Urteil des VG Freiburg vom 24.04.2014

angemessene frist, freiwillige leistung, rechtskraft, erlass

VG Freiburg Beschluß vom 24.4.2014, A 4 K 807/14
Zur Frage der Frist für die Stellung eines Vollstreckungsantrages für die
Vollstreckung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils
Leitsätze
Zur Erforderlichkeit einer Vollstreckungsklausel für die Vollstreckung eines
Verpflichtungs-urteils nach § 172 VwGO (hier offen gelassen).
Dem Vollstreckungsschuldner muss Gelegenheit gegeben werden, die Vollstreckung
eines Verpflichtungsurteils durch freiwillige Leistung abzuwenden. Hierzu muss ihm
eine angemessene Frist eingeräumt werden, deren Länge sich nach den Umständen
des Einzelfalls richtet.
In Fällen der Vollstreckung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils beginnt die
(Erfüllungs)Frist frühestens mit der Kenntnis des Vollstreckungsschuldners von der
Rechtskraft und damit der Vollstreckbarkeit des Urteils zu laufen, in der Praxis
regelmäßig erst mit Rückgabe der Akten durch das Gericht an die
Verwaltungsbehörde.
Für die Frage der Zulässigkeit eines Vollstreckungsantrags kommt es auf den
Zeitpunkt der Antragstellung beim Gericht und nicht auf spätere Zeitpunkte an (in
denen sich dieser Antrag durch Erlass bzw. Bekanntgabe des begehrten Bescheids u.
U. erledigt hat).
Eine Frist von etwas mehr als zwei Wochen seit dem Zugang der
Rechtskraftmitteilung für den Erlass eines Bescheids über die Flüchtlingsanerkennung
(in Erfüllung eines Verpflichtungsurteils) ist zu Beginn des Jahres 2014 angesichts des
enormen Anstiegs an Asylbewerbern und der damit verbundenen Überlastung des
Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2013 und Anfang 2014
unangemessen kurz.
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt.
Der Vollstreckungsgläubiger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
1 Die Entscheidungen ergehen gemäß § 87a Abs. 1 Nrn. 3 und 5 und Abs. 3 VwGO
durch den Berichterstatter anstelle der Kammer.
2 Nachdem der Vollstreckungsgläubiger in dem am 23.04.2014 beim Gericht
eingegangenen Schreiben seines Prozessbevollmächtigten (ohne Datum) den
Rechtsstreit ausdrücklich in der Hauptsache für erledigt erklärt hat und die
Vollstreckungsschuldnerin eine solche Erklärung im Schreiben vom 16.04.2014
zumindest konkludent abgegeben hat, ist das Verfahren in entsprechender
Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
3 Nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO muss das Gericht - unter Berücksichtigung des
bisherigen Sach- und Streitstands - nach billigem Ermessen über die Kosten des
Verfahrens entscheiden (zur Anwendbarkeit des § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch
in Vollstreckungsverfahren nach den §§ 167 ff. VwGO siehe Kopp/Schenke,
VwGO, 19. Aufl. 2013, § 161 RdNr. 8 und § 170 RdNr. 2, m.w.N.; VGH Bad.-Württ.,
Beschluss vom 16.02.1989, Die Justiz 1989, 445, m.w.N.; ebenso VG Freiburg,
Beschluss vom 23.06.2009 - 4 K 666/09 -, m.w.N.).
4 Billigem Ermessen entspricht es hier, dem Vollstreckungsgläubiger die Kosten des
Verfahrens aufzuerlegen, weil sein Antrag auf Vollstreckung des der (Asyl-)Klage
des Vollstreckungsgläubigers (zum Teil) stattgebenden Urteils des
Verwaltungsgerichts Freiburg vom 29.01.2014 - A 4 K 725/13 - (noch) unzulässig
war.
5 Dabei kann es hier dahingestellt bleiben, ob der Vollstreckungsantrag bereits
deshalb unzulässig war, weil das dem Vollstreckungsschuldner zugestellte Urteil
nicht mit einer Vollstreckungsklausel versehen war, wie das nach den §§ 167 Abs.
1 Satz 1 VwGO und 725 ZPO an sich vorgeschrieben ist, da die Vorschrift des §
171 VwGO über die Entbehrlichkeit einer Vollstreckungsklausel für die Fälle der
Vollstreckung von Verpflichtungsurteilen - wie hier - gemäß § 172 VwGO, der einer
Anwendung von § 170 VwGO vorgeht (vgl. hierzu vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., §
170 RdNr. 1), ausdrücklich nicht gilt (vgl. zum Meinungsstreit hierzu u. a.
Kopp/Schenke, a.a.O., § 171 RdNr. 1, m.w.N.; zu den beachtlichen Argumenten für
die Entbehrlichkeit einer Vollstreckungsklausel [auch] in Fällen der Vollstreckung
nach § 172 VwGO siehe Funke-Kaiser, in: Quaas/Zuck, Prozesse in
Verwaltungssachen, 2. Aufl. 2011, § 3 RdNr. 859, m.w.N.).
6 Denn in jedem Fall ist der vom Vollstreckungsgläubiger beim Gericht gestellte
Vollstreckungsantrag verfrüht gewesen. Damit fehlte dem Vollstreckungsgläubiger
das Rechtsschutzinteresse für die Stellung eines solchen Antrags (Heckmann, in:
Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 172 RdNr. 58). Zwar ist die Frage, wann ein
Vollstreckungsgläubiger berechtigt ist, einen Antrag auf Vollstreckung eines
verwaltungsgerichtlichen Urteils zu stellen, im Gesetz, insbesondere in den §§ 167
ff. VwGO, nicht geregelt. Soweit in § 170 Abs. 2 Satz 2 VwGO eine Frist von einem
Monat bestimmt ist, scheidet eine Anwendung dieser Vorschrift schon deshalb
aus, weil § 170 VwGO in Fällen der Vollstreckung eines Verpflichtungsurteils durch
§ 172 VwGO verdrängt wird (siehe oben); hinzu kommt, dass § 170 Abs. 2 Satz 2
VwGO nicht die Frage der Stellung eines Vollstreckungsantrags durch den
Vollstreckungsgläubiger betrifft, sondern die vom Gericht nach Stellung eines
solchen Antrags dem Vollstreckungsschuldner einzuräumende Frist zur
Abwendung einer Vollstreckungsverfügung. Auch auf die Vier-Wochen-Frist in §
882a ZPO kann nicht abgestellt werden, da diese Vorschrift im Bereich der
Verwaltungsgerichtsbarkeit generell keine Anwendung findet (Bayer. VGH,
Beschluss vom 02.03.2004, BayVBl 2004, 571, m.w.N.; VG Cottbus, Beschluss
vom 01.02.2010 - 6 M 15/09 -, juris, m.w.N.; ebenso für den Bereich der FGO FG
Hamburg, Beschluss vom 02.05.2007 - 4 K 12/07 -, juris, m.w.N.) und
insbesondere die Vollstreckung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht von
der vorherigen Anzeige der Vollstreckungsabsicht durch den
Vollstreckungsgläubiger abhängt; darüber hinaus geht es hier nicht um die in §
882a ZPO allein geregelte Vollstreckung wegen einer Geldforderung. Ebenso
wenig kann auf die Drei-Monats-Frist in § 75 VwGO abgestellt werden, weil die
Erfüllung eines Vollstreckungstitels durch eine Behörde in der Regel weit weniger
Aufwand erfordert als die Durchführung eines ordnungsgemäßen Verwaltungs-
oder Widerspruchsverfahrens (Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl. 2004, § 172
RdNr. 4).
7 Ungeachtet fehlender gesetzlicher Regelungen ist es jedoch in der
Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass dem Vollstreckungschuldner
Gelegenheit zu geben ist, die Vollstreckung durch freiwillige Leistung abzuwenden,
und dass der Vollstreckungsgläubiger ihm hierzu eine angemessene Frist
einräumen muss, deren Länge sich nach den Umständen des Einzelfalls richtet
(BVerfG, Beschlüsse vom 10.12.1998, NJW 1999, 778, und vom 05.03.1991, NJW
1991, 2758; BVerwG, Beschluss vom 30.12.1968, NJW 1969, 476; VGH Bad.-
Württ., Beschlüsse vom 15.05.1992, NVwZ-RR 1993, 447, und vom 25.03.1976 -
IV 559/76 -, DÖV 1976, 606 [nur Leitsatz]; FG Hamburg, Beschluss vom
02.05.2007, a.a.O., m.w.N.; Pietzner/Möller, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO,
Stand: April 2013, Bd. 2, § 172 RdNr. 33, m.w.N.; Heckmann, a.a.O., § 172 RdNr.
58; Schmidt-Kötters, in: Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 172 RdNr. 21; Bader, in:
Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2010, § 172 RdNr. 7).
In Fällen der Vollstreckung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils - wie hier -
beginnt diese Frist frühestens mit der Kenntnis des Vollstreckungsschuldners von
der Rechtskraft und damit der Vollstreckbarkeit des Urteils zu laufen, in der Praxis
sogar regelmäßig erst mit Rückgabe der Akten durch das Gericht an die
Verwaltungsbehörde, da die Erfüllung des Urteils im Allgemeinen die Kenntnis der
Akten erfordert (Bader, a.a.O., § 172 RdNr. 7, m.w.N.; Redeker/von Oertzen,
a.a.O., § 172 RdNr. 4). Der Auffassung, der zufolge die Frist für die Stellung eines
Vollstreckungsantrags bereits mit der Zustellung des Urteils und nicht erst mit
Eintritt der Rechtskraft zu laufen beginne (so Pietzner/Möller, a.a.O., § 172 RdNr.
33, und Heckmann, a.a.O., § 172 RdNr. 58), kann nach Auffassung des Gerichts
nicht gefolgt werden, weil gemäß § 168 Abs. 1 Nr. 1 VwGO erst die Rechtskraft die
Vollstreckbarkeit eines Urteils bewirkt und - vor allem - weil vor Eintritt der
Rechtskraft nicht feststeht, ob das Urteil letztendlich überhaupt Bestand hat. Denn
den Beteiligten steht es bis zum letzten Tag der Rechtsmittelfrist frei zu
entscheiden, ob sie das gegen das Urteil gegebene Rechtsmittel einlegen wollen
oder nicht (Bier, in: Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., Bd. 1, § 60 RdNr. 40, m.w.N.;
von Albedyll, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll,, a.a.O., § 60 RdNr.
59).
8 Diese (angemessene) Frist hat der Vollstreckungsgläubiger der
Vollstreckungsschuldnerin im vorliegenden Fall nicht eingeräumt. Das Urteil des
Verwaltungsgerichts Freiburg vom 29.01.2014 - A 4 K 725/13 -, dessen
Vollstreckung begehrt wird, ist den Beteiligten am 12.02.2014 zugestellt und am
13.03.2014 rechtkräftig geworden. Die vom Verwaltungsgericht versandte
Mitteilung der Rechtskraft ist den Beteiligten jenes Verfahrens am 14.03.2014
(einem Freitag) zugegangen. Der Vollstreckungsgläubiger hat bereits am
01.04.2014, also nur etwas mehr als zwei Wochen nach Zugang der
Rechtskraftmitteilung, beim Gericht den Antrag auf Vollstreckung aus dem zuvor
genannten Urteil gestellt. Eine solch kurze Frist ist in keinem Fall, vor allem nicht im
vorliegenden (Einzel-)Fall, angemessen, auch dann nicht, wenn man
berücksichtigt, dass der Vollstreckungsgläubiger die Vollstreckungsschuldnerin
zuvor bereits mit zwei Schreiben vom 17.03.2014 und vom 26.03.2014 zum Erlass
des mit der Vollstreckung begehrten Bescheids aufgefordert hatte. Zwar erfordert
der Erlass eines Bescheids über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, zu
dem die Vollstreckungsschuldnerin im vorliegenden Fall rechtskräftig verurteilt
worden war, einerseits keinen allzu großen Verwaltungsaufwand. Doch darf
andererseits auch hier nicht verkannt werden, dass zumindest eine sorgfältige
Prüfung der maßgeblichen Daten anhand der Akten geboten ist, um insoweit
Fehler und damit weitere Verzögerungen zu vermeiden. Vor allem kommt im
vorliegenden Fall hinzu, dass die für den Erlass des begehrten Bescheids (allein)
zuständige Behörde, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, durch einen
enormen Anstieg von Asylanträgen im Jahr 2013 und vor allem auch zu Beginn
des Jahres 2014 einer kurzfristig kaum zu bewältigenden Überbelastung
ausgesetzt ist, was allgemein und insbesondere auch dem
Prozessbevollmächtigten des Vollstreckungsgläubigers bekannt ist. Eine solche
(Ausnahme-)Situation wird auch im Geltungsbereich des § 75 VwGO als
zureichender Grund für eine Verzögerung anerkannt (siehe hierzu Kopp/Schenke,
a.a.O., § 75 RdNr. 13, m.w.N.) und kann auch im Rahmen von § 172 VwGO als
Grund für eine Säumnis der Behörde bei der Erfüllung eines titulierten Anspruchs
herangezogen werden (vgl. hierzu Schmidt-Kötters, a.a.O., § 172 RdNr. 21.1,
m.w.N.; Heckmann, a.a.O., § 172 RdNr. 58).
9 An dieser Beurteilung vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der mit
der Vollstreckung begehrte Bescheid erst am 07.04.2014 erlassen worden und
dem Vollstreckungsgläubiger erst am 17.04.2014, also weitere ca. zwei Wochen
nach Stellung des Vollstreckungsantrags, zugegangen ist. Denn zum einen liegen
auch diese weiteren verstrichenen Zeiträume noch innerhalb der angemessenen
Frist, die der Vollstreckungsschuldnerin nach den vorstehenden Ausführungen hier
zur Erfüllung ihrer im Urteil aufgegebenen Verpflichtung zur Verfügung stand, und
zum anderen kommt es für die Beantwortung der (Rechts-)Frage, ob eine
Vollstreckungsmaßnahme bereits notwendig und ein Vollstreckungsantrag somit
zulässig ist, auf den Zeitpunkt der Stellung des Vollstreckungsantrags beim Gericht
und nicht auf spätere Zeitpunkte an (vgl. VG Cottbus, Beschluss vom 01.02.2010 -
6 M 15/09 -, juris; in diesem Sinne auch BVerfG, Beschluss vom 10.12.1998,
a.a.O.).
10 Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG; vgl. auch §§ 92 Abs. 3 Satz 2
analog und 158 Abs. 2 VwGO).