 165 weise die errichtete
Schallschutzmauer auf der Grundstücksseite der Beigeladenen zu 2. unterschiedliche
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Höhen von 1,40 Meter bis 2,00 Meter auf. Gemessen an der Grundstückskante der
Nachbarn betrage die Höhe der Mauer maximal 2,00 Meter. Auch mit diesen Maßen sei
eine Überschreitung der maßgeblichen Lärmimmissionsrichtwerte an den zugrunde
gelegten Immissionsmesspunkten nicht zu erwarten.
Auf Bitten bzw. Anregung und mit Einverständnis der angrenzenden Nachbarn der
Straße Im F. erhöhte der Beigeladene zu 1. die vorhandene Mauer mit etwa 65 cm
hohen Sichtschutzelementen aus Plexiglas-Kunststoff. Diese Erhöhung beginnt in der
nord-östlichen Ecke des Flurstücks 562 und ist durchgehend bis zur nord-westlichen
Ecke des Flurstücks 556 fortgesetzt.
21
Die Kläger haben am 29. Mai 2008 Klage erhoben. Sie machen geltend, die
Baugenehmigung sei ihnen nicht bekanntgegeben worden, die dann geltende
Jahresfrist zur Anfechtung nach § 58 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
sei im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgelaufen. Die Regelungen der 2.
Nachtragsgenehmigung seien unbestimmt, da die Beigeladene zu 2. die Möglichkeit
habe, von ihrer Seite durch Anfüllung des Grundstücks die Höhe der Mauer zu
verringern und so das festgelegte Lärmschutzniveau zu unterlaufen. Die Errichtung des
Lebensmittelmarktes verstoße gegen die Darstellungen des Flächennutzungsplans der
Stadt H. , der für den Standort Wohnbaufläche vorsehe. Die Regelungen des
Schallschutzes seien durch die Baugenehmigung nicht eingehalten. Es werde nicht
ausreichend berücksichtigt, dass sie den Ruhebereich ihres Grundstücks in dessen
hinterem Bereich angelegt hätten. Die Anlage der Stellplätze verstoße gegen die
Vorschrift des § 51 Abs. 7 der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (BauO
NRW). Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Anlieferverkehr rückwärts an die
entsprechende Rampe heranfahre und die Fahrzeuge dabei einen störenden Warnton
abgäben. Dasselbe gelte für einparkende Kunden mit Fahrzeugen, die mit
entsprechenden Signaleinrichtungen ausgestattet seien. Das der Erteilung der
Baugenehmigung zugrunde gelegte Schallgutachten weise verschiedene Mängel auf.
Für den Immissionspunkt Im F. 3, der auch für das klägerische Grundstück
herangezogen werden könne, stelle das Gutachten zu Unrecht auf das Erdgeschoss ab,
obwohl sich die Schlafräume als schutzwürdige Räume im 1. Obergeschoss befänden.
Gerade was die Anfahrt von Lkw anbetrifft, hätte der Gutachter ihr Grundstück mit einem
eigenen Immissionspunkt berücksichtigen müssen. Der Gutachter hätte sich an den
Vorgaben der vom Bayerischen Landesamt für Umwelt herausgegebenen Parkplatz-
Lärmstudie orientieren müssen. Zu Unrecht habe der Gutachter die
Immissionsrichtwerte für ein Mischgebiet seiner Begutachtung zugrundegelegt. Es
handele sich aber um ein Gebiet, das vorwiegend dem Wohnen diene und als
"Gartenstadt I. " bekannt sei. In dieser Erwartung hätten die Kläger auch ihr Grundstück
erworben.
22
Die Kläger beantragen,
23
die der Beigeladenen zu 1. erteilte Baugenehmigung vom 27. Juli 2007 in der Gestalt
der Nachtragsbaugenehmigungen vom 30. November 2007 aufzuheben.
24
Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1. und 2. beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte bezieht sich zur Begründung auf sein Vorbringen aus dem
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Verwaltungsverfahren.
Der Berichterstatter der Kammer hat am 25. Februar 2010 einen Ortstermin durchgeführt.
Wegen des Ergebnisses wird auf das Terminsprotokoll vom selben Tage und die vor Ort
gefertigten Lichtbilder Bezug genommen.
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In der mündlichen Verhandlung ist der Gutachter der Beigeladenen zu 1. noch einmal
eingehend zu der Immissionsprognose befragt worden.
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Wegen der Einzelheiten wird auf das Terminsprotokoll Bezug genommen.
30
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vom
Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
31
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
32
Die Anfechtungsklage ist zulässig, aber nicht begründet.
33
Die am 29. Mai 2008 erhobene Klage gegen die Baugenehmigung vom 27. Juli 2007 (in
der Fassung der Nachtragsgenehmigungen vom 30. November 2007) wahrt die
Klagefrist. Die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 VwGO hat den Klägern gegenüber nicht zu
laufen begonnen, da es angesichts der ihnen nicht bekannt gegebenen
Baugenehmigung auch an einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung fehlt, § 58
Abs. 1 VwGO. Die Klage ist innerhalb der dann maßgeblichen Jahresfrist nach § 58
Abs. 2 VwGO erhoben worden.
34
Die Klage ist aber nicht begründet; die angefochtene Baugenehmigung des Beklagten
vom 27. Juli 2007 in der Gestalt, die sie durch die beiden Nachtragsgenehmigungen
vom 30. November 2007 erhalten hat, verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113
Abs. 1 Satz 1 der VwGO.
35
Ein Nachbar kann nur dann erfolgreich gegen die einem Dritten erteilte
Baugenehmigung vorgehen, wenn sie gegen nachbarschützende Vorschriften des
öffentlichen Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts verstößt und eine Befreiung oder
Abweichung von diesen Vorschriften nicht vorliegt oder unter Berücksichtigung
nachbarlicher Belange nicht hätte erteilt werden dürfen.
36
Das ist hier nicht der Fall.
37
Die der Beigeladenen zu 1. erteilte Baugenehmigung ist nicht zu Lasten der Kläger
unbestimmt (I.), die Kläger können als nachbarliches Abwehrrecht weder eine
Verletzung des sogenannten Gebietsgewährleistungsanspruchs (II.) noch des
allgemeinen Rücksichtnahmegebots (III.) geltend machen. Schließlich liegt keine
Verletzung von nachbarschützenden Vorschriften des Bauordnungsrechts, namentlich
der sich aus § 51 Abs. 7 BauO NRW ergebenden Anforderungen (IV.) vor.
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I. Die angegriffene Baugenehmigung ist nicht unter Verstoß gegen § 37 Abs. 1 des
Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein - Westfalen (VwVfG) zu Lasten
der Kläger als Nachbarn unbestimmt.
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Eine Baugenehmigung muss inhaltlich bestimmt sein. Sie muss Inhalt, Reichweite und
40
Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen, damit der Bauherr die
Bandbreite der für ihn legalen Nutzungen und Drittbetroffene das Maß der für sie aus der
Baugenehmigung erwachsenden Betroffenheit zweifelsfrei feststellen können. Eine
solche dem Bestimmtheitsgebot genügende Aussage muss dem Bau-schein selbst -
ggf. durch Auslegung - entnommen werden können, wobei die mit
Zugehörigkeitsvermerk versehenen Bauvorlagen bei der Ermittlung des objektiven
Erklärungsinhalts der Baugenehmigung herangezogen werden müssen. Andere
Unterlagen oder sonstige Umstände sind angesichts der zwingend vorgeschriebenen
Schriftform der Baugenehmigung ( § 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW ) für den Inhalt der
erteilten Baugenehmigung regelmäßig nicht relevant. Allerdings ist die
Baugenehmigungsbehörde gehalten, Bauanträge unter Einbeziehung der ihr bekannten
Umstände des jeweils zu Grunde liegenden Sachverhalts auszulegen, über den so
ermittelten Verfahrensgegenstand zu entscheiden und dies in der ggf. zu erteilenden
Baugenehmigung deutlich zu machen.
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein - Westfalen (OVG NRW), Beschluss
vom 7. Dezember 2006 - 10 B 14/07 -, Beschluss vom 30. Mai 2005 - 10 A 2017/03 -,
Beschluss vom 12. Januar 2001 - 10 B 1827/00 -, BRS 64 Nr. 162, Urteil vom 10.
Dezember 1998 - 10 A 4248/92 -, BRS 58 Nr. 216, Beschluss vom 16. Juli 1997 - 7 B
1585/97 -; Boeddinghaus / Hahn / Schulte, Bauordnung NRW, Kommentar, Stand: März
2010 (68. Aktualisierung), § 75 Rn. 37-44 m.w.N.
41
Im vorliegenden Fall sind diese Anforderungen, was die Beschaffenheit und Anordnung
der zu errichtenden Schallschutzmauer entlang der nördlichen und westlichen
Grundstücksgrenzen der Beigeladenen zu 2. anbetrifft, (noch) gewahrt.
42
Dem Bauschein vom 27. Juli 2007 mit den zugehörigen Bauvorlagen lässt sich die
erforderliche Bestimmtheit allerdings nicht allein entnehmen. Der Beklagte hat unter der
Auflage Nr. 8 die Errichtung einer Mauer angeordnet, die massiv (Mauerwerk o.ä.) bis in
eine Höhe von 2 m auszuführen ist, ohne dass damit eine direkte Bezugnahme auf die
im Schallschutzgutachten vom 19. Februar 2007 beschriebene Ausführung der Mauer
erfolgt wäre. Mit dieser Formulierung, die auch durch zugehörige Planunterlagen nicht
ausreichend ergänzt wird, bleibt offen, in welcher Mindesthöhe und aus welchem
Material die Mauer zu errichten ist. Beide Fragen haben aber auf die
Schalldämmfunktion der Mauer und damit auf die Frage der Beeinträchtigung von
Nachbarrechten entscheidenden Einfluss. Die erforderlich Klarheit für die Ausführung
der Mauer, die in rechtlicher Hinsicht zur Bestimmtheit der entsprechenden Regelungen
der Baugenehmigung führt, ist jedoch durch die 2. Nachtragsbaugenehmigung vom 30.
November 2007 geschaffen worden, die die Ursprungsbaugenehmigung entsprechend
ändert. Denn in dem mit Zugehörigkeitsvermerk versehenen amtlichen Lageplan
(Beiakte Heft 2, Bl. I) heißt es, die Wand (Sichtschutz und Einfriedung) sei in einer Höhe
von maximal 2,00 Meter gemäß Gutachten zu erstellen. Die Qualität der Mauer ist durch
das so in Bezug genommene (und bereits zum Bestandteil der Ausgangsgenehmigung
vom 27. Juli 2007 gewordene) Ursprungsgutachten vom 19. Februar 2007 alternativlos
benannt. Danach ist eine bereits vorhandene Mauer zu verwenden, bei Wahl einer
anderen Einfriedung sind Fugendichtigkeit und ein Bauschalldämmmaß von >= 25 dB
einzuhalten (S. 4, 21 des Gutachtens). Durch den Text der 2. Nachtragsgenehmigung ist
weiter klargestellt, dass die Höhe der Mauer von den Nachbargrundstücken aus zu
bestimmen ist. Wegen der höheren Lage des Grundstücks der Beigeladenen zu 2.
gegenüber den nördlich und teilweise auch westlich angrenzenden Grundstücken (u.a.
dem der Kläger) ist in der Gutachtenergänzung vom 27. Juni 2007, die Bestandteil der 2.
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Nachtragsbaugenehmigung ist, die sich auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 2.
ergebende geringere Höhe der Mauer berücksichtigt. Die sich jeweils entlang der
Nachbargrenzen aus Sicht des Grundstücks der Beigeladenen zu 2. ergebenden
Mauerhöhen sind in dieser Gutachterergänzung genau benannt. Gegenüber dem
Grundstück der Kläger (hier: Flurstück 555) etwa ergibt sich eine Mauerhöhe von 1,60
Meter.
Auch die weiter geäußerten Bedenken der Kläger zur Unbestimmtheit der 2.
Nachtragsgenehmigung sind unbegründet. Den Beigeladenen zu 1. bzw. 2. ist es nicht
gestattet, durch Anschüttung des in Frage stehenden Grundstücks die Höhe der
Schallschutzmauer zu Lasten der Nachbarn auf dem Vorhabengrundstück (weiter) zu
verringern. Der genehmigte Bestand des Vorhabens ergibt sich aus der
Ursprungsgenehmigung in der Fassung, die sie durch die beiden
Nachtragsgenehmigungen erhalten hat. Nach den oben gemachten Ausführungen zur 2.
Nachtragsgenehmigung ist die Mauer in den in der 2. Nachtragsbaugenehmigung
(genauer: S. 2 der Gutachtenergänzung vom 26. Juni 2007 als deren Bestandteil)
benannten Anforderungen zu errichten und als Lärmminderungsmaßnahme
vorzuhalten.
44
II. Auch der sog."Gebietsgewährleistungsanspruch" wird durch das Vorhaben nicht
verletzt. Der Nachbar hat auf die Bewahrung der Gebietsart einen Schutzanspruch, der
über das allgemeine bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot hinausgeht. Der
Abwehranspruch des Nachbarn wird grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines
mit der Gebietsart unvereinbaren Vorhabens ausgelöst, weil hierdurch das nachbarliche
Austauschverhältnis gestört und eine Verfremdung des Gebiets eingeleitet wird. Weil
und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-
rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung auch im
Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen. Der Nachbarschutz aus der Festsetzung eines
Baugebiets - und auch jener nach § 34 Abs. 2 des Baugesetzbuches - BauGB - geht
weiter als der Schutz aus dem Rücksichtnahmegebot in § 15 Abs. 1 der
Baunutzungsverordnung - BauNVO -. Dieser setzt voraus, dass der Nachbar in
unzumutbarer Weise konkret in schutzwürdigen Interessen betroffen wird. Auf die
Bewahrung der Gebietsart hat der Nachbar einen Anspruch jedoch auch dann, wenn
das baugebietswidrige Vorhaben im jeweiligen Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich
spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung für ihn führt,
45
vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28.91 -,
BRS 55 Nr. 110, Beschluss vom 11. April 1996 - 4 B 51.96 -, BRS 58 Nr. 82; OVG NRW,
Beschluss vom 25. Februar 2003 -10 B 2417/02-.
46
Der Gebietsgewährleistungsanspruch berechtigt den Nachbarn, Bauvorhaben
abzuwehren, die im Baugebiet bzw. in der nach § 34 Abs. 2 BauGB maßgeblichen
näheren Umgebung ihrer Art nach planungsrechtlich unzulässig sind. Er greift deshalb
ein gegenüber Vorhaben, die in der maßgeblichen näheren Umgebung
planungsrechtlich weder allgemein zulässig sind, noch nach § 31 Abs. 1 oder 2 BauGB
oder nach den Vorschriften der BauNVO im Wege einer Ausnahme oder Befreiung
zugelassen werden können.
47
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Februar 2003 - 10 B 2417/02 -, VG H. , Beschluss
vom 19. August 2003 - 10 L 1171/03 -.
48
Eine Verletzung des oben beschriebenen Gebietsgewährleistungsanspruchs scheidet
indessen im vorliegenden Fall aus, weil die maßgebliche nähere Umgebung des
Bauvorhabens der Beigeladenen zu 1. keinem der Gebiete im Sinne der
Baunutzungsverordnung entspricht, in denen der errichtete Lebensmittelmarkt seiner Art
nach unzulässig wäre.
49
Bei der Umgebung des Bauvorhabens der Beigeladenen zu 1., für die kein
Bebauungsplan besteht, handelt es sich um einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil
im Sinne des § 34 BauGB; an dieser von den Beteiligten vertretenen Auffassung hat
auch das erkennende Gericht keinen Zweifel.
50
Allerdings lässt sich kein faktisches Baugebiet im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB
feststellen, dem sowohl das Grundstück der Kläger als auch das der Beigeladenen zu 2.
angehören und in dem der von der Beigeladenen zu 1. errichtete Lebensmittelmarkt
seiner Art nach unzulässig wäre.
51
Vgl. zur Ermittlung der maßgeblichen Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB:
BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 - 4 C 9.77 -, BRS 33 Nr. 36; OVG NRW, Urteil vom 29.
September 1999 - 7 A 1071/96 -, n.v.
52
Die Annahme eines faktischen allgemeinen oder reinen Wohngebiets nach § 4 bzw. § 3
BauNVO, wodurch den Klägern jedenfalls im Falle des reinen Wohngebietes ein
Abwehranspruch gegen den Lebensmittelmarkt in der hier betriebenen Größenordnung
zur Seite stünde, scheitert bereits an der Existenz der beiden zur maßgeblichen näheren
Umgebung gehörenden Spielhallen "Zocky's Play" auf den Grundstücken Q. Straße 127
und 135. Spielhallen als Unterfall von Vergnügungsstätten sind in allgemeinen und
reinen Wohngebieten weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig, sondern im
Wesentlichen besonderen Wohngebieten (§ 4a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO), Mischgebieten (§
6 Abs. 3 BauNVO), Kerngebieten (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO) und Gewerbegebieten (§ 8
Abs. 3 Nr. 3 BauNVO) vorbehalten. Die beiden genannten Spielhallen sind auch nicht
als Fremdkörper anzusehen, die trotz ihrer Existenz ausnahmsweise nicht geeignet
wären, die Umgebung maßgeblich (mit) zu prägen. Dagegen spricht bereits, dass es
sich hier um zwei Spielhallen an unterschiedlichen Standorten handelt. Von ihrem
quantitativen und sonstigen Erscheinungsbild fallen die beiden Spielhallennutzungen
nicht aus dem Rahmen der sonst entlang der Q. Straße anzutreffenden Bebauung, was
Voraussetzung für die Annahme eines nicht prägenden Fremdkörpers wäre.
53
Vgl. Ernst/ Zinkhahn/ Bielenburg, BauGB, Kommentar, Stand: 1. Januar 2010, § 34, Rn.
79 und 37.
54
Die Standorte der beiden Spielhallen gehören auch zur maßgeblichen näheren
Umgebung des Vorhabensgrundstücks. Nach Auffassung der Kammer ist die
Straßenrandbebauung entlang der westlichen und der östlichen Seite der Q. Straße
jedenfalls zwischen den Einmündungen Im F. und C1. als nähere Umgebung für die
Bestimmung eines möglichen faktischen Baugebiets heranzuziehen. Das ergibt sich
aus dem Erscheinungsbild typischer Straßenrandbebauung entlang einer größeren
Ausfallstraße wie hier der Q. Straße mit teilweise - vor allem in den oberen Geschossen
- vorhandener Wohnbebauung und gewerblichen Nutzungen in den Erdgeschossen.
Die sich von der Straßenbebauung weiter in das Hinterland abgesetzte Bebauung weist
demgegenüber eine andersartige und überwiegend in sich homogene Bebauungs- und
Nutzungsstruktur auf. So spricht Vieles dafür, die Bebauung nördlich und südlich der
55
Straße Im F. , beginnend mit den Grundstücken Im F. 3 und 4 und sich nach Westen
fortsetzend, als reines Wohngebiet anzusehen. Das Vorhabensgrundstück gehört aber
aufgrund seiner Ausrichtung und Bebauung - auch mit seiner hier maßgeblich zu
berücksichtigenden vorausgegangenen Nutzung - nicht mehr zu einem möglichen
faktischen reinen Wohngebiet der Bebauung entlang der Straße Im F. , sondern zu dem
aus der Straßenrandbebauung der Q. Straße gebildeten Bereich. Dieser ist wegen der
geschilderten Existenz der beiden Spielhallen allenfalls als faktisches Mischgebiet nach
§ 6 BauNVO oder aber als bauliche Gemengelage zu bewerten, was im Ergebnis nicht
entschieden werden muss, da in beiden Fällen gegen die Zulassung des hier
streitgegenständlichen Vorhabens seiner Art nach keine Bedenken bestehen und den
Klägern als Grundstückseigentümern eines nur benachbarten (faktischen) Gebietes in
keinem der beiden Fälle ein Gebietserhaltungsanspruch zugute kommt.
Ob das Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans entspricht, ist für seine
Zulassung nicht maßgeblich, wenn es im beplanten oder - wie hier unbeplanten -
Innenbereich liegt.
56
III. Das mit der angefochtenen Baugenehmigung genehmigte Vorhaben verstößt
weiterhin nicht zu Lasten der Kläger gegen das in § 34 Abs. 1 BauGB im Begriff des
"Sich Einfügens" verankerte nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme.
57
Das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme soll angesichts der
gegenseitigen Verflechtungen der baulichen Situation benachbarter Grundstücke einen
angemessenen planungsrechtlichen Ausgleich schaffen, der einerseits dem Bauherrn
ermöglicht, was von seiner Interessenlage her verständlich und unabweisbar ist, und
andererseits dem Nachbarn erspart, was an Belästigungen und Nachteilen für ihn
unzumutbar ist. Die Beachtung des Rücksichtnahmegebots soll gewährleisten,
Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so
zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Die sich daraus ergebenden
Anforderungen sind im Einzelfall festzustellen, wobei die konkreten Umstände zu
würdigen, insbesondere die gegenläufigen Interessen des Bauherrn und des Nachbarn
in Anwendung des Maßstabes der planungsrechtlichen Zumutbarkeit gegeneinander
abzuwägen sind. Dabei kann desto mehr an Rücksichtnahme verlangt werden, je
empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung dessen ist, dem die Rücksichtnahme im
gegebenen Zusammenhang zugute kommt; umgekehrt braucht derjenige, der das
Vorhaben verwirklichen will, desto weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und
unabweisbarer die von ihm mit dem Bauvorhaben verfolgten Interessen sind.
58
Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Januar 1983 - 4 C 59.79 -, BRS 40 Nr. 199 = BauR 1983,
S. 449 = ZfBR 1983, S. 139, vom 28. Oktober 1993 - 4 C 5.93 -, DVBl 1994, S. 697 =
BauR 1994, S. 354 = BRS 55 Nr. 168 = NVwZ 1994, S. 686 = ZfBR 1994, S. 142 = UPR
1994, S. 148 und vom 23. September 1999 - 4 C 6.98 -, NVwZ 2000, S. 1050 = DVBl
2000, S. 192 = ZfBR 2000, S. 128; OVG NRW, Beschluss vom 3. September 1999 - 10
B 1283/99 -, NVwZ 1999, S. 1360.
59
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist nicht erkennbar, dass die Kläger durch die hier
allein streitigen Regelungsinhalte der Baugenehmigung der Beigeladenen zu 1. in
Gestalt der beiden Änderungsgenehmigungen unzumutbar beeinträchtigt werden. Denn
es ist nichts dafür ersichtlich, dass von dem Betrieb, der seiner Art nach auf dem
Grundstück der Beigeladenen zu 2. keinen Bedenken unterliegt, schädliche und damit
gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßende Umwelteinwirkungen für das Grundstück
60
der Kläger ausgehen.
Schädliche Umwelteinwirkungen sind erhebliche Immissionen i.S.v. §§ 3 Abs. 1 und 2,
22 Abs. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG), d.h. solche Immissionen,
die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder
erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.
61
Zu diesen schädlichen Umwelteinwirkungen gehören hier in erster Linie die auf das
Grundstück der Kläger einwirkenden Lärmimmissionen. Eine gesetzliche Regelung,
was im Rahmen des Rücksichtnahmegebots von einem Nachbarn als zumutbare
Lärmimmission hinzunehmen ist, besteht nicht. Für die vom Gericht vorzunehmende
Lärmbewertung bieten jedoch die einschlägigen technischen Regelwerte wie die TA-
Lärm als sachverständige Erkenntnisquelle Orientierungshilfe.
62
Vgl. BVerwG, Urteile vom 24. September 1992 - 7 C 6.92 -, BVerwGE 91, S. 92 = BauR
1993, S. 325 = BRS 54 Nr. 187 und vom 23. September 1999 - 4 C 6.98 -, a.a.O. und
Beschluss vom 18. Dezember 1990 - 4 N 6.88 -, NVwZ 1991, S. 881; OVG NRW,
Beschluss vom 3. September 1999 - 10 B 1283/99 -, a.a.O.
63
Als Ausgangspunkt der Betrachtung sind dabei die Richtwerte der TA-Lärm
heranzuziehen. Nach Nr. 6.1 TA-Lärm richten sich die einzuhaltenden
Immissionsrichtwerte nach der jeweiligen Gebietsart. Im vorliegenden Fall befinden sich
allerdings das Grundstück der Kläger und das Grundstück der Beigeladenen zu 2. mit
dem von der Beigeladenen zu 1. verwirklichten Vorhaben nicht in einem einheitlichen
Gebiet im Sinne von Nr. 6.1 TA-Lärm, sondern - wie oben bereits aufgezeigt - in
aneinandergrenzenden unterschiedlichen Gebieten bzw. "Gemengelagen"
unterschiedlicher Nutzungen. Den Fall unterschiedlicher aneinandergrenzender
Gebiete unterschiedlicher Nutzungsarten bezeichnet die TA-Lärm ihrerseits als
"Gemengelage" und trifft für ihn in Nr. 6.7 eine eigenständige Regelung.
64
Danach sind die für Wohngebiete geltenden Immissionsrichtwerte auf einen geeigneten
Zwischenwert der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte zu
erhöhen, soweit dies nach der gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme erforderlich ist.
Die Immissionsrichtwerte für Kern- Dorf- und Mischgebiete sollen dabei nicht
überschritten werden, Nr. 6.7 Abs. 1 Satz 2 TA-Lärm. Für die Höhe des Zwischenwertes
ist die konkrete Schutzbedürftigkeit des Gebietes maßgeblich.
65
Daran gemessen ist für den hier maßgeblichen Immissionsrichtwert von den für reine
Wohngebiete (tagsüber 50 dB(A)) einerseits und den für Kern-, Dorf- und Mischgebiete
andererseits (tagsüber 60 dB(A)) geltenden Werten auszugehen, wobei dessen
Höchstgrenze von 60 dB(A) nicht überschritten werden soll.
66
Der Ansatz von 50 dB(A) tagsüber erscheint für die Wohnbebauung entlang der Straße
Im F. , die als faktisches reines Wohngebiet bewertet werden kann, angemessen. Für
die Bebauung entlang der Q. Straße im hier entscheidenden Teil ist der Ansatz von 60
dB(A) nach Nr. 6.1 Buchst. c) TA-Lärm für Kern-, Dorf- und Mischgebiete zu wählen,
unabhängig davon, ob der genannte Bereich als faktisches Mischgebiet oder als
"Gemengelage" unterschiedlicher Nutzungen zu bewerten ist, für die der genannte
Immissionsrichtwert ebenfalls die Schutzbedürftigkeit in passender Weise erfasst.
67
Der aus diesen beiden Kenngrößen zu bildende Zwischenwert ist nicht arithmetisch,
68
sondern anhand der für die konkrete Schutzbedürftigkeit maßgeblichen Kriterien wie
Prägung des Einwirkungsgebietes durch Wohnbebauung einerseits und gewerbliche
Nutzungen andererseits, die Ortsüblichkeit der Geräusche und die Frage, welche
Nutzung zuerst verwirklicht wurde, zu bestimmen.
Unter Berücksichtigung der quantitativ deutlich überwiegenden Wohnnutzung, die
gegenüber den lärmtechnisch besonders störenden Nutzungen der Lebensmittelmärkte
Q. Straße 165 (Vorhaben der Beigeladenen zu 1.) und Q. Straße 133 (Aldi-Markt)
zeitlich vorausgehend verwirklicht wurde, erscheint der Kammer im vorliegenden Fall
ein für das Grundstück der Kläger geltendes Schutzniveau von deutlich über 50 dB(A)
tagsüber im Bereich von 52- 53 dB(A), möglicherweise auch von 54- 55 dB(A)
angezeigt, wobei zu berücksichtigen ist, dass es sich bei den nach der TA-Lärm
zugrundezulegenden Werten ohnehin nicht um starre Lärmgrenzwerte, sondern
Lärmrichtwerte handelt, die nur Teil einer im Einzelfall jeweils erforderlichen
immissionstechnischen Gesamtbetrachtung sind.
69
Jedenfalls sind die dem Lärmgutachtenbüro V. und Partner vom Beklagten
vorgegebenen und vom Lärmgutachter dann auch entsprechend angesetzten
Lärmrichtwerte von 50 dB(A) zur Begründung des Schutzniveaus unter anderem in der
Straße Im F. (zu Gunsten der Kläger und zu Lasten der Beigeladenen zu 1.) zu niedrig.
Dass für die Bebauung entlang der Q. Straße ein Lärmrichtwert von 60 dB(A)
anzusetzen ist, erkennt auch der Beklagte durch seine Vorgaben an den Lärmgutachter
zur Berücksichtigung der Wohnnutzungen in den Gebäuden Q. Straße 167 und 135 an,
nimmt aber offenbar keine Bildung eines geeigneten Zwischenwertes nach Nr. 6.7 TA-
Lärm für die nur am Rande eines faktischen reinen Wohngebiets liegenden Grundstücke
vor.
70
Gemessen an diesen Vorgaben sind die vom Gutachter prognostizierten
Lärmbelastungen, die vom Vorhaben der Beilgeladenen zu 1. ausgehen, gegenüber
den Klägern nicht rücksichtslos. Denn es ist danach nicht zu erwarten, dass der
maßgebliche Lärmrichtwert, der bei mindestens 52 dB(A) tagsüber anzusetzen ist,
überschritten wird. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass der
Gesamtbeurteilungspegel vor dem Fenster des schutzwürdigsten Raumes im
Erdgeschoss des Gebäudes Im F. 3 49 dB(A) betragen wird.
71
Es erscheint angemessen, das Ergebnis am Immissionspunkt Im F. 3 auf die
Grundstückssituation der Kläger im Ansatz zu übertragen. Jedenfalls die Laderampe,
die nach Auffassung des Gutachters den höchsten Teilbeurteilungspegel durch
Lärmemissionen verursacht, weist zum Wohngebäude Im F. 3 keinen größeren Abstand
auf als zum Wohngebäude der Kläger.
72
Auch wenn gewisse Bedenken gegen einzelne Annahmen des Gutachters bestehen,
die dazu führen könnten, dass der tatsächliche Gesamtbeurteilungspegel am Wohnhaus
der Kläger höher ausfällt als der für das Wohngebäude Im F. 3 prognostizierte, steht zur
Überzeugung der Kammer mit ausreichender Sicherheit fest, dass eine solche mögliche
Erhöhung nur geringfügig und damit der Gesamtbeurteilungspegel nicht zu Lasten der
Kläger rücksichtslos wäre.
73
Dabei ist in erster Linie zu nennen, dass eine Prognose für den am stärksten betroffenen
schutzbedürftigen Raum des Wohngebäudes der Kläger (vgl. Anhang A.1.3 Buchst. a)
TA-Lärm) durch den Gutachter nicht erfolgt ist, sondern für die Wohnbebauung entlang
74
der Straße Im F. ein Immissionspunkt für das Erdgeschoss des Wohngebäudes Im F. 3
angesetzt worden ist. Zunächst ist nicht ersichtlich, dass sich die Situation für die
Wohngebäude Im F. 3 und Im F. 7a (Grundstück der Kläger) maßgeblich unterschiede.
Beide Wohngebäude weisen von der Verladerampe des Lebensmittelmarktes, die für
den bestimmenden Teilbeurteilungspegel verantwortlich ist, eine ähnlich große
Entfernung auf. Dasselbe gilt für die jeweils nächstgelegenen Stellplätze der
Parkplatzanlage. Der Mitarbeiter des Gutachter-Büros, Dipl.-Ing. X. , hat in der
mündlichen Verhandlung erklärt, dass sich der den Parkplatzlärm abbildende
Teilbeurteilungspegel um 1 - 2 dB(A) erhöhen könne, wenn für den
Immissionseinwirkungsort anstelle des Erdgeschosses das 1. Obergeschoss angesetzt
werde. Sofern bei den Klägern als solcher schutzbedürftiger Wohnraum ein Raum des
1. Obergeschosses in Ansatz zu bringen wäre, ergäbe sich möglicherweise ein
gegenüber dem für das Gebäude Im F. 3 ermittelter erhöhter Gesamtbeurteilungspegel,
wobei in Rechnung zu stellen ist, dass sich mit der Erhöhung des Beurteilungspegels
für den Parkplatzlärm nur einer von drei maßgeblichen Teilbeurteilungspegeln
nennenswert veränderte und damit die mögliche Erhöhung des allein maßgeblichen
Gesamtbeurteilungspegels nicht im Umfang der Erhöhung des Teilbeurteilungspegels
erfolgte. Schließlich ist die Berechnung für den Immissionsort Im F. 3 auch nicht unter
Berücksichtigung der erst nachträglich auf die Schallschutzwand aufgebrachten
Plexiglaserhöhung erfolgt, wobei dahinstehen kann, ob diese Erhöhung überhaupt
einen maßgeblichen Lärmminderungswert hat. In der Ergänzung des
Schallschutzgutachtes vom 27. Juni 2007 ist die Schallausbreitung unter
Berücksichtigung der Schallschutzmauer in Übereinstimmung mit der 2.
Nachtragsbaugenehmigung vom 30. November 2007 erfolgt.
Der Vertreter des Gutachter-Büros hat in der mündlichen Verhandlung weiter
nachvollziehbar dargelegt, dass die Berücksichtigung der an Sonn- und Feiertagen
stattfindenden Lärmemissionen, die bislang nicht erfolgt ist, zu keinem abweichenden
Ergebnis führen würde. Zwar ist an Sonn- und Feiertagen für Wohngebiete in den
besonders schutzbedürftigen Zeiträumen (hier käme nur der Zeitraum von 13.00 bis
15.00 Uhr in Betracht, vgl. Nr. 6.5 TA-Lärm) ein Zuschlag von 6 dB zu berücksichtigen.
Auf der anderen Seite wird der maßgebliche Gesamtbeurteilungspegel an Sonn- und
Feiertagen deshalb wesentlich geringer ausfallen, weil an diesen Tagen lediglich eine
Betriebszeit von 11.00 bis 17.00 Uhr und ausschließlich für den Backwarenladen
genehmigt worden ist. Entscheidend wird sich auf die Prognose des
Gesamtbeurteilungspegels für Sonn- und Feiertage auswirken, dass die besonders
lärmintensiven Anlieferungen an diesen Tagen nicht stattfinden.
75
Schließlich hat der Vertreter des Gutachter-Büros ausreichende Erklärungen dafür
abgegeben, dass er nicht die Frequenzzahlen für Stellplatzanlagen aus der
Parkplatzlärmstudie des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz (seinerzeit: 4.
Aufl. aus dem Jahr 2003) angewendet, sondern auf entsprechende Erhebungen der
Hessischen Straßen- und Verkehrsverwaltung zurückgegriffen hat. Die Bezirksregierung
Münster als seinerzeit zuständige Behörde für die Belange des Immissionsschutzes hat
im Übrigen keine Bedenken im Hinblick auf diese Vorgehensweise gesehen (Schreiben
vom 18. Januar 2007, Beiakte Heft 3, Blatt 54 - 56). Auch bei diesem Ansatz des
Gutachters ist zu berücksichtigen, dass dadurch lediglich der Parkplatzlärm als einer
von drei Teilbeurteilungspegeln betroffen ist. Dieser verursacht nur einen
Teilbeurteilungspegel von 44,0 dB(A) (Immissionspunkt Im F. 3, Anhang zur
Gutachtenergänzung vom 27. Juni 2007) gegenüber den weiteren
Teilbeurteilungspegeln von 45,5 dB(A) für den Betrieb an der Anlieferrampe (einschl.
76
Lkw-Verkehr) und 31,1 dB(A) für den Anlieferbetrieb des Backwarenladens einschl.
stationärer Quellen wie Lüftungs- und Heizungsanlage. Selbst für den Fall eines
höheren Ansatzes der Frequentierung des Parkplatzes, etwa auf der Basis der Zahlen
der Parkplatzlärmstudie des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz ist die
Kammer der Auffassung, dass sich der maßgebliche Gesamtbeurteilungspegel zu
Lasten der Kläger nicht in entscheidungserheblicher Weise erhöhen wird.
Auch in einer Gesamtschau der maßgeblichen Umstände, nämlich der
Grundstückssituation der Kläger und des auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 2.
ausgeübten Betriebs ergibt sich, dass das Grundstück der Kläger - unabhängig von der
Einhaltung der maßgeblichen Lärmimmissionsrichtwerte - nicht rücksichtslos
beeinträchtigt wird.
77
Dabei ist den Klägern ohne Weiteres zuzugeben, dass ihr Grundstück durch den Betrieb
der Beigeladenen zu 2. Belästigungen durch den auf der Stellplatzanlage stattfindende
An- und Abfahrtverkehr sowie durch den Anlieferverkehr ausgesetzt wird, die bis zur
Errichtung des Lebensmittelmarktes in dieser Form nicht vorhanden waren. Diese
Belästigungen, auch wenn sie mit erheblichen Einzelgeräuschen verbunden sind,
überschreiten nach Auffassung des Gerichts in der hier konkret vorgefundenen Situation
indessen nicht die Schwelle zur Rücksichtslosigkeit. Aufgrund der Lage des
Grundstücks der Kläger am Rande eines Wohngebietes in unmittelbarer Nähe zu
Grundstücksflächen, deren gewerbliche Nutzung keineswegs ausgeschlossen war,
mussten die Kläger mit der Möglichkeit der Errichtung einer Stellplatzanlage rechnen,
die für den hier grundsätzlich zulässigen Lebensmittelmarkt mit knapp 800 qm
Verkaufsfläche mit 68 Stellplätzen nicht einmal besonders groß dimensioniert ist.
78
Weiter sind die Lage der benachbarten Grundstücke der Kläger und der Beigeladenen
zu 2. zueinander und weiter die Ausgestaltung und Ausrichtung der Stellplatzanlage
sowie des Anlieferbereichs des Lebensmittelmarktes von entscheidender Bedeutung.
79
Der rückwärtige Grundstücksbereich der Kläger ist durch den Zuschnitt des Grundstücks
in unterschiedlicher Weise betroffen. Nur ein Teil des Grundstücks der Kläger grenzt an
einen Eckbereich des Grundstücks der Beigeladenen zu 2. an. Auf dem Grundstück der
Kläger sind Bereiche vorhanden, die auch weiterhin eine bessere - weil insgesamt
ungestörtere - Ausnutzung des Freizeit- und Gartenbereichs ermöglichen.
80
Durch die aufgrund des Grundstückszuschnitts beträchtliche Entfernung von Teilen des
Erholungsbereichs des klägerischen Grundstücks von einem Teil der Stellplätze der
Beigeladenen wird auch die Lästigkeit einzelner, von der Stellplatzanlage ausgehender
Geräusche wie Türenschlagen, Signalgeräusche der Einparkhilfen von Lkw bzw. Pkw
und An- und Abfahrtgeräusche der Pkw gemildert. Bei den vom Anlieferverkehr
ausgehenden Geräuschemissionen ist in Rechnung zu stellen, dass Anlieferverkehr nur
werktags in der Zeit ab 06.00 erfolgen darf, die Anlieferrampe mit einer 3 m hohen und 7
m langen Lärmschutzwand umfasst ist und sich bereits in einer Entfernung von etwa 35
m zur Grundstücksgrenze und etwa 85 m zum Gebäude der Kläger befindet.
81
Schließlich ist das Grundstück durch die errichtete Schutzmauer auch weitgehend vor
optischen Beeinträchtigungen wie denen von KfZ- Scheinwerfern geschützt.
82
Vgl. zur Zumutbarkeit von Lichtimmissionen nur OVG NRW, Urt. v. 15. März 2007 - 10 A
998/06 -, DVBl. 2008, 791.
83
IV. Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ist auch mit der Vorschrift des § 51
Abs. 7 BauO NRW vereinbar. Nach dieser Vorschrift müssen Stellplätze so angeordnet
und ausgeführt werden, dass Lärm oder Gerüche das Wohnen, die Ruhe und die
Erholung in der Umgebung nicht über das zumutbare Maß hinaus stören. Die Frage,
wann die Benutzung von Stellplätzen die Umgebung unzumutbar stört, lässt sich nicht
abstrakt und generell nach festen Merkmalen beurteilen. Vielmehr kommt es
entscheidend auf die konkrete Situation an, in der sich die Belästigungen auswirken.
84
Ständige Rechstprechung des OVG NRW, vgl. etwa Urteil vom 21. Oktober 2002 - 7 A
3185/01 -.
85
Bei der Bewertung der maßgeblichen Kriterien für die Beurteilung, ob die Kläger die
Stellplatzanlage auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 2. hinzunehmen haben, kann
auf die Ausführungen zum (bauplanungsrechtlichen) Gebot der Rücksichtnahme (siehe
oben, Punkt III.) zurückgegriffen werden. Die dort angestellten Überlegungen zur
Situation der beiden zu beurteilenden Grundstücke und ihren Vorbelastungen gelten in
gleicher Weise für die Beurteilung der sich aus § 51 Abs. 7 BauO NRW ergebenden
(bauordnungsrechtlichen) Anforderungen.
86
Vgl. dazu. VG H. , Beschluss vom 14. Juli 2003 - 5 L 1371/03 -.
87
Auch für die bei § 51 Abs. 7 BauO vorzunehmende bauordnungsrechtliche Bewertung
ist maßgeblich auf die abschirmende Wirkung der die maßgeblichen Grundstücksteile
umfassenden Schallschutzmauer abzustellen. Deren Wirkung schützt zugleich vor
einem erheblichen Teil der optischen Immissionen durch Scheinwerfer von
Kraftfahrzeugen.
88
Eine Verletzung der Anforderungen des § 51 Abs. 7 BauO NRW liegt danach nicht vor.
89
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO
abzuweisen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2. sind
erstattungsfähig, da sie sich jeweils durch die Stellung eigener Anträge der Risiko
eigener Kostentragung (§ 154 Abs. 3 VwGO) ausgesetzt haben.
90
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht
auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
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