Urteil des VG Gelsenkirchen vom 14.10.2008

VG Gelsenkirchen: treu und glauben, mehrarbeit, bereitschaftsdienst, pflicht des beamten, belastung, beamter, gemeinschaftsrecht, genehmigung, abschlag, fürsorgepflicht

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 12 K 480/08
Datum:
14.10.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 K 480/08
Schlagworte:
Mehrarbeit, Zuvielareit, Freizeitausgleich, Treu und Glauben,
Ausgleichsanspruch, Interessenabwägung, Richtlinie
Normen:
AZVO Feu § 1, LBG NRW § 78a, BGB § 242
Leitsätze:
1. Hat ein Beamter des feuerwehrtechnischen Dienstes auf der
Grundlage von Dienstplänen, deren Arbeitszeitvorgaben die zulässige
Höchstarbeitszeit von durchschnittlich 48 Wochenstunden überschritten,
Zuvielarbeit geleistet, lässt sich ein Anspruch auf Gewährung von
Freizeitausgleich nur aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242
BGB) herleiten.
2. Voraussetzung für den Ausgleichsanspruch ist es, dass der Dienstherr
den Beamten in einem das rechtlich vorgegebene Maß
überschreitenden Umfang zur Dienstleistung herangezogen hat. Dass
sich die rechtswidrige Inanspruchnahme durch den Dienstherrn zugleich
als treuwidrig darstellt, ist keine weitere Voraussetzung des
Ausgleichsanspruchs aus Treu und Glauben.
3. Eine unklare Rechtslage vermag den Anspruch aus Treu und
Glauben nicht zu Lasten des Beamten auszuschließen. Vielmehr ist eine
solche gerade kennzeichnend für den Anwendungsbereich des
Ausgleichsanspruchs.
4. Ein Ausgleich kann grundsätzlich nur für den Zeitraum begehrt
werden, der sich an den Monat anschließt, in dem der Beamte den
Anspruch auf Gewährung von Freizeitausgleich für geleistete
Zuvielarbeit erstmals gegenüber seinem Dienstherrn geltend gemacht
hat.
5. Der vorzunehmende Ausgleich der Zuvielarbeit erfasst nicht das volle
Stundenkontingent. Die geleisteten Zuvielarbeitsstunden sind
entsprechend der Wertung des nordrhein-westfälischen
Verordnungsgebers in § 1 AZVO Feu a.F. lediglich mit 50% zu
berücksichtigen. Außerdem ist ein Ausgleich nur für die geleisteten
Stunden der Zuvielarbeit geboten, die die Zahl übersteigt, die nach der
gesetzlichen Regelung des § 78a Abs. 1 Satz 2 LBG NRW dem
Beamten ausgleichslos zumutbar sind.
6. Bei der Anspruchsberechnung ist eine pauschalierende Betrachtung
geboten, da der nach Treu und Glauben herbeizuführende Ausgleich
keine auf individuelle Besonderheiten eingehende Lösung verlangt,
sondern lediglich einen billigen Ausgleich der Interessen der Beteiligten.
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Juli 2007 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 2007
verurteilt, dem Kläger für die in dem Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31.
Dezember 2006 geleistete Zuvielarbeit Freizeitausgleich in Höhe von
80,5 Stunden zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Freizeitausgleich für in dem Zeitraum
vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2006 geleistete Zuvielarbeit.
2
Der am 22. September 1951 geborene Kläger steht als Feuerwehrbeamter im Dienst der
Beklagten. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2005, bei der Beklagten eingegangen am
20. Dezember 2005, beantragte der Kläger für geleistete Zuvielarbeit im Zeitraum vom 1.
Januar 1997 bis zum 31. Dezember 2005 die Gewährung von Freizeitausgleich und
hilfsweise einer finanziellen Entschädigung. Dieser Antrag ist Gegenstand des Urteils
der Kammer vom heutigen Tage im Verfahren 12 K 1529/07.
3
Mit Schreiben vom 16. Juli 2007 beantragte der Kläger, ihm auch für den Zeitraum vom
1. Januar bis zum 31. Dezember 2006 für geleistete Zuvielarbeit Freizeitausgleich zu
gewähren. Aufgrund des Beschlusses des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Juli 2005
stehe fest, dass die Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG auf den Bereich staatlicher und
kommunaler Feuerwehren Anwendung finde. Damit sei zugleich entschieden, dass der
jahrelange dienstplanmäßige Einsatz der Einsatzkräfte der Feuerwehr der Beklagten mit
einer durchschnittlichen Arbeitszeit von mehr als 48 Wochenstunden rechtswidrig
gewesen sei. Er habe im Jahr 2006 wöchentlich 6,0 Stunden Mehrarbeit geleistet.
4
Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 18. Juli 2007, der dem Kläger am
28. Juli 2007 bekanntgegeben wurde, ab. Zur Begründung führte sie aus, die
Voraussetzungen für die Gewährung eines Freizeitausgleichs oder einer Mehr-
arbeitsvergütung lägen nicht vor. Der Kläger habe keine Mehrarbeit im Sinne der
Mehrarbeitsvergütungsverordnung (MVergV) geleistet, weil es insoweit an einer
einzelfallbezogenen Anordnung von Mehrarbeit fehle. Eine nachträgliche Genehmigung
scheide aus, weil eine über viele Jahre hintereinander anfallende gewissermaßen
ständige "Zuvielarbeit" nicht genehmigungsfähig sei.
5
Den hiergegen mit Schreiben vom 7. August 2007 eingelegten Widerspruch wies die
Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 2007, dem Kläger zugestellt
am 4. Januar 2008, zurück. Nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG)
Lüneburg vom 18. Juni 2007 - 5 LC 225/04 - könne ein Anspruch auf Gewährung von
Freizeitausgleich allenfalls seit dem Ende des Monats der Antragstellung bestehen. Für
den Kläger komme die Gewährung von Freizeit-ausgleich daher für das Jahr 2006 nicht
in Betracht, da er erst mit Schreiben vom 16. Juli 2007 einen entsprechenden Antrag
gestellt habe.
6
Der Kläger hat am 28. Januar 2008 Klage erhoben. Er trägt vor, er habe einen Anspruch
darauf, einschließlich Bereitschaftszeiten nur 48 Stunden pro Woche arbeiten zu
müssen. Dies ergebe sich aus Artikel 6 der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23.
November 1993. Diese Richtlinie sei nicht zum 23. November 1996 fristgesetzt in
nationales Recht umgesetzt worden und gelte daher unmittelbar. Da sich die Beklagte
nicht an die Vorgaben der Richtlinie gehalten habe, habe er insoweit "Mehrarbeit"
geleistet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts habe er nach Treu
und Glauben einen Anspruch darauf, dass diese "Mehrarbeit" ausgeglichen werde.
7
Der Kläger beantragt,
8
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Juli 2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 2007 zu verurteilen, ihm für die über 48
Wochenstunden hinausgehende Arbeitszeit rückwirkend ab dem 1. Januar 2006
Freizeitausgleich zu gewähren.
9
Die Beklagte beantragt,
10
die Klage abzuweisen.
11
Zur Begründung verweist sie auf die angefochtenen Bescheide.
12
Auf Anfrage der Berichterstatterin vom 5. September 2008 hat die Beklage mitgeteilt,
dass der Anteil des Bereitschaftsdienstes nach den verordnungsrechtlichen Vorgaben
im streitgegenständlichen Zeitraum planerisch 31 Stunden pro Woche habe betragen
müssen. Die Ermittlung des Anteils der effektiven Arbeitszeit am Bereitschaftsdienst sei
rückwirkend nicht mehr möglich, da entsprechende Aufzeichnungen nicht angefertigt
worden seien. Eine Beantwortung dieser Frage sei daher nur bezogen auf einen
definierten zukünftigen Erfassungszeitraum möglich, der ein Jahr umfassen müsse. Die
Aussagekraft der dabei zu erzielenden Ergebnisse sei aber fraglich, da sich die
Belastungssituation permanent ändere. Die Beklagte hat im Übrigen Berechnungen der
durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit des Klägers im streitgegenständlichen
Zeitraum vorgelegt. Wegen der Einzelheiten wird auf die von der Beklagten übermittelte
Stellungnahme der sachbearbeitenden Dienststelle vom 28. September 2008 Bezug
genommen (Gerichtsakte, Blatt 38 ff.).
13
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten (Beiakte Heft 1) Bezug
genommen.
14
E n t s c h e i d u n g s g rü n d e :
15
Die Klage hat Erfolg. Sie ist als allgemeine Leistungsklage zulässig, da der Kläger mit
der Gewährung von Freizeitausgleich schlichtes Verwaltungshandeln und nicht den
Erlass eines Verwaltungsaktes begehrt.
16
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Gewährung von
Freizeitausgleich für die im Jahre 2006 geleistete Zuvielarbeit. Die angefochtenen
Bescheide sind rechtswidrig.
17
I. Der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Freizeitausgleich lässt sich (nur) aus
dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) herleiten.
18
1. Die Voraussetzungen, unter denen nach § 78a LBG NRW Freizeitausgleich zu
gewähren ist, liegen nicht vor. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist der Beamte
verpflichtet, ohne Entschädigung über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun,
wenn zwingende dienstliche Verhältnisse es erfordern. Wird er durch eine dienstlich
angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die
regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, so ist ihm nach Satz 2 innerhalb eines
Jahres für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit
entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. Diese Voraussetzungen sind nicht
gegeben. Es fehlt an der erforderlichen dienstlichen Anordnung oder Genehmigung von
Mehrarbeit. Der Dienstherr entscheidet über die Anordnung von Mehrarbeit durch
Verwaltungsakt. Dabei hat er unter Abwägung der im konkreten Zeitpunkt
maßgebenden Umstände eine Ermessensentscheidung zu treffen und zu prüfen, ob
nach den dienstlichen Notwendigkeiten überhaupt Mehrarbeit erforderlich ist und
welchem Beamten sie übertragen werden soll. Wird - wie hier - durch Aufstellung von
Dienstplänen ein Arbeitspensum angeordnet, das im Widerspruch zur geltenden
Rechtslage steht und eine darüber hinausgehende Arbeitsleistung verlangt, liegt darin
keine Anordnung von Mehrarbeit im Sinne des § 78a LBG NRW. Auch eine
nachträgliche Genehmigung der Zuvielarbeit als Mehrarbeit scheidet bei einer solchen
Konstellation mit Blick darauf aus, dass Mehrarbeit nur angesetzt werden darf, wenn
zwingende dienstliche Gründe es erfordern und sie auf Ausnahmefälle beschränkt
bleiben muss. Diesen Grundsätzen liefe es zuwider, eine überhaupt nicht als Mehrarbeit
erkannte Zuvielarbeit nachträglich als Mehrarbeit zu genehmigen.
19
Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2003 - 2 C 28/02 -, ZBR 2003, 383, und
Beschluss vom 3. Januar 2005 - 2 B 57/04 -; OVG NRW, Urteile vom 17. März 2004 - 1
A 2426/02 -, IÖD 2004, 218, vom 18. Mai 2005 - 1 A 2722/04 -, DÖV 2006, 347, und vom
13. Oktober 2005 - 1 A 2724/04 -, juris.
20
2. Der Kläger kann die Gewährung von Freizeitausgleich auch nicht aufgrund eines
Folgenbeseitigungsanspruchs verlangen. Folgenbeseitigung ist grundsätzlich auf
Wiederherstellung des status quo ante im Wege der Beseitigung eines andauernden
rechtswidrigen Zustandes gerichtet. Ein in der Vergangenheit "zuviel" geleisteter Dienst
kann jedoch durch die nachträgliche Gewährung von Freizeitausgleich nicht
rückwirkend beseitigt werden.
21
Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2003, a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 18. August 2005,
a.a.O.
22
3. Auch ein Schadensersatzanspruch scheidet als Anspruchsgrundlage aus. Für
beamtenrechtliche Schadensersatzansprüche ist der Schadensbegriff maßgeblich, der
23
auch den §§ 249 ff. BGB zugrunde liegt. Der Aufwand von Zeit und Arbeitskraft zur
Leistung des zusätzlichen Dienstes bzw. einer Mehrarbeit und der damit grundsätzlich
lediglich verbundene Verlust von Freizeit ist kein materieller Schaden im Sinne dieser
Vorschriften. Die von § 249 Abs. 1 BGB i.V.m. § 253 BGB im Falle eines immateriellen
Schadens allein vorgesehene Naturalrestitution ist nicht möglich, weil sich der Verlust
von Freizeit nicht nachträglich durch Gewährung von Dienstbefreiung ausgleichen lässt.
Es fehlt insoweit - wie dargelegt - an einem fortwirkenden rechtswidrigen Zustand, der
einem Ausgleich zugänglich wäre.
4. Nicht anders verhält es sich mit einem auf § 85 LBG NRW gründenden Anspruch. Ein
auf eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 85 LBG NRW) gestützter
Leistungsanspruch setzte voraus, dass andernfalls die Fürsorgepflicht in ihrem
Wesenskern verletzt wäre.
24
Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1999 - 2 C 29/98 -, ZBR 2000, 46.
25
Gewährt die Beklagte dem Kläger keinen Freizeitausgleich, verletzt sie dadurch aber
nicht ihre Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern. Der Kläger ist in diesem Fall nämlich
nicht - wie erforderlich - unzumutbaren Belastungen ausgesetzt.
26
Vgl. zu diesem Erfordernis BVerwG, Urteil vom 21. Dezember 2000 - 2 C 39/99 -,
BVerwGE 112, 308.
27
Ungeachtet der Frage, ob das Erbringen des hier in Rede stehenden Pensums an
Zuvielarbeit als unzumutbare Belastung in diesem Sinne angesehen werden kann,
dauert diese Belastung jedenfalls nicht mehr an, sondern liegt in der Vergangenheit.
Eine gegenwärtige unzumutbare Belastung des Klägers besteht deshalb nicht, so dass
ein Rückgriff auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn ausscheidet.
28
Vgl. hierzu auch OVG NRW, Urteil vom 17. März, a.a.O. (offen gelassen).
29
II. Da weitere Anspruchsgrundlagen nicht in Betracht kommen, ist die Heranziehung des
Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben möglich und - wie noch dargelegt wird - auch
geboten.
30
Der Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben gilt auch im öffentlichen Recht und kann im
Verhältnis zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn einen Ausgleichsanspruch
für geleistete Zuvielarbeit begründen. Er vermag in dem engen, auf Dauer angelegten
Rechtsverhältnis, in dem Dienstherr und Beamter verbunden sind, die nach der
jeweiligen Interessenlage gebotenen Nebenpflichten zu begründen. Zieht der
Dienstherr Beamte über die regelmäßige Dienstzeit hinaus zum Dienst heran, ohne
dass die Voraussetzungen für die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit erfüllt
sind, so ist diese Inanspruchnahme rechtswidrig. Die Beamten haben einen Anspruch
darauf, dass sie unterbleibt. Das Gesetz enthält keine Regelung der Konsequenzen, die
eintreten, wenn der Dienstherr diese Unterlassungsverpflichtung verletzt. Daraus ist
jedoch nicht zu schließen, dass die rechtswidrige Festlegung einer Arbeitszeit, die über
die normativ zulässige Arbeitszeit hinausgeht, ohne Folgen bleibt. Eine ohne jeden
Ausgleich bleibende Mehrbeanspruchung eines Beamten über einen langen Zeitraum
würde Grundwertungen widersprechen, die in den Vorschriften des beamtenrechtlichen
Arbeitszeitrechts zum Ausdruck kommen. Dies zugrunde gelegt, ist § 78a LBG NRW
nach Treu und Glauben in einer Weise zu ergänzen, welche die beiderseitigen
31
Interessen zu einem billigen Ausgleich bringt und dabei dem Sinn und Zweck der
Arbeitszeitregelung gerecht wird.
Vgl. hierzu im Einzelnen (unter Verweis auf die Vorschrift des § 72 BBG) BVerwG, Urteil
vom 28. Mai 2003, a.a.O.
32
1. Voraussetzung für einen Ausgleichsanspruch ist es, dass der Dienstherr den
Beamten in einem das gesetzlich vorgegebene Maß überschreitenden Umfang zur
Dienstleistung herangezogen hat. Das ist bei dem Kläger der Fall. Der Kläger hatte im
streitgegenständlichen Zeitraum auf der Grundlage von Dienstplänen Dienst zu
verrichten, die entsprechend der verordnungsrechtlichen Regelung des § 1 Abs. 1 Satz
1 der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten des
feuerwehrtechnischen Dienstes in den Feuerwehren der Gemeinden und
Gemeindeverbände des Landes NRW vom 5. Dezember 1988 (AZVO Feu a.F.) eine
wöchentliche Arbeitszeit von 54 Stunden vorsahen. Diese Vorschrift stand allerdings
nicht mit Art. 6 Nr. 2 der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 bzw.
mit dem seit dem 2. August 2004 an die Stelle dieser Norm getretenen Art. 6 Buchst. b)
der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.
November 2003 in Einklang. Danach durfte bzw. darf die durchschnittliche Arbeitszeit
pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht
überschreiten.
33
Diese Vorgaben waren auch für Beamte des feuerwehrtechnischen Dienstes
verbindlich. Der Europäische Gerichtshof hat durch Beschluss vom 14. Juli 2005 - C-
52/04 - entschieden, dass die Tätigkeit der Einsatzkräfte einer staatlichen Feuerwehr in
der Regel in den Anwendungsbereich der Richtlinien 89/391/EWG und 93/104/EG fällt.
Dementsprechend stand (und steht) Art. 6 Nr. 2 der Richtlinie 93/104/EG bzw. Art. 6 b)
der Richtlinie 2003/88/EG grundsätzlich der Überschreitung der für die wöchentliche
Höchstarbeitszeit vorgesehenen Obergrenze von 48 Stunden entgegen. Ausnahmen
von dieser Obergrenze sind - vorbehaltlich der von Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Richtlinie
93/104/EG bzw. Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) Richtlinie 2003/88/EG geregelten Fälle, die
hier im streitgegenständlichen Zeitraum nicht gegeben waren - nur dann zulässig, wenn
außergewöhnliche Umstände einer solchen Schwere und eines solchen Ausmaßes
vorliegen, dass die strikte Geltung dieser Obergrenze der ordnungsgemäßen
Durchführung von Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung in schwerwiegenden
kollektiven Gefahrensituationen entgegensteht. Das ist mit Blick auf die Beamten des
feuerwehrtechnischen Dienstes, wie sich aus der zitierten Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs ergibt, regelmäßig nicht der Fall; für den Kläger galt im
streitgegenständlichen Zeitraum nichts Abweichendes.
34
Die in § 1 AZVO Feu a.F. festgelegte Höchstgrenze für die regelmäßige wöchentliche
Arbeitszeit von durchschnittlich 54 Stunden war damit kraft Vorrangs des EU-Rechts auf
durchschnittlich 48 Stunden pro Woche, einschließlich Zeiten des Bereitschaftsdienstes,
die ein Beamter des feuerwehrtechnischen Dienstes in Form persönlicher Anwesenheit
an einem von seinem Arbeitgeber bestimmten Ort leistete, herabgesetzt. Denn § 1
AZVO Feu a.F. war im streitgegenständlichen Zeitraum im Umfang seiner
Unvereinbarkeit mit der unmittelbar geltenden Richtlinienbestimmung des Art. 6 Nr. 2
der Richtlinie 93/104/EG bzw. Art. 6 b) der Richtlinie 2003/88/EG nicht anwendbar.
35
Vgl. hierzu m.w.N., unter anderem zur Rechtsprechung des EuGH, OVG NRW, Urteile
vom 18. Mai 2005 und vom 13. Oktober 2005, jeweils a.a.O.
36
2. Allein der Umstand, dass der Kläger über das gesetzlich vorgesehene Maß hinaus
Dienstleistungen erbracht hat, für die er nach der Gesetzeslage keinen Ausgleich
beanspruchen kann, und damit - wie dargelegt - eine korrekturbedürftige Rechtslage
vorliegt, die objektiv-rechtlichen Wertungen widerspricht, rechtfertigt die Herbeiführung
eines Ausgleichs nach Treu und Glauben. Dass sich die rechtswidrige
Inanspruchnahme durch den Dienstherrn zugleich als treuwidrig darstellt, ist keine
weitere Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs aus Treu und Glauben.
37
So auch VG Sigmaringen, Urteil vom 24. Januar 2008 - 6 K 847/07 -, juris; im Ergebnis
auch OVG Lüneburg, Urteil vom 18. Juni 2007 - 5 LC 225/04 -, PersV 2007, 490,
wonach das treuwidrige Verhalten, welches einen Ausgleichsanspruch begründe, allein
in dem Einsatz des Klägers in Widerspruch zu den objektiv-rechtlichen Vorgaben der
Arbeitszeitbestimmungen liege; anders VG Köln, Urteil vom 21. November 2007 - 3 K
3919/06 - und VG Minden, Urteil vom 25. Juli 2007 - 4 K 2728/06 -, jeweils juris.
38
Das Element der Treuwidrigkeit ist, wie beispielsweise die auf dem Grundsatz von Treu
und Glauben beruhende Regelung des § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage)
zeigt, keine notwendige Voraussetzung eines aus diesem Rechtsgrundsatz
hergeleiteten Anspruchs. In Rechtsprechung und Literatur sind vielmehr
unterschiedliche Fallgruppen entwickelt worden, von denen lediglich einige ein
treuwidriges oder in sonstiger Weise unredliches Verhalten des Anspruchsgegners
voraussetzen. Um einen solchen Fall handelt es sich hier nicht. Vielmehr ist der
Grundsatz von Treu und Glauben heranzuziehen, weil die gesetzliche Regelung des §
78a LBG NRW der Ergänzung bedarf, um bei ihrer strikten und ausschließlichen
Anwendung entstehenden Unbilligkeiten entgegenzusteuern, die dem Sinn und Zweck
der Arbeitszeitregelungen widersprechen. Bei einer solchen Konstellation kommt der
Frage, ob dem Anspruchsgegner treuwidriges oder sonst vorwerfbares Verhalten zur
Last gelegt werden kann, nicht bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen, sondern
allenfalls im Rahmen der darüber hinaus noch vorzunehmenden Interessenabwägung
Bedeutung zu.
39
Eine Stütze findet die hier vertretene Auffassung in dem zitierten Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Mai 2003. Die dortigen Ausführungen lassen
darauf schließen, dass das Bundesverwaltungsgericht allein die in Widerspruch zur
objektiven Rechtslage geleistete Zuvielarbeit als nach Treu und Glauben
ausgleichsbedürftig ansieht, ohne ein zusätzliches Element der Treuwidrigkeit zu
verlangen. Weder geht das Bundesverwaltungsgericht in der Urteilsbegründung
ausdrücklich auf die Frage ein, ob das Verhalten des Dienstherrn als treuwidrig zu
bewerten war, noch ergab sich eine solche Bewertung ohne Weiteres aus dem zur
Entscheidung gestellten Sachverhalt. Die betroffenen Beamten hatten
überobligatorischen Dienst geleistet, weil zwischen ihnen und dem Dienstherrn die
Auslegung der Arbeitszeitvorschriften des Einigungsvertrages streitig war. Dass die
Rechtsauffassung des Dienstherrn unzutreffend war, entschied das
Bundesverwaltungsgericht (erst) durch Urteil vom 21. Dezember 2000 - 2 C 42/99 -. War
die Rechtslage demnach während des Zeitraums unklar, für den nachträglich
Freizeitausgleich begehrt wurde, drängte sich ein treuwidriges Verhalten des
Dienstherrn jedenfalls nicht auf.
40
Im Übrigen vermag eine unklare Rechtslage den Anspruch aus Treu und Glauben nicht
zu Lasten des Beamten auszuschließen. Vielmehr ist eine solche gerade
41
kennzeichnend für den Anwendungsbereich dieses Ausgleichsanspruchs. Er wird
typischerweise in Fällen in Betracht zu ziehen sein, in denen ein Beamter aufgrund
einer fehlerhaften Rechtsanwendung bzw. Rechtssetzung des Dienstherrn
überobligatorisch Dienst geleistet hat. Da aber mit Blick auf Art. 20 Abs. 3 GG davon
auszugehen ist, dass ein Dienstherr sich rechtstreu und mithin bei eindeutiger
Rechtslage rechtskonform verhält, dürfte - wie der vom Bundesverwaltungsgericht
entschiedene Fall zeigt - eine über einen längeren Zeitraum geleistete und der
Gesetzeslage objektiv widersprechende Zuvielarbeit regelmäßig auf einer unklaren
Rechtslage beruhen. Wäre ein Ausgleichsanspruch in all diesen Fällen von vorneherein
ausgeschlossen, ginge die Rechtsunsicherheit nicht hinnehmbar einseitig zu Lasten
des Beamten.
Demgegenüber kann allerdings der Umstand, dass - und ggf. wie lange - der Dienstherr
nach Klärung der Rechtslage vorwerfbar an der von ihm vertretenen Rechtsauffassung
und/oder der darauf beruhenden Praxis festhält, im Rahmen der Interessenabwägung
Berücksichtigung finden, durch die der aus Treu und Glauben herzuleitende
Ausgleichsanspruch nähere Konkretisierung erfährt.
42
3. Mit Blick auf die kollidierenden Interessen des Beamten, der einen möglichst
umfassenden Ausgleich für geleistete Zuvielarbeit erstrebt, und des Dienstherrn, der für
die Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes Sorge zu tragen hat, ist es nach Treu und
Glauben geboten, den Umfang des Freizeitausgleichs unter Berücksichtigung der
Belange der Beteiligten und des zwischen ihnen bestehenden besonderen
beamtenrechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses nach den folgenden Maßgaben zu
begrenzen:
43
a) Ein Ausgleich kann grundsätzlich nur für den Zeitraum begehrt werden, der sich an
den Monat anschließt, in dem der Beamte den Anspruch auf Gewährung von
Freizeitausgleich für geleistete Zuvielarbeit erstmals gegenüber seinem Dienstherrn
geltend gemacht hat.
44
Vgl. hierzu OVG Lüneburg, Urteil vom 18. Juni 2007, a.a.O.; VG München, Urteil vom 20.
November 2007 - M 5 K 06.4230 -; VG Magdeburg, Urteil vom 23. Januar 2008 - 5 A
126/07 -, jeweils bei juris; ohne nähere Begründung OVG des Saarlandes, Urteil vom
19. Juli 2006 - 1 R 20/05 -, juris.
45
Der auf § 242 BGB beruhende Anspruch auf Gewährung von Freizeitausgleich ist in das
zwischen dem Beamten und dem Dienstherrn bestehende Dienst- und Treueverhältnis
eingebettet und bedarf in diesem Rahmen der Konkretisierung durch den Beamten. Erst
durch die Antragstellung gibt der Beamte dem Dienstherrn die Möglichkeit, sich auf die
(etwaige) Verpflichtung zur Gewährung von Freizeitaus-gleich einzustellen und den
Dienst- bzw. Schichtplan rechtzeitig entsprechend anzupassen.
46
Vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 18. Juni 2007, a.a.O.
47
48
Der dem zugrunde liegende Gedanke, dass eine rückwirkende Korrektur der Folgen
einer rechtswidrigen Regelung für die Vergangenheit nur geboten ist, soweit ein
entsprechender Anspruch zuvor geltend gemacht worden ist, findet sich etwa auch in
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Alimentation kinderreicher
49
Beamter.
Vgl. hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 22. März 1990 - 2 BvL 1/86 -, BVerfGE 81, 363, und
vom 24. November 1998 - 2 BvL 26/91 u.a. -, BVerfGE 99, 300.
50
Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang einerseits die Pflicht des
Beamten hervorgehoben, auf die Belastbarkeit des Dienstherrn und dessen
Gemeinwohlverantwortung Rücksicht zu nehmen, und andererseits darauf hingewiesen,
dass die Alimentation des Beamten durch seinen Dienstherrn der Sache nach die
Befriedigung eines gegenwärtigen Bedarfs sei. Vor diesem Hintergrund könne der
Beamte nicht erwarten, dass er aus Anlass einer verfassungsrechtlich gebotenen
Besoldungskorrektur gewissermaßen ohne eigenes Zutun nachträglich in den Genuss
der Befriedigung eines womöglich jahrelang zurückliegenden (Unterhalts-)Bedarfs
komme, den er selbst gegenüber seinem Dienstherrn zeitnah nicht geltend gemacht
habe. Beide Aspekte kommen - wie die zeitlichen Vorgaben des § 78a Abs. 1 Satz 2
LBG NRW zeigen - auch bei dem hier streitigen Anspruch zum Tragen.
51
Bezogen auf den Kläger ergibt sich daraus, dass er wegen seines am 20. Dezember
2005 gestellten Antrags für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Januar bis zum
31. Dezember 2006 einen Anspruch auf Gewährung von Freizeitausgleich hat. Durch
diesen Antrag hat der Kläger seinen Anspruch in ausreichender Art und Weise geltend
gemacht. Zwar bezieht sich der "rückwirkende" Antrag vordergründig nur auf den
Zeitraum vom 1. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 2005. Dadurch hat der Kläger
allerdings der Beklagten hinreichend verdeutlicht, dass er vor dem Hintergrund der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die über 48 Wochenstunden hinaus
geleistete Arbeit als rechtswidrig ansah und er nicht bereit war, diese ausgleichslos
abzuleisten. Das ist für die von dem Kläger im Rahmen von Treu und Glauben zu
verlangende Antragstellung mit Blick auf den zuvor verdeutlichten Sinn und Zweck
dieses Erfordernisses ausreichend. Mit dem Antrag vom 16. Juli 2007 hat er seinen
Anspruch auf Freizeitausgleich lediglich konkretisiert.
52
Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Entscheidung, ob und ggf. ab welchem
Zeitpunkt die Beklagte sich treuwidrig verhalten hat, indem sie die Beamten des
feuerwehrtechnischen Dienstes auch nach Klärung der Rechtslage durch den
Beschluss des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Juli 2005 weiterhin auf der
Grundlage von Dienstplänen zum Dienst herangezogen hat, die in Widerspruch zur
geltenden Rechtslage standen. Ebenso kann offenbleiben, ob ein solches Verhalten der
Beklagten eine vorherige Antragstellung des Klägers entbehrlich machen könnte.
53
Vgl. hierzu VG Magdeburg, Urteil vom 23. Januar 2008, a.a.O.
54
b) Der demnach für das Jahr 2006 vorzunehmende Ausgleich der Zuvielarbeit erfasst
allerdings nicht das volle Stundenkontingent. Bei der Bestimmung des Umfangs des
Ausgleichsanspruchs sind im Rahmen der Interessenabwägung ebenfalls
Einschränkungen vorzunehmen.
55
Die erste Einschränkung ergibt sich daraus, dass der Kläger die über 48
Wochenstunden hinaus geleistete Dienstzeit im Wege des Bereitschaftsdienstes
erbracht hat. Der Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AZVO Feu a.F. ist zu entnehmen, dass
Beamte des feuerwehrtechnischen Dienstes im streitgegenständlichen Zeitraum in der
Regel lediglich 23 Stunden wöchentlich Arbeits- und Ausbildungsdienst und im Übrigen
56
Bereitschaftsdienst geleistet haben. Im Rahmen des Interessenausgleichs nach Treu
und Glauben ist es nicht geboten, dem Kläger für den über 48 Wochenstunden
hinausgehenden Bereitschaftsdienst in gleicher Höhe Freizeitausgleich zuzusprechen.
Bereitschaftsdienst, den der Beamte erbringt, indem er sich vor Ort zur Verfügung hält,
ist dadurch gekennzeichnet, dass Zeiten des aktiven Arbeitseinsatzes im erheblichen
Maße Zeiten des inaktiven Dienstes gegenüberstehen. Diese Zeiten des inaktiven
Dienstes sind bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs geringer zu bewerten als
die Zeiten, in denen der Kläger für die Beklagte tatsächlich (aktive) Arbeitsleistungen
erbracht hat. Dies ist dem Kläger zumutbar, da er insoweit nur Kompensation für den
Zustand des "Sich-Bereithaltens" an einem von seinem Dienstherrn bestimmten Ort und
damit lediglich Ausgleich für eine Einschränkung seiner Dispositionsfreiheit begehrt.
Vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 19. Juli 2006, a.a.O.; OVG Lüneburg, Urteil vom
18. Juni 2007, a.a.O.; OVG Bremen, Beschluss vom 29. Mai 2008 - 2 B 182/08 -, juris;
VG Minden, Urteil vom 25. Juli 2007, a.a.O.; a.A. VG Sigmaringen, Urteil vom 24. Januar
2008, a.a.O.
57
In der Rechtsprechung wird allerdings unterschiedlich beurteilt, in welchem Umfang die
beschriebene Eigenart des Bereitschaftsdienstes Abschläge rechtfertigt. Dabei beruhen
die ermittelten Abschläge teilweise auf Erfahrungswerten oder statistischen Angaben
der jeweiligen Dienstherrn,
58
vgl. etwa OVG des Saarlandes, Urteil vom 19. Juli 2006, a.a.O. (Abschlag von 1/3); OVG
Lüneburg, Urteil vom 18. Juni 2007, a.a.O. (Abschlag von 30%); OVG Bremen,
Beschluss vom 29. Mai 2008, a.a.O. (Abschlag von 1/3),
59
teilweise werden sie aber auch unter Rückgriff auf normative Wertungen bestimmt.
60
Vgl. VG Minden, Urteil vom 25. Juli 2007, a.a.O.
61
Dem normativen Ansatz folgt die Kammer. Sie hat im Vorfeld der mündlichen
Verhandlung von der Beklagten Angaben zu dem Anteil der Zeiten des inaktiven
Dienstes am Bereitschaftsdienst erbeten. Den diesbezüglichen Ausführungen der
Beklagten ist zu entnehmen, dass belastbare statistische Aussagen insoweit nicht
gemacht werden können. Stellungnahmen weiterer Dienstherrn, die Beteiligte in
vergleichbaren, ebenfalls an diesem Sitzungstermin verhandelten Verfahren waren,
haben ebenfalls keinen Aufschluss gegeben. Es ist vielmehr deutlich geworden, dass
statistische Angaben bezogen auf bestimmte, in der Vergangenheit liegende Zeiträume
nicht möglich sind, zumal sich der Anteil der im Bereitschaftsdienst zu leistenden
effektiven Arbeitszeit im Laufe der Jahre verändert hat. Die Kammer hält es nicht für
angezeigt, der Berechnung des hier vorzunehmenden Abschlags Schätzungen
zugrunde zu legen, zumal die betroffenen Dienstherrn keine Schätzungen angestellt
haben. Ein Rückgriff auf solche - dem Einwand der Beliebigkeit ausgesetzte -
Berechnungsgrößen ist auch nicht erforderlich, da die einschlägigen
verordnungsrechtlichen Regelungen normative Vorgaben dazu enthalten, wie der
Verordnungsgeber die Belastung eingeschätzt hat, der der Beamte des
feuerwehrtechnischen Dienstes im Bereitschaftsdienst ausgesetzt ist.
62
Aus § 1 Abs. 1 AZVO Feu a.F. lässt sich ableiten, dass der Verordnungsgeber die von
zwei Stunden Bereitschaftsdienst ausgehende Belastung mit einer Stunde Arbeitsdienst
gleichsetzt. Das folgt aus der Vorgabe, dass bei durchschnittlich 54 Wochenstunden in
63
der Regel nicht mehr als 23 Stunden auf den Arbeits- und Ausbildungsdienst entfallen
sollten und somit 31 Stunden Bereitschaftsdienst zu leisten waren. Ausgehend von
einer für Beamte geltenden regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden -
insoweit ist auf die zum Zeitpunkt der letzten Änderung der AZVO Feu a.F. geltende
Regelung abzustellen - und in der Annahme, dass der Verordnungsgeber Beamte des
feuerwehrtechnischen Dienstes bezogen auf die zu leistende Arbeitszeit im gleichen
Maße wie die übrigen Beamten belastet hat, entspricht die volle Zeit des
Bereitschaftsdienstes der Belastung durch die Hälfte dieser Zeit an Arbeits- bzw.
Ausbildungsdienst (23 + 15,5 (31:2) = 38,5). Diese Bewertung ist auch bei der
Berechnung des Umfangs zu berücksichtigen, in dem zuviel geleisteter
Bereitschaftsdienst im Rahmen von Treu und Glauben auszugleichen ist, da nach der
verordnungsrechtlichen Bewertung lediglich insoweit eine reale Belastung vorlag. Die
geleisteten Zuvielarbeitsstunden sind mithin lediglich mit 50% zu berücksichtigen.
So schon VG Minden, Urteil vom 25. Juli 2007, a.a.O.
64
Eine weitere Einschränkung des auf dieser Grundlage zu bestimmenden Ausgleichs
ergibt sich aus Folgendem: Ein Ausgleich ist nur für die geleisteten Stunden der
Zuvielarbeit geboten, die die Zahl übersteigt, die nach der gesetzlichen Regelung des §
78a Abs. 1 Satz 2 LBG NRW dem Beamten ausgleichslos zumutbar sind (5 Stunden
monatlich).
65
Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2003, a.a.O.
66
Unterhalb dieser Grenze von 5 Stunden monatlich hält der Gesetzgeber einen
Freizeitausgleich nicht für erforderlich. Der Beamte ist vielmehr mit Blick darauf, dass
Besoldung und Dienstleistung nicht in dem Sinne in einem unmittelbaren
Gegenseitigkeitsverhältnis stehen, dass jeder über die durchschnittliche Arbeitszeit
hinaus geleistete Dienst zusätzlich zur Besoldung einen gesondert zu
berücksichtigenden Geld- oder sonstigen Gegenwert hat, prinzipiell im Rahmen der
gesetzlichen Vorschriften über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus zur Dienstleistung
verpflichtet.
67
Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 18. August 2005, a.a.O.
68
Die darin liegende Wertung, dass dem Beamten bei einer monatlichen ausgleichslosen
Zuvielarbeit in Höhe von fünf Stunden jedenfalls nichts Unzumutbares abverlangt wird,
rechtfertigt es, auch den für rechtswidrig geleistete Zuvielarbeit zu gewährenden
Ausgleich insoweit einzuschränken.
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c) Europarechtliche Vorgaben stehen den zuvor beschriebenen Begrenzungen des
Ausgleichsanspruchs des Klägers nicht entgegen. Das Gemeinschaftsrecht gebietet es
nicht, den Bereitschaftsdienst mit dem normalen Dienst gleichzusetzen und auf einen
Abschlag zu verzichten.
70
Wird eine Richtlinie nicht fristgemäß in nationales Recht umgesetzt und liegen die
Voraussetzungen vor, unter denen eine unmittelbare Geltung der Richtlinie
angenommen werden kann, wird die mangelnde Umsetzung einer Richtlinie zunächst
durch deren unmittelbare Geltung sanktioniert. Abgesehen davon fehlt es an einer
gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe, wie ein Verstoß gegen die (unmittelbar geltenden)
Regelungen der Richtlinie 93/104/EG bzw. 2003/88/EG zu ahnden ist. Nach der
71
ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 10 EG verbleibt den
Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht die Wahl der Sanktion.
Diese müssen aber darauf achten, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach
ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art
und Schwere gleiche Verstöße gegen nationales Recht. Dabei muss die Sanktion
wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.
Vgl. EuGH, Urteil vom 23. November 2006 - C-315/05 -, EUGHE I S. 11181, Rdnr. 58,
m.w.N.
72
Ungeachtet dessen, ob die zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
auch für die Fälle einschlägig ist, in denen - wie hier - die Verletzung von
Gemeinschaftsrecht darauf zurückzuführen ist, dass ein Mitgliedstaat gegen die Pflicht
zur fristgemäßen Umsetzung einer Richtlinie verstößt,
73
dies verneinend OVG Lüneburg, Urteil vom 18. Juni 2007, a.a.O.,
74
sind diese Vorgaben hier gewahrt. Der Verstoß gegen die Richtlinie 93/104/EG bzw.
2003/88/EG wird entsprechend den Grundsätzen geahndet, die das
Bundesverwaltungsgericht für einen vergleichbaren Verstoß gegen nationales Recht
entwickelt hat. Zugleich wird durch den nach den obigen Grundsätzen bestimmten
Umfang des zu gewährenden Freizeitausgleichs eine wirksame, verhältnismäßige und
abschreckende Sanktion gewährleistet. Dabei ist - bezogen auf die Frage der
Abschreckung - auch zu berücksichtigen, dass die Arbeitszeit der Beamten des
feuerwehrtechnischen Dienstes sich inzwischen nach den Vorschriften der AZVO Feu in
der Fassung
75
vom 1. September 2006 richtet, die die zulässige Arbeitszeit europarechtskonform
bestimmt.
76
Vgl. zum Ganzen OVG Lüneburg, Urteil vom 18. Juni 2007, a.a.O.; OVG Bremen,
Beschluss vom 29. Mai 2008, a.a.O.; sowie eingehend VG Sigmaringen, Urteil vom 24.
Januar 2008, a.a.O.
77
Schließlich widerspricht es auch nicht den Vorgaben der Richtlinie 93/104/EG bzw.
2003/88/EG, wenn Bereitschaftsdienst im Rahmen des hier streitigen
Sekundäranspruchs nicht wie voller Arbeitsdienst berücksichtigt und ausgeglichen wird.
Die dort vorgeschriebene Gleichsetzung von Bereitschaftsdienst und vollem
Arbeitsdienst ist nur mit Blick auf den Schutzzweck der Richtlinien geboten. Aspekte des
Arbeitsschutzes sind allerdings bei dem hier in Streit stehenden Ausgleichsanspruch
vor allem aufgrund des zeitlichen Abstands zu der erbrachten Zuvielarbeit nicht (mehr)
von Bedeutung.
78
Vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 29. Mai 2008, a.a.O.
79
4. Nach alledem steht dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31.
Dezember 2006 Freizeitausgleich in Höhe von 80,5 Arbeitsstunden zu. Die Berechnung
vollzieht sich in folgenden Schritten: Zunächst ist zu ermitteln, wie viel Stunden
Zuvielarbeit in dem maßgeblichen Zeitpunkt ab Ende des Monats der Antragstellung
angefallen sind. Dabei ist eine pauschalierende Betrachtung geboten. Eine individuelle
Ermittlung der in den jeweils zu berücksichtigenden Zeiträumen geleisteten
80
Arbeitsstunden sowie der in ihn fallenden Krankheits- und Urlaubszeiten ist zum einen
den Dienstherrn, wie die dahingehenden Bemühungen der Beklagten gezeigt haben,
nicht bzw. nur unter unverhältnismäßig großem Aufwand möglich. Zum anderen ist eine
solche individuelle Berechnung auch nicht zwingend geboten, da der nach Treu und
Glauben herbeizuführende Ausgleich keine auf individuelle Besonderheiten
eingehende Lösung verlangt, sondern lediglich einen billigen Ausgleich der Interessen
der Beteiligten. Eine pauschalierende Betrachtung widerspräche
Billigkeitsgesichtspunkten selbst dann nicht, wenn einzelne Beamte - was zweifelhaft ist
- aufgrund der pauschalen Betrachtungsweise etwa der Ausfallzeiten weitergehende
Abschläge hinnehmen müssten als im Rahmen einer individuellen Betrachtung.
Vgl. hierzu auch OVG des Saarlandes, Urteil vom 19. Juli 2006, a.a.O., sowie ferner -
zur Zulässigkeit pauschalierender Berechnungen von Alimentationsansprüchen durch
die Verwaltungsgerichte auf der Basis einer Vollstreckungsanordnung des BVerfG -
BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2004 - 2 C 34/02 -, BVerwGE 121, 91.
81
Bei pauschalierter Betrachtung sind pro Woche sechs Stunden Zuvielarbeit zu
berücksichtigen, weil der Kläger im Jahr 2006 auf der Grundlage eines Dienstplanes
Dienst geleistet hat, der auf der Regelung des § 1 Abs. 1 AZVO Feu a.F. basierte und
von einer Höchstarbeitszeit von 54 Stunden ausging. Bei (pauschaliert) vier Wochen im
Monat ergaben sich mithin 24 Stunden Zuvielarbeit pro Monat. Davon waren aufgrund
des Abschlags für die Zeiten inaktiven Dienstes lediglich 50% zu berücksichtigen (das
ergibt 12 Stunden pro Monat) und außerdem entsprechend dem Rechtsgedanken des §
78a Abs. 1 Satz 2 LBG NRW fünf Stunden abzuziehen (das ergibt sieben Stunden pro
Monat). Die Abzüge sind in dieser und nicht in umgekehrter Reihenfolge vorzunehmen.
Da der Freizeitsausgleich nach den von dem Bundesverwaltungsgericht entwickelten
Grundsätzen nur für die tatsächlich rechtswidrig geleisteten Überstunden zu gewähren
ist, muss zunächst der Umfang der tatsächlich geleisteten Überstunden ermittelt werden,
was bei Bereitschaftsdienst zu einem Abzug bei den Überstunden führt, bevor nach dem
Rechtsgedanken des § 78a Abs. 1 Satz 2 LBG NRW ein weiterer Abzug von 5 Stunden
vorgenommen wird. Eine umgekehrte Ermittlung des Freizeitausgleichs trägt dem
Umstand nicht ausreichend Rechnung, dass das nationale Recht den
Bereitschaftsdienst nicht mit dem normalen Dienst gleichsetzt und eine solche
Gleichsetzung hinsichtlich des Freizeitausgleichs gemeinschaftsrechtlich nicht geboten
ist.
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Vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 18. Juni 2007, a.a.O.
83
Für den Zeitraum eines Jahres kann der Kläger bei pauschalierender Betrachtung
Freizeitausgleich für 46 Wochen geltend machen (52 Wochen abzüglich 6 Wochen für
Krankheit, Urlaub, Feiertage usw.). Daraus ergeben sich für ein Jahr 80,5 Stunden (7:4 =
1,75; 1,75 x 46= 80,5).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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