Urteil des VG Gelsenkirchen vom 05.01.2009

VG Gelsenkirchen: fahreignung, entziehung, vollziehung, atembeschwerden, verfügung, verwaltungsakt, abrede, behörde, zivilprozessordnung, gerichtsakte

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 7 K 1138/08
Datum:
05.01.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 1138/08
Schlagworte:
Herzrythmusstörungen, Gehbehinderung, Gutachtenaufforderung,
Entziehung, Fahrerlaubnis
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der
Beklagte zuvor in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden
Betrages Sicherheit leistet.
Tatbestand:
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Der 1936 geborene Kläger besitzt ausweislich der Verwaltungsvorgänge seit 1960 eine
Fahrerlaubnis. Als dem Beklagten Bedenken gegen die Fahreignung des Klägers
bekannt wurden, bat er diesen zu einer Vorsprache. Bei dieser gab der Kläger am 3.
November 2005 an, dass er zu 100 % schwerbehindert sei und an
Herzrhythmusstörungen, einer Magen-, Leber- und Lungenerkrankung leide und
gehbehindert sei. Mit Schreiben vom 12. Januar 2006 ordnete daraufhin der Beklagte
die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle
an. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 6. Februar 2006 Widerspruch ein, da
für die Anordnung kein sachlicher Grund bestehe und die Anordnung als anfechtbarer
Verwaltungsakt anzusehen sei. Mit Schreiben vom 10. April 2006 teilte der Beklagte mit,
dass die Anordnung bestehen bleibe.
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Einen vom Kläger am 4. Mai 2006 gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung
lehnte das erkennende Gericht mit Beschluss vom 4. Juli 2006 (Az.: 7 L 631/06) ab, da
die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens kein selbständig anfechtbarer
Verwaltungsakt sei. In der Sache sei sie ebenfalls zu Recht erfolgt. Die hiergegen
eingelegte Beschwerde blieb ohne Erfolg (Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Dezember 2006 - 16 B 1674/06). Auch die
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gleichzeitig mit dem Eilantrag erhobene Klage gegen die Anordnung zur Vorlage eines
Gutachtens wies das erkennende Gericht mit Urteil vom 26. Juni 2007 (Az.: 7 K 1387/06)
ab. Die hiergegen eingelegte Berufung verwarf das Oberverwaltungsgericht für das
Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 13. September 2007 (Az.: 16 A 2128/07)
als unzulässig.
Da der Kläger letztlich kein Gutachten vorlegte, entzog der Beklagte ihm mit Verfügung
vom 18. Februar 2008 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis mit
der Begründung, das zu Recht geforderte Gutachten sei nicht vorgelegt worden. Zudem
drohte der Beklagte ihm für den Fall, dass er ihm seinen Führerschein nicht innerhalb
von drei Tagen nach Zustellung der Entziehungsverfügung übergebe, ein Zwangsgeld
in Höhe von 125,00 Euro an.
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Daraufhin hat der Kläger am 24. Februar 2008 Klage erhoben.
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Zur Begründung der Klage trägt er im Wesentlichen vor, die in Rede stehenden
Erkrankungen - insbesondere auch die Gehbehinderung - hätten keinen Einfluss auf
seine Eignung, ein Kraftfahrzeug zu führen. Seine Leiden bestünden im Übrigen
lediglich darin, dass er zeitweise Sodbrennen, Seitenstechen sowie wetterabhängige
Atembeschwerden bei Anstrengung habe. Die Gutachten-Anordnung sei zu Unrecht
erfolgt. Bei ihr handele es sich um eine Anordnung „ins Blaue". Daher dürften aus der
Tatsache, dass er das geforderte Gutachten nicht beigebracht habe, keine negativen
Schlüsse hinsichtlich seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gezogen
werden. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 22. Februar 2008 und
vom 14. April 2008 Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt schriftsätzlich (sinngemäß),
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die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 18. Februar 2008 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen,
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und verweist zur Begründung im Wesentlichen auf seine Ausführungen im
angefochtenen Bescheid sowie im Eilverfahren 7 L 270/08.
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Zugleich mit der Erhebung der Klage hat der Kläger um Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes im Zusammenhang mit der Entziehung der Fahrerlaubnis nachgesucht.
Seinen Antrag hat die Kammer mit Beschluss vom 30. April 2008 (Az.: 7 L 270/08)
abgelehnt. Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde blieb erfolglos
(Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. Juli
2008 - 16 B 800/08 -).
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Das Verfahren ist durch Beschluss vom 15. Dezember 2008 auf die Einzelrichterin
übertragen worden. Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen
Verhandlung verzichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes
wird auf den Inhalt der Gerichtsakten einschließlich der Verfahren 7 L 631/06, 7 K
1387/06 und 7 L 270/08 sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Anfechtungsklage, über die im Einverständnis der Parteien ohne
mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -), ist unbegründet. Die Verfügung des Beklagten
vom 18. Februar 2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen
Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zur Begründung verweist die Kammer zur
Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des Beschlusses des Gerichts vom
30. April 2008 im zugehörigen Eilverfahren 7 L 270/08 und der zugehörigen
Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen vom 14. Juli 2008 (Az.: 16 B 800/08).
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Mit Rücksicht auf das Klagevorbringen ist Folgendes zu ergänzen: Bereits im
Eilverfahren 7 L 631/06 wegen der Anordnung des Beklagten, ein Gutachten eines
Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen,
hat das Gericht im Beschluss vom 4. Juli 2006 dargelegt, dass und warum diese
Anordnung im vorliegenden Fall gerechtfertigt war. Insofern hat die Kammer ausgeführt:
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„Im Übrigen wird der Antragsteller durch die Anordnung des Antragsgegners aber auch
in der Sache nicht in seinen Rechten verletzt. Die Anordnung, ein Gutachten eines
Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen,
dürfte nämlich voraussichtlich aus den Gründen, die der Antragsgegner in den
Schreiben vom 12. Januar 2006 und den Ergänzungen vom 10. April 2006 dargelegt
hat, rechtmäßig sein. Schon die vom Antragsteller selbst gegenüber der Behörde
angegebenen Herzrhythmusstörungen, die er auch im Weiteren nicht in Abrede gestellt
hat, und seine Gehbehinderung werfen erhebliche Eignungsbedenken auf, denen der
Antragsgegner nachzugehen hat. Der Antragsteller hat sich selbst zuletzt in seiner von
seinem Prozessbevollmächtigten abgegebenen Stellungnahme gegenüber dem
Amtsgericht E. im Schriftsatz vom 6. April 2006 im Rahmen des dortigen Strafverfahrens
104 Js 128/06 als „100 % schwer- und außergewöhnlich gehbehindert" bezeichnet (vgl.
Gerichtsakte 7 K 1387/06, Blatt 57). Herzrhythmusstörungen und
Bewegungsbehinderungen gehören zu den Mängeln im Sinne der §§ 11, 13 und 14
FeV, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beeinträchtigen oder aufheben
können (vgl. Ziffer 3 und 4 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV). Nach den
Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung des Gemeinsamen Beirats für
Verkehrsmedizin beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und
beim Bundesministerium für Gesundheit sollte Grundlage für die Beurteilung von
Herzrhythmusstörungen und deren Auswirkungen auf die Kraftfahreignung in jedem Fall
eine eingehende internistisch-kardiologische Untersuchung einschließlich 24-Stunden-
Langzeit-EKG sein (vgl. Ziffer 3.4.1 der Begutachtungs-Leitlinie).
Herzrhythmusstörungen können nämlich akut die Blutversorgung des Gehirns
unterbrechen und sind darüber hinaus ein prognostisches Zeichen für die Schwere der
zugrundeliegenden Herzkrankheit.
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Vgl. Schubert/Schneider/Eisenmänger/Stephan, Begutachtungs-Leitlinien zur
Kraftfahreignung, Kommentar, Stand: 1/2003.
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Hinsichtlich der Bewegungsbehinderungen ist zu klären, ob Auflagen oder
Beschränkungen angezeigt sind (siehe Ziffer 3 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV).
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Selbst wenn man zugrundelegt, dass die vom Antragsteller zuvor gegenüber dem
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Antragsgegner scheinbar mit „Magen-, Leber- und Lungenerkrankung" bezeichneten
Leiden, wie er jetzt vorträgt, lediglich darin bestehen, dass er ab und zu „Sodbrennen",
„Seitenstiche" und „wetterabhängige Atembeschwerden bei Anstrengung" hat, die
möglicherweise allein nicht ausreichen würden, um Bedenken an seiner
Kraftfahreignung aufkommen zu lassen, so ergibt sich doch mit den zuvor genannten
Mängeln und im Gesamtzusammenhang nicht lediglich die entfernt liegende Möglichkeit
eines relevanten Mangels, sondern es sind konkrete tatsächliche Anhaltspunkte da, die
einen Eignungsmangel als naheliegend erscheinen lassen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. Juni 2004 - 19 B 195/04 -, Beschluss-Abdruck Seite
3."
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Im vorliegenden Verfahren trägt der Kläger keine neuen Gesichtspunkte vor, die eine
andere Beurteilung rechtfertigen. Daher hält es das Gericht nach wie vor für richtig, die
Kraftfahreignung des Klägers ärztlich überprüfen zu lassen.
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Da der Kläger die rechtmäßige Anordnung nicht befolgt hat, ist gemäß § 11 Abs. 8 FeV
auch die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig. Auf diese Folge seiner Weigerung
ist der Kläger bei der Anordnung auch hingewiesen worden.
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Auch hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung bestehen keine rechtlichen Bedenken. Sie
entspricht den gesetzlichen Vorschriften.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; deren Vollstreckbarkeit ergibt
sich aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung.
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