Urteil des VG Gelsenkirchen vom 07.06.2010

VG Gelsenkirchen (friedhof, grundstück, betreiber, lärm, betrieb, dokument, zeitpunkt, zuschlag, kündigung, aussicht)

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 6 K 4652/08
Datum:
07.06.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 4652/08
Schlagworte:
Hunde; Hundeübungsplatz, Lärm, Rücksichtnahme, Friedhof, Totenruhe
Normen:
BauGB § 34; § 35; BestattungsG NRW § 7
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin
wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn
nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils
zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks I. Straße 93 in H. (Gemarkung C. , Flur
39, Flurstück 532). Sie betrieb auf dem Grundstück ursprünglich eine Friedhofsgärtnerei
mit Verkaufs-Gewächshausanlage und entsprechenden Gebäuden, zuletzt war auf dem
Grundstück eine Steinbildhauerei ansässig.
2
Das Grundstück der Klägerin liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans. Auf
der gegenüberliegenden Seite der - in diesem Bereich nur etwa 5 Meter breiten - I.
Straße befindet sich der P. Friedhof der Stadt H. . Der Eingang der Trauerhalle des
Friedhofs ist etwa 80 Meter von der Grundstücksgrenze der Klägerin entfernt. Die
Grabfelder unmittelbar gegenüber dem Grundstück der Klägerin werden seit dem
Frühsommer 2009 belegt. An der südwestlichen Grundstücksgrenze der Klägerin grenzt
das mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück I. Straße 91 (Flurstück 598) an.
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Unter dem 8. Februar 2008 beantragte die Klägerin die Erteilung eines
Bauvorbescheides zur Nutzungsänderung der Gebäude, die nicht verändert werden
sollten, sowie der angrenzenden Außenflächen in eine "Hundeschule". Die Nutzfläche
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des Gebäudes sollte 338,54 qm betragen. Der Betrieb der Hundeschule war an
Werktagen tagsüber von 10.00 bis 19.00 Uhr vorgesehen, eine nächtliche
Unterbringung von Hunden sollte nicht erfolgen. Auf dem Außengelände des
Grundstücks sollten zwei "Welpenplätze" in den Abmessungen 10 x 18 Meter und 7,5 x
15 Meter, ein "Agility-Trainingsplatz" unmittelbar an der I. Straße in der Größe 15 x 38
Meter und zwei weitere Trainingsplätze in der Größe 15 x 28 Meter bzw. 17 x 15 Meter
errichtet werden. Außerdem sollten sieben Stellplätze errichtet werden.
Unter dem 3. April 2008 forderte der Beklagte von der Klägerin ein schalltechnisches
Gutachten zur Beurteilung der Lärmimmissionen an den nächstgelegenen
Wohngebäuden sowie am gegenüberliegenden Friedhof. Für den Friedhof sei ein
Immissionsrichtwert von 60 dB(A) tagsüber einzuhalten.
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Die Klägerin legte daraufhin ein Schallgutachten der Sachverständigen V. und Partner
aus B. vom 13. Mai 2008 vor. Darin ging die Gutachterin während des Betriebs der
Hundeschule im Zeitraum von 10.00 bis 19.00 Uhr von einer kontinuierlichen Belegung
der Stellplätze und 7 Parkvorgängen je Stunde, pro parkendem Auto von 5 Minuten
Bellzeit je Hund bezogen auf eine volle Stunde, einer kontinuierlichen Belegung aller
Trainingsplätze mit zwei Hunden, Haltern und Trainer und Geräuschen beim An- und
Abmarsch bellender Hunde vom Parkplatz zu den jeweiligen Trainingsplätzen aus. Die
Berechnungen beruhen nach Angaben der Gutachterin auf einer am 11. Mai 2008
durchgeführten Messung der Geräuschemissionen einer Unterrichtseinheit mit Welpen
und einer Trainingseinheit Verhaltenstraining. Für die Parkbewegungen griff die
Gutachterin auf die Bayerische Parkplatzlärmstudie zurück. Das Gutachten kommt zu
dem Ergebnis, dass die Beurteilungspegel an den beiden auf dem Friedhof gelegenen
Immissionspunkten 57 und 55 dB(A) und am Wohnhaus I. Straße 91 58 dB(A) betragen.
Als entsprechende Spitzenpegelwerte seien auf dem Friedhof 68 und 64 dB(A) und am
genannten Wohnhaus 76 dB(A) zu erwarten.
6
Mit Schreiben vom 18. August 2008 gab der Beklagte der Klägerin im Rahmen der
Anhörung zur beabsichtigten Ablehnung der Erteilung des beantragten
Bauvorbescheides Gelegenheit zur Stellungnahme.
7
Die Klägerin hat am 3. September 2008 Klage erhoben.
8
Mit Bescheid vom 26. September 2008 hat der Beklagte die Erteilung des beantragten
Bauvorbescheides abgelehnt. Die planungsrechtliche Beurteilung sei nach § 34 Abs. 1
des Baugesetzbuches (BauGB) vorzunehmen, die Umgebungsbebauung sei als
sogenannte Gemengelage einzustufen. Das Vorhaben der Klägerin sei rücksichtslos, da
es zum einen unmittelbar an den Garten eines Wohnhauses angrenze und sich zum
anderen unmittelbar gegenüber dem P. Friedhof befinde. Dessen Nutzung bedürfe
eines besonderen Schutzes, der Friedhofsruhe. Hundegebell und Traineransprachen
seien demgegenüber auch dann rücksichtslos, wenn Lärmgrenzwerte noch eingehalten
würden.
9
Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, sie habe die Klage als
Untätigkeitsklage erhoben, da der Beklagte über ihren Antrag auf Erteilung eines
Bauvorbescheides nicht in angemessener Frist entschieden habe.
10
Wegen der schwachen Ausnutzung des P. Friedhofs sei für ihren Betrieb eine
unrentable Situation entstanden, so dass sie mangels anderer Nutzungsmöglichkeiten
11
auf die Verpachtung des Grundstücks an den Betreiber der Hundeschule und die
Erteilung einer entsprechenden Baugenehmigung angewiesen sei.
Das vorgelegte Lärmgutachten komme zu dem Ergebnis, dass der Betrieb der
Hundeschule die Friedhofsruhe nicht störe. Der Weg zwischen ihrem Grundstück und
dem P. Friedhof werde täglich von Spaziergängern mit 80 bis 120 Hunden genutzt.
Auch auf dem Friedhof selbst dürften Hunde an kurzer Leine geführt werden. Schließlich
seien auf dem Friedhof bereits Lärmbelästigungen durch Grünpflegedienste vorhanden.
12
Sie sei zur Verwirklichung geeigneter Lärmschutzmaßnahmen stets bereit gewesen.
13
Zur Begründung ihres hilfsweise verfolgten Feststellungsbegehrens und des
Feststellungsinteresses trägt die Klägerin vor, der ursprünglich vorgesehene Nutzer der
Hundeschule habe von seinem Recht aus § 14 Ziffer 1.a des mit der Klägerin
geschlossenen Pachtvertrages vom 19./ 25. Februar 2008 Gebrauch gemacht und den
Pachtvertrag mit Schreiben vom 8. September 2008 außerordentlich gekündigt, da nicht
innerhalb von 6 Monaten nach Abschluss des Pachtvertrages die behördliche
Genehmigung erteilt worden sei. Damit stehe kein Nutzer mehr für das beantragte
Bauvorhaben zur Verfügung.
14
Die Klägerin beantragt,
15
den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 26. September 2008 zu
verpflichten, ihr den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen,
16
hilfsweise festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet war, ihr den beantragten
Bauvorbescheid zu erteilen.
17
Der Beklagte beantragt,
18
die Klage abzuweisen.
19
Er beruft sich auf sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.
20
Die Kammer hat am 28. Januar 2010 durch den Berichterstatter einen Ortstermin
durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Terminsprotokoll Bezug genommen.
21
Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug
genommen.
22
Entscheidungsgründe:
23
Die Klage ist mit ihrem Hauptantrag als Verpflichtungsklage zulässig, aber nicht
begründet.
24
Es kann offen bleiben, ob die Klage bereits vor Erlass des Ablehnungsbescheides vom
26. September 2008 nach § 75 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) als
Untätigkeitsklage erhoben werden konnte; jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung ist die Verpflichtungsklage auf Erteilung des beantragten
Vorbescheides unter Einbeziehung des nach Klageerhebung ergangenen
25
Ablehnungsbescheides zulässig.
Der Klage fehlt nicht etwa das Rechtsschutzbedürfnis, weil sich der Gegenstand der
Klage im Rechtssinne erledigt hätte.
26
In der Verpflichtungssituation tritt rechtliche Erledigung des Streitgegenstandes ein,
wenn das Interesse des Klägers an der Leistung wegen veränderter Umstände oder
veränderter Rechtslage objektiv erloschen ist,
27
vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 14. April 2005 - 9 K 2865/03 -, Juris-Dokument; Sodan/
Ziekow, VwGO, Großkommentar, 3. Aufl. 2010, § 113 Rn. 306 und § 161 Rn. 138.
28
Erledigung im Rechtssinne tritt im Baurecht grundsätzlich nicht schon ein, wenn sich die
zugrundeliegenden privatrechtlichen Verhältnisse ändern (vgl. § 75 Abs. 3 Satz 1 BauO
NRW). Daher kann auch angesichts des vom Betreiber der geplanten Hundeschule
durch außerordentliche Kündigung aufgelösten Vertrages mit der Klägerin nicht von
einer (rechtlichen) Erledigung ausgegangen werden. Objektiv bleibt die Klägerin auch
nach Veränderung der zivilrechtlichen Interessenlage weiter in der Lage, das in
Aussicht genommene Vorhaben zu verwirklichen. Durch Stellung ihres
Verpflichtungsantrags als Hauptantrag ihres Klagebegehrens hat die Klägerin dieser
Situation Rechnung getragen.
29
Auch unabhängig von der Frage einer "Erledigung" im Rechtssinne ist das
Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin durch die Auflösung des zivilrechtlichen
Pachtvertrages mit dem in Aussicht genommenen Betreiber der Hundeschule nicht
erloschen. Am Rechtsschutzbedürfnis (und ggf. vorausgehend im Verwaltungsverfahren
am Sachbescheidungsinteresse) fehlt es, wenn die Inanspruchnahme des
Rechtsbehelfs nicht geeignet ist, zur Verbesserung der subjektiven Rechtsstellung des
Klägers beizutragen. Das ist u.a. der Fall, wenn privatrechtlich eine Verwirklichung des
Bauvorhabens offensichtlich und auf Dauer ausgeschlossen ist.
30
Das ist hier nicht der Fall. Die Klägerin hat den Bauvorbescheid als Eigentümerin des
Grundstücks I. Straße 93 beantragt. Auch wenn die Rahmenbedingungen, die zum
Gegenstand der hier vorliegenden Bauvoranfrage gemacht worden sind, auf einen
bestimmten Betreiber der Hundeschule "maßgeschneidert" sein mögen, so scheitert
eine Verwirklichung des Vorhabens im Rechtssinn dennoch nicht daran, dass eben
dieser Betreiber von der zunächst beabsichtigten Nutzung des Grundstücks Abstand
nimmt. Denn es erscheint trotz der Kündigung des Pachtvertrages nicht
ausgeschlossen, dass die Klägerin nach der möglichen Erteilung eines Vorbescheides
mit dem vorgesehenen Betreiber der Hundeschule erneut einen Pachtvertrag
abschließen wird, solange dem nicht anderweitige gewichtige Umstände
entgegenstehen, wie etwa die Nutzung eines anderen Standortes durch den Betreiber in
einer Entfernung, die den Betrieb einer weiteren Hundeschule am hier vorliegenden
Standort gerade (wirtschaftlich) ausschließt.
31
Weiter liegt es auch nicht völlig fern, einen anderen als den bislang in Aussicht
genommenen Betreiber für die Hundeschule zu finden (für den die konkrete
Baugenehmigung dann in einem nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren auf der
Basis eines erteilten Vorbescheides noch individuell angepasst werden könnte).
32
Die Klägerin hat in der Sache keinen Anspruch auf den beantragten Vorbescheid. Der
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ablehnende Bescheid des Beklagten vom 26. September 2008 ist rechtmäßig und
verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der begehrte Vorbescheid kann nicht erteilt werden, weil dem zur Zulassung gestellten
Vorhaben Vorschriften des Bauplanungsrechts entgegenstehen, §§ 71 Abs. 1 und 2, 75
Abs. 1 der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen - BauO NRW -. Das Vorhaben
verstößt gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme.
34
Für die Frage der Einhaltung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots kann
dahinstehen, ob die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 Abs.
1 BauGB oder nach § 35 BauGB zu beurteilen ist. Ein Bebauungsplan besteht nicht;
weiter entspricht die maßgebliche nähere Umgebung des Vorhabensgrundstücks
keinem der in der BauNVO beschriebenen Gebiete, so dass eine Beurteilung der
Zulässigkeit des Vorhabens seiner Art nach jedenfalls nicht gemäß § 30 BauGB bzw.
gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. der BauNVO vorzunehmen wäre.
35
Für den Fall, dass das Vorhabensgrundstück Teil des Außenbereichs im Sinne von § 35
BauGB sein sollte, sei allerdings an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass dann
zusätzliche Bedenken gegen die Zulässigkeit des Vorhabens bestünden. Denn bei der
Hundeschule dürfte es sich nicht um ein privilegiertes Vorhaben im Sinne von § 35 Abs.
1 BauGB handeln. Wegen des allgemeinen Bedürfnisses nach Erholung in der freien
Natur, das dem Außenbereich zugeordnet ist und das die Bevorzugung individueller
Erholungs- und Freizeitwünsche wie die Nutzung von Hundesportplätzen ausschließt,
käme eine Zulassung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB wohl nicht in Betracht,
36
vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 4. Juli 1991 - 4 B 109.91 -,
BauR 1991, S. 717 = NVwZ- RR 1992, S. 172,
37
so dass dem Vorhaben die in § 35 Abs. 3 BauGB aufgezählten Belange
entgegengehalten werden könnten.
38
Diese Fragen bedürfen indessen keiner weiteren Vertiefung, da das hier verletzte
objektivrechtliche Gebot der Rücksichtnahme von der Klägerin unabhängig davon
einzuhalten ist, ob ihr Grundstück (noch) dem unbeplanten Innenbereich oder aber
bereits dem Außenbereich zuzuordnen ist.
39
Denn das Rücksichtnahmegebot ist in beiden Fällen gleichermaßen zu beachten, es ist
normativ sowohl in § 34 Abs. 1 BauGB im Begriff des "Sich Einfügens" als auch in § 35
Abs. 3 BauGB (hier hat es bereichsspezifisch in Nr. 3 seinen Niederschlag im Begriff der
"schädlichen Umwelteinwirkungen" gefunden) verankert.
40
Das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme soll angesichts der
gegenseitigen Verflechtungen der baulichen Situation benachbarter Grundstücke einen
angemessenen planungsrechtlichen Ausgleich schaffen, der einerseits dem Bauherrn
ermöglicht, was von seiner Interessenlage her verständlich und unabweisbar ist, und
andererseits dem Nachbarn erspart, was an Belästigungen und Nachteilen für ihn
unzumutbar ist. Die Beachtung des Rücksichtnahmegebots soll gewährleisten,
Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so
zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Die sich daraus ergebenden
Anforderungen sind im Einzelfall festzustellen, wobei die konkreten Umstände zu
würdigen, insbesondere die gegenläufigen Interessen des Bauherrn und des Nachbarn
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in Anwendung des Maßstabes der planungsrechtlichen Zumutbarkeit gegeneinander
abzuwägen sind. Dabei kann desto mehr an Rücksichtnahme verlangt werden, je
empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung dessen ist, dem die Rücksichtnahme im
gegebenen Zusammenhang zugute kommt; umgekehrt braucht derjenige, der das
Vorhaben verwirklichen will, desto weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und
unabweisbarer die von ihm mit dem Bauvorhaben verfolgten Interessen sind.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Januar 1983 - 4 C 59.79 -, BRS 40 Nr. 199 = BauR 1983,
S. 449 = ZfBR 1983, S. 139, vom 28. Oktober 1993 - 4 C 5.93 -, DVBl 1994, S. 697 =
BauR 1994, S. 354 = BRS 55 Nr. 168 = NVwZ 1994, S. 686 = ZfBR 1994, S. 142 = UPR
1994, S. 148 (zum Rücksichtnahmegebot aus § 35 Abs. 3 BauGB) und vom 23.
September 1999 - 4 C 6.98 -, NVwZ 2000, S. 1050 = DVBl 2000, S. 192 = ZfBR 2000, S.
128; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss
vom 3. September 1999 - 10 B 1283/99 -, NVwZ 1999, S. 1360.
42
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erweist sich der beabsichtigte Betrieb der
Hundeschule gegenüber dem P. Friedhof, der einen besonderen Schutz vor
Lärmimmissionen für sich in Anspruch nehmen kann, als rücksichtslos.
43
Das ergibt sich allerdings nicht bereits aus dem von der Klägerin vorgelegten
Schallgutachten vom 13. Mai 2008 der Sachverständigen V. und Partner. Das
Schutzniveau des benachbarten P. Friedhofs lässt sich durch Lärmrichtwerte nur
unzureichend bestimmen. Vielmehr ist eine umfassende Bewertung der Situation im
Einzelfall erforderlich, für die prognostizierte Lärmemissionen allenfalls eine indizielle
Bedeutung haben können und die maßgeblich durch die Berücksichtigung der Art des
einwirkenden Lärms erfolgen muss.
44
Das Gutachten kommt für zwei von der Gutachterin gewählte Immissionspunkte auf dem
P. Friedhof zu Gesamtbeurteilungspegeln von 55 bzw. 57 dB(A). Aus diesen
prognostisch ermittelten Werten, die die Zumutbarkeitsgrenzen von allgemeinen
Wohngebieten bereits überschreiten, wird jedenfalls ersichtlich, dass es sich bei den
Lärmimmissionen um solche von einigem Gewicht handelt, so dass das vorgelegte
Lärmgutachten einen ersten entsprechenden Anhalt für eine Bewertung der
vorliegenden individuellen Situation vermittelt.
45
Dahin stehen kann, ob die zugrundegelegten Annahmen der Gutachterin teilweise in
Frage zu stellen sind und möglicherweise der sich ergebende Gesamtbeurteilungspegel
höher als die prognostizierten 55 bzw. 57 dB(A) anzusetzen ist.
46
In Frage gestellt werden könnte etwa, ob die Gutachterin die beiden Immissionspunkte
auf dem Gelände des P. Friedhofs zutreffend gewählt hat. Jedenfalls nach dem
Schallimmissionsplan (Anhang IV, Seite 2 des Gutachtens) dürfte der
Gesamtbeurteilungspegel im Bereich zwischen den beiden gewählten
Immissionspunkten IP 1 und IP 2 auf dem P. Friedhof etwas höher liegen als an den
beiden Immissionspunkten IP 1 und IP 2. Im Hinblick auf die Regelungen im Anhang
A.1.3 der TA-Lärm, die als zu wählenden Immissionspunkt den Ort vorschreiben, der
von den Lärmemissionen am stärksten betroffen ist, hätte es nahegelegen, auf dem P.
Friedhof einen zwischen den beiden gewählten Immissionspunkten gelegenen Ort
unmittelbar an der Grundstücksgrenze zu wählen, der vom Lärm offensichtlich stärker
betroffen ist.
47
Weiter könnte fraglich sein, ob die durch Messung ermittelten Werte für
Hundegeräusche zutreffend angesetzt sind. Die vom Gutachter angesetzten Werte (vgl.
S. 11 des Gutachtens) für den Schallleistungspegel LWA liegen zum Teil unter den
Werten, die etwa in der Sächsischen Freizeitlärmstudie des Sächsischen Landesamtes
für Umwelt und Geologie vom April 2006 ermittelt worden sind. So setzt die Gutachterin
für das Verhaltenstraining bzw. die Welpenschulung einen Schallleistungspegel von
90,4 dB(A) an, während die Sächsische Freizeitlärmstudie (S. 57) zu Werten von 102,0
dB(A) für das Sozialisierungstraining und von 94,7 dB(A) für das Schutzdiensttraining
kommt.
48
Besonders augenfällig ist schließlich der Umstand, dass die Gutachterin zwar
möglicherweise die Impulshaltigkeit der von der Hundeschule ausgehenden Geräusche
ausreichend berücksichtigt hat (vgl. S. 10 des Gutachtens - Ansatz des 5s-Takt-
Maximalpegels LAFTeq nach Ziffer 2.9 TA-Lärm), jedoch offenkundig keinen Zuschlag
für die Informations- oder Tonhaltigkeit der einwirkenden Geräusche vorgenommen hat.
Jedenfalls für die Traineransprachen hätte wohl ein Zuschlag für Informationshaltigkeit
der Geräusche gemacht werden müssen, aber auch wegen der von der emotionalen
Situation abhängigen unterschiedlichen Entäußerungen der Hunde hätte ein Zuschlag
für Informationshaltigkeit, wenigstens aber für die Tonhaltigkeit der Geräusche sehr
nahegelegen. Dieser Zuschlag (für Ton- oder Informationshaltigkeit) beträgt nach der
Anlage A.2.5.2 zur TA-Lärm 3 oder 6 dB.
49
Vgl. zu dem Zuschlagssystem der TA-Lärm: OVG NRW, Urteil vom 18. November 2002 -
7 A 2127/00 -, Juris-Dokument.
50
Allein bei Berücksichtigung des genannten Zuschlags für Ton- oder
Informationshaltigkeit könnten am maßgeblichen Immissionspunkt des P. Friedhofs
bereits die Lärmrichtwerte für Kern-, Dorf- und Mischgebiete von 60 dB(A) tagsüber (vgl.
Nr. 6.1. Buchst. c TA-Lärm) erreicht oder sogar überschritten sein, die der Beklagte
zunächst für maßgeblich hinsichtlich der Frage der Einhaltung der erforderlichen
Rücksichtnahme hielt.
51
Indessen kommt es (allein) auf die Einhaltung von Immissionsrichtwerten nicht
entscheidend an, denn maßgeblich ist angesichts eines für Friedhöfe geltenden
besonderen Schutzniveaus vor allem die Qualität der einwirkenden Lärmimmissionen.
Hierbei handelt es sich im vorliegenden Fall um tierische Entäußerungen
unterschiedlicher Art sowie Anweisungen der die Hunde ausbildenden Trainer. Solche
Lärmimmissionen sind mit der das Schutzniveau begründenden Zweckbestimmung
eines Friedhofs jedenfalls dann nicht vereinbar, wenn sie die von der Lärmgutachterin
aufgezeigte Intensität erreichen (wobei die oben aufgezeigten Bedenken im Hinblick auf
die Ansätze des Gutachters noch nicht einmal berücksichtigt sind).
52
Die objektiv-rechtliche Zweckbestimmung von Friedhöfen liegt in der Ermöglichung
einer angemessenen und geordneten Leichenbestattung und in der dem pietätvollen
Gedenken der Verstorbenen entsprechenden würdigen Ausgestaltung und Ausstattung
des der Totenbestattung gewidmeten Grundstücks.
53
Vgl. Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 25. Juli 1994 - 1 R 1/93 -, Juris-
Dokument, unter Bezugnahme auf die RSpr. des Reichsgerichts (vgl. Urteil vom 25.
April 1938 - IV 7/38 -, RGZ 157, S. 246 - 256 [255]).
54
Eine Begräbnisstätte erfordert demgemäß zum Schutz der Totenruhe wie zum Schutz
der Trauernden ein ruhiges, pietätsvolles Umfeld ohne unmittelbare Konfrontation mit
dem Arbeitsalltag und immissionsintensiven Betrieben.
55
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 9. November 2009 - 3 S
2679/08 -, VBlBW 2010, S. 155, Juris-Dokument.
56
Als letzte Ruhestätte der Toten und Ort des Friedens soll der Friedhof eine ruhige, vom
Lärm des Alltags unberührte Lage abseits der Hauptverkehrswege und von
geräuschvollen Betrieben haben und einen seiner Zweckbestimmung entsprechenden
würdigen Eindruck darbieten. Auch die nähere Umgebung muss der Würde des Ortes
entsprechen.
57
Dem Friedhof ist jede Art von Ansiedlung und jeder Betrieb fern zu halten, die der
Würde des Ortes nicht entsprechen. Der Friedhof soll also nicht innerhalb eines
Gewerbe- oder Industriegebietes oder in Anlehnung an ein solches angelegt werden.
58
Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 9. Aufl., 2004, S. 40 und 41.
59
Ebenso erfordert der Bestattungsakt als "letzte Ehre", die dem Toten in Erfüllung einer
letzten Pflicht auf dem Friedhofsgelände erwiesen wird, einen würdigen und
pietätsvollen Rahmen. Für jeden Teilnehmer an einer Bestattung besteht die Pflicht,
sein Verhalten dem Geist der Veranstaltung anzupassen. Auf dem Friedhof ist während
der Bestattung alles zu vermeiden, was gegen die nach allgemeiner Anschauung
berechtigten Empfindungen Andersdenkender oder gegen Auffassung und Ansehen
des Friedhofsträgers verstoßen könnte.
60
Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 9. Aufl., 2004, S. 139.
61
Der aus der beschriebenen Zweckbestimmung folgende Schutzanspruch von
Friedhöfen ist verfassungsrechtlich in dem durch Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)
geschützten Recht der Angehörigen und Trauernden auf ein würdevolles Gedenken
verankert.
62
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 9. November 2009 - 3 S
2679/08 -, a.a.O.
63
Einfachgesetzlich findet dieser beschriebene Schutzanspruch von Friedhöfen in den
Gesetzen der Länder über das Bestattungswesen seinen Niederschlag. So regelt etwa
das Bestattungsgesetz NRW in § 7 Abs. 1 die Pflicht zur Wahrung der Ehrfurcht vor den
Toten und zur Achtung der Totenruhe. Die Achtung der Würde der Toten wird durch die
Vorschrift zur allgemeinen Rechtspflicht erhoben.
64
Spranger, Bestattungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 2006, § 7 Anm. II. (S. 127).
65
Auch strafrechtlich wird ein entsprechender Schutz von Bestattungsfeiern durch § 167a
Strafgesetzbuch (StGB) gewährleistet.
66
Dies zugrundegelegt, erweisen sich die von den Hunden ausgehenden Geräusche und
die an sie gerichteten Traineransprachen bzw. -kommandos gegenüber dem P. Friedhof
als unzumutbar. Maßgeblich ist dafür die Qualität der Äußerungen mit einem
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erheblichen Anteil an informationshaltigen Geräuschen. Dabei sind weder die
regelmäßig mit der gebotenen Strenge im Befehlston und der erforderlichen Lautstärke
vorgetragenen Traineranweisungen noch die erheblich vom jeweiligen Stimmungsbild
der Hunde abhängigen Tiergeräusche mit der Ruhe erfordernden Friedhofsatmosphäre
vereinbar. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Lage der hier in Frage
stehenden Grundstücke zueinander. Die südlichen Gräberfelder des Friedhofes sind
von den lärmintensiven Außentrainingsplätzen der geplanten Hundeschule nur durch
die an dieser Stelle schmale I. Straße getrennt.
Die Berücksichtigung möglicher Lärmvorbelastungen, etwa durch den zuvor auf dem
Grundstück der Klägerin betriebenen Steinmetzbetrieb führt zu keinem anderen
Ergebnis. Dabei handelt es sich von der Art der Lärmemissionen her um nicht
vergleichbare Lärmeinwirkungen. Das liegt vor allem an der fehlenden
Informationshaltigkeit von Gewerbelärm gegenüber Geräuschen von Menschen und
Tieren, ohne dass damit Gewerbelärm gegenüber Friedhöfen allgemein als hinnehmbar
einzustufen wäre.
68
Vgl. OVG Saarland, Urteil vom 25. Juli 1994 - 1 R 1/93 -, a.a.O., zu Geräuschen durch
den Betriebshof eines Friedhofes und OVG Berlin, Beschluss vom 18. Juli 2001 - 2 S
1.01 -, NVwZ-RR 2001, S. 722, zu den Gewerbegeräuschen eines angrenzenden
Baumarktes.
69
Auch die weiter bereits vorhandenen Geräusche von - regelmäßig einzeln -
ausgeführten Hunden reichen bei weitem nicht an die störende Qualität der von einem
Hundetraining ausgehenden Geräusche heran, gleich ob es sich dabei um die Hunde
von Spaziergängern auf der I. Straße oder von Hunden, die auf dem P. Friedhof zulässig
an kurzer Leine geführt werden, handelt.
70
Ob das Vorhaben auch gegenüber der Wohnbebauung auf dem Grundstück I. Straße 91
im Rechtssinne rücksichtslos ist, kann nach den vorstehenden Ausführungen
dahinstehen.
71
Die Klage hat auch mit ihrem hilfsweise gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag
entsprechend (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) keinen Erfolg. Dieser ist bereits unzulässig,
denn der Gegenstand der Klage ist - wie dargelegt - nicht erledigt, was Voraussetzung
einer Fortsetzungsfeststellungsklage als Fortsetzung einer zunächst zulässigen
Verpflichtungsklage wäre.
72
Damit kann dahinstehen, ob die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage auch
daran scheitern würde, dass im Zeitpunkt des geltend gemachten Ereignisses der
Hauptsacheerledigung, nämlich der Kündigung des privatrechtlichen Pachtvertrages am
8. September 2008, noch keine zulässige Klage erhoben war. Bedenken bestehen in
dieser Hinsicht deshalb, weil jedenfalls im Zeitpunkt der Klageerhebung am 3.
September 2008 und des geltend gemachten erledigenden Ereignisses am 8.
September 2008 für den Beklagten mit dem laufenden Anhörungsverfahren nach § 28
VwVfG ein zureichender Grund im Sinne von § 75 VwGO bestanden haben könnte, über
den Antrag der Klägerin sachlich noch nicht zu entscheiden. Dann wäre die Erhebung
der Verpflichtungsklage als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO noch im Zeitpunkt des
geltend gemachten erledigenden Ereignisses unzulässig gewesen, in diesem Fall
spräche nichts dafür, der Klägerin im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage wegen
der Erledigung des Streitgegenstandes die Fortsetzung eines bis dahin unzulässigen
73
Klagebegehrens zu gestatten.
Im Übrigen wäre die Fortsetzungsfeststellungsklage aus den zum Hauptantrag
ausgeführten Gründen auch unbegründet.
74
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, §
711 ZPO.
75
76