Urteil des VG Freiburg vom 12.03.2014

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VG Freiburg Urteil vom 12.3.2014, A 6 K 1868/12
Flüchtlingsanerkennung China; Verstoß gegen Familienplanungspolitik;
schwarze Kinder
Leitsätze
Einem unter Verstoß gegen die chinesische Geburtenkontrollpolitik geborenen
nichtehelichen Kind droht, wenn seine Mutter zur Zahlung eines Bußgeldes von
mehreren Jahresgehältern außerstande ist, die Verweigerung der
Geburtsregistrierung und der melderechtlichen Registrierung (Hukou) und damit der
Ausschluss von der Teilhabe am staatlichen Schul- und Gesundheitssystem. Das
stellt eine diskriminierende Rechtlosstellung in Anknüpfung an die soziale Gruppe der
unter Verstoß gegen die chinesischen Geburtenkontrollregelungen geborenen Kinder
dar, die zur Flüchtlingsanerkennung führt.
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.9.2012 wird
aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
1 Der Kläger, ein am 21.2.2001 in Deutschland als uneheliches Kind geborener
chinesischer Staatsangehöriger, wendet sich mit der Klage gegen die Ablehnung
seines Asylfolgeantrags.
2 Seine Mutter, eine chinesische Staatsangehörige, deren Asylantrag rechtskräftig
abgelehnt worden war (siehe A 6 K 11608/99 - Klagerücknahme am 16.11.1999
und A 6 K 11609/99 - ablehnender Beschluss vom 8.10.1999), hatte für ihn kurz
nach seiner Geburt am 1.3.2001 einen ersten Asylantrag gestellt, der mit
bestandskräftigem Bescheid vom 24.10.2002 mit der Begründung abgelehnt
worden war, da der Kläger im Bundesgebiet geboren sei und sich niemals in China
aufgehalten habe, könne er sich naturgemäß nicht darauf berufen, dort verfolgt
worden zu sein. Auch sonst habe er keine eigenen Verfolgungsgründe geltend
gemacht und einen Anspruch auf Familienasyl habe er nicht, weil der Asylantrag
seiner Mutter abgelehnt worden sei. Mit diesem Bescheid wurde nicht nur seine
Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt sondern zugleich auch festgestellt,
dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch des § 53 AuslG
vorlagen.
3 Der Vater des Klägers war ein chinesischer Asylbewerber, der die Mutter des
Klägers seinerzeit flüchtig kennengelernt hatte. In der Folgezeit lebte er infolge
seiner Verteilung in ein anderes Bundesland und der geltenden
Residenzpflichtbeschränkungen nicht mit dem Kläger und seiner Mutter
zusammen, sondern hatte nur seltenen Besuchskontakt mit ihnen. Etwa vor fünf
Jahren ist er schließlich nach rechtskräftiger Ablehnung seines eigenen
Asylantrags nach China zurückgekehrt und hat seither keinen Kontakt mehr mit
dem Kläger und seiner Mutter, sondern lebt dort offenbar an unbekanntem Ort sein
eigenes Leben. Das ergibt sich aus den Angaben des Klägers und seiner Mutter in
der mündlichen Verhandlung, die das Gericht als glaubhaft ansieht, weil sie
übereinstimmen, plausibel sind und auch sichtlich von persönlichen Emotionen wie
Traurigkeit und Enttäuschung getragen waren.
4 Am 22.8.2012 stellte der Kläger - vertreten durch seine Mutter - einen
Asylfolgeantrag, mit dem Ziel, ihm nach Durchführung eines Asylfolgeverfahrens
die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise das Vorliegen der
Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG
festzustellen. Zur Begründung berief er sich darauf, seine Mutter habe beim
Diakonischen Werk am 16.8.2012 wegen eines Schreibens des
Regierungspräsidiums vom 13.8.2012 vorgesprochen. Dabei habe sie von einem
Mitarbeiter erfahren, dass das VG Meiningen (8 K 20205/09) gestützt auf eine
Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 2.8.2010 und von amnesty international
vom 22.7.2010 entschieden habe, dass Eltern ohne Geburtserlaubnis geborener
unerlaubter Kinder in China bei Nichtzahlung hoher, mehrere Jahreseinkommen
umfassender Bußgelder Inhaftierung und Eigentumsbeschlagnahme drohe und
die Registrierung des Kindes mit der Folge verweigert werde, das ihnen deshalb
der Zugang zum Schulsystem und zur staatlichen Krankenversorgung verwehrt
werde. Die diskriminierende Anwendung solcher gesetzlicher, administrativer und
polizeilich/justizieller Maßnahmen stelle eine Verfolgungshandlung im Sinne von
Art. 9 Abs. 2 b der QRL (Qualifikationsrichtlinie) dar. Zumindest seien damit die
Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots erfüllt.
5 Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 10.9.2012 lehnte das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Durchführung eines weiteren
Asylverfahrens und auch den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom
24.10.2002 hinsichtlich der dort getroffenen negativen Feststellungen zu § 53 Abs.
1 - 6 AuslG ab.
6 Zur Begründung führte es aus, es fehle schon an einer schlüssigen Darlegung,
dass dem Kläger nunmehr asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung in
China drohe. Zwar drohe bei Verstößen gegen die Ein-Kind-Politik in China, der
zufolge nichteheliche Kinder unerlaubt seien, je nach Provinz und lokaler Praxis
eine Sanktionierung mit empfindlichen, zum Teil mehrere Jahresgehälter
umfassenden Geldbußen, bei deren Nichtzahlung das Kind nicht im
Haushaltsregister (Hukou) registriert werde, was es wiederum vom Schulbesuch,
Sozialleistungen und der staatlichen Krankenversorgung ausschließe. Die
Durchsetzung der staatlichen Familienplanungspolitik sei auch immer wieder mit
gravierenden Menschenrechtsverletzungen verbunden. So komme es zu
Zwangsabtreibungen in fortgeschrittenen Schwangerschaftsmonaten,
Zwangssterilisationen und zwangsweiser Entziehung von Kindern im Rahmen
illegaler Adoptionspraktiken. Darin könne aber letztlich keine politische Verfolgung
gesehen werden, weil diese Maßnahmen nicht an asylrelevante persönliche
Merkmale, wie etwa die religiöse oder politische Überzeugung oder Zugehörigkeit
zu einer ethnischen Minderheit, anknüpften, sondern das Ziel verfolgten, ein
weiteres Bevölkerungswachstum im bevölkerungsreichsten Land der Welt
einzudämmen und deshalb auch gleichermaßen allen chinesischen Staatsbürgern
gegenüber angewendet würden. Die Rigorosität, mit der diese Ziel verfolgt werde,
möge zwar in Deutschland befremdlich erscheinen und sei wohl mit dem
Grundgesetz nicht vereinbar, es sei aber nicht Aufgabe des Asylrechts, die
Ordnung des Grundgesetzes in anderen Staaten durchzusetzen. Ausreichende
Gründe für die Gewährung subsidiären Schutzes seien nicht dargelegt oder sonst
ersichtlich, so dass auch eine Abänderung der negativen Feststellungen zu
Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG im Wege des
Wiederaufgreifens nicht in Betracht komme.
7 Nachdem dieser Bescheid am 12.9.2012 als Einschreiben zur Post gegeben
wurde, (da der Bescheid erst vom 10.9.2012 stammt, kann der Abgangsvermerk
auf BAS 33 nicht zutreffen, wonach der Bescheid am 12.08.2012 zur Post
gegeben worden sei), hat der Kläger dagegen am 27.9.2012 Klage beim
Verwaltungsgericht erhoben.
8 Er verweist zur Begründung auf das Urteil des VG Meiningen (8 K 20205/09).
9 Der Kläger beantragt,
10 den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.9.2012
aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft
zuzuerkennen, hilfsweise: ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen, höchst
hilfsweise: die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass ein
Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG vorliegt.
11 Die Beklagte beantragt,
12 die Klage abzuweisen.
13 Sie verweist auf die Gründe des angefochtenen Bescheids.
14 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten (1 Heft
Gerichtsakten, 2 Hefte Behördenakten) und die den Beteiligten mitgeteilten
Erkenntnismittel verwiesen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gemacht wurden.
15 Im Termin zur mündlichen Verhandlung sind der Kläger und insbesondere seine
Mutter als gesetzliche Vertreterin angehört worden. Auf die hierzu angefertigte
Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
16 Die zulässige Klage ist bereits mit dem Hauptantrag begründet. Der angefochtene
Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat
Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 1 S. 1 und
Abs. 5 S. 1 VwGO).
17 Das Bundesamt ist (a) aufgrund des Folgeantrags des Klägers gem. § 71 Abs. 1 S.
1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG verpflichtet, ein weiteres Asylverfahren
durchzuführen und (b) dem Kläger in diesem Zusammenhang die
Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (§§ 1 Abs. 1 Nr. 2 , 3 Abs. 1 und Abs. 4
AsylVfG).
18 (a) Die Sach- und Rechtslage hat sich nämlich gegenüber der dem Erstbescheid
zugrundeliegenden Sach- und Rechtslage geändert. Die im Folgeantrag
genannten, vom VG Meiningen seiner Entscheidung zugrunde gelegten Auskünfte
des Auswärtigen Amtes bzw. von amnesty international vom 22.7. bzw. 2.8.2010
belegen die konkrete Praxis in China bezüglich der Anwendung des mit diesen
Sonderregelungen überhaupt erst zum 1.9.2002 in Kraft getretenen
„Bevölkerungs- und Familienplanungsgesetzes“ insbesondere auch hinsichtlich
der Bußgeld- und Registrierungspraxis, die womöglich eine andere Bewertung des
Asylgesuchs erfordern, als noch zur Zeit des Erstantrags, bei dessen Behandlung
diese Fragen seinerzeit weder vom Kläger noch etwa von Amts wegen vom
Bundesamt thematisiert worden waren.
19 Die Mutter des Klägers als dessen gesetzliche Vertreterin war auch ohne grobes
Verschulden außerstande, den Wiederaufgreifensgrund in dem früheren
Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen (§ 51 Abs. 2
VwVfG). Denn zu diesem Zeitpunkt mochte sie, weil sie noch Kontakt zum
Kindesvater hatte, noch die Hoffnung gehabt haben, den Kindsvater zu ehelichen
und so die Unehelichkeit des Klägers zu beenden. Von daher kann ihr nicht zum
Vorwurf gemacht werden, im Asylantrag für den Kläger die chinesische
Familienplanungspolitik, die unter anderem uneheliche Kinder betrifft, nicht als
Asylgrund geltend gemacht zu haben. Sie hat auch mit dem Folgeantrag, den sie
für den Kläger gestellt hat, die Drei-Monatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten.
Auch wenn die Entscheidung des VG Meiningen und die dort zitierten Auskünfte
schon aus den Jahren 2011 bzw. 2010 stammen, hat sie doch glaubhaft gemacht,
dass sie erst bei ihrer Vorsprache beim Diakonischen Werk am 16.8.2012 davon
Kenntnis erlangt hat. Gleich am 22.8.2012, also innerhalb der ab diesem Zeitpunkt
dann laufenden Dreimonatsfrist, hat sie dann den Folgeantrag für den Kläger
gestellt.
20 (b) Der mithin zu prüfende Folgeantrag ist auch begründet. Dem Kläger ist
Flüchtling im Sinne des Art. 1 A Ziff. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK -
Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951 - BGBl. 1953 II
S. 559, 560). Denn er befindet sich gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 a AsylVfG aus
begründeter Furcht vor einer Verfolgung wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe
der unter Verstoß gegen die Regelungen der chinesische Ein-Kind-Politik
geborenen chinesischen Kinder außerhalb seines Heimatstaates China, dessen
Schutz er wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Gemäß § 3 Abs. 4
AsylVfG ist ihm deshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
21 Nach wie vor gilt in China die sogenannte Ein-Kind-Politik, nämlich das oben
erwähnte „Bevölkerungs- und Familienplanungsgesetz“ vom 1.9.2002 (siehe AA
Lagebericht China v. 18.6.2013 - II. 1.8. S. 24). Danach darf eine Frau ein einziges
Kind bekommen und auch das nur, wenn sie - anders als hier die Mutter des
Klägers - verheiratet ist. Ein verheiratetes Paar muss insoweit eine bestimmte
Altersgrenze überschritten haben und vor der Geburt eine Geburtsgenehmigung
eingeholt haben, weil Männer erst mit 22 Jahren und Frauen erst mit 20 Jahren
heiraten dürfen (Art. 6 des chinesischen Heiratsgesetzes - siehe Refugee
Documentation Centre (Ireland) - Legal Aid Board - Auskunft v. 14.10.2011 - unter
www.ecoi.net und www.asyl.net -dort unter Länderinformationen/China).
22 Auch wenn in jüngster Zeit Rufe nach einer Abschaffung der Ein-Kind-Politik immer
lauter und drängender geworden sein mögen (siehe BayVGH, B. v. 9.9.2013 - 2
ZB 13.30255 - juris, Rdnr. 9 und VG Bayreuth, U. v. 2.7.2013 - B 3 K 13.30042 -
UAS. 5 unter Verweis auf DIE ZEIT-online http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-
10/China-ein-kind-politik-reform, wonach ein „regierungsnahes Forschungsinstitut“
in China die schrittweise Abschaffung dieser Politik bis 2015 „gefordert“ habe;
siehe insoweit auch www.zeit.de/wissen/2013-01/china-ein-kind-politik-studie -
schon vom 11.1.2013 - zu den negativen psycho-sozialen Auswirkungen der Ein-
Kind-Politik und Berichten chinesischer Medien, wonach die Regierung diese
„schrittweise abschaffen wolle“), bedeutet dies (noch) nicht, dass diese
Regelungen im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der heutigen mündlichen
Verhandlung (§ 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG) nicht mehr gelten, weil sie etwa oder
förmlich bzw. de-facto abgeschafft sind oder nicht mehr praktiziert würden (so auch
Amnesty international - Auskunft v. 15.1.2014 an VG Augsburg, wonach eine
Reform der Ein-Kind-Politik vom Dezember 2013 regelt, dass künftig Paare, bei
denen ein Partner Einzelkind ist, zwei Kinder haben können, ansonsten aber die
Geburtenkontrollpolitik nicht aufgehoben worden sei). Dafür, dass in allernächster
Zukunft diese Regelungen außer Kraft gesetzt würden, ist also kein Anhaltspunkt
vorhanden. Entsprechende Spekulationen zum Nachteil des Klägers verbietet sich
von daher.
23 Ausnahmen von der Ein-Kind-Regelung - die im vorliegenden Fall allerdings nicht
einschlägig sind - betreffen verheiratete Paare auf dem Lande, denen ein
Zweitkind zugestanden wird, wenn das erste Kind ein Mädchen ist (siehe AA
Lagebericht China v. 18.6.2013 - II. 1.8. S. 24; siehe zu speziellen
Ausnahmeregelungen der Familienplanungsvorschriften für verheiratete Paare und
obendrein für verheiratete Paare auf dem Land in der Provinz Fujian, aus der die
Klägerin stammt, die detailreichen Angeben in: Immigration and Refugee Board of
Canada, China - Family Planning Laws, v. 1.10.2012 - dort Ziff. 2.2.2 - unter
www.ecoin.net und unter www.asyl.net - Asylmagazin 12/2012 bzw. in
www.asyl.net unter Länderinformationen/China).
24 Die Geburtenkontrollpolitik gilt im Grundsatz auch für Chinesen, die im Ausland
leben und dort Kinder bekommen. Wer im Ausland als Kind chinesischer Eltern
geboren wird, ist nach Art. 5 des chinesischen Staatsangehörigkeitsgesetzes auch
chinesischer Staatsangehöriger, es sei denn die beiden Elternteile haben sich
dauerhaft im Ausland niedergelassen oder einer von ihnen hat eine ausländische
Staatsangehörigkeit angenommen. Informationen, dass dies bei nicht-ehelichen
Kindern und solchen, die unter Verstoß gegen die Geburtenkontrollreglungen
geboren wurden, finden sich insoweit nicht. Auch wenn es keine ausdrückliche
Regelung gibt, dass Auslandschinesen eine Geburtserlaubnis bei der
chinesischen Botschaft im Aufenthaltsstaat einholen müssen, ist doch die
dokumentierte Einholung eines Rates der nächstgelegenen Botschaft angezeigt,
da ein solcher Nachweis nach Rückkehr für die Haushaltsregistrierung (Hukou)
verlangt werden kann. Grundsätzlich können auch Auslandschinesen wegen einer
nach den genannten Regeln unerlaubten Geburt eines Kindes im Ausland zu einer
Bußgeldzahlung herangezogen werden (so Australian Refugee Review Tribunal,
Auskunft v. 18.11. 2010 - CHN37751 - S. 8 - Asylmagazin 12/2012 - unter
www.asyl.net und unter www.ecoi.net).
25 Sonderregelungen für Auslandsrückkehrer in der Provinz Fujian - aus der die
Mutter des Klägers stammt -, die sicherstellen, dass diese ihre im Ausland
außerhalb der Geburtenkontrollregelungen geborenen Kinder registrieren können
und dass diese auch sonst keine Nachteile erfahren, gibt es nicht (so jüngst
Amnesty International, Auskunft v. 15.1.2014 an VG Augsburg; siehe im Übrigen
BayVGH , B. v. 9.9.2013 - 2 ZB 13.30255 - juris, Rdnr. 10 und VG Arnsberg, U. v.
7-3.2013, wonach es in der Provinz Fujian eine Sonderregelung gebe, die einem
verheirateten Auslandsrückkehrpaar ein zweites Kind erlaube; das VG Bayreuth,
U. v. 2.7.2013 - B 3 K 13.30042 -, UA S. 9 verweist hierzu auf eine Auskunft von ai
an VG Trier vom 18.4.2011 wonach Auslandsrückkehrern in Fujinan ein zweites
Kind erlaubt sei- damit sind aber wohl im Grundsatz auch nur verheiratete Paare
gemeint). Aus anderen Auskünften ergibt sich auch nur, dass Auslandsrückkehrer
nur dann keine Sanktionen wegen Verstößen gegen die Geburtenkontrollpolitik
befürchten müssen, wenn - anders als im vorliegenden Fall der Mutter des Klägers
als abgelehnter Asylbewerberin ohne Ausbildung und Berufstätigkeit in
Deutschland - an ihrer Rückkehr wegen ihrer Ausbildung und Wirtschaftskraft ein
Interesse des chinesischen Staates besteht, bzw. eine Wiedereinreise nach China
Frauen nur im schwangeren Zustand erlauben, wenn das andere Kind permanent
im Ausland lebt (OVG Saarland, U. v. 20.10.1999 - 9 R 24/98 - UA S. 29 unter
Verweis auf Scharping, Auskunft v. 25.3.1999 an VG Leipzig; ferner ai, Auskunft v.
4.6.2002 an VG Köln und Auskunft v. 21.4.2011 an VG Trier, sowie Scharping,
Auskunft v. 28.10.1999 an VG Leipzig; siehe auch Australian Refugee Review
Tribunal, Auskunft v. 18.11. 2010 - CHN37751 - S. 1, 2 - Asylmagazin 12/2012 -
unter www.asyl.net und unter www.ecoi.net -, wonach Auslandschinesen nur bei
dauerhaftem Wohnsitz im Ausland bzw. nur dann nicht, wenn sie im Ausland
studiert haben, unter die Ein-Kind-Regelung fallen, also zwei Kinder haben dürfen,
wonach aber nicht eindeutig klar sei, dass dies auch für einzelne nicht-eheliche
unerlaubte „Schwarzkinder“ gelte; zu einer tatsächlich durchgeführten
Zwangssterilisierung einer aus dem Ausland in die Provinz Fujian mit zwei Kindern
zurückkehrenden Chinesin im Jahr 2010 - siehe ai- Auskunft v. 15.1.2014 an VG
Arnsberg).
26 Unterfällt nach allem der Kläger als das nichtehelich geborene Kind einer
(Auslands-) Chinesin den genannten Regeln, so stellt sich seine Geburt nicht nur
als formell unerlaubt, sondern als nicht genehmigungsfähig mit der Folge dar, dass
sie als solche auch nicht registriert wird.
27 Auch wenn das chinesische Gesetz selbst die Gleichstellung von ehelichen und
nicht-ehelichen Kindern ausdrücklich gebietet und Diskriminierung insoweit
eindeutig verbietet (Art. 19 des Heiratsgesetzes - siehe dazu Australian Refugee
Review Tribunal, Auskunft v. 18.11. 2010 - CHN37751 - S. 4 - Asylmagazin
12/2012 - unter www.asyl.net und unter www.ecoi.net), knüpfen doch die
Geburtenkontrollregelungen empfindliche Nachteile an den Umstand der
unerlaubten nichtehelichen Geburt:
28 Eine nichteheliche Mutter muss nämlich ein extrem hohes Bußgeld im Umfang von
vier bis sechs Jahresdurchschnittsgehältern zahlen (so zur Regelung in der
Provinz Fujian, aus der die Mutter des Klägers stammt Immigration and Refugee
Board of Canada, China - Family Planning Laws, v. 1.10.2012 - dort Ziff. 2.2.2 und
2.2. - unter www.ecoin.net und unter www.asyl.net - Asylmagazin 12/2012; ebenso
Australian Refugee Review Tribunal, Auskunft v. 18.11. 2010 - CHN37751 - S. 1, 2
- Asylmagazin 12/2012 - unter www.asyl.net und unter www.ecoi.net).
29 Dass die Mutter des Klägers ein solches exorbitantes Bußgeld sollte zahlen
können, kann nicht einfach unter Hinweis darauf unterstellt werden, sie habe ja
auch durch die damalige Finanzierung ihrer Ausreise und Einreise nach
Deutschland eine entsprechende Finanzkraft demonstriert (in diesem Sinne zu
einem solchen Fall aber . VG Bayreuth, U. v. 2.7.2013 - B 3 K 13.30042 -, UA S. 9;
ebenso VG Augsburg, U. v. 28.1.2014 - Au 2 K 13.30246 -juris, Rdnr. 39). Denn sie
ist hier schon 1999 nach Deutschland als junge Frau gekommen, lebt hier seitdem
als Asylbewerberin bzw. abgelehnte Asylbewerbern, hat sich nach ihren plausiblen
und glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung dem Heimatland China
völlig entfremdet hat und dort allenfalls noch telefonisch Kontakt zu ihren über 70
Jahre alten Eltern hat und zudem keinen Kontakt mehr zum (im Grundsatz wohl
auch nach chinesischem Familienrecht unterhaltsverpflichteten) Vater des Klägers.
Sie hat wegen ihrer fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
Prozesskostenhilfe im vorliegenden Verfahren bewilligt bekommen. Von daher
kann nicht davon ausgegangen werden, sie habe über die Jahre hinweg im
Umfang von mehreren tausend bis zigtausend Euro Ersparnisse anhäufen
können, aus denen sie nach einer Rückkehr in China die entsprechenden
Bußgelder werde zahlen und so die mit der Ein-Kind-Regelung verbundenen
Sanktionen werde abwenden können.
30 Wird das Bußgeld aber nicht gezahlt, so ist eine „Legalisierung“ des unerlaubt
geborenen Kindes nicht möglich mit der Folge, dass ohne die Geburtsregistrierung
dann auch keine Haushaltsregistrierung (sog. „hukou“) erfolgt, ohne die dann
wiederum ein solches „unerlaubtes Schwarzkind“ vom Recht auf Schulbesuch, auf
Teilhabe an sozialen Leistungen und von der staatlichen Gesundheitsversorgung
komplett ausgeschlossen wird (AA Lagebericht, China v. 18.6.2013 - II. 1.8. S. 25;
Australian Refugee Review Tribunal, Auskunft v. 18.11. 2010 - CHN37751 - S. 4 -
Asylmagazin 12/2012 - unter www.asyl.net und unter www.ecoi.net; Immigration
and Refugee Board of Canada, China - Family Planning Laws, v. 1.10.2012 - dort
Ziff. 3.4 - unter www.ecoin.net und unter www.asyl.net - Asylmagazin 12/2012).
31 Dass diese strengen Regelungen der Geburtenkontrolle im Zuge einer generellen
Lockerung in der Praxis etwa nicht mehr so streng gehandhabt würden, lässt sich
nicht feststellen. Nach alle oben zitierten sehr detaillierten Auskunftsquellen (siehe
ergänzend auch ACCORD, Auskunft v. 29.1.2009 zum Thema China/Frauen/Ein-
Kind-Politik; Rückkehr mit zwei Söhnen - unter www.ecoi.net) gilt - insbesondere
auch für die Provinz Fujian, die Heimatprovinz der Mutter des Klägers, dass dort
die Geburtenkontrollpolitik gegenüber alleinerziehenden, unverheirateten Müttern
unehelicher Kinder trotz womöglich phasenweiser Lockerungen nach wie vor
rigoros bis hin zum Einsatz von Mitteln wie Zwangssterilisierungen der Mütter,
Zwangsabtreibungen oder massivem Druck zur „freiwilligen“ Abtreibung
durchgesetzt wird. Auch wenn hier und da einzelne Beamte für solche nach
chinesischem Recht inzwischen illegalen Maßnahmen zur Rechenschaft gezogen
werden, kommt es doch nach allen vorliegenden Berichten „recht häufig [fairly
frequently]“ bzw. „immer wieder“ zu solchen Eingriffen und Sanktionen (gerade
jüngste Pressemeldungen zeigen deutlich, dass solche Eingriffe und Übergriffe in
China durchaus „an der Tagesordnung“ sind - vgl. etwa spiegel-online,
www.spiegel.de/politik/ausland vom 15.6.2012 und NZZ-online vom 15.7.2012
[www.nzz.ch/aktuell/ international/abtreibung-unter-zwang-1,17357004, wonach
jüngst in der Provinz Shanxi Funktionäre eine Zwangsabtreibung bei einer im 7.
Monat schwangeren 23 Jahr alten Chinesin vornahmen. Diesen Meldungen ist
auch zu entnehmen, dass in jüngster Zeit nicht nur mehrere Bericht über
Zwangsabtreibungen in China die dortige Öffentlichkeit erschütterten, sondern
dass insbesondere auch Ende April 2012 in der Provinz Fujian Beamte ein
ungeborenes Kind mit der Giftspritze töten ließen. Zwar wurde im Fall aus Shanxi
eine Entschädigung zugesprochen und der Beamte suspendiert, eine
strafrechtliche Aufarbeitung fehlte aber und das alles geschah auch nur auf Druck
der Medien, nachdem der Kindesvater, der protestierte hatte, von den Behörden
tagelang festgenommen worden war, und das von ihm im Internet veröffentlichte
Foto seiner Frau mit dem toten Fötus Fall hohe Wellen schlug, die auch die
chinesische Staatspropaganda nicht mehr ignorieren konnte. Auch der bekannte
blinde chinesische Menschenrechtsanwalt Chen Guangcheng, der Frauen vertrat,
die Opfer von Zwangsabtreibungen geworden war, und ihre Fälle zu Gericht
brachte, wurde wegen dieses Engagements zu vier Jahren Haft verurteilt, nach der
Haftzeit unter Hausarrest gestellt und wiederholt zusammengeschlagen, bis ihm
jüngst im April 2012 spektakulär die Flucht in die amerikanische Botschaft gelang,
von wo aus er schließlich in die USA ausreisen durfte
[http://de.wikipedia.org/wiki/Chen-Guangchen]).
32 Wenn aber schon solche Übergriffe auf die Mütter selbst demnach beachtlich
wahrscheinlich sind, dann kann davon ausgegangen werden, dass erst recht die
„bloßen“ Sanktionen einer Registrierungsverweigerung und die damit verbundenen
massiven rechtlichen und sozialen Nachteile für die Kinder beachtlich
wahrscheinlich sind. Davon geht nicht nur das Bundesamt im angegriffenen
Bescheid selbst aus, sondern das ergibt sich auch aus dem jüngsten Lagebericht
des Auswärtigen Amtes aus dem Jahr 2013.
33 Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der im Bundesgebiet aufgewachsene
Kläger, der zeit seines Lebens nichts anderes als seine deutsche Umgebung
gesehen hat, badischen Dialekt spricht, schulisch und sozial völlig in seinem
deutschen Umfeld integriert ist und als dreizehnjähriger Schüler bislang eine gute
Ausbildung genossen hat und nicht einmal wirklich gut Chinesisch sprechen kann,
geschweige denn die komplexe chinesische Schrift beherrscht, sondern - mangels
eines qualifizierten, grundlegenden Unterrichts, den auch seine Mutter nicht leisten
kann - nicht Chinesisch schreiben und lesen kann. Er würde daher bei Rückkehr
nach China seine schulische Bildung abbrechen müssen und sich ohne jede
soziale Absicherung, ohne abgeschlossene Ausbildung, ohne
Chinesischkenntnisse, ohne soziale Kontakte und vor allem mangels
Geburtsregistrierung und Hukou-Registrierung als - rechtlich betrachtet -
„Unperson“ bzw. „Nichtperson“ dort mit seiner Mutter durchschlagen müssen, ohne
dabei auf Hilfe zurückgreifen zu können, da er selbst und auch seine Mutter nach
so vielen Jahren im Ausland dort verständlicherweise außer den über 70-jährigen
Eltern/Großeltern keine Bezugsperson mehr haben. Insoweit würde er nur eine
Existenz unter den erbärmlichen Bedingungen fristen können, unter denen
heutzutage in vielen Städten Chinas viele vom Land illegal dort hingekommene
Wanderarbeiter leben müssen, die sich wie Sklavenarbeiter mit schlecht bezahlten
Arbeiten auf den großen Baustellen in den aufstrebenden Städten ohne jede
persönliche Rechte als Tagelöhner durchschlagen müssen.
34 In ihrer Kumulation stellten aber die auf diese Weise vom chinesischen Staat für
den Kläger als uneheliches Kind bewusst und gezielt verursachten Nachteile einen
Verfolgungseingriff mit dem Gewicht einer schweren Menschenrechtsverletzung
dar, wie sie vom Flüchtlingsbegriff vorausgesetzt wird (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr.
2, sowie Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 AsylVfG in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1a und Abs. 2
QRL [Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU]). Über bloße für sich genommen
unerhebliche Diskriminierungen gehen solche Folgen weit hinaus, da sie das
Leben des Betroffenen grundlegend entwerten. Insofern schließt sich das Gericht
der Auffassung des VG Meiningen und des VG Trier an (VG Meiningen, U. v.
6.4.2011 - 8 K 20205/09.Me, juris; VG Trier, U. v. 23.3.2011 - 5 K 442/10.TR- , juris
= InfAuslR 2011, 219 = Asylmagazin 7-8/2011, S. 243 und U. v. 11.7.2012 - 5 K
433/12.TR -, juris).
35 Die grundlegende Verweigerung einer Geburtsregistrierung und zusätzlich einer
Hukou-Registrierung, die im totalitär durchstrukturierten, bürokratisch
durchorganisierten chinesischen Staat Grundlage für alle weiteren
verwaltungsrechtlichen Rechtsanerkennungen (Umzug, Arbeit, Meldepflicht,
Krankenhausleistung, Schulbesuch, Personalausweis) ist (siehe AA, Auskunft v.
8.6.2006 an VG Braunschweig und v. 11.4.2011 an VG Köln), grenzt den
Betroffenen massiv aus der staatlich verfassten Friedensordnung aus, zwingt ihn
so in die Illegalität und verletzt das grundlegende Menschenrecht auf Teilhabe an
dieser gemeinschaftlichen Friedensordnung und auf Anerkennung als
Rechtsperson (Art. 6 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte - UN
Generalversammlung, Resolution 217/III v. 10.12.1948: Jedermann hat überall
Anspruch auf Anerkennung als Rechtsperson; Art. 16 Internationaler Pakt über
bürgerliche und private Rechte [IPbpR] v. 19.12.1966 - BGBl. 1973, II S. 1534:
Jedermann hat das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden, und Art. 24
Abs. 2 IPbpR: Jedes Kind muss unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register
eingetragen werden und einen Namen erhalten). Eine solche Ausgrenzung, wie
sie durch die Verweigerung von Geburtsregistrierung und Hukou-Registrierung
bewirkt wird, kommt somit in ihren verwaltungstechnischen Folgen einer
Ausbürgerung nahe, deren Charakter als Verfolgungseingriff von ausreichender
menschenrechtsverletzender Intensität anerkannt ist (BVerwG, U. v. 26.2.2009 - 10
C 50.07 - AuAS 2009, 175 = ZAR 2009,319 = BVerwGE 333,203).
36 Dass es nach Auskunft des Auswärtigen Amtes zeitweise möglich sein kann, auch
länger Behördenkontakt zu vermeiden und sich illegal in einer chinesischen Stadt
aufzuhalten, und dass auch gefälschte Unterlagen und Personalausweise in China
erhältlich sind (siehe AA, Auskunft v. 8.6.2006 an VG Braunschweig), ist dabei
unbeachtlich, denn ein Leben in der Illegalität darf flüchtlingsrechtlich niemandem
als Alternative zum Verfolgungsschutz angesonnen werden (so BVerwG, U. v.
1.2.2007 - 1 C 24.06 - AuAS 2007, 68 = juris zur Unzumutbarkeit einer
inländischen Fluchtalternative, wenn nur ein Leben in der Illegalität unter der
dauernder Gefahr polizeilicher Kontrollen und Strafsanktionen möglich ist).
37 Diese Verfolgungsmaßnahme in Form einer Rechtlosstellung knüpft auch an ein
flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal des Klägers an, nämlich an seine
uneheliche, unerlaubte Geburt, und damit an seine Zugehörigkeit zu der sozialen
„Gruppe der illegal geborenen nichtehelichen chinesischen Kinder“ (§§ 3 Abs. 1 Nr.
1, 3a Abs.3, 3b Abs. 1 Nr. 4a) und b). Diese Gruppe ist sozial klar definiert und
erkennbar und von der übrigen Gesellschaft abgrenzbar und wird von der
Bevölkerung auch als solche wahrgenommen. Die Anknüpfung der Sanktion an
die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe macht den Kläger gewissermaßen für sein So-
Sein haftbar, indem sie ihm wegen seines für ihn unabänderlichen, irreversiblen
und unvertretbaren Persönlichkeitsmerkmals seiner unehelichen Geburt Nachteile
bereitet. Damit macht ihn die Sanktion nicht für eigenes Verhalten verantwortlich,
sondern für das Verhalten Dritter, nämlich seiner Eltern, für das er naturgemäß
nichts kann. Das aber wiederum ist genauso willkürlich und diskriminierend, wie
eine an die Hautfarbe oder ethnische Volkszugehörigkeit anknüpfende Sanktion.
Der „Geburtsmakel“ der unehelichen Geburt ist dem Kläger angeboren.
Nichteheliche Kinder werden in China auch (i.S.d. § 3b Abs. 1 Nr. 4 b AsylVfG) von
der Gesellschaft auch als andersartig betrachtet, nämlich sozial stigmatisiert und
werden nach wie vor durch die insoweit mit tief verwurzelten Vorurteilen behaftete
chinesische Gesellschaft mit Mitleid und Verachtung betrachtet (so ausführlich mit
Quellenangaben Australian Refugee Review Tribunal, Auskunft v. 18.11. 2010 -
CHN37751 - S. 2 - 6 [Ziff. 2 A, B und Ziff. 3 sowie Ziff. 5] - Asylmagazin 12/2012 -
unter www.asyl.net und unter www.ecoi.net).
38 Dem lässt sich entgegen der im angefochtenen Bescheid aber auch in der
überwiegenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Ansicht
nicht entgegenhalten, bei diesen Sanktionen (gleich ob sie die nichtehelichen
Mütter mit Zwangsabtreibungen, bzw. die Mütter und Väter mit
Zwangssterilisationen oder -adoptionen oder aber die -unerlaubten, überflüssigen -
Kinder mit den dargestellten Formen der Rechtlosstellung treffen) handle es sich
nicht um eine Verfolgung, die an das Persönlichkeitsmerkmal der Zugehörigkeit zu
einer sozialen Gruppe anknüpfe. Die chinesische Geburtenkontrollpolitik und die
oben genannten gesetzlichen Regelungen des Bevölkerungs- und
Familienplanungsgesetzes allgemein, finde nämlich gleichermaßen und ohne jede
weitere Differenzierung auf alle chinesischen Staatsbürger Anwendung und dieses
allgemeine Gesetz verfolge insoweit eben gerade nicht das Ziel der
Diskriminierung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe (etwa einer
Minderheitengruppe wie der Tibeter oder Uiguren). Vielmehr ziele es lediglich
darauf ab, ganz allgemein die Geburtenrate aller Chinesen im Blick auf das
Bevölkerungswachstum in diesem sehr bevölkerungsreichen Land einzugrenzen,
um so soziale und wirtschaftliche Missstände zu vermeiden, die andernfalls mit
einer zunehmenden Überbevölkerung einhergingen (siehe dazu die
Rechtsprechungsübersicht bei VG Würzburg, B. v. 28.8.2013 - W 6 S 13.30278 -,
juris, Rdnr. 14; siehe auch die Rechtsprechungsnachweise der in diesem Sinne
urteilenden obergerichtlichen Rechtsprechung des BayVGH, des OVG NRW und
des NdsOVG bei VG Augsburg, U. v. 28. 1.2014 - Au 2 K 13.30246 -, juris, Rdnr.
36 und 37).
39 Diese Auffassung greift indessen zu kurz, weil sie lediglich das politische, für sich
genommen legitime Fernziel einer Kontrolle des Bevölkerungswachstums in den
Blick nimmt und sich dadurch den Blick auf die zur Erreichung dieses Ziels in
China angewendeten menschenrechtswidrigen Zwangsmethoden der
Ausgrenzung verstellt. Die Methoden der Kontrolle des Bevölkerungswachstums
beschränken sich nämlich gerade nicht auf menschenrechtlich unbedenkliche
Methoden wie Aufklärung, Bereitstellung von Mitteln zur Empfängnisverhütung,
Einführung von Rentenversicherungsmodellen um den Anreiz für möglichst viele
Kinder zu nehmen, Einführung von Bildung für Frauen, Modelle
finanzieller/steuerlicher Anreize bei geringer Kinderzahl etc. Vielmehr verletzen sie
das durch alle Menschenrechtspakte geschützte grundlegende Recht aller
Menschen, eine Familie zu gründen, nämlich Kinder zu haben, und dabei als freie
Menschen in eigener wirtschaftlicher und sozialer Verantwortung die Zahl ihrer
Kinder selbst zu bestimmen (siehe Art. 16 Nr. 1 S. 1 und Nr.3 AEMR, Art. 23 Abs. 1
und Abs. 2 des - auch von China gezeichneten - IPbpR, Art. 12 EMRK, Art. 6 GG).
Dieses grundsätzlich anerkannten Menschenrecht schützt das dem Menschsein
innewohnende Grundbedürfnis nach Reproduktion (ausführlich dazu Saona, „The
Protection of Reproductive Rights under International Law: The Bush
Administration´s Policy Shift and China´s Family Planning Activities“, Pacific Rim
Law & Policy Journal,. Volume 13 No.1, January 2004, page 229 [236, 239, 253,
254] - im internet unter google auffindbar; siehe ferner Mückl in: Merten/Papier
(Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, 2010, Bandd VI/1, Europäische Grundrechte,
§ 141 „Ehe und Familie“ -, S. 191 [196, 206, 208). Mit Zwangssterilisationen,
Zwangsadoptionen, Zwangsabtreibungen usw. wird die „Gruppe derjenigen
Chinesen getroffen, die dieses Menschenrecht auf Familiengründung und
Reproduktion ausüben“. Ihnen wird die (weitere) Ausübung dieses Grundrechts
schon biologisch-physisch unmöglich gemacht bzw. die Rechtsausübung wird
durch die Rechtlosstellung der in Ausübung des Grundrechts geborenen Kinder
sanktioniert, obwohl dieses Menschenrecht keinem spezifischen
Schrankenvorbehalt unterliegt, der solche Eingriffe rechtfertigen könnte (siehe
dazu Mückl, a.a.O. Handbuch der Grundrechte, S. 208, wonach etwa eine
Zwangssterilisation/Kastration nur in sehr engen Grenzen gerechtfertigt sein
könnte, etwa im Rahmen von § 1905 BGB oder zum Schutz der Allgemeinheit vor
gefährlichen Sexualverbrechern; siehe ferner General Comment des Ausschusses
für Menschenrechte zum IPbpR, Nr. 19 [39] zu Art. 23 IPbpR vom 24.7.1990 -
Unterziffer 2 und 4, sowie insbes. 5, wonach eine Politik der Familienplanung mit
den Bestimmungen des Paktes verträglich und insbesondere weder
diskriminierend „noch zwangsmäßig“ sein darf; beide Quellen im internet unter
google auffindbar). Mit anderen Worten, die Ein-Kind-Politik knüpft an das So-Sein,
nämlich an das „Eltern-Sein“ an bzw. an ein Verhalten an, auf das zu verzichten
dem Einzelnen deswegen nicht zugemutet werden kann, weil es sich um ein
menschenrechtlich geschütztes Verhalten handelt, er sich also so verhalten darf.
Die Verfolgung steht damit der Verfolgung in Anknüpfung an eine politische oder
religiöse Überzeugung oder an eine sexuelle Orientierung und Präferenz gleich,
bei der es nicht um ein angeborenes Merkmal geht, sondern darum, dass das
Haben-Dürfen und Äußern-Dürfen einer solchen Überzeugung oder Präferenz als
menschenrechtlich geschütztes Verhalten rechtlich keinen tauglichen
Anknüpfungspunkt für Sanktionen darstellen darf. Gibt es aber insoweit keinen
solchen legitimationskräftigen Anknüpfungspunkt, so stellt es eine Diskriminierung
dar, gleichwohl daran anzuknüpfen. Vor einer Verletzung des
Diskriminierungsverbots schützt aber der Flüchtlingsbegriff mit seiner Aufzählung
insoweit nicht legitimationskräftiger persönlicher Merkmale, an die Verfolgung nicht
anknüpfen darf (zum Schutz des So-Seins und So-Sein-Dürfens als Kern des
Verfolgungsmerkmals der sozialen Gruppenzugehörigkeit und zu dem dabei
anzuwendenden internationalen Menschenrechtsstandard als Maßstab: GK-
AufenthG, II - § 60 AufenthG, Rdnr. 18). Wie bei allen flüchtlingsrechtlich relevanten
Verfolgungen geht es auch bei der Ein-Kind-Politik letzten Endes um die
Unterdrückung von menschenrechtlich grundlegend geschützten
Lebensäußerungen, nämlich hier eine Familie zu gründen und Nachwuchs zu
zeugen.
40 Insofern knüpft auch die Ein-Kind-Politik mit ihrem Übergriff auf das Menschsein
selbst, zu dem auch das Familie- und Elternsein zählt, an ein „Merkmal“, das „so
bedeutsam für die Identität“ als Mensch ist, dass der Betroffene (rechtlich
betrachtet) „nicht gezwungen werden sollte, darauf zu verzichten“. Damit stellt sie
im Sinne von § 3 b Abs. 1 Nr. 4 a) AsylVfG eine Verfolgung in Anknüpfung an die
Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe dar.
41 Daran ändert es nichts, dass selbstverständlich das Verfolgungsmerkmal eine
Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe nicht schon dann vorliegt, wenn die
alleinige Gemeinsamkeit der Gruppe darin besteht, dass die Gruppenmitglieder
gegen ein Gesetz verstoßen und deshalb sanktioniert werden (dazu GK-AufenthG,
II- § 60 AufenthG, Rdnr. 171), dass also beispielweise die Ahndung von
Trunkenheitsfahrten im Straßenverkehr natürlich nicht eine Verfolgung wegen
Zugehörigkeit zur „Gruppe der das Alkoholverbot im Straßenverkehr
missachtenden“ Menschen darstellt. Denn das Fahren unter Alkohol stellt - im
Unterschied zur Gründung einer Familie und zum Kinderhabendürfen - eben keine
rechtlich Ausübung eines anerkannten grundlegenden Menschenrechts dar,
sondern allenfalls eine Ausübung der allgemeinen Handlungsfreiheit, auf die im
konkreten Fall zu verzichten schon wegen der Gefahren für die Menschenrechte
Dritter dem Betreffenden wegen der entsprechenden Schrankenvorbehalte ohne
weiteres rechtlich zugemutet werden kann (so knüpft etwa auch die strafrechtliche
Sanktionierung der Pädophilie nicht an das Merkmal der Zugehörigkeit zur Gruppe
der Pädophilen an, sondern an deren menschenrechtlich nicht geschütztes,
sondern vielmehr Grundrechte Dritter verletzendes rechtswidriges Verhalten -
siehe GK-AufenthG, II - § 60 AufenthG, Rdnr. 184; siehe auch § 3 b Abs. 1 nr. 4 b)
AsylVfG: „Eine soziale Gruppe kann auch eine sein, die sich auf das gemeinsame
Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem
Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter“).
42 Für die Richtigkeit dieser Ansicht spricht, dass mit eben dieser Begründung von
den Gerichten anderer Aufnahmestaaten, wie etwa Kanada oder USA, die
chinesische Ein-Kind-Politik mit ihren Sanktionen als flüchtlingsrechtlich relevante
Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe durchaus anerkannt
wird (siehe dazu die Fundstellennachweise in GK-AufenthG, II - § 60 AufenthG,
Rdnr. 197; siehe auch die ausführlichen juristischen Erwägungen zum - bejahten -
Merkmal der Verfolgung wegen sozialer Gruppenzugehörigkeit im Urteil des
Supreme Court of Canada, Judgment v. 10.10.1995 - [1995] - 3 SCR 593 - Chan./.
Canada , unter http://scc-csc.lexum.com/scc-csc/scc-csc/en/item/1299/indes.do -
dort insbes. Rdnrn. 50, 82, 88).
43 Diejenigen deutschen Verwaltungsgerichte, welche die chinesische Ein-Kind-
Politik auch als flüchtlingsrelevante Verfolgung einstufen, haben dies ohne lange
Diskussion getan und als geradezu selbstverständlich angenommen, dass eine
Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe, der „von den Exzessen
der Familienplanungspolitik in China spezifisch betroffenen Frauen“ (so VG
Bremen, U. v. 5.6.2012 - 6 K 3664/07.A -, juris Rdnr. 21) vorliegt, bzw. eine
Zwangssterilisation als zweifelsfrei „geschlechtsspezifische Verfolgung der
sozialen Gruppe der Frauen“ eingestuft (so VG Trier, U. v. 23.3.2011 - 5 K
442/10.TR -, juris Rdnr. 18) bzw. ganz generell darin eine „diskriminierende“
justizielle/administrative Maßnahme gesehen (VG Meiningen, U. v. 6.4.2011 - 8 K
20205/09 Me-, juris). Schließlich behandelt auch der Lagebericht des Auswärtigen
Amtes die chinesische Ein-Kind-Politik wie selbstverständlich und ohne weitere
Begründung unter der Überschrift „geschlechtsspezifische Verfolgung“.
44 Soweit das Bundesamt im angefochtenen Bescheid schließlich die Ansicht vertritt,
die chinesische Ein-Kind-Politik sei zwar befremdlich und mit dem Standard des
Grundgesetzes unvereinbar, es sei aber nicht Aufgabe des Asylrechts, die
Ordnung des Grundgesetzes in anderen Staaten durchzusetzen, weshalb die
chinesische Ein-Kind-Politik keine flüchtlingsrechtlich anzuerkennende Verfolgung
darstelle, stellt dies kein durchgreifendes Gegenargument gegen die oben
dargelegte Ansicht dar. Denn Aufgabe des Asylrechts bzw. Flüchtlingsrechts ist es
ohnehin nicht, eine bestimmte Rechtsordnung anderen Staaten „aufzuzwingen“
oder sie dort „durchzusetzen“, sondern lediglich einem Menschen, der in einem
anderen Staat nach den Maßstäben international anerkannter
Menschenrechtsstandards nicht mehr leben kann, weil er dort durch eine
grundlegende Menschenrechte schwerwiegend verletzende Verfolgung - wie hier
die Ein-Kind-Politik - aus der staatlich verfassten Friedensordnung ausgegrenzt
und zur Flucht getrieben wird, eine neue Heimat durch Aufnahme in die staatliche
Friedensordnung des Aufnahmestaates zu gewähren (so auch das BVerwG in der
vom Bundesamt insoweit nur unvollständig zitierten Entscheidung U. v. 18.2.1986 -
9 c 104/85 -, juris Rdnr. 21 = InfAuslR 86, 189; dazu, dass damit keine
„Diskriminierung fremder Rechtsordnungen“ verbunden ist und dass
begriffsnotwendig zwischen dem Aufnahmestaat und dem Verfolgerstaat nach
dem Konzept des Asylrechts ein Unterschied in den rechtlich respektierten
Maßstäben besteht: GK-AufenthG, II - § 60 AufenthG, Rdnr. 185 und GK-AuslG, §
53 AuslG (a.F.), Rdnrn. 97 und 98 m.w.Nw.; siehe auch Art. 14 Nr. 1 AEMR,
wonach es das Recht eines Menschenrecht ist, in anderen Ländern vor
Verfolgungen Asyl zu suchen und zu genießen, was wiederum bedeutet, dass die
Asylgewährung dem Verfolgerstaat gegenüber gerade kein völkerrechtswidriger
Akt der Einmischung in seine Personalhoheit darstellt).
45 Die Kostenentscheidung folgt aus §3 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG.