Urteil des VG Freiburg vom 07.04.2014

amnesty international, china, genfer flüchtlingskonvention, auskunft

VG Freiburg Urteil vom 7.4.2014, A 6 K 860/12
China; Flüchtlingsschutz schon bei niedrigschwelligem Nachfluchtengagement
von Uiguren
Leitsätze
Angesichts der aktuellen, äußerst gespannten Lage in der uigurischen Provinz
Xinjiang in China, der undifferenzierten Gleichsetzung der gewaltfreien exilpolitischen
Aktivitäten der Ostturkestan Union mit terroristischem Separatismus durch die
chinesische Staatsführung und der intensiven Überwachung der Exiluiguren durch
den chinesischen Staatsicherheitsdienst sowie der Versuche des chinesischen
Generalkonsulats, eine Veranstaltung der Ostturkestan Union mit dem bayerischen
Landtag zu verhindern, besteht derzeit bei Rückkehr nach China auch bei einem nicht
besonders herausgehobenem Engagement für diese Gruppe die Gefahr einer
Bestrafung wegen Unterstützung des Separatismus nach § 103 ChinStGB.
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 24.4.2012 wird
bezüglich der Ziffern 2 - 4 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
1 Der Kläger, ein chinesischer Staatsangehöriger uigurischer Volkszugehörigkeit,
reiste am 5.1.2012 ins Bundesgebiet ein, stellte am 9.1.2012 einen Asylantrag und
gab bei seiner Anhörung am 6.2.2012 im Wesentlichen an, er sei unpolitisch,
Sportstudent, und wegen seiner Teilnahme an den Demonstrationen der Uiguren
gegen die chinesische Staatspolitik von den chinesischen Sicherheitsbehörden in
der Zeit vom 7.7.2009 bis 3.9.2011 inhaftiert, in der Haft geschlagen und verhört
worden. Nachdem seine Familie seine Entlassung bewirkt habe, sei er am
20.12.2011 legal mit seinem eigenen Reisepass über den Flughafen Guangzhou
aus China ausgereist und über Malaysia und die Türkei nach Deutschland
geflogen.
2 Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 24.4.2012 lehnte das Bundesamt eine
Asylanerkennung der Kläger ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen für
die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60
Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegen, und drohte dem Kläger für den Fall nicht
binnen Monatsfrist nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens erfolgter
freiwilliger Ausreise seine Abschiebung nach China an.
3 Zur Begründung führte das Bundesamt aus, das Vorbringen des Klägers sei
unglaubhaft. Er sei offenbar unverfolgt, nämlich problemlos mit seinem eigenen
Reisepass unter seinem Namen, legal aus China ausgereist. Außerdem seien ihm
während seiner angeblichen mehrjährigen Haftzeit zahlreiche Dokumente
(Personalausweis, Führerschein, Impfpass etc.) ausgestellt worden, obwohl solche
Dokumente einem Häftling während der Haft nicht ausgestellt würden. Schließlich
sei er ausweislich seiner mitgeführten Dokumente sogar Mitglied der
Kommunistischen Chinesischen Jugendorganisation, also ganz offenbar kein
wirklicher Regimegegner.
4 Nach Zustellung des Bescheid am 28.4.2012 hat der Kläger dagegen am 3.5.2012
Klage beim Verwaltungsgericht erhoben.
5 Zur Begründung verweist der Kläger ergänzend auf exilpolitischen Aktivitäten. Er
habe Kontakt zur Ostturkestan Union und zum Uigurischen Weltkongress. Seit
1.6.2012 sei er Mitglied der Ostturkestan Union in Europa e.V und habe an deren
Demonstration am 1.10.2012 in München anlässlich der Einladung dieser Gruppe
zu einer Anhörung im bayerischen Landtag teilgenommen. Ausweislich eines
Briefwechsels zwischen dem chinesischen Generalkonsulat und der
Landtagsvizepräsidentin habe China versucht, diese Veranstaltung zu verhindern,
indem sie die beiden Organisationen undifferenziert als terroristisch bezeichnet
habe. Im Beisein der Vorsitzenden des Uigurischen Weltkongresses, Frau Rabiya
Kadeer, habe der Kläger an der Aktion teilgenommen. Des weiteren habe er am
5.7.2013 und am 1.10.2013 erneut an Protestaktionen teilgenommen, bei denen
unter anderem der Abzug der chinesischen Armee aus Ostturkestan gefordert
werde. Dazu legte der Kläger jeweils Fotos vor.
6 Der Kläger beantragt,
7
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 24.4.2012
aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten
anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise: die
Beklagte zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen, höchst
hilfsweise: die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass ein
Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt.
8 Die Beklagte beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten (je ein Heft
Gerichtsakten bzw. Akten der Beklagten) und die zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemachten Erkenntnismittel verwiesen.
11 Der Kläger ist im Termin zur mündlichen Verhandlung vom Gericht persönlich zu
seinen Asylgründen angehört worden. Auf die dazu angefertigte
Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
12 Die zulässige Klage ist in dem im Tenor genannten Umfang begründet.
13 Der angefochtene Bescheid ist hinsichtlich der Ziffer 2 - 4 rechtswidrig und verletzt
den Kläger insoweit in seinen Rechten (§113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Er hat Anspruch
auf Flüchtlingsanerkennung und Aufhebung der Abschiebungsandrohung sowie
der negativen Feststellung zu § 60 AufenthG (a.F.) (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Im
Übrigen ist der Bescheid bezüglich der Ziff. 1 rechtmäßig und verletzt ihn nicht in
seinen Rechten.
14 Der Kläger ist unverfolgt aus China ausgereist. Wie er in der mündlichen
Verhandlung eingeräumt hat, war er nicht - wie noch zuvor der Wahrheit zuwider
beim Bundesamt angegeben - zweieinhalb Jahre inhaftiert. Soweit er in der
mündlichen Verhandlung angab, immerhin zwei Tage inhaftiert worden zu sein, ist
auch dies nicht glaubhaft. Seine Angaben zu seiner Verhaftung und den
anschließenden Ereignissen stehen nicht nur im klaren Gegensatz zu seinem
bisherigen Vorbringen beim Bundesamt, sondern waren einsilbig, in keiner Weise
auch nur ansatzweise detailliert oder lebensnah und beruhten offenbar nicht auf
selbst Erlebtem. Von sich aus vermochte der Kläger hier nichts zu sagen, sondern
hat nur sehr knapp und zum Teil erst auf intensives Nachfragen jeweils die Fragen
des Gerichts beantwortet. Wie das Bundesamt im Ablehnungsbescheid bereits
zutreffend ausgeführt hat, spricht zudem klar gegen die behauptete Verfolgung,
dass der Kläger vollkommen legal, mit eigenem auf seinen Namen lautenden
echten Reisepass problemlos China auf dem Luftweg verlassen konnte.
15 Was die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers angeht, steht der begehrten
Asylanerkennung die in § 28 Abs. 1 AsylVfG kodifizierte Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts entgegen, wonach eine (ohne Not eines inneren
identitätsprägenden Überzeugungsdrucks vorgenommene) risikolose
Verfolgungsprovokation vom sicheren Hort des Aufnahmelandes Deutschland
nach dem Sinn der Asylverheißung nicht als asylbegründend anzuerkennen ist
(BVerfG, B. v. 26.11.1986 - 2 BvR 1085/84 -, BVerfGE 74,51 = InfAuslR 1987,56).
Der in China nach eigenen Angaben unpolitische und sogar aus Opportunismus
der kommunistischen Jugendbewegung beigetretene Kläger hat nämlich mit
seinem exilpolitischen Engagement in Deutschland ganz offensichtlich nicht eine
bereits im Heimatland erkennbar betätigte politische Überzeugung fortgesetzt.
Vielmehr hat er sich erstmals hier in Deutschland politisch betätigt, ohne dass hier
erkennbar wäre, dass dies aufgrund eines einmaligen, ihn tiefgreifend
berührenden Schlüssel oder Erweckungserlebnisses bzw. aufgrund eines späten
politischen Erwachens und eines daraus resultierenden inneren
Überzeugungsdrangs geschehen wäre.
16 Die Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht zum Ausschluss subjektiver
selbstgeschaffener Nachfluchtgründe aus dem Schutzbereich des
Asylgrundrechts entwickelt hat, finden allerdings keine Anwendung auf den
Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Wie § 28 Abs. 1 a
AsylVfG i. V.m. Art. 5 Abs. 1 und 2 der Qualifikationsrichtlinie - QRL - (EU-Richtlinie
2011/95/EU vom 13.12.2011 - ABl. L 337/9 v. 20.12.2011) ausdrücklich
hervorhebt, kann die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr.
1 AsylVfG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der
Antragsteller das Herkunftsland verlassen hat und zwar auch auf Aktivitäten des
Antragstellers nach Verlassen seines Herkunftslandes, wobei dies im Regelfall
(„insbesondere“) dann anzunehmen ist, wenn diese Aktivitäten Ausdruck und
Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland betätigten Überzeugung oder
Ausrichtung sind. Von der in Art. 5 Abs. 3 QRL den Mitgliedsstaaten eingeräumten
Möglichkeit, unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention, die
Flüchtlingsanerkennung im Regelfall auszuschließen, wenn es sich um selbst
geschaffene Verfolgungsgefahren handelt, hat der Gesetzgeber in § 28 AsylVfG
nicht Gebrauch gemacht. Nach Art. 4 Abs. 3 d QRL, der mangels ausdrücklicher
Umsetzung im AsylVfG bzw. AufenthG als Unionsrecht unmittelbar gilt, ist
allerdings die Frage zu berücksichtigen, ob die Aktivitäten des Antragstellers seit
Verlassen des Heimatlandes ausschließlich oder hauptsächlich aufgenommen
wurden, um die für die Beantragung von internationalem Schutz erforderlichen
Voraussetzungen zu schaffen, damit bewertet werden kann, ob der Antragsteller
im Fall einer Rückkehr in dieses Land aufgrund dieser Aktivitäten verfolgt würde.
17 Vor diesem Hintergrund ist die Beklagte verpflichtet, dem Kläger die
Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (§§ 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 a, Abs. 4, 31 Abs. 2
S. 1 AsylVfG).
18 Denn seine Furcht ist begründet, wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten im Falle
einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat China dort in Anknüpfung an eine
(womöglich nur unterstellte - siehe § 3b Abs. 2 AsylVfG) separatistische politische
Überzeugung bzw. wegen strafbarer Unterstützung vom Ausland aus betriebener
separatistischer Bestrebungen (§§ 103, 105, 106 Chines.StGB) von den
chinesischen Sicherheitsbehörden mit Haft, Strafhaft, Folter oder Administrativhaft
verfolgt zu werden.
19 Zwar hat der Kläger keine führende oder sonst herausgehobene Position innerhalb
der Ostturkestanischen Union inne, sondern hat sich bislang nur als einfaches
Mitglied betätigt, indem er an den genannten Demonstrationen und
Versammlungen dieser Organisation teilgenommen, Fahnen und Plakate gehalten
und Parolen gerufen hat.
20 Gleichwohl kann nicht übersehen werden, dass die chinesischen Behörden
insbesondere seit den Demonstrationen in Urumqi im Juli 2009 und den in den
letzten Jahren infolge auch gewalttätiger Aktionen kleiner Splittergruppen von
uigurischen Separatisten noch deutlich gestiegenen Spannungen offensichtlich mit
äußerster Anspannung, Härte und Überempfindlichkeit selbst auf vergleichsweise
unbedeutende harmlose und vor allem gewaltfreie Aktionen auch zahlenmäßig nur
sehr kleiner uigurischer Gruppierungen wie der Ostturkestan Union reagieren, die
kaum mehr als 50 bis 60 Uiguren für solche insbesondere in München
durchgeführte chinakritische Aktionen auf die Beine bringen. Das zeigt
insbesondere der Umstand, dass das chinesische Generalkonsulat sogar
versuchte, mit allen Mitteln die Veranstaltung dieser Gruppierung mit dem
Bayerischen Landtag zu verhindern, und in diesem Zusammenhang - wie nach der
Auskunftslage auch die chinesische Staatsführung in den letzten Jahren ganz
allgemein - ganz offenbar in keiner Weise mehr zwischen gewaltfreien und
terroristischen separatistischen Aktivitäten zu unterscheiden vermochte, sondern
auch diese Gruppierung unterschiedslos als terroristisch einstufte. Das zeigt ferner
der Umstand, dass China mit einer großen Gruppe von Geheimdienstmitarbeitern
in Deutschland in den letzten Jahren solche Gruppierungen engmaschig
überwacht und sogar nicht davor zurückschreckt, Mitarbeiter des bayerischen
Landtags abzuhören. Schließlich wird dies dadurch deutlich, dass China die
Vorsitzende des Uigurischen Weltkongresses offenbar als besonders gefährliche
Separatistin, Staatsfeind Nr. 1 und Hauptgegner in Sachen Bekämpfung des
uigurischen Separatismus ansieht, obwohl diese nur gewaltfrei agierte, fünf Jahr in
chinesischen Gefängnissen in Haft war und sogar 2006 und 2007 für den
Friedensnobelpreis vorgeschlagen worden war. Zudem zeigt die Behandlung aus
dem Ausland nach China abgeschobener Uiguren (Verschwindenlassen, Haft,
Anklagen, langjährige Haft) und die agressive Politik, mit der China auf die
Abschiebung und Auslieferung von Uiguren drängt, wenn sich diese im Ausland
aufhalten, dass China sich offenbar in der aktuellen Situation zu einem
differenzierten Vorgehen nicht mehr in der Lage sieht, sondern versucht, mit harter
Hand jegliche Spur eines uigurischen Separatismus auszumerzen. Die
chinesischen Straftatbestände, die auch eine bloße Unterstützung separatistischer
Aktivitäten unter Strafe stellen, zu denen das Engagement der Ostturkestanischen
Union zweifellos zählt, können zudem nach der Auskunftslage wenn sie im
Ausland verletzt werden, als sogar besonders schwerer Fall mit besonders harten
Strafen geahndet werden. Nach der Auskunftslage hängt die Anwendung und
Auslegung dieser Straftatbestände insbesondere von der jeweiligen politischen
Lage und den politischen Spannungen ab, unter denen die chinesische
Staatsführung und die von ihr kontrollierten Sicherheitsbehörden aber auch
chinesischen Strafgerichte jeweils gerade stehen.
21 Ein vergleichsweise niedrigschwelliges Engagement wie das des Klägers, welches
nach der früheren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte mangels
ausreichender Profiliertheit nicht für eine Flüchtlingsanerkennung ausgereicht
hätte, genügt zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls heute in der aktuell äußerst
angespannten Lage aller Voraussicht nach für ein Einschreiten der chinesischen
Behörden (vgl. zur früheren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung: BayVGH,
u. v. 24.7.2002 - 2 B 98.34950 -, juris; OVG Thüringen, U. v. 26.6.2003 - 3 KO
321/01 -, juris; VG Frankfurt, U. v. 13.11.2003 - 4 E 5241/01.AF(2) -, juris; VG
Chemnitz, U. v. 1.4.2006 - 3 A 277/04.A -, juris; VG Würzburg, U. v. 23.6.2004 - W
4 K 03.30773 -, juris; VG Chemnitz, U. v. 10.3.2006 - 3 A 108/02.A -, juris; aus
jüngster Zeit siehe VG Karlsruhe, U. v. 5.2.2013 - A 6 K 961/12 -, juris stattgebend
unter Bezugnahme auf die oben dargestellte Situation für einen Uiguren, der
allerdings noch ein Interview gegeben und durch Singen uigurischer Lieder
individuell hervorgetreten war).
22 Im Einzelnen stellt sich die geschilderte Situation nach den vorliegenden
Auskünften und Erkenntnisquellen (insbesondere AA, Lagebericht China,
18.6.2013, S. 16, 17; amnesty international, Auskunft v. 29.4.2002 an BayVGH und
Auskunft v. 30.11.2006 an VG München) wie folgt dar:
23 Ganz generell rückt die chinesische Regierung heute jedwede Stellungnahme für
eine stärkere Berücksichtigung der Rechte der Uiguren als nationaler Minderheit
oder gar für mehr Autonomie undifferenziert in den Bereich des terroristischen
Separatismus und stellt damit alle uigurischen Organisationen, auch die
Ostturkestan Union in Europa e.V., unter den Generalverdacht eines solchen
Separatismus, obwohl diese, anders als die East Turkestan Islamic Movement
ETIM nicht auf der Liste der Vereinten Nationen als Terrororganisation geführt wird
(siehe dazu AA Lagebericht China 18.6.2013, S. 17, wonach die chinesische
Regierung Erkenntnisse über Verbindungen einzelner uigurischer separatistischer
Splittergruppen zu den Taliban bzw. Al Qaida „zu einem Generalverdacht“
gegenüber allen uigurischen Organisationen „missbraucht“; zu den
Einschüchterungsversuchen des Chinesischen Generalkonsulats in München
gegenüber der Vizepräsidentin des Bayerischen Landtags wegen dessen
gemeinsamer Aktion mit dem - von chinesischer Seite der ETIM gleichgesetzten -
Uigurischen Weltkongress zum chinesischen Nationalfeiertag am 1.10.2012 -
siehe http://max-online.de/2012/10/uigurischer-weltkongress-im-maximilianeum-
spd-und-grune-gegen-menschenrechtsverletzungen-durch-china). Obwohl im
Jahre 2004 sogar BKA Verbindungsbeamte nach China reisten, um den von
chinesischer Seite immer wieder vorgebrachten Vorwürfen einer Verbindung der
uigurischen Exilgruppen zu terroristisch agierenden Gruppen wie der ETIM
nachzugehen, konnte die chinesische Seite offenbar keine handfesten
Anhaltspunkte liefern, so dass diese Gruppen nach wie vor in Deutschland nicht
verboten sind (amnesty international, Auskunft vom 30.11.2006 an VG München,
S. 7) und auch in der EU nicht auf der Terrorismusliste stehen.
24 Die Beteiligung an einer von chinesischer Seite als staatsgefährdend
angesehenen Organisation wie der Osturkestan-Bewegung reicht nach
chinesischem Recht für eine Strafbarkeit aus, wobei auch gewaltfreies Eintreten für
solche Ziele nicht vor harten Strafen schützt (amnesty international, Auskunft v.
29.4.2002 an BayVGH und Auskunft v. 30.11.2006 an VG München; AA
Lagebericht China, 18.6.2013 -, S. 16, 17).
25 Die Organisation wird trotz ihres überschaubaren Mitgliederkreises und der
geringen Zahl der Teilnehmer genau beobachtet (so ausführlich VG Karlsruhe, U.
v. 5.2.2013 - A 6 K 962/12 -, juris unter anderem auch unter Verweis auf den
Briefwechsel zwischen der bayerischen Landtagsvizepräsidentin und dem
chinesischen Generalkonsulat, das gefordert hatte, die „absurde“ Veranstaltung zu
unterbinden; zur intensiven chinesischen geheimdienstlichen Beobachtung der
uigurischen Exilszene in Deutschland, obwohl diese mit ca. 600 hauptsächlich in
München lebenden Uiguren vergleichsweise klein und überschaubar ist, siehe
unter anderem DER SPIEGEL Nr. 29/2009 v. 13.7.2009, S. 39 - im internet über
google auffindbar -, wonach uigurische Aktivitäten, neben den Aktivitäten der
Tibeter, der Demokratiebewegung in China, der Falun-Gong-Anhänger und der
Aktivitäten Taiwans von der chinesischen Staatspropaganda bezeichnenderweise
als eines der „fünf Gifte“ bezeichnet werden; zur Strafbarkeit von Aktivitäten für die
Ostturkestan Bewegung nach chinesischem Strafrecht - § 103 Chin.StGB und zur
verschärften, undifferenziert gewaltfreie wie gewalttätige Aktivitäten
gleichsetzenden Anwendung dieser Norm, sowie der Abhängigkeit ihrer
Anwendung durch die Sicherheitsbehörden und chinesischen Gerichte von den
politischen Richtlinien amnesty international, Auskunft vom 29.4.2002 an BayVGH
und amnesty international, Auskunft v. 30.11.2006 an VG München zur
verschärften Anwendung des Separatismusstraftatbestandes nach dem Anschlag
vom 11. September; eine ausführliche Darstellung der Auskunftslage zu diesem
Fragenkreis und zur besonderen Empfindlichkeit der chinesischen Staatsführung
gegenüber uigurischen Aktivitäten und zum Separatismusstraftatbestand findet
sich auch in der Entscheidung des BayVGH, U. v. 24.7.2002 - 2 B 98.34950 -, juris,
Rdnrn. 27 - 39 und ThürOVG, U. v. 26.6.2003 - 3 KO 321/01 - juris, Rdnrn. 42 - 51).
26 Den vorliegenden Berichten zufolge sind auch immer wieder aus anderen Staaten
nach China abgeschobene Uiguren dort inhaftiert und wegen Separatismus
angeklagt worden oder gar spurlos (wahrscheinlich in einem der sogenannten
„schwarzen“ Geheimgefängnisse) verschwunden. Selbst die von den USA aus der
Haft in Guantanamo freigelassenen Uiguren, die immerhin als Terroristen
verdächtigt worden waren, wurden nicht nach China zurück abgeschoben,
sondern statt dessen zu ihrem Schutz vor chinesischer Strafverfolgung in jeweils
kleineren Gruppen von einigen mit den USA verbündeten Staaten aufgenommen,
wie etwa Albanien etc. (siehe amnesty international, Auskunft v. 30.11.2006 an VG
München, S. 3, Fn. 6 und 7; zur Behandlung uigrischer Rückkehrer: AA
Lagebericht China 18.6.2013 S. 17 unten; zur Verhaftung von Malaysia und auch
Thailand aus nach China abgeschobener Uiguren unter Separatismusverdacht
Human Rights Watch v. 14.3.2014 unter www.ecoi.net; GfbV, www.gfbv.ch -
factsheets uiguren - dort die Meldungen v. 29.8.2011: China drängt
Nachbarstaaten zur Auslieferung uigurischer Flüchtlinge, v. 18.12.2010 - Seit
einem Jahr verschwunden: Von Kambodscha nach China abgeschobene Uiguren,
v. 24.3.2010: Guantanamo Uiguren - Willkommen in der Schweiz; siehe auch Der
Spiegel online v. 2.1.2014: China verlangt Auslieferung von Guantanamo
Häftlingen).
27 Wie empfindlich die chinesische Staatsführung auf alle auch gewaltfreien
uigurischen Aktivitäten reagiert, zeigt sich bereits daran, dass sie Rebiya Kadeer,
die gewählte Präsidentin des Uigurischen Weltkongresses (World Uyghur
Congress - WUC), die schon 2006 und 2007 für den Friedensnobelpreis
vorgeschlagen wurde, als Staatsfeindin Nr. 1 bezeichnete (http://max-
online.de/2012/10/uigurischer-weltkongress-im-maximilianeum-spd-und-grune-
gegen-menschenrechtsverletzungen-durch-china; dazu auch amnesty
international, Auskunft v. 30.11.2006 an VG München, S. 4 Fn. 18 und S. 6 Fn. 23
zur Sippenhaft, Folter und Strafverfolgung der drei Söhne von Rebiya Kadeer als
Sanktion für ihre politischen Aktivitäten).
28 Vom jeweiligen Grad der Spannungen zwischen der chinesischen Staatsführung
und der uigurischen Minderheit hängt auch die Anwendung und Auslegung der
Separatismusstraftatbestände durch die chinesischen Sicherheitsbehörden und
die der staatlichen Kontrolle unterworfenen chinesischen Strafgerichte ab (so
amnesty international, Auskunft v. 29.4.2002 an BayVGH, S. 3).
29 Dass diese Spannungen seit den Vorfällen in Urumqi im Juli 2009 sich bis heute
noch stetig weiter gesteigert haben, ist daher durchaus von Bedeutung für die
Frage, inwieweit der Kläger wegen seines exilpolitischen Engagements für die zum
Uigurischen Weltkongress zählende Osturkestanische Union in Europa e.V. bei
einer Rückkehr nach China dort politisch motivierte Strafverfolgung droht. Insofern
ist bedeutsam, dass die Situation seit 2009 immer weiter gefährlich eskaliert ist und
die Nerven der chinesischen Führung aufgrund der zahlreichen im Folgenden
dargestellten Ereignisse „blank liegen“ dürften, was regelmäßig die Gefahr auch
von Überreaktionen gegenüber selbst nur geringfügig aktiven Uiguren begründen
wird, die aus dem Exil zurückkehren und sich dort für Ostturkestan stark gemacht
haben: So kam es am 19.8.2010 in Aksu/Xinjiang zu einem Sprengstoffanschlag
mit 7 Toten und 14 Verletzten kam, im Juli 2011 zu einem Überfall auf eine
Polizeistation in Hotan 19 Personen und bei Unruhen in Kashgar wurden am
30.7.2011 mehr als 20 Personen getötet. Im Februar 2012 kam es in Yengchen zu
Zusammenstößen zwischen bewaffneten Uiguren und Sicherheitskräften und am
29.6.2012 zu einer von sechs Uiguren versuchten Flugzeugentführung in Hotan
(AA, Lagebericht China, 18.6.2013, S. 16). Im Oktober 2013 verursachte eine
uigurische Familie absichtlich einen Autounfall auf dem Platz des himmlischen
Friedens und setzte dann sich und das Fahrzeug in Brand, im November 2013
kam es zu einer tödlichen Explosion vor der chinesischen KP-Zentrale und in
Nordwestchina erschoss im Dezember 2013 die Polizei acht Menschen (siehe
dazu spiegel-online v. 30.10., 6.11 und 30.12.2013). Zuletzt gab es am 2.3.2014
einen blutigen Anschlag mit Messern und Beilen auf die Reisenden eines
Busbahnhofs in der chinesischen Stadt Kunming mit 29 Toten, und 130 Verletzten,
den die Staatsführung sofort und - trotz der Tötung von vier Angreifern und
Festnahme von drei weiteren bisher ohne Beleg - terroristischen uigurischen
Separatisten anlastete (DER SPIEGEL online - 2.3.2014 - www.spiegel.de). Im
Februar war zuvor am 20.2.2014 der uigurische Universitätsprofessor Ilham Tohti
wegen mutmaßlichen Separatismus festgenommen worden, der die Webseite
Uyghur Online gegründet hatte. Acht junge Uigurinnen, die entweder seine
Studentinnen waren oder zu der Webseite beigetragen hatten, sind bereits im
Januar 2014 verhaftet worden. Der Parteichef der Region Xinjiang gelobte, den
Terrorismus mit äußerster Macht zu bekämpfen und der Vorsitzende der Region
Xinjiang erklärte laut Bejing News Reports, dass „Kräfte von außen“ den
Separatismus beeinflussen. Es gebe „Leute außerhalb Chinas“, die kein einiges,
starkes kommunistisches China wollten (siehe zu alldem Reporters Sans
Frontieres v. 12.3.2014 und BBC-News v. 3.3.2014 und v. 7.3.2014 sowie
Congressional Executive Commission to China v. 4.3.2014 - alle über
www.ecoi.net unter dem Stichwort China, Uiguren zu finden).
30 In der Provinz Xinjinang werden vor diesem Hintergrund besonders grausame
Foltermethoden gegenüber (vermeintlichen) Separatisten angewandt.
Zehntausende Uiguren wurden als solche in den letzten Jahren verhaftet (amnesty
international, Auskunft 30.11.2006 an VG München, S. 7). Die chinesische
Staatsführung hält schon seit Jahren die Provinz Xinjiang in ihrem dauernden
Fokus, in jeder Ortschaft soll mindestens ein Polizist stationiert sein, zahlreiche
uigurische Webseiten wurden blockiert, Telefon und Telekommunikationsverkehr
wird überwacht. Obwohl die Provinz nur 2 % der Gesamtbevölkerung Chinas
aufweist, werden 50 % aller chinesischen Staatsschutzstrafverfahren in Xinjiang
geführt. Deren Zahl stiegt insoweit von 376 im Jahre 2010 um 10% auf 414 im
Jahre 2011. Die Intensität der Repressionen gegenüber mutmaßlichen
Separatisten, die aus dem Ausland nach China zurückkehren, wird durch offizielle
Äußerungen deutlich, wonach schon 2005 zahlreiche solcher Rückkehrer
unmittelbar bei Grenzübertritt festgenommen worden seien und selbst in Fällen
einer unstreitigen ausländischen Staatsbürgerschaft eine konsularische Betreuung
verweigert wird. Zum Verbleib und der Identität werden in der Regel keine Angaben
gemacht, da es sich um innere Angelegenheiten Chinas handle (so zu alldem AA,
Lagebericht China, 18.6.2013, S. 16 und 17).
31 Vor diesem Hintergrund kann nicht angenommen werden, es handle sich bei den
Aktivitäten des Klägers um derart offenkundig allein aus dem Bestreben nach
Sicherung eines legalen Aufenthalts heraus motivierte asyltaktische Handlungen,
dass dieses Verhalten auf eine selbst aus Sicht des Klägers objektiv nicht
gegebene Verfolgungsgefahr schließen lasse (Art. 4 Abs. 3 d QRL).
32 Nach allem erweist sich schließlich aufgrund der gem. § 77 Abs. 1 AsylVfG im
maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden aktuellen
Fassung des AsylVfG die unter Ziff. 3 des angefochtenen Bescheids getroffene
negative Feststellung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2,
3, 5 oder 7 AufenthG als rechtswidrig.
33 Denn für eine solche Feststellung fehlt es in diesem Zeitpunkt an einer
Ermächtigungsgrundlage. Europarechtlicher subsidiärer Schutz, wie er bisher in §
60 Abs. 2, 3 und 7 S. 2 AufenthG geregelt war und nunmehr unter § 4 AsylVfG
geregelt ist, ist nämlich gem. Art. 2 f der Qualifikationsrichtlinie (2011/95/EU) nur
subsidiär, d.h. nur einer Person zu gewähren, welche die Voraussetzungen der
„Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllt“. Deshalb sieht § 31 Abs. 2 AsylVfG auch nur
vor, dass in der Entscheidung des Bundesamtes über einen (beachtlichen)
Asylantrag festzustellen ist, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft „oder“
(falls dies nicht der Fall ist) der subsidiäre Schutz zuzuerkennen ist.
34 Auch die unter Ziff. 3 des angefochtenen Bescheids außerdem enthaltene
negative Feststellung zum Vorliegen des nationalen Abschiebungsverbots nach §
60 Abs. 5 oder 7 S. 1 AufenthG erweist sich im maßgeblichen
Beurteilungszeitpunkt als rechtswidrig, weil ermessensfehlerhaft. Nach § 31 Abs. 3
AsylVfG „kann“ nämlich bei Anerkennung als Asylberechtigter oder Zuerkennung
internationalen Schutzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG von der Feststellung zum
Vorliegen dieses nationalen Abschiebungsverbots abgesehen werden. Von dem
damit der Beklagten eingeräumten Ermessen hat diese aber (entgegen § 40 1. HS
VwVfG) keinen Gebrauch gemacht, sondern vielmehr gar keine
Ermessenserwägungen angestellt, obwohl sie den Bescheid auch hinsichtlich
seiner Ziff. 3 hinsichtlich seiner Rechtmäßigkeit insoweit unter Kontrolle halten
muss.
35 Schließlich erweist sich die unter Ziff. 4 des angefochtenen Bescheids enthaltene
Abschiebungsandrohung als rechtswidrig, da das Bundesamt in dem hier
maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zur Asylanerkennung und
Zuerkennung des Flüchtlingsstatus verpflichtet und daher nach § 34 Abs. 1 S. 1
Nr. 1 bzw. Nr. 2 AsylVfG nicht zum Erlass einer Abschiebungsandrohung
ermächtigt ist.
36 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 S. 3 VwGO, 83 b AsylVfG. Im
Hinblick darauf, dass der Status eines anerkannten Asylberechtigten mittlerweile
nahezu vollständig dem Status eines anerkannten Flüchtlings gleicht (so
ausdrücklich BVerwG, B. v. 21.12.2006 - 1 C 29.03 -, NVwZ 2007, 469 und B. v.
22.4.2008 - 10 B 88.07 -, InfAuslR 2008, 322; siehe auch BVerwG, Urt. v. 1.3. 2011
- 10 C 2/10 -, juris - Rdziff. 53), ist das Unterliegen des Klägers bezüglich seiner
Klage auf Anerkennung als Asylberechtigter (siehe Ziff. 1 des angefochtenen
Bescheids) als derart marginal anzusehen, dass es gerechtfertigt ist, der im
Übrigen unterliegenden Beklagten die Verfahrenskosten voll aufzuerlegen.