Urteil des VG Gelsenkirchen vom 23.02.2005

VG Gelsenkirchen: durchschnitt, form, personalakte, bewährung, substantiierungspflicht, vertrauensperson, behinderung, beurteilungsspielraum, auflage, erlass

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 1 L 98/05
23.02.2005
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
1. Kammer
Beschluss
1 L 98/05
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die nicht erstattungsfähig
sind.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe:
Der Antrag des Antragstellers,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die dem
Antragsgegner ab Januar 2005 zugewiesenen Stellen der Besoldungsgruppe A 10
Bundesbesoldungsordnung (II. Säule) vorläufig nicht mit einem Konkurrenten zu besetzen,
bis über die Bewerbung des Antragstellers erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts entschieden wurde,
hat keinen Erfolg.
Der Antragsteller hat nicht gemäß § 123 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m.
§ 920 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht, dass ihm der geltend gemachte
Anordnungsanspruch zusteht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung der Rechte des Antragstellers ist
dann gerechtfertigt, wenn die Verletzung seines Rechts auf ermessensfehlerfreie
Entscheidung über das Beförderungsbegehren glaubhaft gemacht ist und die Möglichkeit
besteht, dass die noch zu treffende rechtmäßige Auswahlentscheidung zur Beförderung
des Antragstellers führen kann. Für den Erfolg des Antrags genügt mithin jeder Fehler,
einschließlich möglicher Fehler in den dabei zu Grunde gelegten Beurteilungen, der für das
Auswahlergebnis kausal gewesen sein kann. Ist die getroffene Auswahlentscheidung
fehlerhaft, kann die Verweigerung vorläufigen Rechtsschutzes im Grundsatz nur dann in
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Betracht kommen, wenn es ausgeschlossen erscheint, dass der Antragsteller nach
Beseitigung des Mangels den Vorzug vor dem Mitbewerber erhalten wird.
Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschl. v. 24. September 2002 - 2 BvR 857/02,
DÖD 03, 17ff; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein - Westfalen (OVG NRW),
Beschl. v. 13. September 2001 - 6 B 1776/00 -, DÖD 2001, 316 ff; Beschl. v. 4. September
2001 - 1 B 205/01 -; Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 5. Auflage, Rdnrn. 75 und
41 m.w.N..
Ein Anordnungsanspruch des Antragstellers ergibt sich nicht daraus, dass er zu Unrecht
mit einem Beurteilungsergebnis von 3 Punkten am Stellenbesetzungsverfahren beteiligt
worden wäre.
Soweit der Antragsteller rügt, dass seine durch Bescheid vom 16. Januar 2003 rückwirkend
zum 1. September 1997 zuerkannte Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung
von 50 bei der Abfassung der dienstlichen Beurteilung vom 18. Juni 2002, welche nunmehr
der Auswahlentscheidung zu Grunde gelegt wurde, im Rahmen der Leistungsbewertung
nicht berücksichtigt wurde, ergibt sich daraus kein Beurteilungsfehler, der im vorliegenden
Verfahren Beachtung finden könnte.
Der Antragsteller hat gegen die ihm am 24. Juli 2002 bekannt gegebene dienstliche
Beurteilung - ebenso wie gegen den Beurteilungsbeitrag vom 19. April 2002, welcher dem
Antragsteller am selben Tage bekannt gegeben wurde - erstmalig am 21. Januar 2005
Einwendungen erhoben und die Nichtberücksichtigung seiner Schwerbehinderung gerügt.
Zuvor hatte er dem Antragsgegner unter dem 15. November 2002 lediglich die Tatsache
der Schwerbehinderung ab dem 27. August 2002 mitgeteilt. Der Bescheid des
Versorgungsamtes vom 16. Januar 2003 befindet sich nicht in der vorgelegten
Personalakte und ist den Angaben des Antragsgegners zu Folge diesem erst im Januar
2005 zugegangen.
Unabhängig davon, ob die Beurteilung unmittelbar durch einen Widerspruch angefochten
werden kann - mit der Folge, dass die Fristen der §§ 70, 58 VwGO gelten -, oder ob vor
einem solchen Widerspruch ein form- und fristloses Gegenvorstellungsverfahren
durchzuführen ist, ist in der Literatur und Rechtsprechung anerkannt, dass Einwendungen
gegen eine dienstliche Beurteilungen nicht zeitlich unbegrenzt vorgebracht werden
können.
Vgl. dazu im Einzelnen: Schnellenbach, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und
Richter, Rdnr 435ff m.w.N.
Die in dem Bescheid vom 21. Januar 2005 getroffene Entscheidung des Antragsgegners,
die Beurteilung nunmehr nicht mehr abzuändern oder eine neue Anlassbeurteilung zu
erstellen, begegnet daher - insbesondere angesichts des auch vom Antragsgegner
hervorgehobenen Umstandes, dass das Submerkmal 1.3 ​Ausdauer und Belastbarkeit"
auch ohne Kenntnis der Schwerbehinderung mit vier Punkten bewertet wurde - bei
summarischer Prüfung keinen Bedenken.
Die Praxis des Antragsgegners, im Rahmen der inhaltlichen Ausschöpfung der aktuellen
dienstlichen Beurteilung einen Durchschnittswert der Beurteilungen der drei
Hauptmerkmale ​Leistungsverhalten", Leistungsergebnis" und ​Sozialverhalten" zu Grunde
zu legen, begegnet bei summarischer Prüfung ebenfalls keinen durchgreifenden
Bedenken.
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Bei der Entscheidung darüber, welchem von mehreren in Betracht kommenden Beamten
eine Beförderungsstelle übertragen wird, ist das Prinzip der Bestenauslese zu beachten.
Der Dienstherr hat Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber zu bewerten
und zu vergleichen (Art. 33 Absatz 2 des Grundgesetzes - GG -, § 7 Absatz 1 des
Landesbeamtengesetzes - LBG -). Ist ein Bewerber besser qualifiziert, darf er nicht
übergangen werden.
Für die Auswahl sind in erster Linie aktuelle Beurteilungen maßgebend, die den aktuellen
Leistungsstand wiedergeben.
Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urt. v. 19. Dezember 2002 - 2 C 31/01 -, DÖD
2003, 200ff m.w.N., und v. 27. Februar 2003 - 2 C 16/02 -, DÖD 2003, 202f m.w.N; OVG
NRW, Beschl. v. 27. Februar 2004 - 6 B 2451/03 -, NVwZ RR 2004, 626
Die aktuellen dienstlichen Regelbeurteilungen sowohl des Antragstellers als auch des
Beigeladenen enden - wie bereits aus der vom Antragsgegner übermittelten
Bewerberübersicht folgt, so dass es eines Rückgriffs auf die Personalakten des
Beigeladenen nicht bedurfte - mit dem Gesamtergebnis ​entspricht voll den Anforderungen
(3 Punkte)", so dass eine Differenzierung im Rahmen des Qualifikationsvergleichs allein
auf Grund der Endnoten nicht möglich ist.
Bei gleichlautenden Gesamturteilen muss der Dienstherr nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein -
Westfalen,
vgl. BVerwG, Urt. v. 19. Dezember 2002 - 2 C 31/01 -, DÖD 2003, 200ff m.w.N. und v. 27.
Februar 2003 - 2 C 16/02 -, DÖD 2003, 202f m.w.N.; OVG NRW, Beschl. v. 27. Februar
2004 - 6 B 2451/03 -, 8. September 2004 - 6 B 1586/04 - und - 6 B 1587/04 -, sowie 10.
September 2004 - 6 B 1584/04 - und - 6 B 1585/04 -,
der sich die Kammer angeschlossen hat, der Frage nachgehen, ob die Einzelfeststellungen
in aktuellen dienstlichen Beurteilungen eine Prognose über die zukünftige Bewährung im
Beförderungsamt ermöglichen. Der Dienstherr darf sich im Rahmen des
Qualifikationsvergleichs mithin nicht ohne Weiteres auf das Gesamturteil aktueller
Beurteilungen beschränken, sondern muss bei gleich lautenden Gesamturteilen der
aktuellen dienstlichen Beurteilungen im Rahmen des Qualifikationsvergleichs eine
inhaltliche Ausschöpfung" in Betracht ziehen. Dabei sind nicht beschreibende
Einzelaussagen der dienstlichen Beurteilungen angesprochen, die angesichts der
Verwendung eines standardisierten "Beschreibungskatalogs" in den Hintergrund treten
können, sondern die in Notenstufen ausgedrückten Bewertungen, die als solche bei
vergleichender Betrachtung eine unmittelbare Reihung ermöglichen können.
Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 27. Februar 2004 - 6 B 2451/03 -, NVwZ - RR 2004, 626, 8.
September 2004 - 6 B 1586/04 - und - 6 B 1587/04 - sowie 10. September 2004 - 6 B
1584/04 - und - 6 B 1585/04 -.
Bei der Würdigung von Einzelfeststellungen einer Beurteilung kommt dem Dienstherrn ein
gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Für die Frage, ob
Einzelfeststellungen in einer Beurteilung so bedeutsam sind, dass sie die Annahme eines
Qualifikationsunterschieds im Verhältnis zu anderen Bewerbern rechtfertigen, kommt es auf
eine Vielzahl subjektiver und objektiver Beurteilungsstandards an. Die Entscheidung des
Dienstherrn, bestimmte Einzelfeststellungen zur Begründung eines
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Qualifikationsvorsprungs heranzuziehen oder ihnen keine Bedeutung beizumessen, ist im
Grundsatz deshalb nur dann zu beanstanden, wenn die in diesem Zusammenhang
anzuwendenden Begriffe oder der gesetzliche Rahmen, in dem sich der Dienstherr frei
bewegen kann, verkannt worden sind oder wenn von einem unrichtigen Sachverhalt
ausgegangen, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde
Erwägungen angestellt worden sind. Im Interesse effektiver Rechtsschutzgewährung trifft
den Dienstherrn dabei eine - unter Umständen erhöhte - Begründungs- und
Substantiierungspflicht, wenn er sich aufdrängenden oder zumindest nahe liegenden
Unterschieden in den dienstlichen Beurteilungen der jeweiligen Konkurrenten keine
Bedeutung beimessen will.
Vgl. OVG NRW, a.a.O..
Daraus folgt, dass es dem Dienstherrn im Rahmen seines Beurteilungsspielraumes auch
frei steht, sämtliche Beurteilungsmerkmale gleichgewichtig nebeneinander zu stellen und
zur Vergleichbarkeit der Beurteilungen ein arithmetisches Mittel aus den Punktwerten der
Hauptmerkmale zu bilden. Eine solche Vorgehensweise ist insbesondere dann, wenn ein
Bewerberfeld von - wie hier - über hundert Beamten um die vorhandenen Stellen
konkurriert, unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität sachgerecht und bewegt sich
innerhalb des dem Dienstherrn eingeräumten Entscheidungsspielraums.
Bei Zugrundelegung des Durchschnittswertes der Hauptmerkmale aus der aktuellen
Beurteilung ist der Beigeladene besser qualifiziert als der Antragsteller. Der Beigeladene
weist ebenso wie die beiden anderen für Februar vorgesehenen Bewerber und der letzte
für Januar ausgewählte Bewerber einen Durchschnitt von 3,33 Punkten auf, während der
Antragsteller einen Durchschnitt von 3,00 Punkten hat. Angesichts dieses
Qualifikationsunterschiedes war im Rahmen der Bestenauslese auf das Hilfskriterium der
Schwerbehinderung nicht mehr abzustellen.
Auch in formeller Hinsicht begegnet die Auswahlentscheidung des Antragsgegners bei
summarischer Prüfung keinen rechtlichen Bedenken, insbesondere die Beteiligung der
Vertrauensperson der Schwerbehinderten ist vorliegend nach dem unbestrittenen Vortrag
des Antragsgegners erfolgt. Der Antragsteller wurde auf den entsprechenden
Stellenbesetzungslisten auch als Schwerbehinderter geführt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen
Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da er keinen Antrag gestellt und sich
damit dem Kostenrisiko nicht unterworfen hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 des
Gerichtskostengesetzes. Die Kammer legt dabei entsprechend der ständigen Praxis in
Stellenbesetzungsverfahren die Hälfte des Auffangstreitwerts zu Grunde.