Urteil des VG Gelsenkirchen vom 22.12.2005

VG Gelsenkirchen: aufschiebende wirkung, lärm, grundstück, wohnhaus, zumutbarkeit, zahl, genehmigung, anwendungsbereich, tierhaltung, vollziehung

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 10 L 1466/05
Datum:
22.12.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 L 1466/05
Schlagworte:
Hundehandel, Hundezucht, Rücksichtnahme, TA Lärm, Hundegebell,
Gutachten
Normen:
BauG § 35 Abs 3 Satz 1, BImSchG § 3 Abs 1
Tenor:
1. Die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragstellerin
gegen die dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen des
Antragsgegners vom 22. Februar 2005 und 31. März 2005 in der Gestalt
der sog. Nachtragsgenehmigung vom 22. September 2005 wird
angeordnet. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner. Die
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird auf 5000,00 Euro festgesetzt.
Der Beschlussausspruch soll den Beteiligten vorab per Fax
bekanntgegeben werden.
G r ü n d e:
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Der sinngemäß gestellte Antrag,
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die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragstellerin gegen die dem
Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen des Antragsgegners vom 22. Februar 2005
und 31. März 2005 in der Gestalt der sog. Nachtragsgenehmigung vom 22. September
2005 anzuordnen,
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hat Erfolg.
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Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 212 a Abs. 1 BauGB haben
Widerspruch und Klage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines
Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Auf Antrag kann das Verwaltungsgericht
jedoch gemäß § 80a Abs. 3 in Verbindung mit § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die
aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anordnen, wenn das darauf gerichtete
Interesse der Antragstellerin das öffentliche oder das private Interesse des Begünstigten
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an der Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Bei der hiernach erforderlichen
Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren mit
zu berücksichtigen. Sind bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren
vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage die
Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren als offen zu bewerten,
entscheidet das Verwaltungsgericht über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung
auf der Grundlage einer allgemeinen Abwägung der beteiligten Interessen.
Die in Anwendung dieser Grundsätze vorzunehmende Interessenabwägung geht zu
Lasten des Antragsgegners und des Beigeladenen aus. Die Erfolgsaussichten der
Widersprüche der Antragstellerin sind derzeit als offen anzusehen, weil weder die
offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit der
angefochtenen Baugenehmigungen in Gestalt der sog. Nachtragsgenehmigung im
Hinblick auf die Abwehrrechte der Antragstellerin festgestellt werden kann.
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Die angefochtenen Bescheide, mit denen dem Beigeladenen die Errichtung eines
Hundehandel- und Hundezuchtbetriebes auf dem Grundstück E. -B. -V. , Im F. 15
(Gemarkung B. -V1. , Flur 2, Flurstück 522) genehmigt worden ist, begegnen einigen
rechtlichen Bedenken, weil zweifelhaft ist, ob das Vorhaben des Beigeladenen der
Antragstellerin gegenüber die auch im Außenbereich nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
BauGB einzuhaltende Rücksichtnahme wahrt.
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Solche Zweifel ergeben sich daraus, dass nach der Rechtsprechung erhebliche
Bedenken bestehen, ob das Halten zahlreicher Hunde im Außenbereich wegen der
hiervon ausgehenden Lärmemissionen in der näheren Umgebung von Wohnhäusern
grundsätzlich als zumutbar anzusehen ist. Bei einer Hundepension mit bis zu 46
Hunden ist es vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG
NRW),
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vgl. Urteil vom 16. September 1986 -11A2714/84-,
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als offensichtlich angesehen worden, dass in einem knapp 30 m entfernten Wohnhaus
ein erträgliches Wohnen nicht mehr stattfinden kann. Nach der Auffassung des
Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein
überschreiten die lautstarken Lebensäußerungen der Hunde in einer Hundezuchtanlage
mit 15 Tieren gegenüber einem 40 m entfernten Wohnhaus das Maß des im ländlichen
Bereich Üblichen eindeutig und sind auch in der Nachbarschaft zum Außenbereich
grundsätzlich nicht zumutbar,
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vgl. Beschluss vom 29. Oktober 1990 -6 OVG A 209/88 -.
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Weil hier ein Hundehandel- und Hundezuchtbetrieb mit 200 Hunden genehmigt worden
ist und das Wohnhaus der Antragstellerin in einer Entfernung von nur knapp 34 m zu
diesem vorgesehenen Betrieb errichtet ist, liegen nach dieser Rechtsprechung die
Bedenken hinsichtlich der Zumutbarkeit dieses Betriebes besonders nahe.
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Das Vorhaben wird man dann nicht als rücksichtslos gegenüber der Antragstellerin
ansehen können, wenn eindeutig gesichert ist, dass das Grundstück der Antragstellerin
keinen schädlichen Umwelteinwirkungen durch das Vorhaben des Beigeladenen
ausgesetzt wird. Bedenken bestehen insoweit, obgleich das von der Antragstellerin
vorgelegte Schallgutachten der Sachverständigen V2. + Partner aus B1. vom 30.
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September 2004 und deren ergänzende Stellungnahme vom 31. August 2005 die
Einhaltung der im Außenbereich geltenden Immissionsrichtwerte von 45/60 dB (A)
feststellt. Es ist bereits fraglich, ob die TA Lärm, welche von den Gutachtern für die
Ermittlung der Geräuschimmissionen zugrunde gelegt worden ist, auf den Betrieb des
Beigeladenen überhaupt anwendbar ist, da die Lärmbelästigungen hier vornehmlich
von Tieren ausgehen (zum Anwendungsbereich der TA Lärm vgl. deren Ziffer 1).
Aber selbst wenn man die TA Lärm hier entsprechend anwendet, bedürfen jedenfalls
die Tierhaltung und die hiermit verbundenen Geräusche einer besonderen Beurteilung,
die im Rahmen des Schallschutzgutachtens nicht hinreichend vorgenommen worden
sein dürfte. Unberücksichtigt geblieben ist ein erheblicher Zuschlag für die
Impulshaftigkeit (im Anwendungsbereich der TA Lärm vgl. deren Anhang 7, A.2.5.3), die
gerade bei Hundegebell nahe liegt. Hundegebell wird deswegen als besonders lästig
empfunden, weil es oft genug unvermittelt oder ohne vorhersehbaren Anlass ausbricht.
An eine solche Impulshaftigkeit können sich Menschen erfahrungsgemäß besonders
schwer gewöhnen,
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vgl. OVG NRW, a.a.O.
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Des weiteren bestehen Bedenken daran, dass die dem Gutachten zu Grunde gelegten
Messungen hinreichend gewesen sind. Für die Ermittlung des Hundegebells im
Außenbereich sind lediglich Messungen bei älteren spielenden Hunden vorgenommen
worden. Es bleibt offen, um wie viele Hunde es sich hierbei gehandelt hat. Bedenken
hinsichtlich einer eventuellen schlichten Hochrechnung von einer kleinen Zahl von
Hunden auf die große Zahl von 200 Hunden ergeben sich daraus, dass bei einer
solchen Vielzahl von Hunden eine Geräuschpotenzierung nahe liegt. Für das
Hundegebell im Innern ist trotz der anzunehmenden erheblichen
Geräuschschwankungen lediglich eine Messung von 40 Minuten vorgenommen
worden.
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Klärungsbedürftig ist des weiteren, dass die Remise - obgleich sie nur mit einer
Holzwand genehmigt worden ist - nach dem Gutachten vom 30. September 2004 als
hinreichender Schallschutz angesehen worden ist, wohingegen nach dem
ursprünglichen Schallgutachten vom 17. November 2003 statt der Remise eine
Schallschutzwand mit einer Dämmwirkung von mindestens 25 dB(A) vorgesehen war.
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Des weiteren enthält das Gutachten keine Angaben dazu, wie sich die
Wetterschutzgitter - die zum Grundstück der Antragstellerin ausgerichtet sind - auf die
Einhaltung der Immissionsrichtwerte auswirken. Die dortige Angabe, dass diese Gitter
mit Schalldämmung versehen werden sollen, ist für die Beurteilung der Maßnahme mit
Blick auf die Einhaltung des gebotenen Schallschutzes völlig unzureichend. Es bleibt
insoweit offen, welche Schallschutzmaßnahmen insoweit im einzelnen zu treffen sind
und welche Immissionen verbleiben. Die Angabe des Architekten des Beigeladenen,
dass die Schalldämmelemente sicherstellen, dass Geräusche aus der Tierhaltung nur
im erforderlich reduzierten Umfang nach Außen dringen können, ersetzt die gebotene
Schallschutzprüfung nicht. In Anbetracht der bestehenden Unsicherheiten und
Bedenken im Hinblick auf die Wahrung des Schallschutzes ist es auch nicht
ausreichend, dass in der Baugenehmigung vom 22. September 2005 eine
Nebenbestimmung enthalten ist, dass die Einhaltung der Beurteilungspegel durch diese
bautechnische Maßnahme vor der Nutzungsaufnahme nachzuweisen ist.
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Die Bezugnahme auf die Sächsische Freizeitlärmstudie des Sächsischen Landesamts
für Umwelt und Geologie (http: www.dalaerm.de/index3.htm?/infh.htm) stellt auch keinen
Beleg für die Wahrung des Schallschutzes dar. Hierbei kann offen bleiben, ob der
Studie für den vorliegenden Fall überhaupt der richtige Wert entnommen worden ist.
Jedenfalls betraf diese Studie nach den Angaben des Gutachters nur die Haltung von
maximal 10 Hunden, wohingegen hier die Haltung von 200 Hunden zugelassen worden
ist. Auf die oben dargelegten Bedenken hinsichtlich der Hochrechnung wird Bezug
genommen.
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Trotz der dargelegten Bedenken ist es zur Zeit als offen anzusehen, ob die von dem
genehmigten Hundezuchtbetrieb ausgehenden Emissionen zu Geräuschimmissionen
führen, die der Antragstellerin nicht zumutbar sind.
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Ob den Anforderungen des Rücksichtnahmegebotes genügt ist, hängt davon ab, was
den Betroffenen nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Treffen verschiedenartige
Nutzungen aufeinander und treten hierbei Immissionskonflikte auf, so ist bei der
Beurteilung der Zumutbarkeit auf die Wertungen des Immissionsschutzrechtes
zurückzugreifen. Danach sind Immissionen unzumutbar, die geeignet sind, erhebliche
Belästigungen für die Nachbarschaft hervorzurufen (§ 3 Abs. 1 BImschG). Wo die
Erheblichkeitsgrenze verläuft, richtet sich nach der Schutzwürdigkeit und der
Schutzbedürftigkeit der Umgebung,
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vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 25. Februar 1977 -4 C 22.75-, BVerwGE 52,
122, vom 27. August 1998 -4 C 5.98-, ZfBR 1999, 49 und vom 20. April 2000 -4 B 25/00-,
BauR 2001, 212.
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Ob die Geräusche die vorgenannten Voraussetzungen erfüllen, kann auf der Grundlage
der vorliegenden Erkenntnisse nicht hinreichend sicher beurteilt werden.
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Die bei dieser Sachlage gebotene allgemeine Abwägung der beteiligten Interessen geht
zu Lasten des Antragsgegners und des Beigeladenen aus. Es ist Sache des Bauherrn
im Baugenehmigungsverfahren, die für die immissionsschutzrechtliche Prüfung des zur
Genehmigung gestellten Vorhabens erforderlichen Gutachten beizubringen (vgl. § 69
Abs. 1 Satz 1 BauO NRW und § 1 Abs. 2 Satz 1 BauPrüfVO). Dabei muss das jeweilige
Gutachten geeignet sein, die abschließende Prüfung der konkret zu erwartenden
Immissionen zu ermöglichen,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Februar 2001 -7 A 410/01-, BauR 2001, 1088.
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Wie oben dargelegt, bestehen insoweit erhebliche Zweifel. In einem solchen Fall
überwiegt jedenfalls bei -wie hier- offenen Aussichten in der Sache in der Regel das
Interesse des potentiell in seinen geschützten Rechten verletzten Nachbarn an der
vorläufigen Suspendierung der angefochtenen Baugenehmigung. Dies gilt gerade auch
bei einem größeren Vorhaben wie dem in Rede stehenden Hundehandel- und
Hundezuchtbetrieb, da durch dessen Baufortschritt bzw. Fertigstellung und
Inbetriebnahme eine Verfestigung der baulichen Situation eintreten würde, die selbst bei
einem Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache die Wiederherstellung eines
nachbarrechtskonformen Bau- und Betriebszustandes faktisch erheblich erschweren
könnte. Dafür, dass die Interessen des Antragsgegners und die wirtschaftlichen
Interessen des Beigeladenen hier dennoch zu einem Überwiegen des
Vollzugsinteresses führen, ist nichts ersichtlich. Vielmehr sprechen die oben
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dargelegten Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der erteilten Genehmigung zu
Gunsten der Antragstellerin und zu Lasten des Antragsgegners und des Beigeladenen.
Auch wenn man zu Lasten der Antragstellerin würdigt, dass die Schutzwürdigkeit im
Hinblick auf die eigene Hühnerhaltung und die damit von ihr verursachten Immissionen
eingeschränkt ist, verbleibt eine Schutzwürdigkeit der Antragstellerin hinsichtlich ihrer
Wohnhausnutzung, für die sie eine Baugenehmigung besitzt und welche bei der
Aufnahme des Betriebes des Beigeladenen erheblichen Schallimmissionen ausgesetzt
wäre, die diejenigen der Hühnerhaltung deutlich übersteigen dürften. Zu Lasten des
Antragsgegners und des Beigeladenen würdigt das Gericht des weiteren, dass trotz der
deutlichen richterlichen Hinweise im Ortstermin am 18. August 2005 sowie in der
gerichtlichen Verfügung vom 25. August 2005 in den Verfahren 10 L 388/05 und 10 L
642/05 weder zusätzliche Schallschutzmaßnahmen vorgesehen worden sind, noch das
ergänzende Schallgutachten auf sämtliche Bedenken eingeht. Vielmehr ist trotz der vom
Gericht geäußerten Bedenken hinsichtlich des Schallschutzes des ursprünglich
genehmigten Vorhabens eine weitere Unklarheit geschaffen worden, indem ausweislich
der Baugenehmigung zum Grundstück der Antragstellerin hin ausgerichtete
Wetterschutzgitter vorgesehen worden sind, die im Rahmen des Schallgutachtens nur
völlig unzureichend berücksichtigt worden sind. Auf die obigen Darlegungen wird
insoweit Bezug genommen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten
des Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil dieser in
der Sache unterlegen ist.
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2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2, § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1
GKG und trägt der anzunehmenden Bedeutung der Sache aus der Sicht der
Antragstellerin Rechnung. Bei Nachbarstreitigkeiten ohne wirtschaftliches
Eigeninteresse hängt der Streitwert von den Rechtsgütern bzw. Beeinträchtigungen ab,
die der Nachbar schützen bzw. abwehren will. Je nach Gewicht der Angelegenheit ist er
regelmäßig innerhalb eines Rahmens von 1500,-- bis 15.000,-- EUR festzusetzen. Im
vorliegenden Fall erachtet die Kammer für ein Hauptsacheverfahren einen Betrag vom
10.000,00 EUR als angemessen, der wegen des vorläufigen Charakters der
Entscheidung in diesem Verfahren auf die Hälfte reduziert wird.
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