Urteil des VG Gelsenkirchen vom 04.02.2009

VG Gelsenkirchen: amtshandlung, verbraucherschutz, arbeitnehmerschutz, verwaltungsgebühr, analogie, behörde, widerspruchsverfahren, trennung, rechtsverordnung, verkehr

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Schlagworte:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 7 K 3519/06
04.02.2009
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
7. Kammer
Urteil
7 K 3519/06
Verwaltungsgebühren; Arbeitsschutz; Arbeitnehmerschutz;
Gebührentatbestand; Tarifstelle; Tarifstelle 1.1.2; Bestimmtheit; Analogie;
Analogieverbot; Vorteilsausgleich; Bedeutung der Sache
Die Gebührenfestsetzung vom 12. September 2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Arnsberg vom 17.
Oktober 2006 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der
Kläger zuvor in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages
Sicherheit leistet.
Tatbestand:
Der Kläger verkaufte über das Internet u. a. für die Niederlande bestimmte Gasthermen als
Reimporte an deutsche Endverbraucher. Ein Käufer von zwei Geräten wandte sich im
November 2004 an den Rechtsvorgänger der Beklagten, das Staatliche Amt für
Arbeitsschutz Dortmund, weil er Probleme mit der Abnahme der Geräte hatte. Dies hing
damit zusammen, dass in den Niederlanden und in Deutschland unterschiedliche
Gaskategorien und Gasdrücke verwendet werden.
Mit Ordnungsverfügung vom 12. September 2005 ordnete das Staatliche Amt für
Arbeitsschutz Dortmund an, dass das weitere Anbieten dieser Gasgeräte nur mit dem
Hinweis auf ausschließliche Verwendung in den Niederlanden erfolgen dürfe und dass die
vertriebenen Geräte mit dem entsprechenden Hinweis nachzurüsten seien. Für den Erlass
dieser Verfügung setzte es eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 5.000 Euro fest. Gestützt
war die Gebührenfestsetzung auf das Gebührengesetz für das Land Nordrhein- Westfalen
(GebG NRW) und die Tarifstelle 1.1.2 des Allgemeinen Gebührentarifs zur Allgemeinen
Verwaltungsgebührenordnung. Danach werden für Anordnungen zur Durchführung des
Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) und weitere Arbeitnehmerschutzvorschriften Gebühren in
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Höhe von 65 bis 10.000 Euro erhoben.
Der Kläger legte gegen die Ordnungsverfügung und die Gebührenfestsetzung Widerspruch
ein. Im Widerspruchsverfahren teilte er mit, dass er die beanstandeten Geräte gar nicht
mehr verkaufen werde. Die festgesetzte Gebühr sei unverhältnismäßig, da es nur um zwei
Gasthermen gegangen sei.
Durch Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2006 erklärte die Beklagte den Widerspruch
bezüglich der getroffenen Sachentscheidungen für erledigt und wies den Widerspruch
gegen die Festsetzung der Verwaltungsgebühr zurück.
Am 20. November 2006 hat der Kläger gegen die Gebührenfestsetzung Klage erhoben. Zur
Begründung wiederholt und vertieft er das Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren.
Der Kläger beantragt,
die Gebührenfestsetzung vom 12. September 2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Arnsberg vom 17. Oktober 2006
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge (3 Hefte) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet; denn die angefochtene Gebührenfestsetzung ist
rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
Die Festsetzung der Gebühr ist auf die Tarifstelle 1.1.2 des Allgemeinen Gebührentarifs zur
Allgemeinen Verwaltungsgebührenordnung gestützt. Diese Tarifstelle kann jedoch nicht
als Rechtsgrundlage herangezogen werden. Bei der der Gebührenfestsetzung zu Grunde
liegenden Ordnungsverfügung des damals zuständigen, inzwischen aufgelösten und in der
Beklagten aufgegangenen Staatlichen Amtes für Arbeitsschutz Dortmund (vgl. § 4 des
Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 12. Dezember
2006) handelte es sich nämlich nicht um Anordnungen zur Durchführung des
Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) oder weiterer Arbeitnehmerschutzvorschriften.
Die Anordnungen in der Grundverfügung beruhten auf § 8 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 des Gesetzes
über technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte (Geräte- und
Produktsicherheitsgesetz - GPSG -). Danach darf die zuständige Behörde Maßnahmen
anordnen, die gewährleisten, dass ein Produkt erst in den Verkehr gebracht wird, wenn es
den Anforderungen nach § 4 Abs. 1 und 2 GPSG entspricht. Produkte i. S. dieser Vorschrift
sind gemäß § 2 Abs. 1 GPSG sowohl technische Arbeitsmittel als auch
Verbraucherprodukte. Technische Arbeitsmittel sind nach Abs. 2 der Vorschrift
verwendungsfertige Arbeitseinrichtungen, die bestimmungsgemäß ausschließlich bei der
Arbeit verwendet werden, deren Zubehörteile sowie Schutzausrüstungen, die nicht Teil
einer Arbeitseinrichtung sind, und Teile von technischen Arbeitsmitteln, wenn sie in einer
Rechtsverordnung nach § 3 Abs. 1 oder 2 GPSG erfasst sind. Danach handelte es sich bei
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den beanstandeten Gasthermen nicht um technische Arbeitsmittel, denn sie wurden nicht
bestimmungsgemäß ausschließlich bei der Arbeit verwendet. Die Möglichkeit, dass solche
Gasthermen auch verwendet werden konnten, um Arbeitsräume zu heizen, reicht dazu
nicht aus. Sie waren nämlich dazu nicht, jedenfalls nicht ausschließlich bestimmt. Vielmehr
handelte es sich bei den Gasthermen um Verbraucherprodukte. Dies sind nämlich gemäß §
2 Abs. 3 GPSG Gebrauchsgegenstände und sonstige Produkte, die für Verbraucher
bestimmt sind oder unter vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen von
Verbrauchern benutzt werden können, selbst wenn sie nicht für diese bestimmt sind.
Das Geräte- und Produktsicherheitsgesetz enthält demnach sowohl Arbeits- bzw.
Arbeitnehmerschutzvorschriften als auch Verbraucherschutzvorschriften. Ob auf dieses
Gesetz gestützte Anordnungen solche zur Durchführung von
Arbeitnehmerschutzvorschriften sind, hängt daher davon ab, ob sich diese Anordnungen
auf technische Arbeitsmittel i. S. von § 2 Abs. 2 GPSG beziehen. Da dies vorliegend nicht
der Fall war, handelte es sich bei den getroffenen Anordnungen nicht um solche zur
Durchführung von Arbeitnehmerschutzvorschriften. Die Anordnungen betrafen vielmehr
den Verbraucherschutz.
Dem Verbraucherschutz dienende Anordnungen werden auch nicht dadurch zu solchen
zur Durchführung von Arbeitnehmerschutzvorschriften, weil sie sich auf Rechtsvorschriften
stützen, die auch dem Arbeitnehmerschutz dienen können. Das Geräte- und
Produktsicherheitsgesetz ist insoweit ambivalent und dient unabhängig voneinander
beiden Zwecken. Es ist am 1. Mai 2004 in Kraft getreten und hat zwei Gesetze abgelöst, die
die Trennung von Arbeitsschutz und Verbraucherschutz noch deutlicher machten. Zum
einen handelte es sich um das Gesetz über technische Arbeitsmittel
(Gerätesicherheitsgesetz - GSG -) und zum anderen um das Gesetz zur Regelung der
Sicherheitsanforderungen an Produkte und zum Schutz der CE-Kennzeichnung
(Produktsicherheitsgesetz - ProdSG -). Das Gerätesicherheitsgesetz betraf den
Arbeitsschutz und das Produktsicherheitsgesetz den Verbraucherschutz. Auf das frühere
Produktsicherheitsgesetz gestützte Anordnungen hätten, auch wenn sie von der
Arbeitsschutzverwaltung durchgeführt worden sind, nicht nach der Tarifstelle 1.1.2 des
Allgemeinen Gebührentarifs zur Allgemeinen Verwaltungsgebührenordnung abgerechnet
werden können, weil jeder inhaltliche Bezug zum Arbeits- oder Arbeitnehmerschutz fehlte
und allein die Zuständigkeit nach dem Wortlaut der Tarifstelle 1.1.2 keine Gebührenpflicht
begründet, wobei dahinstehen kann, ob es überhaupt zulässig wäre, dass ein
Gebührentatbestand nur an die Zuständigkeit einer Behörde anknüpft. An der
systematischen Einordnung der dem Verbraucherschutz dienenden Vorschriften hat sich
aber nicht dadurch etwas geändert, dass sie mit Vorschriften, die dem Arbeitsschutz
dienen, im Geräte- und Produktsicherheitsgesetz zusammengefasst worden sind. Dadurch
sind nicht alle Vorschriften dieses neuen Gesetzes zu Arbeitnehmerschutzvorschriften
geworden, vielmehr kommt es nach wie vor in jedem Einzelfall darauf an, ob die
angewendete Vorschrift ein technisches Arbeitsmittel i.S. von § 2 Abs. 1 Nr. 1 GPSG oder
ein Verbraucherprodukt i.S. von § 2 Abs. 1 Nr. 2 GPSG betrifft. Umgekehrt hat die
Zusammenfassung von Gerätesicherheitsgesetz und Produktsicherheitsgesetz die
Notwendigkeit der Anwendung materiell dem Arbeitnehmerschutz dienender Vorschriften
für die Gebührenfestsetzung nach der Tarifstelle 1.1.2 des Allgemeinen Gebührentarifs zur
Allgemeinen Verwaltungsgebührenordnung unberührt gelassen.
Die Tarifstellen des Allgemeinen Gebührentarifs zur Allgemeinen
Verwaltungsgebührenordnung sind auch keiner Analogie zugänglich. Gemäß § 2 Abs. 1
des Gebührengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (GebG NRW) sind die einzelnen
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Amtshandlungen, für die Gebühren erhoben werden, in Gebührenordnungen zu
bestimmen. Das Gebührengesetz selbst enthält keine Generalklausel, dass alle
Amtshandlungen gebührenpflichtig sind. Daher sind nach der Systematik des Gesetzes nur
solche Amtshandlungen gebührenpflichtig, für die ausdrücklich eine Tarifstelle in einer
Gebührenordnung geschaffen worden ist. Fehlt ein solcher Gebührentatbestand, kann
keine Gebühr erhoben werden. Hiervon ausgehend verbietet sich die analoge Anwendung
eines Gebührentatbestandes auf eine nicht geregelte Amtshandlung. Wenn eine
regelungsbedürftige Lücke besteht, ist es Sache des Verordnungsgebers, einen
entsprechenden Gebührentatbestand zu schaffen. Selbst die im Allgemeinen Gebührentarif
zur Allgemeinen Verwaltungsgebührenordnung geschaffene Auffanggebühr (Tarifstelle
30.5) kann in solchen Fällen nicht uneingeschränkt herangezogen werden. Diese
Tarifstelle darf ohne Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot allenfalls solche
Fallgestaltungen erfassen, die nicht konkret vorhersehbar waren und nur deshalb vorher
nicht genauer geregelt werden konnten.
Vgl.: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 9.
April 2008 - 9 A 111/05 -, NWVBl. 2008, 466.
Da die den Verbraucherschutz betreffenden Maßnahmen schon seit mehreren Jahren im
Geräte- und Produktsicherheitsgesetz geregelt sind und zuvor vergleichbare Maßnahmen
Gegenstand des Produktsicherheitsgesetzes waren, scheidet die Anwendung der
Tarifstelle 30.5 im vorliegenden Fall aus.
Nach alledem ist festzustellen, dass es keinen Gebührentatbestand für Anordnungen nach
dem Geräte- und Produktsicherheitsgesetz gibt, die nicht die
Arbeitnehmerschutzvorschriften dieses Gesetzes betreffen.
Offen bleiben kann, ob die angefochtene Gebührenfestsetzung auch noch aus einem
anderen Grund ganz oder zumindest teilweise rechtswidrig gewesen wäre, wenn die
Tarifstelle 1.1.2 des Allgemeinen Gebührentarifs zur Allgemeinen
Verwaltungsgebührenordnung hätte angewendet werden können. Bedenken bestehen
insoweit, als im vorliegenden Fall die möglichen Folgen der Nichtbeachtung der
getroffenen Anordnung für die Erwerber (Lebensgefahr) als Maßstab für die Bedeutung der
Sache gebührenerhöhend berücksichtigt worden sind. Verwaltungsgebühren können
gemäß § 3 GebG NRW nur zum Zwecke der Abgeltung des mit der Amtshandlung
verbundenen Verwaltungsaufwandes erhoben werden und dürfen außerdem dem
Ausgleich eines dem Kostenschuldner durch die Amtshandlung zu Gute gekommenen
wirtschaftlichen oder sonstigen Vorteils dienen. Darüber hinausgehende (negative)
Auswirkungen der Amtshandlung auf den Kostenschuldner oder eine der Amtshandlung
zuerkannte besondere Bedeutung für Dritte oder die Allgemeinheit hat der
Verordnungsgeber unberücksichtigt zu lassen. Begründet eine Amtshandlung, wie es etwa
Akten der Eingriffsverwaltung regelmäßig zu eigen ist, für den Kostenschuldner keinen
Vorteil, ist für die Bemessung der Gebührensätze deshalb nur der für die Amtshandlung im
Wege der Pauschalierung und Typisierung zu veranschlagende Verwaltungsaufwand
maßgeblich.
Vgl.: OVG NRW, Beschluss vom 2. Februar 2009 - 9 B 1788/08 -, juris und NRWE.
Hiervon ausgehend spricht viel dafür, dass im vorliegenden Fall nur der
Verwaltungsaufwand hätte berücksichtigt werden können, da die zu Grunde liegende
Anordnung dem Kläger keinen wirtschaftlichen Vorteil gebracht hat. Eine
Gebührenerhöhung wegen der Bedeutung der Sache hätte danach nicht vorgenommen
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werden dürfen. Dabei hätte insbesondere die von den beanstandeten Geräten ausgehende
Gefahr unberücksichtigt bleiben müssen, da sie in keiner Beziehung zum wirtschaftlichen
Wert oder dem sonstigen Nutzen der Amtshandlung für den Kläger gestanden hätte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Regelungen über deren
vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 der
Zivilprozessordnung.