Urteil des VG Freiburg vom 01.02.2017

syrien, armee, asylg, auskunft

VG Freiburg Urteil vom 1.2.2017, A 4 K 2903/16
Leitsätze
Syrischen Staatsangehörigen im wehrfähigen Alter droht bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5, § 3b AsylG.
Wer als Wehrpflichtiger in der syrischen Armee Dienst leistet, muss mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit
rechnen, durch sein Handeln jedenfalls die Begehung von Kriegsverbrechen zu unterstützen oder
vorzubereiten.
Im Falle Syriens gibt es gegenwärtige gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, eine dort drohende
Bestrafung wegen Wehrdienstentzugs oder Desertion diene nicht lediglich der Sicherstellung der Wehrpflicht
und der Ahndung des mit der Dienstverweigerung verbundenen kriminellen Unrechts, sondern solle (auch) eine
aufgrund des Wehrdienstentzugs vermutete staatsfeindliche Gesinnung treffen und diese eliminieren, sei somit
politisch motiviert.
Für einen syrischen Staatsangehörigen im wehrfähigen Alter besteht bei einer Rückkehr ein reales
Verfolgungsrisiko, tatsächlich wegen Wehrdienstentziehung aufgegriffen und in der Folge auch verurteilt zu
werden.
Eine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG besteht für wehrpflichtige Syrer nicht.
Tenor
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen; der
Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 04.08.2016 wird aufgehoben, soweit er dieser
Verpflichtung entgegensteht.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahren.
Tatbestand
1 Der aus Syrien stammende Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
2 Der am ... geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger und reiste am 01.01.2016 in das Bundesgebiet
ein (jeweils nach eigenen Angaben). Er stellte am 12.05.2016 einen auf die Zuerkennung internationalen
Schutzes beschränkten Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt).
3 Bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt vom 08.06.2016 gab der Kläger an, Araber
sunnitischen Glaubens zu sein, aus Jiser Alshiguhur zu stammen, vor seiner Ausreise in Lattakia gewohnt zu
haben und vier Brüder sowie sechs Schwestern zu haben. Er sei geflohen, weil er am 29.07.2016 zum
Wehrdienst hätte antreten müssen. Er habe als Student seinen Wehrdienst verschieben können, dies sei
aber nach neuem Gesetz nur bis zum 26. Lebensjahr möglich. Sein Name sei auf der Fahndungsliste. Er habe
sich nicht bei irgendeiner Partei des Krieges beteiligen wollen. Bei einer Rückkehr fürchte er, zum
Wehrdienst eingezogen zu werden.
4 Mit Bescheid vom 04.08.2016, zugestellt am 13.08.2016, erkannte die Beklagte dem Kläger den subsidiären
Schutzstatus zu (Nr. 1) und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab (Nr. 2). Ihre Entscheidung begründete sie
damit, dass dem Kläger aufgrund des ermittelten Sachverhalts zwar ein ernsthafter Schaden in seinem
Herkunftsland drohe. Er habe jedoch bislang keinen Einberufungsbescheid erhalten und auch keinen
persönlichen Kontakt zum Militär gehabt.
5 Der Kläger hat am 23.08.2016 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor: Im Vorort von Lattakia seien
die Bürgerkriegszustände enorm. Er sei aufgefordert worden, Wehrdienst bei der syrischen Armee zu
leisten, so wie alle Männer mittlerweile gezwungen würden, gegen die Aufständischen zu kämpfen. Aber er
habe keine unschuldigen Menschen töten wollen und sei deshalb illegal aus Syrien geflohen.
6 Der Kläger beantragt,
7
die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen
und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 04.08.2016 aufzuheben, soweit er
dieser Verpflichtung entgegensteht.
8 Die Beklagte beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10 Dem Kläger wurde mit Beschluss vom 09.01.2017 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin …,
Rüsselsheim, beigeordnet.
11 Dem Gericht liegt ein Heft Akten des Bundesamts vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der
weiteren Einzelheiten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
12 Die Kammer entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2
VwGO).
13 Die als Verpflichtungsklage zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts für
Migration und Flüchtlinge vom 04.08.2016 ist im angefochtenen Umfang rechtswidrig und verletzt den
Kläger in seinen Rechten, denn er kann beanspruchen, dass ihm die Beklagte nicht lediglich den subsidiären
Schutzstatus nach § 4 AsylG, sondern die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zuerkennt (vgl. § 113
Abs. 5 Satz 1 VwGO).
14 Dabei kann dahinstehen, ob dem Kläger bereits wegen seiner illegalen Ausreise, der Beantragung von Asyl
und dem damit verbundenen längeren Aufenthalt im westlichen Ausland Verfolgung durch den syrischen
Staat droht, wie dies in der veröffentlichten erstinstanzlichen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte wohl
überwiegend angenommen (vgl. z.B. VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -, juris; VG
Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, juris; VG Köln, Urteil vom 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A -
, juris; VG Freiburg, Urteil vom 13.12.2016 - A 5 K 2096/16 -, juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016
- A 5 K 1372/16 -, juris; VG Ansbach, Urteil vom 19.10.2016 - AN 9 K 16.30460 -, juris; VG Kassel, Urteil
vom 05.12.2016 - 5 K 2418/16.KS.A -, juris), von einigen Oberverwaltungsgerichten (OVG Schlesw.-
Holstein, Urteil vom 23.11.2016 - 3 LB 17/16 -, juris; Bayer. VGH, Urteile vom 12.12.2016 - 21 ZB 16.30338
u.a. -, [ausweislich Pressemitteilung vom 13.12.2016]; OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A
10922/16 -, juris) aber verneint wird.
15 Denn er ist jedenfalls wegen der drohenden Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung im Falle einer
Rückkehr nach Syrien politisch verfolgt i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG.
16 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer u.a. Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor
Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer
bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er
besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch
nehmen will und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
17 Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es gemäß § 3b
Abs. 2 AsylG unerheblich, ob er tatsächlich die persönlichen Merkmale aufweist, die zu der Verfolgung
führen. Es genügt vielmehr, dass ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs.
2 AsylG).
18 Die befürchtete Verfolgung muss gerade auf dieser Zuschreibung beruhen; zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1
AsylG genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von
Schutz vor solchen Handlungen muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen.
19 Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer
Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden
Menschenrechte darstellen, oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer
Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der
in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Als Verfolgung gelten gemäß § 3a Abs. 2 AsylG unter
anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG), eine
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (§ 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG) und die
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der
Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2
AsylG fallen (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG).
20 Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der politische Verfolgung bei einer Rückkehr
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt
Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung liegt nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts vor, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger und objektiver Würdigung der
gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht (hierzu und zum
Folgenden: BVerwG, EuGH-Vorlage vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 - juris). Beachtliche Wahrscheinlichkeit
einer Verfolgung ist anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur
Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht
besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Ergeben die
Gesamtumstände des Falles die reale Möglichkeit („real risk“) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger
Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter
wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in
einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer
Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht
es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in
seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine
Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (vgl. BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 -
9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67).
21 Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Insoweit
kann offenbleiben, ob der Kläger bereits vorverfolgt aus Syrien ausgereist ist. Denn ihm droht unabhängig
von einer möglichen Vorverfolgung im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
(„real risk“) eine asylerhebliche Verfolgung durch den syrischen Staat. Dies ergibt sich zur Überzeugung der
Kammer aus Folgendem:
22 Dem 1988 geborenen Kläger droht eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Denn er
ist bei einer Rückkehr konkret bedroht von Strafverfolgung oder Bestrafung durch den syrischen Staat -
einem tauglichen Verfolger gemäß § 3c Nr. 1 AsylG - wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem
Konflikt, der u.a. Kriegsverbrechen umfasst, und dies aus Gründen (unterstellter) staatsfeindlicher
Einstellung, somit aus politischen Gründen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG.
23
1.
In Syrien besteht Militärdienstpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer unabhängig von
ethnischem oder religiösem Hintergrund (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015;
Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017; Danish
Refugee Council, Syria, 09/2015) wie auch für Palästinenser, die in Syrien leben (BFA,
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017), gilt; auch Oppositionelle werden
einberufen (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch
die Syrische Armee, 30.07.2014; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense
forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016). Die Registrierung für den
Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren. Die Wehrpflicht dauerte in der Vergangenheit bis zum Alter von
42 Jahren; mehrere Auskünfte verweisen allerdings auf Quellen, wonach die Wehrpflicht in der Praxis
gegenwärtig bis zum 50. bzw. sogar bis zum 52. Lebensjahr ausgeweitet wird (AA, Auskunft an VG
Düsseldorf vom 02.01.2017; Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; SFH, Syrien: Rekrutierung
durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense
forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016). Eine Ausnahme von der
Wehrpflicht besteht laut Gesetz in eng begrenzten Ausnahmefällen, so etwa für Personen jüdischen
Glaubens oder bei Untauglichkeit. Gesetze und Regelungen über Ansprüche auf Aufschub vom Antritt des
Grundwehrdienstes etwa für Einzelkinder oder Studenten - hier je nach Art des Studiums gestaffelt,
regelmäßig höchstens bis 27 Jahre (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015) - sind
offenbar teilweise zwar noch formal in Kraft, werden ausweislich der aktuellen Quellenlage in der Praxis
allerdings aufgrund des zunehmenden Personalbedarfs beim syrischen Militär nur mehr sehr eingeschränkt
und zunehmend willkürlich umgesetzt (UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien:
Militärdienst, 30.11.2016; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien:
Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische
Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015; Finnish Immigration Service, Syria: Military
Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016).
Ebenso geraten offenbar zunehmend Jugendliche unter 18 Jahren an Checkpoints ins Visier und laufen
Gefahr, Repressalien ausgesetzt zu werden, wobei die Berichtslage hinsichtlich einer Rekrutierung
Minderjähriger beim Syrischen Militär widersprüchlich ist (UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen
Syrien: Militärdienst, 30.11.2016; Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der
Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017). Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern
bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Syrien:
Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014). Entlassungen aus dem Militärdienst sind ausweislich
der aktuellen Quellenlage seit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen selten geworden; viele
Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals wäre Desertion die einzige
Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden (Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der
Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015; Finnish Immigration
Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed
opposition, 23.08.2016).
24 Wehrpflichtige, die nach Ableistung ihres Wehrdienstes entlassen worden sind, müssen als Reservisten
abrufbar sein (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Schnellrecherche der SFH-
Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische
Armee, 28.03.2015; SFH, Schnellrecherche zur SFH-Länderanaylse vom 10.09.2015 zu Syrien: Qamishli /
Reservisten). In der Vergangenheit wurden alle Männer bis zum Alter von 42 Jahren als Reservisten geführt;
aufgrund der angespannten Personalsituation gibt es gegenwärtig offenbar kein festgesetztes Höchstalter
für Rekrutierungen mehr, vielmehr werden ausweislich der vorliegenden Auskünfte im Einzelfall - je nach
Ausbildung und bisheriger Tätigkeiten für die Armee - Männer im Alter von bis zu 50 oder sogar 60 Jahren
rekrutiert (Danish Refugee Council, Syria, 09/2015; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service,
national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016). Seit
dem Herbst 2014 werden Reservisten in großem Umfang eingezogen (SFH, Syrien: Mobilisierung in die
syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien:
Arbeitsverweigerung). Die syrische Armee hat ausweislich mehrerer Quellen mit örtlichen
Generalmobilmachungen begonnen, neue Checkpoints etabliert und Razzien im privaten und öffentlichen
Bereich intensiviert, um Reservisten zu finden, die sich bislang dem Dienst entzogen haben. In wenigen
Monaten wurden zehntausende Rekruten (zwangs-)rekrutiert und es gibt Auskünfte, wonach im Frühjahr
2015 Listen mit über 70.000 Namen von Personen, die als Reservisten eingezogen werden sollen, an den
Checkpoints der syrischen Armee zirkulierten (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015;
Danish Refugee Council, Syria, 09/2015). Bei der Einberufung von Reservisten, die auf Grundlage des
Kriegsrecht innerhalb weniger Tage erfolgen kann, wird offenbar keine Unterscheidung zwischen Anhängern
des Regimes und potentiellen Oppositionellen gemacht (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee,
30.07.2014).
25 Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren dürfen bereits seit März 2012 nur mit einer offiziellen
Beglaubigung des Militärs, mit der bescheinigt wird, dass sie vom Militärdienst freigestellt sind, das Land
verlassen; seit Herbst 2014 besteht darüber hinaus für Männer, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind,
ein generelles Ausreiseverbot (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien:
Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Syrien:
Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Deutsche Orient-Stiftung, Auskunft an OVG Schl.-
Holstein vom 08.11.2016). Jungen Männern vor Erreichen des 18. Lebensjahres wird die Ausreise erschwert,
indem Reisepässe nur für eine kurze Gültigkeitsdauer ausgestellt werden (UNHCR, Syrien: Militärdienst,
30.11.2016; Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien,
05.01.2017).
26 Wehrdienstverweigerung wird nach dem Military Penal Code geahndet (zum folgenden AA, Auskunft an VG
Düsseldorf vom 02.01.2017; Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; SFH, Syrien: Rekrutierung
durch die Syrische Armee, 30.07.2014). Nach Artikel 68 wird mit einer Haftstrafe von einem bis sechs
Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft, wer sich der Einberufung
entzieht. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht,
wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion sieht Artikel 101
fünf Jahre Haft vor bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in
Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes
wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft. Bereits
die ohne Beglaubigung der Armee erfolgte und mithin illegale Ausreise wird als Wehrdienstentzug geahndet
(AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).
27 Der 1988 geborene Kläger ist im wehrpflichtigen Alter und hat seiner Wehrpflicht noch nicht genügt. Seine
Einberufung wurde mit Blick auf sein Studium nach seinen Angaben bis zum Juli 2016, somit bis zum Alter
von 28 Jahren, aufgeschoben; dass ein weiterer Aufschub nicht möglich wäre, wie der Kläger geltend macht,
deckt sich mit den vorliegenden Erkenntnismitteln. Obwohl der Kläger zu den Geburtsjahrgängen gehört,
denen die Ausreise aus Syrien generell untersagt ist, hat er - illegal - das Land verlassen. Bereits durch diese
illegale Ausreise hat er sich der Wehrdienstentziehung schuldig gemacht; darüber hinaus hat er sowohl
gegenüber dem Bundesamt als auch im Klageverfahren geltend gemacht, er werde sich nicht an dem in
Syrien herrschenden Krieg, in dem auf Zivilisten geschossen werde, beteiligen. Der Kläger hat daher
Strafverfolgung bzw. Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung zu befürchten.
28
2.
Der Militärdienst beim syrischen Militär umfasst gegenwärtig - und mit Blick auf den nach wie vor trotz
internationaler Bemühungen um die Etablierung eines Waffenstillstands blutig ausgetragenen Konflikt auch
auf absehbare Zeit - Verbrechen oder Handlungen, die im Sinn von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG unter die
Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, die sich mithin als Verbrechen gegen den Frieden, als ein
Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. Dass der Dienst in der
syrischen Armee, zu dem der Kläger mobilisiert würde, mit dem Zwang zu wiederholt und systematisch
vorgenommenen völkerrechtswidrigen Handlungen verbunden wäre, welche die Grundsätze der
Menschlichkeit und des humanitären Völkerrechts missachten, ist wohl unbestritten (vgl. etwa VG
Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 – 9 A 175/16 -, juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K
1372/16 -, juris; VG Ansbach, Urteil vom 19.10.2016 - AN 9 K 16.30460 -, juris; VG Stade, Urteil vom
02.11.2016 - 10 A 2183/16 -, juris, Cour nationale du droit d’asile, Urteil vom 25.05.2016 - 16000248 -). So
wurden seit dem Jahr 2012 tausende Fassbomben von der syrischen Armee über Oppositionsgebieten
eingesetzt. Opfer unter der Zivilbevölkerung werden zumindest billigend in Kauf genommen bzw. sind
gerade Ziel der bewaffneten Angriffe vom Boden oder aus der Luft, die etwa auf Schulen, Märkte oder
Krankenhäuser erfolgen. Auch die lang anhaltenden Belagerungen, die wiederholt und an unterschiedlichen
Orten in Syrien stattfanden, richten sich in erster Linie gegen die in den eingekesselten Städten lebende
Zivilbevölkerung. Es kommt immer wieder zu willkürlichen Festnahmen, Folterungen und Tötungen von
Zivilisten (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; UK Foreign and Commonwealth Office: Human
Rights and Democracy Report 2015, 21.04.2016; Amnesty International, Amnesty Report 2016 Syrien).
Auch die unabhängige UN-Untersuchungskommission der UN-Generalversammlung hat in ihrem jüngsten
Bericht festgestellt: „Flagrant violations of human rights and international humanitarian law continue
unabated, aggravated by blatant impunity […] Crimes against humanity continue to be committed by
government forces and by ISIS. War crimes are rampant“ (A/HRC/31/68 vom 11.02.2016; vgl. auch
A/HRC/28/69 vom 05.02.2015).
29 Der Europäische Gerichtshof hat für die Regelung des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83, die insoweit mit der
nunmehr gültigen Richtlinie RL 2011/95/EU identisch ist, welche wiederum § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG zugrunde
liegt, entschieden (Rs. C-472/13 < Shepherd >, Urteil vom 26.02.2015, Curia; vgl. dazu Neumann, ZAR
2016, 17 ff.), dass diese Regelung nicht nur für hochrangige Militärs, sondern für alle Militärangehörigen
einschließlich des logistischen Unterstützungspersonals gilt. Auch kommt es ausweislich des EuGH nicht
darauf an, ob der Betreffende persönlich Kriegsverbrechen begehen müsste oder ob er, da er nicht zu
Kampftruppen gehört, sondern etwa einer logistischen oder unterstützenden Einheit zugeteilt ist, an deren
Begehung nur indirekt beteiligt wäre. Erforderlich ist es nach Auffassung des EuGH dagegen, dass der
Betreffende die Kriegsverbrechen nicht auf andere Weise - insbesondere durch ein reguläres
Anerkennungsverfahren als Kriegsdienstverweigerer - vermeiden könnte.
30 Mithin kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, welcher Einheit der Kläger, der in Syrien keine
Möglichkeit hätte, den Militärdienst zu verweigern oder zivilen Ersatzdienst zu leisten, mutmaßlich nach
seiner Rekrutierung zugeteilt würde und ob diese selbst unmittelbar an Kriegsverbrechen beteiligt wäre.
Vielmehr ist es ausreichend, dass, wie bereits dargelegt, durch die syrische Armee wiederholt und
systematisch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden und der Kläger
daher jedenfalls aufgrund der Massivität und Häufigkeit der von der syrischen Armee in unterschiedlichen
Regionen Syriens begangenen völkerrechtswidrigen Handlungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit
rechnen muss, bei Ableistung seines Wehrdienstes, in welcher Einheit und durch welche konkrete Tätigkeit
auch immer, durch sein Handeln jedenfalls die Begehung von Kriegsverbrechen anderer Einheiten zu
unterstützen oder vorzubereiten.
31
3.
Auch scheitert die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht daran, dass es vorliegend an einem
Verfolgungsgrund im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG fehlt.
32 Fraglich ist insoweit bereits, ob es in Konstellationen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG überhaupt der
ausdrücklichen Feststellung eines Verfolgungsgrundes gemäß § 3b AsylG bedarf. Denn in einer Situation, in
der sich der Militärdienst als Teilnahme an Kriegsverbrechen und anderen völkerrechtswidrigen Handlungen
darstellt, liegt dem Wehrdienstentzug kein kriminelles Unrecht zugrunde mit der Folge, dass es an der
Legitimität strafrechtlicher Sanktionierung dieses Verhaltens fehlt; vor diesem Hintergrund schreiben etwa
das Verwaltungsgericht Sigmaringen (Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 -, juris) und das
Verwaltungsgericht Magdeburg (Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, juris) einer Bestrafung wegen
Wehrdienstentziehung in Fällen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ohne weiteres den Charakter einer Verfolgung
im asylrechtlichen Sinne zu. Die Annahme, eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG
impliziere per se einen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3b AsylG, findet eine Stütze ferner in der
Überlegung, dass ein Staat, der die Weigerung, sich an einem völkerrechtswidrigen Konflikt zu beteiligen,
unter Strafe stellt, die regelmäßig auf einer religiösen, politischen oder humanistischen Grundeinstellung
beruhende ernsthafte und mit Blick auf die Völkerrechtswidrigkeit besonders schützenswerte (Gewissens-
)Entscheidung seiner Staatsangehörigen, einem derartigen Konflikt die Unterstützung zu verweigern,
missachtet.
33 Ob es in Fällen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG der expliziten Feststellung eines Verfolgungsgrundes bedarf, kann
jedoch dahinstehen. Ebenso kann offen bleiben, ob nicht bei Verweigerung der Teilnahme an einer
bewaffneten völkerrechtswidrigen Auseinandersetzung dem Betreffenden vom Verfolger in aller Regel eine
abweichende politische Gesinnung zugeschrieben und unterstellt wird, was gemäß § 3b Abs. 2 AsylG
ausreichend ist, um einen Verfolgungsgrund zu bejahen (vgl. dazu GK-AufenthR, 2016, § 60 Rn. 169; vgl.
auch VG Stade, Urteil vom 02.11.2016 - 10 A 2183/16 -, juris).
34 Denn im konkreten Falle Syriens lässt sich auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel und der dort
zitierten zahlreichen Quellen feststellen, dass die den Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern drohenden
staatlichen Maßnahmen an eines der in § 3 AsylG genannten Merkmale anknüpfen.
35 Zwar rekrutiert die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen
Hintergrund und wendet auch die strafrechtlichen Regelungen bezüglich Wehrdienstentziehung und
Desertion offenbar mehr oder weniger unterschiedslos auf alle syrischen Wehrpflichtigen an, so dass nicht
bereits im Hinblick auf eine insoweit durchgängig diskriminierende Praxis ein Verfolgungsgrund im Sinne von
§ 3b AsylG vorliegt (darauf verweisend OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 16.12.2015 - 1 A 10922/16 -, juris).
Dies schließt die Annahme politischer Verfolgung jedoch ebenso wenig aus wie der Umstand, dass allen
Personen, die sich der Wehrpflicht entziehen, in Syrien von Rechts wegen Verfolgung deshalb droht, weil sie
mit der Dienstverweigerung eine Straftat begangen haben.
36 Mit dem Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 6.80 -, juris) geht die Kammer davon aus,
dass, wenngleich die politischen Tendenzen einer generellen Maßnahme oder Regelung wie der Verpflichtung
zum Waffendienst nicht immer offen zutage liegen, dennoch einer solchen Wehrpflicht neben ihrer
allgemeinen - asylrechtlich nicht einschlägigen - Intention auch eine Verfolgungstendenz innewohnen kann;
eine solche kann etwa darin liegen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von
politischen Gegnern in den eigenen Reihen, eine Umerziehung von Andersdenkenden oder eine
Zwangsassimilation von Minderheiten bezweckt wird. Anhaltspunkte für derartige Intentionen können sich
aus der besonderen Ausformung der die Wehrpflicht begründenden Regelungen, aus ihrer praktischen
Handhabung, aber auch aus ihrer Funktion im allgemeinen politischen System der Organisation ergeben. Der
totalitäre Charakter einer Staatsform, die Radikalität ihrer Ziele sowie das Maß an geforderter und
durchgesetzter Unterwerfung sind wichtige Gradmesser für Verfolgungstendenzen. Deutlich werden kann
der politische Charakter von Wehrdienstregelungen nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, dem
sich die Kammer anschließt, etwa daran, dass Verweigerer oder Deserteure als Verräter an der
gemeinsamen Sache angesehen und deswegen übermäßig hart bestraft, zu besonders gefährlichen
Einsätzen kommandiert oder allgemein geächtet werden.
37 Gerade im Falle von Syrien gibt es gegenwärtig gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, die drohende
Bestrafung wegen Wehrdienstentzugs oder Desertion diene nicht lediglich der Sicherstellung der
Wehrpflicht und der Ahndung des mit der Dienstverweigerung verbundenen kriminellen Unrechts, sondern
solle (auch) eine aufgrund des Wehrdienstentzugs vermutete staatsfeindliche Gesinnung treffen und diese
eliminieren, sei somit politisch motiviert. Diese Annahme liegt bereits aufgrund der besonderen Konstellation
in Syrien nahe, denn es handelt sich bei Syrien um ein diktatorisches System, das mit allen Mitteln um seine
Existenz kämpft (darauf verweisend etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -,
juris); auch soll die Mobilisierung der syrischen Armee nicht der Teilnahme an einem Konflikt in einem dritten
Staat, sondern der Bekämpfung der oppositionellen Rebellengruppen im eigenen Land dienen; wer sich an
diesem existentiellen Kampf der Staatsmacht gegen Teile der eigenen Bevölkerung nicht beteiligt, sondern
sich trotz des bekannt großen Personalbedarfs in der syrischen Armee seiner Wehrpflicht - zumal durch eine
illegale Flucht ins Ausland - entzieht, manifestiert damit nach außen sichtbar seine Illoyalität gegenüber dem
syrischen Staat in besonderer Weise. Entsprechend hart geht der syrische Staat mit Deserteuren und
Männern, die sich dem Wehrdienst entziehen, um: So drohen denjenigen, die sich Einberufung oder
Mobilisierung entziehen, bei einer Ergreifung Untersuchungen und Festnahmen teilweise mit längerer Haft
und Folter (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, Syria,
09/2015; Deutsche Orient-Stiftung, Auskunft an OVG Schl.-Holstein vom 08.11.2016). Einige Quellen
sprechen im Zusammenhang mit Desertion von lebenslanger Haft und Exekutionen (AA, Auskunft an VG
Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Danish
Refugee Council, Syria, 09/2015). Ferner gibt es Berichte von Personen, die als Rückkehrer im
Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst befragt und dauerhaft verschwunden sind (Dt.
Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; darauf verweisend auch etwa Bayer. VGH, Urteile vom
12.12.2016 - 21 ZB 16.30338 u.a. - [ausweislich Presseerklärung vom 13.12.2016]). Es gibt Quellen,
wonach Rekruten, denen das Regime nicht traut, mitunter in den Kampfeinsatz an die Front geschickt
werden, um ihre Motivation zu kämpfen zu erhöhen (Finnish Immigration Service, Syria: Military Service,
national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016). Ferner
gibt es Hinweise darauf, dass alle, die sich dem Regime entziehen - wie es Wehrdienstpflichtige tun, zumal
wenn sie illegal ins Ausland reisen -, als Oppositionelle und je nach bisheriger Funktion als „Landesverräter“
betrachtet werden (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien:
Arbeitsverweigerung). Andere Quellen halten Männer im wehrpflichtigen Alter für besonders gefährdet, bei
der Einreise über den Flughafen oder auf dem Landweg Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu
erfahren, insbesondere wenn sie ihren Militärdienst noch nicht abgeleistet haben; so spricht eine Quelle
davon, „military-aged men [are] the most vulnerable group in terms of treatment by Syrian authorities at
points of entry“ (Immigration and Refugee Board of Canada, Syria: Treatment of returnees upon arrival at
Damascus International Airport and international land border crossing points, 19.01.2016). Auch diejenigen,
bei denen lediglich die Absicht der Desertion vermutet wird, werden als Gegner des Regimes betrachtet und
haben gewaltsames Verschwinden, Haft und Folter zu gewärtigen (Amnesty International, Between prison
and the grave, 11/2015). Schließlich ergibt sich aus zahlreichen Quellen, dass für Desertion und
Wehrdienstentzug mitunter auch Familienangehörige haftbar gemacht, zur Rechenschaft gezogen und unter
Druck gesetzt werden (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; SFH, Syrien: Mobilisierung in die
syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Republik
Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017; Finnish
Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime
and armed opposition, 23.08.2016).
38 Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris
Rn. 154), es sei syrischen Machthabern bekannt, dass die Flucht aus Syrien in aller Regel nicht durch
politische Gegnerschaft zum Staat, sondern durch Angst vor dem Krieg motiviert sei, folgt die Kammer vor
dem Hintergrund dieser zahlreichen und sämtlich in die gegenteilige Richtung weisenden Belege nicht.
Vielmehr lassen die vorliegenden Auskünfte nur den Schluss zu, dass die Verfolgung von
Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren nicht allein der auf rationalen Überlegungen fußenden
Vollstreckung des syrischen Wehrstrafrechts dient, sondern dass es sich hierbei auch ganz maßgeblich um
Verfolgung aufgrund der und Vergeltung der (unterstellten) regimekritischen politischen Überzeugung der
Betreffenden handelt (so auch VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, juris; VG Sigmaringen,
Urteil vom 23.11.2016 – A 5 K 1372/16 -, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 – 2 A 5162/16 -, juris;
VG Stade, Urteil vom 02.11.2016 – 10 A 2183/16 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 – 3 K
7501/16.A -, juris; VG Freiburg, Urteil vom 16.12.2016 – A 1 K 3898/16 -, juris; VG Wiesbaden, Urteil vom
27.09.2016 - 2 K 683/16.WI.A -, asyl.net; ähnlich i.Erg. auch Österr. BVwG, Entscheidung vom 01.07.2016 -
W227 2104997-1 -; sowie, wenn auch auf zusätzliche Risikogesichtspunkte abstellend Schweizer. BVerwG,
Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 -).
39 Dem entsprechen schließlich die aktuellen Erwägungen des UNHCR (4. Fassung, November 2015) zum
Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen. In diesem vom UNHCR
herausgegebenen Dokument, dem angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer
Flüchtlingskonvention übertragen worden sind, bei der Auslegung der unionsrechtlich determinierten
Asylvorschriften besondere Relevanz zukommt (vgl. EuGH vom 30.05. 2013 - C-528/11 -, juris, m.w.N.;
Österr. BVwG, Entscheidung vom 01.07.2016 - W227 2104997-1 -), sind Risikoprofile beschrieben, bei deren
Einschlägigkeit die betreffende Person wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer
Konvention benötige. Dazu gehören neben unterschiedlichen anderen Personengruppen auch Personen, die
tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, wie (u.a.) Wehrdienstverweigerer und
Deserteure der Streitkräfte.
40 Ist der Kläger mithin bereits gemäß durch asylerhebliche Handlungen des syrischen Staates gemäß § 3a Abs.
2 Nr. 5 AsylG von politischer Verfolgung bedroht, kann vorliegend dahinstehen, inwieweit der Kläger auch
deshalb als Flüchtling anzuerkennen ist, weil sich die ihm wegen Wehrpflichtentziehung drohende
Bestrafung als Bestrafung wegen einer (vermeintlichen) politischen Gesinnung - so gen. Polit-Malus - im
Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG darstellt (so etwa VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -,
juris; a.A. OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris).
41
4.
Für den Kläger besteht auch ein reales Verfolgungsrisiko, bei einer Rückkehr nach Syrien tatsächlich
wegen Wehrdienstentziehung aufgegriffen und verurteilt zu werden.
42 Zunächst besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien wegen
Wehrdienstentziehung aufgegriffen würde. Denn es gibt kaum eine Möglichkeit, sich innerhalb Syriens dem
Militär- bzw. Reservistendienst zu entziehen. Personen, die das wehrpflichtige Alter erreicht haben oder
während ihres Auslandsaufenthaltes zum Wehrdienst einberufen wurden, werden in Fahndungslisten
aufgenommen, die an die Grenzübergänge verteilt werden, so dass schon bei der Einreise eine
Identifizierung und Verhaftung bzw. Zwangsrekrutierung wahrscheinlich ist (SFH, Syrien: Rekrutierung
durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der
Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015; Immigration and
Refugee Board of Canda, Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and
international land border crossing points, 19.01.2016). Ferner gibt es zahlreiche mobile „Checkpoints“, die
ebenfalls im Besitz der Listen sind und bei einem Datenbankabgleich feststellen können, ob der Betreffende
seinen Wehrdienst abgeleistet hat bzw. als Reservist rekrutiert werden soll; auch hier kommt es zu
Verhaftungen, Verschleppungen bzw. unmittelbarer Zwangsrekrutierung (Republik Österreich, BFA,
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017; Finnish Immigration Service, Syria:
Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition,
23.08.2016). Das syrische Militär hat gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion
einen enormen Bedarf an Personal, da es von circa 325.000 Soldaten bei Ausbruch des Krieges auf wohl
etwa 150.000 Soldaten dezimiert worden ist (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015;
Danish Refugee Council, Syria, 09/2015); um Wehrdienstverweigerer und Reservisten zu rekrutieren und so
den Personalbedarf zu decken, finden immer wieder Durchsuchungen, Razzien und Massenverhaftungen
statt (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen
Syrien: Militärdienst, 30.11.2016; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien:
Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015). Auch ist für viele
bürokratische Akte, etwa für Heiratszertifikate, eine Bewilligung des Militärs erforderlich (SFH, Syrien:
Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014). Daher ist es für Wehrdienstverweigerer fast
unmöglich, nach Syrien einzureisen oder gar in den von der Regierung kontrollierten Gebieten zu leben und
sich dort zu bewegen, ohne aufgegriffen zu werden (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).
43 Ferner besteht die reale Möglichkeit, dass der Kläger, wenn er - wie mit großer Sicherheit zu erwarten -
bereits bei seiner Einreise oder zu einem späteren Zeitpunkt als wehrdienstpflichtig erkannt und als solcher
den syrischen Behörden bzw. dem syrischen Militär, in erster Linie dem militärischen Sicherheitsdienst,
übergeben wurde, wegen Wehrdienstentzugs bestraft wird. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
(Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris) hält eine beachtliche Wahrscheinlichkeit nicht für gegeben
mit dem Argument, dass es dem syrischen Staat vor allem darum gehe, den Betroffenen schnellstmöglich
seiner notleidenden Armee zuzuführen. Dem folgt die Kammer nicht. Zwar ist der Hinweis auf den hohen
Personalbedarf der syrischen Armee nicht von der Hand zu weisen, und tatsächlich wird es auch einen
gewissen Prozentsatz an Männern geben, die, obgleich sie den Tatbestand des Wehrdienstentzugs erfüllt
haben, unmittelbar zum Militär rekrutiert werden. Jedoch lässt dies nach den vorliegenden
Erkenntnismitteln und den dort wiedergegebenen zahlreichen Quellen nicht den Schluss darauf zu, eine
Bestrafung wegen Wehrdienstentzugs drohe nicht ebenso mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Zwar lässt
sich weder die Zahl derer, die aufgrund Wehrdienstentziehung aufgegriffen werden, noch der Prozentsatz
derjenigen, die wegen dieses Vorwurfs strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, auch nur
annähernd zuverlässig ermitteln. Allerdings ergibt sich aus den vorliegenden Erkenntnismitteln, dass
Verhaftungen wegen Entzugs vom Militärdienst in großem Umfang stattfinden; so sprechen einige Quellen
von regelrechten „Verhaftungswellen“ (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; ähnlich
auch Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting
Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016), ausweislich anderer Erkenntnisse wurden allein in den
ersten sieben Monaten des Jahres 2014 über 5.400 wehrdienstpflichtige junge Männer verhaftet, und in
Hama bzw. Homs wurden im Rahmen örtlicher Generalmobilmachungen jeweils binnen weniger Tage im
Herbst 2014 1.400 bzw. 1.200 Reservisten an Checkpoints verhaftet (SFH, Syrien: Mobilisierung in die
syrische Armee, 28.03.2015). Diese Verhaftungen werden meistens vom militärischen Sicherheitsdienst oder
dem Luftwaffen-Sicherheitsdienst durchgeführt, bei denen Fälle von Folter dokumentiert sind (SFH Syrien:
Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015). Die Frage, wie die zahlreichen Sicherheitsdienste mit den
Betroffenen weiter verfahren, ob der einzelne als möglicher Terrorist behandelt, einem Strafverfahren
zugeführt, zunächst ggf. unter Anwendung von Folter befragt und anschließend zum Militär abgeordnet
oder unmittelbar rekrutiert und ausgebildet bzw. direkt an die Front abgeordnet wird, hängt von vielen
Umständen ab wie etwa vom aktuellen Personalbedarf der Armee, dem Herkunftsort des Betreffenden,
seinen Kontakten oder Erkenntnissen der syrischen Behörden (Danish Refugee Council, Syria, 09/2015)
sowie nicht zuletzt von willkürlichem Verhalten der - unkontrollierten - Sicherheitsbehörden überhaupt. Den
vorliegenden Erkenntnismitteln lässt sich aber jedenfalls nicht entnehmen, dass es regelhaft mit einer
Verhaftung und anschließender Einziehung sein Bewenden hätte; vielmehr ist in den vorliegenden
Auskünften etwa davon die Rede, „einige“ würden vor das Militärgericht in Damaskus gestellt und zu
Haftstrafen verurteilt, „andere“ würden verwarnt und direkt zum Militärdienst geschickt (SFH Syrien:
Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015), oder die möglichen Konsequenzen eines solchen
Aufgreifens - sofortige Einziehung, Verbringung zur Frontlinie, Untersuchungen, Folter, Verurteilung -
werden ohne zahlenmäßige Gewichtung nebeneinander gestellt (Danish Refugee Council, Syria, 09/2015).
Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass das in den Erkenntnismitteln dokumentierte
Verhalten der syrischen Staatsmacht gegenüber Wehrpflichtigen und Reservisten sich gegenwärtig im
Wesentlichen auf wehrdienstpflichtige Männer bezieht, die sich lediglich innerhalb des Landes der
Wehrdienst- oder Rekrutierungspflicht zu entziehen versucht haben, nicht aber auf diejenigen, die durch
ihre mit der Flucht ins westliche Ausland dokumentierte Illoyalität gegenüber dem syrischen Staat
mutmaßlich besonderen Anlass für die syrischen Behörden liefern, eine regimekritische Gesinnung zu
vermuten. Aufgrund des, wie dargelegt, politisch motivierten Vorgehens syrischer Sicherheitskräfte im
totalitären Staatsgefüge bei Wehrdienstentziehung erscheint es auch naheliegend, dass durch -
möglicherweise auch willkürliche - Haft, Folterungen oder übermäßig harte Bestrafungen Zeichen gesetzt,
politische Gegner in den eigenen Reihen eingeschüchtert und weitere Wehrpflichtige zu einem
regimekonformen Verhalten angehalten werden sollen. Hinzu kommt schließlich, dass auch denjenigen, die
zunächst ohne ein Strafverfahren rekrutiert werden, spätestens dann, wenn sie den Kampfeinsatz
verweigern, etwa weil sie die Teilnahme an einem völkerrechtswidrigen Konflikt nicht mit ihrem Gewissen
vereinbaren können, eine Bestrafung wegen Desertion droht, welcher, wie bereits erörtert, politischer
Charakter innewohnt.
44 Dem Kläger droht damit bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Bestrafung
wegen illegaler Ausreise und dadurch begangenen Wehrdienstentzugs. Aber auch dann, wenn der Kläger
direkt rekrutiert würde, vor seinem Einsatz im Kampfgebiet aber, wie er es gegenüber dem Bundesamt und
in seiner Klagebegründung getan hat, darauf verwiese, er sei nicht bereit, unschuldige Menschen zu töten,
hätte er mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer erheblichen Strafe zu rechnen. Vor diesem Hintergrund
besteht für den Kläger eine beachtliche Wahrscheinlichkeit im Sinne eines „real risk“, im Falle einer Rückkehr
nach Syrien Strafverfolgungsmaßnahmen wegen Verweigerung der Teilnahme an einem
völkerrechtswidrigen Konflikt zu gewärtigen. Ein vernünftig denkender Mensch in der Situation des Klägers
wird unter diesen Umständen das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen.
45
5.
Dem Kläger steht schließlich keine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG offen. Die
Deutsche Botschaft Beirut (Auskunft vom 03.02.2016) geht davon aus, dass grundsätzlich alle Regionen in
Syrien vom Bürgerkrieg betroffen sind, wenn nicht durch direkte Kampfhandlungen, dann indirekt
(Kriegswirtschaft, Einzug ins Militär, marodierende Banden, beispielsweise in einigen Vororten von
Damaskus etc.) (vgl. auch AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).
46 Selbst wenn man gedanklich unterstellt, dass es dennoch Gebiete innerhalb Syriens gibt, die als zumutbare
Fluchtalternative dienen könnten, lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass der Kläger ein solches Gebiet in
zumutbarer Weise und sicher erreichen könnte. Denn das Regime hat ein dichtes System von
Kontrollpunkten eingerichtet. Diesen Stellen liegen in der Regel auch die Namenslisten zu denjenigen vor,
die sich der Einberufung bzw. Mobilmachung entzogen haben (vgl. SFH, Rekrutierung durch die syrische
Armee, 30.07.2014; SFH, Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; UNHCR, Ergänzende aktuelle
Länderinformation Syrien: Militärdienst, 30.11.2016) und sie sind derart verbreitet, dass mehr dafür als
dagegen spricht, dass der Kläger, wenn er nicht schon beim Versuch der Einreise nach Syrien erfasst und
ergriffen wird, an einem solchen Checkpoint aufgegriffen wird.
47 Unabhängig davon steht dem Kläger eine innerstaatliche Fluchtalternative auch deshalb nicht zur
Verfügung, weil Reisen innerhalb Syriens in einen anderen - möglicherweise - verfolgungsfreien Landesteil
generell mit einem extrem hohen allgemeinen Sicherheitsrisiko verbunden sind, das dem Asylsuchenden
nicht zumutbar ist (vgl. § 3e Abs. 1 AsylG). Dabei besteht nicht nur das erhebliche Risiko, gewissermaßen
versehentlich in kriegerische Handlungen hineingezogen zu werden. Sowohl das syrische Regime und
regierungsnahe Kräfte als auch bewaffnete oppositionelle Gruppen, darunter der sog. Islamische Staat (IS)
und die Al-Nusra-Front, verüben in den jeweils von ihnen beherrschten Gebieten in breitem Umfang
Massaker an der Zivilbevölkerung und Angriffe auf Zivilpersonen, u.a. in Form von Mord, Geiselnahme,
Folter, Zwangsverschleppung, sexueller Gewalt und Rekrutierung von Kindern (vgl. UNHCR-Erwägungen
zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung
November 2015, S. 12 f.; zum Fehlen einer innerstaatlichen Fluchtalternative vgl. auch VG Düsseldorf, Urteil
vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -, juris; VG Stade, Urteil vom 02.11.2016 – 10 A 2183/16 -, juris; OVG
Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 – 2 A 5162 -, juris).
48 Die Kostenentscheidung für das gerichtskostenfreie Verfahren (§ 83b AsylG) beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.