Urteil des VG Gelsenkirchen vom 06.02.2007

VG Gelsenkirchen: verfassungskonforme auslegung, konstitutive wirkung, unechte rückwirkung, einreise, ausstellung, gespräch, zukunft, botschaft, geschwister, protokollierung

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 6 K 286/04
Datum:
06.02.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 286/04
Schlagworte:
Spätaussiedlerbescheinigung, Abkömmling, Höherstufung,
Zuwanderungsgesetz, Übergangsrecht
Normen:
§ 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG, § 15 Abs. 1 BVFG, § 100 b BVFG
Leitsätze:
Zur Anwendbarkeit der durch das Zuwanderungsgesetz eingefügten
Vorschrift des § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG in der seit dem 1. Januar 2005
geltenden Fassung auf vor diesem Zeitpunkt eingereiste Pesonen.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der
Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand:
1
Die am 02. Januar 1957 in T. (L. ) geborene Klägerin reiste am 25. Juli 1995 aus U. /V.
kommend mit ihrem Ehemann und der gemeinsamen Tochter in die Bundesrepublik
Deutschland ein. Ihre Eltern sind der am 12. Februar 1928 geborene L1. C. und die am
22. Februar 1930 geborene G. C. , geb. I. . Die Klägerin und ihre drei Geschwister sind
die Kläger der Verfahren 6 K 286-289/04.
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Anfang 1993 stellte die Klägerin für sich, ihren Ehemann und die gemeinsame Tochter
einen Antrag auf Aufnahme als Aussiedler. In den Antragsformularen ist die
Volkszugehörigkeit der Klägerin mit „deutsch" angegeben. Der Nationalitäteneintrag in
dem am 10. Juli 1978 ausgestellten Inlandspass lautet ebenfalls „deutsch". Im Rahmen
der Angaben zur Sprache wurde erklärt, dass die Klägerin deutscher Muttersprache sei
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und sie die deutsche Sprache verstehen und schreiben könne. Jetzige
Umgangssprache in der Familie sei allerdings Russisch. Deutsch lerne sie in der
Schule und studiere es z.Zt. selbständig. Anlässlich der Abgabe des Antrags in der
deutschen Botschaft in L2. am 03. März 1993 wurde zu den Sprachkenntnissen der
Klägerin ein Vermerk gefertigt, in dem es wie folgt heißt: „Lediglich rudimentäre dt.
Sprachkenntnisse, beschränkt auf wenige Schlüsselwörter" vorhanden." Auf die
Aufforderung des Bundesverwaltungsamts machte die Klägerin ergänzende Angaben
zur Sprache. In dem von ihr am 08. April 1994 unterschriebenen Fragebogen heißt es,
als Kind habe sie im Elternhaus zunächst Russisch, ab dem 12. Lebensjahr Ukrainisch
und ab dem 14. Lebensjahr Deutsch gesprochen. Die deutsche Sprache habe sie von
den Eltern, nach dem Lehrbuch zum Selbstunterricht und in der Schule erlernt. Ihre
Deutschkenntnisse reichten für ein einfaches Gespräch aus.
Durch Bescheid vom 09. März 1995 lehnte das Bundesverwaltungsamt die
Aufnahmeanträge der Klägerin und ihrer Familienangehörigen ab, da eine
ausreichende Vermittlung der deutschen Sprache nicht festgestellt werden könne.
Deshalb lägen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BVFG (a.F.) nicht vor. Hiergegen
legte die Klägerin keinen Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 09. März 1995 wurden die
Klägerin und ihre Tochter als Abkömmlinge gemäß § 7 Abs. 2 BVFG in den
Aufnahmebescheid des Vaters der Klägerin einbezogen; ihr Ehemann wurde gemäß § 8
Abs. 2 BVFG eingetragen.
4
Am 22. August 1995 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Ausstellung einer
Bescheinigung für Abkömmlinge eines Spätaussiedlers nach § 15 Abs. 2 BVFG, die ihr
am 13. November 1995 ausgehändigt wurde.
5
Mit Schriftsatz vom 27. August 2002 meldeten sich die Prozessbevollmächtigten der
Klägerin und wiesen darauf hin, dass der Bruder der Klägerin unter dem 11. Mai 1995
als Spätaussiedler anerkannt worden sei. Deshalb begehre auch die Klägerin eine
Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG; ein solcher Antrag sei bisher nicht beschieden.
Da die Klägerin bei ihrer Einreise in der Lage gewesen sei, ein einfaches Gespräch in
deutscher Sprache zu führen, sei sie nach der neuesten Gesetzesfassung des § 6
BVFG anspruchsberechtigt. Im Übrigen sei über die Sprachkenntnisse der Klägerin kein
ausführliches Protokoll erstellt worden.
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Mit Schreiben vom 6. September 2002 wies der Beklagte darauf hin, dass über den
Antrag nach § 15 Abs. 2 BVFG unanfechtbar entschieden sei. Die Tatsache, dass dem
Bruder X. der Klägerin (der im Widerspruchsverfahren gegen die ursprüngliche
Ablehnung der Aufnahme ausreichende Sprachkenntnisse nachweisen konnte) eine
Spätaussiedlerbescheinigung ausgestellt worden sei, habe keinen Einfluss auf die
Entscheidung, da es sich um eine Einzelfallprüfung handele. Unter dem 23. September
2002 bzw. 29. September 2003 stellte die Klägerin klar, dass sie auf einer Entscheidung
nach § 15 Abs. 1 BVFG bestehe. Für die Tatsache, dass sie bereits im Herkunftsgebiet
bzw. bei der Einreise in der Lage gewesen sei, ein einfaches Gespräch auf Deutsch
führen zu können, benannte sie Zeugen und legte eine Schulbescheinigung über ihre
Deutschkenntnisse bei Beginn des Sprachkurses vor. Hierzu vertrat der Beklagte die
Rechtsauffassung, dass ein Höherstufungsantrag nicht mehr möglich sei, weil seine
Entscheidung seit November 1996 unanfechtbar geworden sei. Mit Schreiben vom 21.
Oktober 2003 bat die Klägerin um einen rechtsmittelfähigen Bescheid über ihren Antrag
nach § 15 Abs. 1 BVFG, was der Beklagte unter dem 25. November 2003 ablehnte.
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Daraufhin hat die Klägerin am 19. Januar 2004 die vorliegende Klage erhoben.
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Während des Klageverfahrens lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 29. Juni 2004 die
Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG mit der Begründung ab, dass
bei der Klägerin die Voraussetzungen der deutschen Volkszugehörigkeit nicht
festgestellt werden könnten. Nach dem inzwischen mehrjährigen Aufenthalt im
Bundesgebiet ließen sich die Sprachkenntnisse zum Zeitpunkt der Ausreise nicht mehr
feststellen. Deshalb sei von den Feststellungen der deutschen Botschaft in L2.
auszugehen, die nach der Überprüfung am 03. März 1993 die Fähigkeit der Klägerin,
ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können, verneint habe.
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Den hiergegen unter dem 26. Juli 2004 eingelegten Widerspruch begründete die
Klägerin mit ihrem Vortrag im bisherigen gerichtlichen und außergerichtlichen
Verfahren. Über den Widerspruch ist bisher nicht entschieden worden.
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Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, die Verfahren nach § 15 Abs. 1 und §
15 Abs. 2 BVFG seien völlig unabhängig voneinander und getrennt zu bescheiden. Ein
Anspruch auf Erteilung der Spätaussiedlerbescheinigung sei auch materiell zu bejahen.
Streitig seien allein die Sprachkenntnisse. Dazu habe es der Beklagte unterlassen,
eigene Ermittlungen anzustellen, und halte dies weiterhin nicht für geboten. Die
Anhörung in der deutschen Auslandsvertretung sei allein nicht ausreichend, um auf
mangelnde deutsche Sprachkenntnisse zu schließen. Die Anhörung sei ohne
Ankündigung völlig überraschend erfolgt; sie sei darauf nicht vorbereitet gewesen, weil
sie lediglich ein Visum habe beantragen wollen. Darüber hinaus fehle es an einer
verwertbaren Protokollierung der Fragen und Antworten. Die fehlenden Feststellungen
dürften nicht zu ihren Lasten gehen; notfalls müsse das Gericht die vom Beklagten
unterlassenen Ermittlungen nachholen und die benannten Zeugen hören, die bestätigen
könnten, dass der Klägerin die für ein einfaches Gespräch erforderlichen
Sprachkenntnisse familiär vermittelt worden seien.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 29. Juni 2004 aufzuheben und den Beklagten zu
verpflichten, ihr die beantragte Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG zu
erteilen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt er vor, eine rechtzeitige Feststellung der Sprachkenntnisse habe
nicht erfolgen können, weil die 1995 ausgereiste Klägerin erst 2002 einen
entsprechenden Antrag gestellt habe. Eine nachträgliche Prüfung sei nicht
zweckdienlich. Über die Deutschkenntnisse zum Zeitpunkt der Einreise könnten die
Zeugen nichts mehr sagen. Deshalb könne nur noch auf die Feststellungen der
deutschen Auslandsvertretung abgestellt werden. Dass die Klägerin keine Gelegenheit
gehabt habe, sich auf eine Sprachprüfung vorzubereiten, sei unbeachtlich, da es nicht
auf „Eingepauktes" ankomme; es handele sich auch nicht um eine Prüfung im
herkömmlichen Sinne. Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Kurzeinschätzung durch
die Deutsche Botschaft lägen nicht vor. Auch gebe es keine Notwendigkeit für eine
wörtliche Protokollierung, zumal damals noch eine andere Rechtslage gegolten habe.
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Die Klägerin und ihre Geschwister sind in der mündlichen Verhandlung am 05.
September 2006 persönlich gehört worden. Wegen des Ergebnisses wird auf die
Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Die Beteiligten haben im Termin auf die
Durchführung einer erneuten mündlichen Verhandlung verzichtet und nach Vertagung
der Sache Gelegenheit erhalten, zur Anwendbarkeit des § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG in der
seit dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung Stellung zu nehmen.
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Hierzu hat die Klägerin vorgetragen, die Vorschrift müsse verfassungskonform so
ausgelegt werden, dass sie auf vor diesem Datum eingereiste Personen nicht
anzuwenden sei. Anderenfalls verstoße diese gegen das Rückwirkungsverbot, was im
Einzelnen dargelegt wird.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten 6 K 286 - 289/04 sowie der dazu beigezogenen Verwaltungsvorgänge
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne (weitere) mündliche
Verhandlung (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - ).
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Die Verpflichtungsklage (§ 42 VwGO) der Klägerin ist zwar zulässig, aber nicht
begründet.
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Die ursprünglich auf bloße Bescheidung gerichtete Klage ist zutreffend auf die
Verpflichtung des Beklagten, eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 des
Bundesvertriebenengesetzes - BVFG - zu erteilen, umgestellt worden. Den - zumindest
sinngemäß - hierauf gerichteten Antrag, der im Verwaltungsverfahren zunächst
unbeschieden geblieben war, hat der Beklagte während des gerichtlichen Verfahrens
durch Bescheid vom 29. Juni 2004 sachlich beschieden, nachdem er seine
ursprüngliche Ansicht, die Unanfechtbarkeit der Entscheidung nach § 15 Abs. 2 BVFG
stünde einer Entscheidung nach Absatz 1 entgegen, zu Recht aufgegeben hat. Auf den
hiergegen rechtzeitig eingelegten Widerspruch ist bis heute keine Entscheidung
ergangen. Unzweifelhaft liegen damit die Voraussetzungen einer zulässigen
Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) vor.
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Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. April 1999 - 6 S 420/97 -, VBl BW
2000, 106 ff.
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Die Klage ist indes nicht begründet, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Ausstellung
der begehrten Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 des
Bundesvertriebenengesetz hat, das hier in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.
Juni 1993, BGBl. I 829, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Anerkennung und
Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration
von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004, BGBl. I,
1950 zugrunde zu legen ist. Der angefochtene Bescheid des Beklagten erweist sich im
Ergebnis als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5
VwGO).
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Gemäß § 100 b BVFG ist der Beklagte weiterhin für die Durchführung des
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Bescheinigungsverfahrens nach § 15 Abs. 1 BVFG zuständig, da die Registrierung der
Klägerin vor dem 1. Januar 2005 erfolgt ist und die Länderzuständigkeit in diesen Fällen
nicht durch das Zuwanderungsgesetz entfallen ist. Eine andere Frage ist, ob § 15 Abs. 2
Satz 2 BVFG in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung Bescheinigungsbewerber,
die - wie die Klägerin - vor diesem Zeitpunkt lediglich als Abkömmling in den
Aufnahmebescheid eines deutschen Volkszugehörigen einbezogen worden waren, in
rechtlich nicht zu beanstandender Weise von der vor Inkrafttreten der Neufassung des §
15 BVFG bestehenden Möglichkeit der Bestätigung des Status als Spätaussiedler nach
Absatz 1 dieser Vorschrift ausschließt, wenn die Voraussetzungen nach § 15 Abs. 2
Satz 2 BVFG n.F. vorliegen. Diese Frage, die das OVG NW in seinem
Prozesskostenhilfebeschluss vom 15. Juni 2006 - 12 E 1409/05 - ausdrücklich offen
gelassen hat und die (soweit ersichtlich) auch sonst in der Rechtsprechung nicht
entschieden ist, muss nach Auffassung der Kammer im Ergebnis bejaht werden, so dass
die Klage schon deshalb keinen Erfolg haben kann und es auf die weiteren Fragen, ob
die Klägerin tatsächlich die Spätaussiedlereigenschaft nach § 4 Abs. 1 BVFG besitzt,
und ob sie sich darauf noch berufen kann, nicht mehr ankommt.
Nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG in der seit dem 1. Januar 2005 - und damit im für das
Verpflichtungsbegehren maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt - geltenden Fassung
kann eine Bescheinigung nach Absatz 1 dieser Vorschrift nur ausgestellt werden, wenn
die Erteilung eines Aufnahmebescheides beantragt und nicht bestands- oder
rechtskräftig abgelehnt worden ist. Letztere Voraussetzungen fehlen hier unzweifelhaft,
da das Aufnahmeverfahren negativ abgeschlossen und Klage insoweit nicht erhoben
wurde. Ansatzpunkte für die vom OVG NW (a.a.O.) angedachte Möglichkeit, die
Voraussetzungen des § 15 abs. 2 Satz 2 BVFG durch eine nachträgliche Beantragung
eines Aufnahmebescheides wegen besonderer Härte i.S.v. § 27 Abs. 2 BVFG
herbeizuführen, sieht die Kammer nicht. Ein solches Verfahren, für das durch das
Zuwanderungsgesetz auch eine Änderung der Antragsbefugnis vorgenommen wurde,
ist nicht beantragt und durchgeführt worden.
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Weder der Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG noch der gesetzessystematische
Zusammenhang bieten durchgreifende Anhaltspunkte für eine beschränkte
Anwendbarkeit dieser Norm etwa nur auf Personen, die seit dem 1. Januar 2005
eingereist sind, wie sie der Klägervertreter - im Wege verfassungskonformer Auslegung
- für geboten erachtet. Richtig ist, dass Bescheinigungen nach § 15 BVFG nur den
schon kraft Gesetzes entstandenen Spätaussiedlerstatus beurkunden. Dieser entsteht
im Zeitpunkt der Einreise im Wege des Aufnahmeverfahrens und der ständigen
Aufenthaltsnahme im Bundesgebiet (vgl. § 4 Abs. 1 BVFG). § 15 BVFG hat also nur
bestätigende und keine konstitutive Wirkung. Die Rechtsposition aus § 15 Abs. 1 BVFG
beinhaltet schon vom Wortlaut her allein den Anspruch auf Ausstellung einer
Bescheinigung zum Nachweis der - sich aus anderen Vorschriften ergebenden -
Spätaussiedlereigenschaft und setzt diese voraus. Die Erteilung einer Bescheinigung
nach § 15 Abs. 1 BVFG ist nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts ein feststellender Verwaltungsakt, der eine Verknüpfung zu
den für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen zuständigen Behörden und
Stellen herstellen soll.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2005 - 5 C 10.04 -, DVBl. 2005, 1450 ff.
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Dies bedeutet aber nicht, dass in allen Fällen, in denen ein Spätaussiedlerstatus
entstanden sein könnte, im für die Beurteilung eines Verpflichtungsanspruchs nach § 15
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Abs. 1 BVFG maßgeblichen Zeitpunkt auch noch ein Anspruch auf Ausstellung einer
entsprechenden Bescheinigung bestehen müsste. Unter Berücksichtigung der
Grundsätze des sogenannten intertemporalen Verfahrensrechts, wonach neue
Rechtsnormen grundsätzlich ab sofort für die Zukunft und unabhängig davon gelten
sollen, wie die Materie bisher geregelt war, sowie der Entstehungsgeschichte der Norm
bietet der Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG daher keinen Ansatz, von ihrer
Anwendung auf den vorliegenden Fall abzusehen. Vielmehr ist danach davon
auszugehen, dass die Neufassung auf alle noch nicht abgeschlossenen Fälle der
Bescheinigungserteilung nach § 15 Abs. 1 BVFG anzuwenden ist, also auch auf solche
Fälle, die sich - wie hier - bereits im gerichtlichen Verfahren befinden.
Zur Gesetzesänderung während anhängiger Verwaltungsstreitverfahren vgl. BVerwG,
Urteil vom 12. März 2005 - 5 C 2.01 -, BVerwGE 116, 114 ff.
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Mangels einer einschlägigen Überleitungsvorschrift im Zuwanderungsgesetz bzw. im
Bundesvertriebenengesetz fehlt es vorliegend an einer ausdrücklichen abweichenden
Regelung. § 100 b Absatz 2 BVFG, der aus Anlass des Zuwanderungsgesetzes
angefügt worden ist, regelt lediglich die Behördenzuständigkeit für Altfälle, da in
Neufällen die Zuständigkeit für die Ausstellung von Spätaussiedlerbescheinigungen zur
Verbesserung der Kongruenz der Entscheidungen auf das Bundesverwaltungsamt
übertragen worden ist. Der hierfür maßgebliche Stichtag 1. Januar 2005 (Registrierung
in den Erstaufnahmeeinrichtungen) lässt sich auf die Frage der Anwendbarkeit der
Neufassung des § 15 Abs. 2 BVFG nicht übertragen und gibt hierfür nichts her. § 100 a
BVFG betrifft lediglich die Überleitung aus Anlass des Inkrafttretens des
Spätaussiedlerstatusgesetzes am 7. September 2001.
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Die Übergangsvorschriften des Zuwanderungsgesetzes befassen sich mit der Frage, ab
wann einzelne Normen in Kraft treten. Dagegen enthalten sie keine
Übergangsregelungen zu der Frage, wie und in welcher Fassung einzelne Vorschriften
des Vertriebenenrechts anzuwenden sind. Die in Artikel 6 des Zuwanderungsgesetzes
vorgenommenen Änderungen des Bundesvertriebenengesetzes treten - mit Ausnahme
der in Artikel 15 Abs. 2 und 3 genannten Fälle - nach Artikel 15 Abs. 3 am 1. Januar
2005 in Kraft; dies gilt mangels abweichender Regelung auch für § 15 Abs. 2 Satz 2
BVFG n.F.. Für eine andere Auslegung des gesetzgeberischen Willens geben auch die
Gesetzesmaterialien nichts her.
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Vgl. zur Anwendung anderer Vorschriften in der Neufassung des
Zuwanderungsgesetzes auch: OVG NW, Urteil vom 16. Februar 2005 - 2 A 4295/02 -,
juris (zu § 27 BVFG) und Urteil vom 11. August 2006 - 1 A 1437/06.A -, juris (zu § 14a
AsylVfG).
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Entgegen der Auffassung des Klägervertreters muss § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG auch
nicht verfassungskonform dahin ausgelegt werden, dass diese Vorschrift auf Personen,
die vor dem 1. Januar 2005 eingereist sind, (noch) nicht angewendet werden kann; die
Vorschrift unterliegt nämlich insoweit keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Abgesehen von der Frage, ob § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG überhaupt Raum für eine
verfassungskonforme Auslegung lässt, besteht dafür auch kein Anlass, weil die unter
dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rückwirkung geltend gemachten Bedenken im
Falle einer uneingeschränkten Anwendung auf Altfälle nicht durchgreifen.
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Nach der Rechtsprechung beider Senate des Bundesverfassungsgerichts kann der
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durch eine gesetzliche Norm Begünstige grundsätzlich darauf vertrauen, dass seine
Rechtsposition fortbesteht, und berührt der Gesetzgeber die Prinzipien der
Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, wenn er in gewährte Rechtspositionen
belastend eingreift. Durch den Rahmen der genannten Prinzipien werden Änderungen
Grenzen gesetzt, die nach der Rechtsprechung des 1. Senats enger sind, wenn der
Gesetzgeber in abgeschlossene, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift
(echte - retroaktive - Rückwirkung). Tendenziell weiter sind die Grenzen, wenn auf
Rechtsbeziehungen eingewirkt wird, die in der Vergangenheit begründet, aber noch
nicht abgeschlossen wurden (sog. unechte - retrospektive - Rückwirkung). Der 2. Senat
des Bundesverfassungsgerichts unterscheidet hingegen zwischen dem zeitlichen
Bereich der Rechtsfolgenanordnung und ihrem tatbestandlichen Anknüpfungsbereich.
Gefragt wird in erster Linie danach, ob Rechtsfolgen in einem bestimmten, vor dem
Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten sollen
(Rückbewirkung von Rechtsfolgen), oder ob diese den Eintritt ihrer Rechtsfolgen
lediglich von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verknüpfung abhängig macht
(tatbestandliche Rückanknüpfung). Die Rechtsprechung beider Senate stimmt im Kern
darin überein, dass letztlich der Vertrauensschutzgedanke nicht nur den Grund, sondern
auch die Grenze des Rückwirkungsverbots bildet. Dieses besteht nicht absolut, sondern
lediglich soweit, wie der Vertrauensschutzgedanke reicht.
Vgl. diese Rechtsprechung zusammenfassend: BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2004 - 3 C
44/03 -, Buchholz 427.3, § 349 LAG Nr. 10.
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Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Neuregelung des § 15 Abs. 2 BVFG mit dem
aufgezeigten Inhalt wirksam und enthält keine unzulässige Rückwirkung. Nach den
Ansätzen beider Senate des Bundesverfassungsgerichts fehlt es bereits an einer
„echten" Rückwirkung der Norm. Eine Rückerstreckung ihres zeitlichen
Anwendungsbereichs liegt nicht vor; vielmehr tritt sie erst mit der Verkündung in Kraft
und gilt - ohne Rückbewirkung von Rechtsfolgen - nur für die Zukunft. Mit ihr hat der
Gesetzgeber auch nicht belastend in Tatbestände eingegriffen, die bereits in der
Vergangenheit abgeschlossen waren. Zwar konnten Spätaussiedler bis zum
Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes in der Erwartung, nachträglich noch einen
„Höherstufungsantrag" nach § 15 Abs. 1 BVFG stellen zu können, in das Bundesgebiet
einreisen. Der Gesetzgeber hat jedoch nicht in ein vor dem 1. Januar 2005
abgeschlossenes Verfahren eingegriffen, sondern lediglich die Erwartung enttäuscht,
sich nach diesem Zeitpunkt noch eine entsprechende Spätaussiedlerbescheinigung
ausstellen lassen zu können. Der Wegfall dieser Bescheinigungsmöglichkeit für die
Zukunft stellt keinen Eingriff in eine gesicherte Rechtsposition dar und lässt
insbesondere den Status des Spätaussiedlers unberührt, hat also keine
statusvernichtende Wirkung. Denn der Spätaussiedlerstatus entsteht unabhängig von
der Bescheinigung nach § 15 BVFG und wird durch diese nur beurkundet.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 2002, - 5 C 45.01 -, DÖV 2002, 908; OVG
Brandenburg, Urteil vom 26. Mai 2005 - 4 A 391/03 -, juris.
39
Der Wegfall eines zwischenbehördlichen Bescheinigungsverfahrens mit den im Gesetz
vorgesehenen Bindungswirkungen stellt den Spätaussiedler auch nicht unter Verstoß
gegen Artikel 19 Abs. 4 GG rechtsschutzlos, da die Leistungsbehörden in eigener
Zuständigkeit berechtigt sind, die Statusvoraussetzungen - etwa im Hinblick auf etwaige
Rentenansprüche - zu überprüfen.
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Vgl. BSG, Urteil vom 21. März 2006 - B 5 RJ 54/04 R -, juris.
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Die von der Klägerseite angegriffene Auslegung des § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG
beinhaltet auch keine unzulässige „unechte" Rückwirkung. Sicherlich wirkt sie sich
insoweit belastend aus, als die bis dahin unproblematische Möglichkeit der
„Höherstufung" ab dem 1. Januar 2005 entfallen ist. Insoweit hatte die Klägerin noch
keine derart schützenswerte Position erlangt, dass diese aus Vertrauensschutzgründen
nicht wieder hätte entzogen werden dürfen. Sie konnte nicht darauf vertrauen, dass
diese Höherstufungsmöglichkeit für alle Zukunft unverändert bleiben und der
Gesetzgeber die Verfahrensvorschriften für die Ausstellung von
Spätaussiedlerbescheinigungen für die Zukunft nicht modifizieren würde. Die nach
altem Recht zeitlich unbegrenzte Höherstufung war nach Sinn und Zweck des Gesetzes
nicht als Alternativmöglichkeit konzipiert, wegen der später möglichen
Statusverbesserung auf Rechtsmittel gegen negative Bescheide im Aufnahmeverfahren
zu verzichten, und stand gesetzespolitisch schon länger in der Diskussion. Es gibt auch
nicht den geringsten Anhalt dafür, dass die Klägerin im Hinblick auf eine solche
Möglichkeit von einer weiteren Rechtsverfolgung im Aufnahmeverfahren Abstand
genommen hat, zumal dieses zumindest Indizwirkung für das weitere Verfahren hat.
Belegt wird dies schon dadurch dass die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag, der
durch die Sprachangaben in der mündlichen Verhandlung bestätigt wird, davon
ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen der behaupteten
Spätaussiedlereigenschaft erst (lange nach der Einreise 1995) durch die geänderten
(günstigeren) Sprachanforderungen des Spätaussiedlerstatusgesetzes in der
Novellierung des Bundesvertriebenengesetzes vom 30. August 2001 (BGBl. I, S. 2266)
gegeben waren. Nach ihrem eigenen Vortrag wäre mithin der Spätaussiedlerstatus nach
§ 15 Abs. 1 BVFG im maßgeblichen Zeitpunkt der Einreise,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 2002 - 5 C 45.01 -, a.a.O.,
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nach dem damaligen Recht noch gar nicht entstanden und war es daher nur
konsequent, gegen die (wegen der damaligen Sprachanforderungen) negativen
Aufnahmebescheide nicht weiter vorzugehen. Dass sie hierauf nicht aus Gründen einer
bestehenden Höherstufungsmöglichkeit verzichtet hat, wird auch durch das Verfahren
des Bruders X. bestätigt, der seine deutschen Sprachkenntnisse erst im
Widerspruchsverfahren zum Aufnahmeverfahren nachweisen konnte, weil er als Ältester
offensichtlich wesentlich besser deutsch sprach als seine Geschwister. Letzteres dürfte
eher der Grund gewesen sein, warum die Klägerin seinerzeit die Ablehnung
hingenommen hat.
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Im Ergebnis hat die Klägerin mithin lediglich die Möglichkeit verloren, eine erst lange
nach der Einreise eingetretene Rechtsänderung im Rahmen eines zwischenbehördlich
bindenden Bescheinigungsverfahrens überprüfen zu lassen. Eine Grundlage für ein
schutzwürdiges Vertrauen in eine solche verfahrensrechtliche Position, das bei der
Rechtssetzung - etwa durch Übergangsbestimmungen - hätte beachtet werden müssen,
folgt hieraus nach Auffassung der Kammer nicht, zumal die Klägerin nichts ins Werk
gesetzt hat, was bei einer Enttäuschung schwerer wiegt als die Interessen der
Allgemeinheit an der Veränderung der einschlägigen rechtlichen Rahmenbedingungen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt
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aus § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
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