Urteil des VG Freiburg vom 26.01.2016

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VG Freiburg Beschluß vom 26.1.2016, A 5 K 2597/15
einstweilige Anordnung - Beschleunigung des Asylverfahrens
Leitsätze
Einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung des Inhalts, dem Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge aufzugeben, einen früheren Termin zur Aufnahme eines
förmlichen Asylantrags zu vergeben (oder sonst das Asylverfahren beschleunigt zu
betreiben), steht § 44a i.V.m. § 75 VwGO entgegen.
Tenor
Die Anträge werden abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens.
Gründe
I.
1 Die Antragsteller erstreben eine Beschleunigung ihrer Asylverfahren.
2 Die Antragsteller, afghanische Staatsangehörige, reisten mit ihren drei in den
Jahren 2000, 2010 und 2012 geborenen Kindern im September 2015 in die
Bundesrepublik Deutschland ein. Am 29.09.2015 wurden sie in der
Bedarfserstaufnahmestelle Heidelberg („Patrick-Henry-Village“) untergebracht. Am
1.10.2015 wurden sie dort ärztlich untersucht. Am gleichen Tag wurden sie
erkennungsdienstlich behandelt. Ebenfalls am 01.10.2015 erhielten sie eine
Mitteilung ausgehändigt, dass das Asylverfahren nicht in der Aufnahmeeinrichtung
stattfinde, sondern in der für sie zuständigen Außenstelle des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge in Karlsruhe. Dort sollten Sie sich am 06.04.2016
persönlich melden. Am 26.10.2015 wurden sie in die Bedarfserstaufnahmestelle
Freiburg aufgenommen. Wahrscheinlich sind sie in der Zwischenzeit einer
Gemeinde zugeteilt worden.
3 Am 11.11.2015 haben die Antragsteller beantragt, das Land Baden-Württemberg
(Regierungspräsidium Karlsruhe), hilfsweise die Bundesrepublik Deutschland
(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) zu verpflichten, „den bereits bei der
Einreise nach Deutschland erkennbar formulierten Asylantrag anzunehmen,
binnen kurzer Frist zu entscheiden und den Klägern ein Aufenthaltsrecht zu
erteilen“.
4 Die Kammer hat im unterstellten Einverständnis der Beteiligten allein die
Bundesrepublik Deutschland als Antragsgegnerin eingetragen und die
Landeserstaufnahmestelle Karlsruhe gebeten, zu dieser Verfahrensweise Stellung
zu nehmen. Die Antragsgegnerin hat am 09.12.2015 vorgetragen, sie sei für die
geltend gemachten Ansprüche nicht zuständig (fehlende Passivlegitimation). Die
Landeserstaufnahmestelle Karlsruhe hat sich nicht geäußert.
II.
5 Die Anträge sind bereits nicht zulässig und wären auch nicht begründet.
6 1. Allerdings ist die Bundesrepublik Deutschland entgegen der Auffassung der
Antragsgegnerin für die Anträge passiv legitimiert (vgl. VG Hannover, Beschl. v.
30.12.2015 - 6 B 6186/15 - juris). Dabei geht die Kammer davon aus, dass die
Antragsteller nicht etwa eine Weiterleitung ihrer spätestens in der
Bedarfserstaufnahmestelle gestellten (materiellen) Asylanträge (vgl. § 13 Abs. 1
AsylG) erstreben. Denn diese hat bereits stattgefunden. Das folgt aus der Vergabe
des Termins zur Stellung des förmlichen Asylantrags beim Bundesamt.
Dementsprechend führt das Bundesamt für die Antragsteller bereits eine Akte, wie
sich der Antragserwiderung entnehmen lässt. Für die hier erstrebte förmliche
Aufnahme eines Asylantrags bei der zuständigen Außenstelle des Bundesamts
(und die nachfolgende Bestimmung eines Anhörungstermins) ist bei
Asylbewerbern, die einer Aufnahmeeinrichtung zugewiesen sind, dagegen allein
diese Außenstelle zuständig (§ 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG). An dieser Zuständigkeit
ändert nichts, dass derzeit die Aufnahmestellen des Landes die Termine für die
Aufnahme eines förmlichen Asylantrags - aufgrund einer Verwaltungsabsprache
mit dem Bundesamt - vergeben. Soweit die Antragsteller darüber hinaus bereits
eine Entscheidung in der Sache durch das Bundesamt binnen kurzer Frist und
überdies die Stattgabe der Anträge erstreben (in diesem Sinne versteht die
Kammer das Begehren, den Antragstellern ein Aufenthaltsrecht zu erteilen), obliegt
dies erst Recht allein dem Bundesamt.
7 2. Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller ist nicht unter dem Gesichtspunkt
zweifelhaft, dass sich das Begehren der Antragsteller zwischenzeitlich erledigt
haben könnte. Die Kammer hat insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass die
Asylverfahren der Antragsteller nun doch beschleunigt bearbeitet worden wären,
so dass sich ihr Rechtsschutzbegehren erledigt hätte. Aus anderen Verfahren ist
bekannt, dass das Bundesamt selbst Asylanträge afghanischer Staatangehöriger
aus dem Jahr 2013 noch nicht beschieden hat. Auch sind, entgegen von
Ankündigungen im politischen Raum, Verfahren afghanischer Staatsangehöriger
bislang wohl nicht „priorisiert“ worden. Eine entsprechende Nachfrage für den hier
zu entscheidenden Fall hielt die Kammer wegen der fortdauernden Überlastung
des Bundesamts und der Aufnahmestellen für wenig aussichtsreich.
8 3. Der Zulässigkeit der Anträge steht aber 44a Satz 1 VwGO entgegen. Nach
dieser Vorschrift können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen
nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen
geltend gemacht werden. Diese Vorschrift - gleich ob als besondere Ausformung
des Rechtsschutzbedürfnisses oder als besondere Zulässigkeitsvoraussetzung
verstanden - schließt eine isolierte Geltendmachung von Verfahrenshandlungen in
einem laufenden Verwaltungsverfahren aus, wobei es dabei auf die Rechtsnatur
der Verfahrenshandlung grundsätzlich nicht ankommt. Verfahrenshandlungen in
diesem Sinne sind solche, die der Vorbereitung der in dem Verwaltungsverfahren
beabsichtigten Sachentscheidung dienen. Zweck der Vorschrift ist es, eine
Erschwerung des Verwaltungsverfahrens zu verhindern; sie gibt in Bezug auf
solche Verfahrenshandlungen der Effektivität des Verwaltungshandelns Vorrang
vor der jederzeitigen Sicherung eines korrekten Verfahrensablaufs. Sofern es dem
Betroffenen möglich ist, eine etwaige Rechtsverletzung zumutbar im Rahmen des
Angriffs auf die Sachentscheidung inzident anzubringen, verlangt § 44a VwGO
eben dies. Aus dem Spannungsverhältnis zwischen § 44a VwGO und dem
grundgesetzlich gesicherten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19
Abs. 4 GG folgt eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift nur in
Fällen, in denen ein effektiver Rechtsschutz in Bezug auf die streitbefangene
Verfahrenshandlung nicht mehr bei der das Verwaltungsverfahren abschließenden
Sachentscheidung erreicht werden kann und der Betroffene dadurch unmittelbar in
eigenen, nicht notwendigerweise grundrechtlich fundierten Rechten verletzt wird
(vgl., zu § 24 Abs. 4 AsylG, VGH Bad.-Württ., Urt. v. 01.12.2015 - A 11 S 490/15 -
juris, Rdnr. 17, 18, m.w.N.).
9 § 44a Satz 1 VwGO ist hier anwendbar. Er gilt auch für Unterlassungen von
Verfahrenshandlungen (vgl. auch Stelkens, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, §
44a Rdnr. 14 m.w.N.). Effektiver Rechtsschutz dürfte in Fällen der vorliegenden Art
keine umgehende Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Aufnahme eines
förmlichen Asylantrags gebieten. Vielmehr kann der Asylantragsteller im Wege der
sogenannten Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) effektiven Rechtsschutz umfassend
in einem auf die Verpflichtung zur Gewährung internationalen Schutzes gerichteten
Hauptsacheverfahren erreichen (aus OVG Saarland, Beschl. v. 30.09.1991 - 3 W
37/91 - NVwZ-RR 1992, 382 ergibt sich nichts Anderes, denn dort ging es um die
Verpflichtung des Landes, einen nach altem Recht bei einer Landesbehörde
gestellten Asylfolgeantrag an das Bundesamt weiterzuleiten). Insoweit ist von
Folgendem auszugehen:
10 § 75 VwGO lässt, abweichend von § 68 VwGO, eine Klage u.a. dann zu, wenn
über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund
in angemessener Frist nicht entschieden worden ist. Dabei hängt in Fällen wie dem
vorliegenden die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage nicht davon ab, ob ein
Asylantrag beim Bundesamt bereits förmlich gestellt ist. Vielmehr reicht es aus,
dass ein - egal bei welcher öffentlicher Stelle angebrachter - Asylantrag überhaupt
vorliegt (§ 13 AsylG) und dieser, was hier nicht zweifelhaft ist, der Antragsgegnerin
bekannt geworden ist.
11 Würden die Antragsteller Untätigkeitsklage erheben, würde das Gericht das
Verfahren allerdings voraussichtlich gemäß § 75 Satz 3 VwGO aussetzen, weil ein
zureichender Grund dafür vorliegen dürfte, dass die Anträge der Antragsteller vom
Bundesamt noch nicht weiter bearbeitet worden bzw. gar beschieden sind. Bei der
Bemessung der Aussetzungsfrist würde die Kammer wohl u.a. die unbestreitbare
vorübergehende Überlastung des Bundesamts, den Mangel an Dolmetschern, die
Berechtigung des Bundesamts für „Priorisierungen“ bestimmter Gruppen von
Antragstellern berücksichtigen, möglicherweise auch etwa, dass die Antragsteller
mit drei Kindern zu einer Gruppe gehören, bei der die Bearbeitung der Asylanträge
aus naheliegenden und nach Kenntnis der Kammer auch vom Bundesamt nicht
selten berücksichtigten Gründen möglichst vorgezogen werden sollte. Für die
Frage der Aussetzung überhaupt und der Bemessung der Aussetzungsfrist wäre
auch erheblich, wann die Asylanträge gestellt wurden (vgl., eine Aussetzung des
gerichtlichen Verfahrens bei schon im Jahr 2013 gestellten Asylanträgen
ablehnend, VG Freiburg, Urt. v. 23.09.2015 - A 1 K 2278/14).
12 Eine Effektivität des auf diese Weise gewährten Rechtsschutzes lässt sich wohl
nicht mit der Erwägung verneinen, hieraus ergäben sich eher weitere
Verzögerungen, weil die Verwaltungsgerichte mangels erfolgter Anhörung der
Asylbewerber durch das Bundesamt nicht „durchentscheiden“ dürften. Denn die
Verwaltungsgericht sind auch nach Auffassung der Kammer in diesen Fällen zu
einer Entscheidung in der Sache verpflichtet (so schon VG Freiburg, Urt. v.
23.09.2015 - A 1 K 2278/14 -; a.A. VG Hannover, Beschl. v. 11.01.2016 - 7 A
5037/15 -; VG Osnabrück, Urt. v. 14.10.2015 - 5 A 390/15; VG Gelsenkirchen, GB.
v. 22.07.2015 - 1a K 5125/14.A, alle juris).
13 4. Im Übrigen wären die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch
nicht begründet. Die Antragsteller hätten einen Anordnungsanspruch nicht
glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO). Denn ein
solcher Verfahrensbeschleunigungsanspruch ist in Literatur und Rechtsprechung
umstritten und allenfalls in Ausnahmefällen anerkannt (vgl. Kallerhoff, in:
Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., § 24 Rdnr. 70 ff. m.w.N.). Zwar könnte ein
solcher Anspruch unionsrechtlich verstärkt oder gar begründet werden. Hinsichtlich
der förmlichen Aufnahme eines Asylantrags durch das Bundesamt wäre insoweit
nur Art. 6 Abs. 2 RL 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) einschlägig, welcher
gebietet, dass eine Person, die einen Antrag auf materiellen Schutz gestellt hat (als
solche registriert ist), die Möglichkeit hat, diesen sobald wie möglich förmlich zu
stellen. Sofern daraus aber überhaupt ein Anspruch des Betroffenen erwachsen
könnte (ablehnend VG Hannover, Beschl. v. 30.12.2015 - 6 B 6186/15 - juris), wäre
er unter den gegebenen Verhältnissen aber jedenfalls aus den bereits
angesprochenen Gründen darauf beschränkt, dass ein förmlicher Antrag nur
sobald wie möglich aufgenommen werden müsste (so im Ergebnis auch VG Schl.-
Holst., Beschl. v. 25.11.2015 - 12 B 88/15 - juris). Insoweit müsste auch
berücksichtigt werden, dass eine Bevorzugung des Anliegens der Antragsteller bei
den gegebenen beschränkten und nicht ohne Weiteres sofort zu erweiternden
Kapazitäten des Bundesamts eine Zurückstellung der ebenfalls berechtigten
Anliegen anderer Asylbewerber zur Folge hätte.
14 5. Aus den gleichen Gründen sind die weitergehenden Anträge unzulässig und
wären sie ggf. auch unbegründet, soweit die Antragsteller eine Verpflichtung der
Antragsgegnerin zu einem beschleunigten Erlass einer Sachentscheidung
begehren. Soweit sie gar im Wege der einstweiligen Anordnung eine Stattgabe
ihrer Asylanträge begehren, ist eine solche Entscheidung grundsätzlich dem
Hauptsacheverfahren vorbehalten.
15 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 159 Satz 1 VwGO mit § 100
Abs. 1 ZPO und § 83b AsylG.
16 Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).