Urteil des VG Gelsenkirchen vom 16.10.2008

VG Gelsenkirchen: hundesteuer, öffentliche sicherheit, existenzminimum, rasse, stadt, halter, staat, steuerfestsetzung, zahl, steuerbelastung

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 2 K 3211/08
Datum:
16.10.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 3211/08
Schlagworte:
Hundesteuer, Existenzminimum, Verhältnismäßigkeit
Normen:
Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 2 GG
Leitsätze:
1. Die Auferlegung einer Steuer durch einen Steuerbescheid begründet
eine Geldleistungspflicht und berührt damit die wirtschaftliche
Betätigung als Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit. Die Pflicht
zur Zahlung einer Steuer verletzt dann nicht die allgemeine
Handlungsfreiheit, wenn dem Betroffenen ein angemessener Spielraum
verbleibt, sich wirtschaftlich frei zu entfalten. Dieser Spielraum ist
gegeben, soweit die Steuerbelastung verhältnismäßig ist.
2. Eine Steuer ist dann unverhältnismäßig, wenn sie aus demjenigen zu
bezahlen ist, was der Staat dem Einzelnen zur Sicherung eines
menschenwürdigen Daseins als Existenzminimum zur Verfügung stellt.
3. Da die Hundesteuer bei der Bestimmung des Existenzminimums nicht
berücksichtigt wird, ist deren Erhebung bei denjenigen, die ihren
Lebensunterhalt aus dem zur Führung eines menschenwürdigen
Daseins staatlich garantierten Existenzminimum bestreiten müssen,
unverhältnismäßig.
4. Dies gilt auch bei Haltung von Hunden, die aufgrund bestimmter
Rasse- oder anderer Merkmale einer erhöhten Besteuerung unterliegen.
Tenor:
Der Hundesteuerbescheid des Beklagten vom 10. August 2007 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 21. Mai 2008
wird aufgehoben, soweit darin für die Zeit ab dem 1. August 2007
Hundesteuerbeträge festgesetzt werden, welche einen monatlichen
Hundesteuerbetrag in Höhe von 12,00 Euro übersteigen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig
vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
des jeweils vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht der
Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Kläger wenden sich gegen die Erhebung einer sog. Kampfhundesteuer für ihren
American Staffordshire Terrier, dessen Haltung der Beklagte mit Bescheiden vom 30.
Juli 2007 unter Befreiung von der Maulkorbpflicht unbefristet genehmigte.
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Der Kläger bezieht ergänzend zu seiner Altersrente eine Grundsicherung nach dem 12.
Buch Sozialgesetzbuch. Der Klägerin verbleiben aus einer selbständigen Tätigkeit
monatlich ca. 88,00 Euro zum Leben.
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Mit Hundesteuerbescheid vom 10. August 2007 wurde die Klägerin rückwirkend jeweils
für die Zeiträume vom 1. August 2005 bis zum 31. Dezember 2005, vom 1. Januar 2006
bis zum 31. Dezember 2006 und vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2007 zu
einer höheren Hundesteuer herangezogen. Statt des bisherigen Jahresbetrages von
jeweils 144,00 Euro wurde für 2005 ein Betrag in Höhe von 204,00 Euro und für die
Jahre 2006 und 2007 jeweils ein Jahresbetrag von 288,00 Euro festgesetzt. Unter
„Bemerkungen" heißt es im Bescheid: „Bescheid aufgrund der Änderung der Satzung für
Kampfhunde".
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Unter dem 14. August 2007 legte der Kläger Widerspruch gegen den Steuerbescheid
vom 10. August 2007 ein. Nicht die Klägerin, sondern der Kläger sei Eigentümer des
nunmehr 12 Jahre alten Hundes. Sein Hund habe immer nur Liebe zu den Menschen
gezeigt. Er habe alle Prüfungen mit Bravour bestanden, auch seien sämtliche
Untersuchungen einschließlich schmerzhafter Behandlungen ohne Maulkorb
durchgeführt worden. Er sei auch nicht in der Lage, von seiner Minirente eine solch
hohe Steuer zu bezahlen.
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Mit an beide Kläger gerichtetem Widerspruchsbescheid vom 21. Mai 2008 hob der
Beklagte die erhöhte Festsetzung einer Hundesteuer für den Zeitraum von 1. August
2005 bis zum 31. Juli 2007 auf. Grundlage der erhöhten Steuerfestsetzung im übrigen
sei die zum 1. August 2005 wirksam gewordene Änderung der Hundesteuersatzung der
Stadt E. , welche aufgrund der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen notwendig geworden sei.
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Am 10. Juni 2008 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben.
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Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger unter Darlegung im Einzelnen im
Wesentlichen vor:
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Die Besteuerung der Hundehaltung der Kläger verstoße gegen das
verfassungsrechtliche Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums. Darüber hinaus
verstoße die Höherbesteuerung aufgrund einer vermeintlich gesteigerten Aggressivität
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von Hunden der Rasse American Staffordshire Terrier gegen Art. 3 Abs. 1 des
Grundgesetzes - GG -. Weder aufgrund der Zuchtgeschichte noch aufgrund sachlich
tragender Erwägungen, die einem wissenschaftlichen Anspruch genügten, sei eine
Höherbesteuerung gerechtfertigt. Der Satzungsgeber könne sich auch nicht den
Regelungen des Hundegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen - LHundG NRW -
anschließen, da die in § 22 LHundG nach fünf Jahren vorgeschriebene Überprüfung der
Auswirkungen des Gesetzes nicht stattgefunden habe. Daher sei nun der
Satzungsgeber selbst in der Pflicht, die rechtlichen Voraussetzungen einer erhöhten
Besteuerung in der Sache zu rechtfertigen.
Die Kläger beantragen,
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den Hundesteuerbescheid des Beklagten vom 10. August 2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 21. Mai 2008 aufzuheben, soweit darin
Hundesteuerbeträge festgesetzt werden, welche einen monatlichen Hundesteuerbetrag
in Höhe von 12,00 Euro übersteigen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt der Beklagte unter Bezugnahme auf den Inhalt seines
Widerspruchsbescheides ergänzend im Wesentlichen vor:
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Die Steuerfestsetzung sei zu Recht erfolgt. Die Kläger seien Halter eines gefährlichen
Hundes im Sinne der Hundesteuersatzung der Stadt E. . Sie seien daher verpflichtet,
einen höheren Steuersatz für gefährliche Hunde zu zahlen. Der im
Widerspruchsverfahren vorgetragene Einwand der Kläger, der Hund sei nicht gefährlich,
sei unerheblich, da es insoweit nicht auf den subjektiven Eindruck der Hundehalter
ankomme, sondern allein auf das Halten eines Hundes einer bestimmten Rasse.
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Die staatlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes seien so gestaltet,
dass dem Leistungsberechtigten genügend Mittel zur Verfügung stünden, um die vom
Beklagten erhobene Hundesteuer zu entrichten. In jedem Regelbedarf seien
sogenannte disponible Teile enthalten, die nicht zwingend zur Bestreitung des
Unterhaltes für das tägliche Leben erforderlich seien.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der Hundesteuerbescheid des
Beklagten vom 10. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.
Mai 2008 ist im angefochtenen Umfang rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren
Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Gemäß § 1 Abs. 1 der Hundsteuersatzung der Stadt E. - HStS - ist Gegenstand der
Steuer das Halten von Hunden im Stadtgebiet. Die Steuer beträgt jährlich bei Haltung
eines Hundes 144,00 Euro, § 2 Abs. 1 Buchst. a) HStS. U.a. für Hunde der Rasse
American Staffordshire Terrier beträgt die Steuer jährlich 288,00 Euro, wenn der
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Nachweis erbracht wird, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht zu
befürchten ist. Für Hunde, die von Personen gehalten werden, die
Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende (ALG II ohne Zuschlag nach § 24 SGB
II) oder Sozialgeld nach dem SGB II, Hilfe zum Lebensunterhalt oder
Grundsicherungsleistungen nach dem 3. bzw. 4 Kapitel des SGB XII erhalten und von
solchen Personen, die diesen einkommensmäßig gleichstehen, ist die Steuer auf Antrag
auf die Hälfte des Steuersatzes nach § 2 HStS zu ermäßigen, jedoch nur für einen
Hund. Für gefährliche Hunde, zu denen die Satzung auch Hunde der Rasse American
Staffordshire Terrier zählt, wird eine solche Steuerermäßigung nicht gewährt.
Die vorgenannte Ermäßigungsregelung, die seit Jahrzehnten in der jeweils gültigen
Hundesteuersatzung der Stadt E. enthalten ist („Für Hunde, die von Empfängern
laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz und von
solchen Personen, die diesen einkommensmäßig gleichstehen, gehalten werden, ist die
Steuer auf Antrag auf die Hälfte des Steuersatzes nach § 2 HStS zu ermäßigen, jedoch
nur für einen Hund.") , geht zurück auf einen Runderlass des Innenministers des Landes
Nordrhein-Westfalen vom 29. Dezember 1970. Im Einvernehmen mit dem
Finanzminister wurde die Hundesteuermustersatzung seinerzeit um folgende
Empfehlung erweitert (MBl NW 1971, S. 46 f.):
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„Für Hunde, die von Empfängern laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem
Bundessozialhilfegesetz und von solchen Personen, die diesen einkommensmäßig
gleichstehen, gehalten werden, ist die Steuer auf Antrag auf die Hälfte / ein Viertel des
Steuersatzes nach § 2 zu ermäßigen, jedoch nur für einen Hund."
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Eine solche Regelung verstößt allerdings gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz,
der Verfassungsrang genießt:
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Die Auferlegung einer Steuer durch einen Steuerbescheid begründet eine
Geldleistungspflicht und berührt damit die wirtschaftliche Betätigung als Ausfluss der
durch Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - geschützten allgemeinen
Handlungsfreiheit. Die Handlungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet ist allerdings nur in
den Schranken des zweiten Halbsatzes des Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet. Die Pflicht
zur Zahlung der Steuer verletzt dann nicht den durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten
Bereich, wenn dem Betroffenen ein angemessener Spielraum verbleibt, sich
wirtschaftlich frei zu entfalten. Dieser Spielraum ist gegeben, soweit die Steuerbelastung
verhältnismäßig ist.
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Vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 29. Juni 1995 - 1 BvR
1800/94, 1 BvR 2480/94 -, ZKF 1995, S. 204 f. (S. 205).
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Nach Auffassung der Kammer ist eine Steuer dann unverhältnismäßig, wenn sie aus
demjenigen zu bezahlen ist, was der Staat dem Einzelnen zur Sicherung eines
menschenwürdigen Daseins, vgl. Art. 1 Abs. 1 GG, als Existenzminimum zur Verfügung
stellt, vgl. z.B. § 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches 12. Buch - SGB XII -.
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Ausgangspunkt der rechtlichen Würdigung ist das aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung
mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG abzuleitende Prinzip der
Steuerfreiheit des Existenzminimums. Danach hat der Staat das Einkommen des
Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der
Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie
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benötigt. Einem Grundgedanken der Subsidiarität, wonach Eigenversorgung Vorrang
vor staatlicher Fürsorge hat, entspricht es, dass sich die Bemessung des steuerrechtlich
maßgeblichen Existenzminimums nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten
Leistungsniveau richtet. Was der Staat dem Einzelnen voraussetzungslos aus
allgemeinen Haushaltsmitteln zu Verfügung zu stellen hat, das darf er ihm nicht durch
Besteuerung seines Einkommens entziehen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2008 - 2 BvL 1/06 -, Juris- Dokument (zur
Einkommenssteuer).
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Es ist streng auf das sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau als eine das
Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene abzustellen.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2008, a.a.O.
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Es liegt auf der Hand, dass eine Satzungsregelung, welche - wie hier - dem Hundehalter
zumutet, aus seinem ihm staatlichen garantierten Existenzminimum eine weitere Steuer
zu entrichten, diesen Vorgaben nicht gerecht wird.
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Die Kammer ist sich bewusst, dass Leistungsberechtigte nach SGB II bzw. SGB XII bzw.
Bezieher von Einkommen in vergleichbarer Höhe tatsächlich in der Lage sein können,
Hundesteuer zu entrichten. Es ist aber ein Unterschied, ob dem Betroffenen das zum
(Über-)Leben absolut Notwendige verbleibt oder ob ihm das zur Führung eines
menschenwürdigen Lebens Notwendige verbleibt. Vor dem Hintergrund von Art. 1 Abs.
1 GG, vgl. auch die ausdrückliche Bezugnahme in § 1 Abs. 1 SGB XII, und der
vorgenannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zieht die Kammer die
Grenze zur Unverhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs nicht erst beim Eingriff in das
zum (Über-)Leben absolut Notwendige.
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Einer solchen Sichtweise könnte entgegengehalten werden, dass das staatlich
garantierte Existenzminimum die Entrichtung einer Hundesteuer bereits beinhalte. Das
ist allerdings nicht der Fall. Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 4 SGB XII ist Datengrundlage der
Regelsatzbemessung die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Dies konkretisiert §
2 der Verordnung zur Durchführung des § 28 SGB XII dahin, dass bestimmte
Abteilungen einer neu zur Verfügung stehenden Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe zur Bestimmung des Eckregelsatzes heranzuziehen sind, und
zwar:
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Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren
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Bekleidung und Schuhe
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Wohnung, Wasser, Strom, Gas u.a. Brennstoffe
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Einrichtungsgegenstände (Möbel), Apparate, Geräte und Ausrüstungen für den Haushalt
sowie deren Instandhaltung
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Gesundheitspflege
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Verkehr
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Nachrichtenübermittlung
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Freizeit, Unterhaltung und Kultur
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Beherbergungs- und Gaststättenleistungen
42
Andere Waren und Dienstleistungen.
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Hundesteuern sind demgegenüber den sonstigen Steuern in der Abteilung „Andere
Ausgaben" zuzuordnen.
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Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 15 Heft 4: Einkommens und
Verbrauchsstichprobe - Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte 2003
45
Auch in der Zeit der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes lässt sich eine
Einbeziehung der Hundesteuer in die Regelsätze nicht feststellen.
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Vgl. die Auflistung der regelsatzrelevanten Positionen aus dem Systematischen
Verzeichnis für die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1983 in NDV 1990, S. 157
f.
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Schließlich bilden die nach der Regelsatzverordnung gebildeten Regelsätze auch die
Bezugsgrundlage für Leistungen nach dem 2. Buch Sozialgesetzbuch.
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vgl. Schellhorn u.a., SGB XII - Sozialhilfe, 17. Auflage, München 2006, Teil C I, Rn 3.
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Augenfällig wird dies z.B. durch die derzeit geltenden Regelsätze für Alleinstehende in
Höhe von 351,00 Euro gemäß § 1 der Verordnung über die Regelsätze der Sozialhilfe
in Nordrhein-Westfalen bzw. in Höhe von 345,00 Euro gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB II.
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Erweist sich die Ermäßigungsregelung in § 5 Abs. 3 HStS (einschließlich der
inhaltsgleichen Vorgängerregelungen) als unverhältnismäßig und nichtig, hat dies auf
den Bestand der Hundesteuersatzung der Stadt E. im Übrigen keinen Einfluss.
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Im Rahmen des dem Satzungsgeber zukommenden weitreichenden Spielraums zur
Ausgestaltung einer Steuer,
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vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 3. Mai 2001 - 1 BvR 624/00 -, NVwZ 2001, S. 1264 f.,
53
muss er nicht zwingend schon in seiner Hundesteuersatzung selbst der Steuerfreiheit
des Existenzminimums Rechnung tragen. Die Kammer ist der Auffassung, dass die
insoweit interessierenden Fälle schon mit Hilfe der jedenfalls anwendbaren
gesetzlichen Möglichkeiten einer abweichenden Festsetzung von Steuern aus
Billigkeitsgründen bzw. eines Erlasses der Steuer im Einzelfall, vgl. § 163 Sätze 1 u. 3
AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) KAG NRW und § 227 AO i.V.m. § 12 Abs.1 Nr. 5
Buchst. a) KAG NRW sachgerecht zu lösen sind.
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Es ergibt sich nichts anderes aus § 5 Abs. 5 HStS, wonach für gefährliche Hunde eine
Steuerermäßigung u.a. gemäß § 5 Abs. 3 HStS nicht gewährt wird. Auch insoweit gilt
der Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimus:
55
Es ist nach dem ausdrücklichen Willen des Landesgesetzgebers zulässig, dass die
Erzielung von Einnahmen im Rahmen der Steuererhebung nur Nebenzweck ist, vgl. § 3
Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) KAG NRW, m.a.W., der Satzungsgeber
darf mit der Steuer Lenkungszwecke verfolgen. Der Satzungsgeber hat von dieser
Möglichkeit Gebrauch gemacht und im Anschluss an § 3 Abs. 2 LHundG NRW auch
Hunde der Rasse American Staffordshire Terrier einer erhöhten Besteuerung
unterworfen. Eine solche allein an die Rassezugehörigkeit anknüpfende Besteuerung
ist grundsätzlich möglich.
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Es verletzt insbesondere nicht den Gleichheitssatz, wenn auch ein im Einzelfall
ungefährlicher Hunde der erhöhten Steuer unterworfen wird, da der Rat der Stadt E.
einen zulässigen Lenkungszweck im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungs- und
Typisierungsspielraum verfolgt. Mit dem als unwiderlegliche Vermutung der
Gefährlichkeit für bestimmte Hunderassen ausgestalteten Steuertatbestand verfolgt der
Satzungsgeber nicht in erster Linie oder gar ausschließlich einen im engeren Sinne
"polizeilichen" Zweck der aktuellen und konkreten Gefahrenabwehr. Das Lenkungsziel
besteht vielmehr ersichtlich auch darin, ganz generell und langfristig im Gemeindegebiet
solche Hunde zurückzudrängen, die aufgrund ihres Züchtungspotentials in besonderer
Weise die Eignung aufwiesen, ein gefährliches Verhalten zu entwickeln, sei es auch
erst nach Hinzutreten anderer Faktoren. Die unwiderlegliche Vermutung in der
Rasseliste ist in besonderer Weise geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Müssten nämlich
in bestimmten Einzelfällen Ausnahmen von der höheren Besteuerung gewährt werden,
so würde das dem steuerlichen Lenkungszweck, den Bestand an potentiell
gefährlicheren Hunden möglichst gering zu halten, zuwiderlaufen. Der mit der erhöhten
Steuer verfolgte Lenkungszweck, die Population von Hunden, die als potentiell
gefährlich eingeschätzten Rassen angehören, im Gemeindegebiet generell
zurückzudrängen, zielt auch von vornherein auf einen deutlich größeren Kreis von
Fällen - nämlich die potentiellen Halter solcher Hunde - als die ordnungsrechtlichen
Pflichten im Zusammenhang mit der Haltung der hier interessierenden Hunde. Diese
ordnungsrechtlichen Pflichten treffen nämlich nur die Halter, die sich ungeachtet der
erhöhten Besteuerung zur Anschaffung eines nach Maßgabe der Rasseliste als
gefährlich vermuteten Hundes entschlossen haben.
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Hierin werden zugleich die Lenkungsfunktion der erhöhten Hundesteuer und ihr
Zusammenspiel mit dem Recht der Gefahrenabwehr deutlich. Die erhöhte Steuer soll
die Zahl der nach ihrer Rasse als gefährlich geltenden Hunde im Gemeindegebiet
minimieren. Es liegt im Wesen jeder Verhaltenslenkung durch Besteuerung, dass es
dem Adressaten von Gesetzes wegen frei steht, sich unter Inkaufnahme der erhöhten
Steuer gegen deren Lenkungszweck zu entscheiden und - hier - einen nach Maßgabe
der Rasseliste gefährlichen Hund zu halten. Tut er dies, greift das Recht der
Gefahrenabwehr mit dem Erlaubnisvorbehalt ein. An der Verwirklichung des
Steuertatbestandes ändert es indes nichts, wenn der Halter die erforderlichen
Nachweise erbringt und der Hund den Wesenstest besteht. Entginge der Halter in
diesem Fall der erhöhten Besteuerung, verlöre die Steuer ihre generelle
Lenkungswirkung. Die Begrenzung der Zahl der nach Rassemerkmalen als gefährlich
vermuteten Hunde würde nur mit dem ordnungsrechtlichen Instrumentarium erfolgen
können, das jedenfalls mit seinem Erlaubnisverfahren für das Halten gefährlicher Hunde
hierauf aber nicht abzielt.
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Dies zeigt, dass der steuerrechtliche Lenkungszweck, Hunde bestimmter Rassen, in
ihrer Population im Gemeindegebiet generell zurückzudrängen, unabhängig davon
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greift, ob im Einzelfall Umstände vorliegen, die im Hinblick auf die nachgewiesene
Zuverlässigkeit und Eignung des Halters und den bestandenen Wesenstest des Hundes
gegen dessen konkrete Gefährlichkeit sprechen.
Vgl. zum Ganzen: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28. Juni 2005 - 10 B
22.05 -, KStZ 2006, S. 12 ff. m.w.N.
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Es liegt auf der Linie des vom Rat der Stadt E. verfolgten Lenkungszweckes, u.a. Hunde
der Rasse American Staffordshire Terrier von einer Ermäßigung der Hundesteuer
aufgrund der Einkommensverhältnisse des Hundehalters abzusehen.
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Die Kammer hält die sich daraus ergebende Besteuerung allerdings gleichwohl für
unverhältnismäßig. Die Kammer geht mit dem Bundesverwaltungsgericht (s.o.) davon
aus, dass es im Wesen der Verhaltenslenkung durch Besteuerung liegt, dass es dem
Adressaten von Gesetzes wegen frei steht, sich unter Inkaufnahme der erhöhten Steuer
gegen deren Lenkungszweck zu entscheiden und einen nach Maßgabe der Rasseliste
gefährlichen Hund zu halten.
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Allerdings greifen Steuernormen in die - vom Bundesverwaltungsgericht ja auch
ersichtlich vorausgesetzte - allgemeine Handlungsfreiheit gerade in deren Ausprägung
als persönliche Entfaltung im vermögensrechtlichen und im beruflichen Bereich (Art. 14
Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG) ein. Dies bedeutet, dass eine Steuernorm keine „erdrosselnde
Wirkung" haben darf: Das geschützte Freiheitsrecht darf nur so weit beschränkt werden,
dass dem Grundrechtsträger (Steuerpflichtigen) ein Kernbestand des Erfolges eigener
Betätigung im wirtschaftlichen Bereich in Gestalt der grundsätzlichen Privatnützlichkeit
des Erworbenen und der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über die geschaffenen
vermögenswerten Rechtspositionen erhalten bleibt.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. September 1992 - 2 BvL 5, 8, 14/91 -, BVerfGE 87, S.
152 ff. (S. 169).
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Eine Besteuerung, welche dem Steuerpflichtigen die Einschränkung des
Existenzminimums zumutet, hat nach Auffassung der Kammer eine in diesem Sinne
erdrosselnde Wirkung. Sie schließt - zumal als erhöhte Besteuerung - eine
Handlungsfreiheit im vorgeschriebenen Sinne aus und kommt bei
Einkommensverhältnissen, die dem Existenzminimum entsprechen, einem faktischen
Haltungsverbot für bestimmte Hunderassen gleich. Der Eingriff in die Handlungsfreiheit
wird insbesondere dann augenfällig, wenn eine bestehende Hundehaltung durch eine
solche Besteuerung faktisch beendet werden muss.
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Angesichts dessen hält die Kammer auch § 5 Abs. 5 HStS für nichtig.
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Da schon im Widerspruchsverfahren ein Erlassantrag gestellt wurde, hat der nach den
vorstehenden Ausführungen den Klägern aus verfassungsrechtlichen Gründen zu
gewährende Erlass auf der Grundlage von § 163 Satz 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 4
Buchst. b) KAG NRW zu erfolgen. Das in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessen,
welches der Beklagte entsprechend dem Zweck der Ermächtigung und unter Einhaltung
der Grenzen des Ermessens auszuüben hat, vgl. § 5 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 1 Buchst.
b) KAG NRW, ist dahin reduziert, dass nur ein vollumfänglicher Erlass der Hundesteuer
für die Kläger der Billigkeit entspricht und damit ermessensgerecht ist.
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Angesichts des klägerseits gestellten Antrages ist der Steuerbescheid vom 10. August
2007 allerdings für die Zeit ab 1. August 2007 in Höhe eines Jahresbetrages von 144,00
Euro bestandskräftig geworden. Daher kann nur eine teilweise Bescheidaufhebung
erfolgen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m.
§§ 708 Nr. 11, 709, 711 der Zivilprozessordnung.
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Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung folgt aus §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124
Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
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