Urteil des VG Freiburg vom 24.02.2016

subjektives recht, niederlande, genfer flüchtlingskonvention, asylbewerber

VG Freiburg Urteil vom 24.2.2016, A 1 K 2724/14
Dublin-Verfahen; Rückkehr in das Heimatland; systemische Mängel in den
Niederlanden
Leitsätze
1. Artikel 19 Abs. 2 Dublin III-VO - wonach die Wiederaufnahmepflichten nach Artikel
18 Abs. 1 erlöschen, wenn der zuständige Mitgliedsstaat nachweisen kann, dass der
Asylantragsteller, um dessen Wiederaufnahme er ersucht wurde, das Hoheitsgebiet
der Mitgliedsstaaten für mindestens drei Monaten verlassen hat, es sei denn, die
betreffende Person ist im Besitz eines vom zuständigen Mitgliedsstaat ausgestellten
gültigen Aufenthaltstitels - dient allein der objektiven Klärung der Zuständigkeit.
2.Systemische Mängel im Asylsystem der Niederlande bestehen nicht.
3. Die Behandlung endgültig abgelehnter Asylbewerber fällt nicht in den
Anwendungsbereich der Aufnahmerichtlinie.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens.
Tatbestand
1 Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 29.07.2014 ins Bundesgebiet ein, wo
er um Asyl nachsuchte. Dabei gab er an, am ... in Djiddah (Saudi-Arabien) als
somalischer Staatsangehöriger geboren zu sein; Identitätspapiere legte er nicht
vor. Er sei 2012 von Mogadischu mit Hilfe eines Schleusers nach Nairobi geflogen.
Von dort habe er sich in die Niederlande begeben, wo er erkennungsdienstlich
behandelt und zu seinen Asylgründen angehört worden sei. Er habe insgesamt
drei Asylanträge in den Niederlanden gestellt. Im Januar 2014 sei er nach Somalia
zurückgeschickt worden. Am 28.07.2014 sei er von Mogadischu mit dem Flugzeug
nach Istanbul und von dort aus am nach Frankfurt geflogen, wo er am 29.07.2014
angekommen sei. Am 26.08.2014 beantragte er beim Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (Bundesamt) seine Anerkennung als Asylberechtigter.
2 Auf ein am 22.10.2014 an die Niederlande gerichtetes Übernahmeersuchen haben
die niederländischen Behörden unter dem 30.10.2014 ihre Zuständigkeit
akzeptiert.
3 Mit Bescheid vom 03.11.2014 stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag
unzulässig sei (Nr. 1), und ordnete die Abschiebung des Klägers in die
Niederlande an (Nr. 2). Der Bescheid wurde dem Kläger am 08.11.2014 zugestellt.
4 Der Kläger hat am 17.11.2014 Klage erhoben und einen Antrag auf vorläufigen
Rechtsschutz gestellt, den das Gericht mit Beschluss vom 12.02.2015 abgelehnt
hat (A 1 K 2725/14).
5 Der Kläger beruft sich zur Begründung der Klage (ergänzend) darauf, dass er nach
Ablehnung seines ersten Asylantrags im Dezember 2012 in den Niederlanden
ohne festen Wohnsitz und staatliche Unterstützung auf der Straße gelebt habe.
Dies stelle eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung dar. Mittlerweile sei
er am 07.04.2015 von Deutschland in die Niederlande überstellt worden. Dort sei
er zunächst ohne ersichtlichen Grund für zwei Monate inhaftiert worden.
Anschließend sei er erneut ohne jegliche Unterstützung oder Sozialleistungen auf
die Straße gesetzt worden. Die niederländischen Behörden bestritten zudem seine
somalische Staatsangehörigkeit. Ihm sei es nicht möglich, einen der Duldung
vergleichbaren Titel in den Niederlanden zu erlangen. Einen solchen Titel könne
man wohl nur erhalten, wenn die Niederlande nicht verlassen werden könne und
der Betreffende keine Schuld daran trage. Die niederländischen Behörden
behaupteten jedoch, dass der Kläger saudi-arabischer Staatsbürger sei, da er in
Djiddah geboren sei. Die niederländischen Behörden hätten wohl versucht, einen
Termin zur Vorsprache auf der Botschaft zu vereinbaren. Zu einem solchen Termin
sei es jedoch ohne Verschulden des Klägers bislang nicht gekommen. Ergänzend
müsse angefügt werden, dass der Kläger Brüder habe, die in den Niederlanden
lebten und in der Vergangenheit als somalische Flüchtlinge anerkannt worden
sein. Nachdem ihm bei der Stellung seines ersten Asylantrags in den Niederlanden
sein angeblich gefälschter somalischer Pass abgenommen worden sei und er sich
keine entsprechenden Papiere über eine Auslandsvertretung beschaffen könne,
habe er derzeit keine Chance auf Erteilung eines mit der Duldung vergleichbaren
Titels samt Unterstützungsleistungen. Obwohl er bereit sei, an der Beschaffung
jeglicher Ausweispapiere mitzuwirken, drohe ihm faktisch die Obdachlosigkeit. Ein
Folgeantrag in den Niederlanden sei ohne erneute Prüfung abgelehnt worden, da
die Behörden davon ausgingen, dass er nicht die somalischen
Staatsangehörigkeit besitze. Mit Beschluss vom 28.05.2015 habe der
niederländische Staatsrat entschieden, dass die Inhaftierung des Klägers
rechtswidrig gewesen sei, und ihm deshalb eine Entschädigung i.H.v. 4.105,00
EUR zugesprochen.
6 Der Kläger beantragt,
7
den Bescheid des Bundesamts Migration und Flüchtlinge vom 03.11.2014
aufzuheben.
8 Die Beklagte beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10 Sie meint, die Niederlande erfüllten die International geforderten Kriterien und
Standards für die Durchführung von Asylverfahren. Da es sich bei den
Niederlanden um einen Vertragsstaat im Rahmen des Schengener Abkommens
und somit um einen sicheren Drittstaat handle, sei davon auszugehen, dass dort
die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen
Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt
sei. Nach der Richtlinie zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von
Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten seien diese verpflichtet, dafür Sorge zu
tragen, dass Asylbewerber die erforderliche Versorgung erhielten, die zumindest
eine Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung umfasse. Bei
Asylbewerbern mit besonderen Bedürfnissen seien sie verpflichtet, diesen die
erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe zu gewähren. Es lägen keine
Erkenntnisse vor, dass die Niederlande diesen Verpflichtungen nicht nachkomme.
11 Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung vom 24.02.2016 vor Gericht
informatorisch angehört worden. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll
verwiesen.
12 Dem Gericht liegen ein Heft Akten des Bundesamts und die Gerichtsakten des
Verfahrens A 1 K 2725/14 vor. Der Inhalt dieser Akten und die im laufenden
Verfahren gewechselten Schriftsatze samt Anlagen sowie die in das Verfahren
eingeführten Erkenntnismittel sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen. Hierauf wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
13 Die Entscheidung erfolgt durch den Vorsitzenden als Einzelrichter (§ 76 Abs. 1
AsylG). Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in
der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war; denn hierauf wurde sie in der
Ladung hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
14 Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge vom 03.11.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
15 1. Es kann offenbleiben, ob der Vortrag des Klägers zutrifft, er habe die
Niederlande im November 2013 mit einem falschen Pass verlassen, sei nach
Somalia zurückgekehrt und habe sich bei einem Imam in einer Moschee in
Mogadischu bis 28.07.2014 aufgehalten; an diesem Tag habe er Mogadischu auf
dem Luftwege verlassen und sei nach Frankfurt geflogen.
16 Dieser Vortrag kann von vornherein keine subjektive Rechtsverletzung des
Klägers begründen. Zwar erlöschen gemäß Artikel 19 Abs. 2 Dublin III-VO die
Wiederaufnahmepflichten nach Artikel 18 Abs. 1, wenn der zuständige
Mitgliedsstaat nachweisen kann, dass der Asylantragsteller, um dessen
Wiederaufnahme er ersucht wurde, das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten für
mindestens drei Monaten verlassen hat, es sei denn, die betreffende Person ist im
Besitz eines vom zuständigen Mitgliedsstaat ausgestellten gültigen
Aufenthaltstitels. Diese Vorschrift dient jedoch allein der objektiven Klärung der
Zuständigkeit. Sie begründet - wie auch andere Zuständigkeitsvorschriften - kein
subjektives Recht darauf, dass ein Asylverfahren in einem bestimmten
Mitgliedsstaat durchgeführt wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 06.08.2013
- 12 S 675/13 - InfAuslR 2014, 29; Urteil vom 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 -
InfAuslR 2014, 293). Entgegen der Auffassung des Klägers gilt dies nicht nur für
die Dublin II-VO, sondern gleichermaßen auch für die Dublin III-VO (a.A. VG
Ansbach, Beschluss vom 29.07.2015 - AN 11 S 15.50223 - juris). Auch die Dublin
III-Verordnung räumt dem Einzelnen nach der Rechtsprechung der Kammer kein
subjektives Recht darauf ein, dass sein Asylantrag in einem bestimmten
Mitgliedstaat geprüft wird. Ein Asylsuchender hat lediglich ein subjektives Recht
auf zeitnahe inhaltliche Prüfung eines Asylgesuchs (vgl. VG Freiburg, Urteil vom
28.08.2015 - A 1 K 2078/14 - juris).
17 2. Es besteht keine Verpflichtung der Beklagten, das Selbsteintrittsrecht nach Art.
17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung auszuüben.
18 Eine solche Verpflichtung würde voraussetzen, dass systemische Mängel im
Asylsystem des betreffenden Landes bestehen, aus denen sich eine konkrete,
beachtlich wahrscheinliche Gefahr ergeben könnte, dass der Asylbewerber bei
einer Rückkehr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne
des Art. 4 GR-Charta, Art. 3 EMRK ausgesetzt sein könnte (vgl. allg. zu diesen
Kriterien: EuGH, Urteil vom 10.12.2013 - C-394/12 - NVwZ 2014, 208; BVerwG,
Beschluss vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 - und Beschluss vom 06.06.2014 - 10 B
35.14 - juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR
2014, 293).
19 Dies ist jedoch nicht der Fall. Systemische Mängel im Asylsystem der Niederlande
in diesem Sinne bestehen nicht (ebenso: VG Minden, Urteil vom 11.12.2015 - 10 K
2696/15.A -; VG Augsburg, Beschluss vom 29.10.2014 - Au 14.50263 -; VG Köln,
Urteil vom 21.04.2015 - 14 K 344/15.A -; VG Magdeburg, Beschluss vom
09.06.2015 - 9 B 514/15 - jeweils juris; VG Regensburg, Beschluss vom
26.03.2014 - RN 5 S 14.30303 - BeckRS 2014, 50217; a.A. VG Darmstadt,
Beschluss vom 07.05.2014 - 4 L 597/14.DA.A -).
20 a) Unbestritten genügt das eigentliche Asylverfahren in den Niederlanden
grundsätzlich den Anforderungen der Richtlinie 2013/33/EU des europäischen
Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (ABl. L 180/96 - Aufnahmerichtlinie)
zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen
Schutz beantragen. Es erfüllt die dort geregelten rechtsstaatlichen
Mindeststandards (ausführl.: VG Regensburg, Beschluss vom 26.03.2014 - RN 5 S
14.30303 - BeckRS 2014, 50217; allg.: AIDA, Country Report: The Netherlands,
November 2015).
21 b) Es ist auch nicht erkennbar, dass die in den Niederlanden praktizierte Haftpraxis
einen systemischen Mangel der Aufnahmebedingungen begründen könnte
(ebenso: VG Minden, Urteil vom 11.12.2015 - 10 K 2696/15.A - juris). Eine
mögliche Abschiebungshaft zur Sicherstellung der Ausreise nach einem
abgeschlossenen Asylverfahren begründet als solche keinen derartigen Mangel.
Soweit in Einzelfällen unverhältnismäßige Inhaftierungen vorgenommen worden
sein sollten, begründet dies noch keinen systematischen, also strukturell bedingten
Mangel, denn in den Niederlanden ist ein ausreichender und effektiver gerichtlicher
Rechtsschutz gewährleistet (ebd.). Dies zeigt sich gerade im Falle des Klägers, der
wohl zur Vorbereitung einer Ausreise oder Abschiebung in Haft genommen worden
ist. Auf sein Rechtsmittel hin hat der „Raad van State“ mit Beschluss vom
28.05.2015 seiner Berufung gegen ein Urteil des erstinstanzlichen Gerichts Den
Haag vom 24.04.2015 stattgegeben, die verhängten freiheitsentziehenden
Maßnahmen aufgehoben und ihm eine Haftentschädigung zugesprochen. Dies
belegt, dass die rechtsstaatliche Kontrolle in den Niederlanden gewährleistet ist
und ausreichender Rechtsschutz gegen im Einzelfall unverhältnismäßige
Inhaftierungen erreicht werden kann.
22 c) Systemische Mängel des Aufnahmeverfahrens ergeben sich ferner auch nicht
daraus, dass endgültig abgelehnte Asylbewerber in den Niederlanden nach dem
Vortrag des Klägers keinerlei staatliche Unterstützung mehr erhalten.
23 aa) Art. 3 EMRK kann nicht in dem Sinne verstanden werden, dass er aus sich
heraus die Vertragsparteien verpflichtet, jedermann in ihrem jeweiligen
Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK
keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu
gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl.
EGMR, Urteil vom 21.01.2011 - 30696/09, M.S.S. - NVwZ 2011, 413 Rn. 249).
Etwas anderes gilt aber, wenn der jeweilige Staat auf Grund bindender rechtlicher
Vorgaben die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft
und einer materiellen Grundausstattung hat, wie hier nach der Richtlinie
2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur
Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen
Schutz beantragen (ABl. L 180/96 - Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig
gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2003 (ABl. L 31/18) ersetzt
hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von
Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt. Hier sind die konkreten
Anforderungen an die festzustellende Schwere der Schlechtbehandlung niedriger
anzusetzen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 -
InfAuslR 2014, 293).
24 Der Kläger fällt als endgültig abgelehnter Asylbewerber jedoch nicht in den
Anwendungsbereich der Aufnahmerichtlinie. Soweit Art. 17 die allgemeinen
Bestimmungen zu materiellen Leistungen im Rahmen der Aufnahme und zu
medizinischen Versorgung regelt, beschränkt sich der Anwendungsbereich auf
„Antragsteller ab Stellung des Antrags auf internationalen Schutz im Rahmen der
Aufnahme“ (Abs. 1). Ein „Antragsteller“ ist nach der Begriffsbestimmung in Art. 2
Buchst. b jedoch nur ein solcher Drittstaatsangehörige oder Staatenloser, der
einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den
noch nicht
endgültig entschieden
wurde. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der
Aufnahmerichtlinie. Sie bezweckt die unionsweite Gleichbehandlung von
Antragstellern in allen Phasen und in allen Arten von Verfahren, die Anträge auf
internationalen Schutz betreffen (Erwägungsgrund 8). Die Lebensverhältnisse
endgültig abgelehnter Asylsuchender betreffen demgegenüber nicht mehr das
asylrechtliche Verfahren im eigentlichen Sinn, sondern ausschließlich noch den
materiellen Status von Ausreisepflichtigen.
25 Ergibt sich mithin aus der Aufnahmerichtlinie keine Erhöhung des
menschenrechtlichen Standards für endgültig abgelehnte und daher
ausreisepflichtigen Asylbewerber, bleibt es bei der oben zitierten Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach Art. 3 EMRK für sich
allein genommen keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Versorgung mit einer
Wohnung oder zur Gewährung finanzieller Leistungen beinhaltet (i.Erg. ähnl.: VG
Minden, Urteil vom 11.12.2015 - 10 K 2696/15.A -; VG Augsburg, Beschluss vom
29.10.2014 - Au 14.50263 -; zu Belgien: VG Düsseldorf, Beschluss vom
26.02.2014 - 13 L 171/14.A - alle juris).
26 bb) Unabhängig davon haben Asylbewerber, die nach bestandskräftiger
Ablehnung ihres Asylgesuchs die Niederlande aufgrund von Umständen nicht
verlassen können, die sie nicht zu vertreten haben, nach dem in das Verfahren
eingeführten Internetauftritt des niederländischen „Immigration and Naturalisation
Service“ die Möglichkeit, dort einen Aufenthaltstitel zu erhalten, wenn sie bei der
Beschaffung von Heimreisedokumenten mitwirken. Damit haben sie zugleich
grundsätzlich die Möglichkeit, eine etwa drohende Obdachlosigkeit und die
Einstellung der Nahrungsmittelversorgung abzuwenden (ebenso VG Minden, Urteil
vom 11.12.2015 - 10 K 2696/15.A - juris).
27 Insoweit trägt der Kläger zwar vor, dass er seine Mitwirkung angeboten habe, ihm
gleichwohl aber ein Titel verweigert worden sei. Dies kann jedoch keinen
systemischen Mangel begründen. Es gibt offenbar grundsätzlich eine zumutbare
Möglichkeit, durch die Mitwirkung bei der Beschaffung von Heimreisepapieren zu
einem Titel zu kommen und dadurch einen Anspruch auf staatliche Leistungen zu
erwerben. Eine rechtswidrige Verwaltungspraxis im Einzelfall, wie sie der Kläger
vorträgt, kann hingegen keinen systemischen Mangel darstellen. Der Kläger hat
insoweit auch nicht angegeben, in den Niederlanden um gerichtlichen
Rechtsschutz nachgesucht zu haben. Ein systemischer Mangel läge aber erst
dann vor, wenn es unter Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden zumutbaren
Rechtsbehelfe keine Möglichkeit gäbe, rechtswidrige Einzelfallentscheidungen
überprüfen und korrigieren zu lassen.
28 cc) Auch unter besonderer Berücksichtigung der besonderen persönlichen
Situation des Klägers ist die Beklagte nicht verpflichtet, im vorliegenden Fall von
ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.
29 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger in den
Niederlanden die Möglichkeit wahrnehmen konnte, bei seinem Bruder und dessen
Familie unterzukommen. Damit war er selbst also nicht unmittelbar von
Obdachlosigkeit oder Verelendung betroffen. Diese Besonderheit des Einzelfalls
kann zwar die Annahme eines systemischen Mangels nicht widerlegen, da auch
diesbezüglich auf die allgemeinen, mithin typischen Verhältnisse abzustellen ist.
Jedenfalls hier stellte die bereits vorgenommene Überstellung in die Niederlande
aber deshalb von vornherein keinen Verstoß gegen die Menschenwürde (Art. 1
Abs. 1 GG) dar.
30 Selbst wenn man der Auffassung des Verwaltungsgerichts Darmstadt (Beschluss
vom 07.05. 2014 - 4 L 597/14.DA.A -) folgen wollte, wonach Art. 1 Abs. 1 GG einer
Abschiebung von Asylsuchenden in die Niederlande grundsätzlich entgegenstehe,
da dort das Existenzminimum nicht gesichert sei und die Verelendung drohe, läge
im Falle des Klägers aufgrund der in den Niederlanden gegebenen Unterstützung
durch seine Familienangehörigen ein Ausnahmefall vor. Denn auch das
Verwaltungsgericht Darmstadt betont in der zitierten Entscheidung, dass es Sache
des Ausländers sei, alles in seiner Macht stehende zu tun, um sein
Existenzminimum zu erhalten. Dazu gehört aber ohne Weiteres die
Inanspruchnahme familiärer Hilfe, wenn diese wie hier zwar schwierig, letztlich
aber doch möglich ist.
31 Abgesehen davon gehört zu den zumutbaren Anstrengungen in diesem Sinn auch
der Versuch, durch die Mitwirkung bei der Beschaffung von Heimreisepapieren zu
einem Titel zu kommen und dadurch einen Anspruch auf staatliche Leistungen zu
erwerben, und zwar einschließlich der Obliegenheit, im Falle einer Ablehnung
durch die Behörden alle zur Verfügung stehenden zumutbaren Rechtsbehelfe
auszuschöpfen (vgl. bereits oben unter 2. c) bb)).
32 3. Nach alledem ist auch die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (jetzt AsylG)
gestützte Abschiebungsanordnung in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
33 Zwar hat das Bundesamt vor Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34 a
AsylG inzident auch zu prüfen, ob Abschiebungsverbote oder Duldungsgründe
vorliegen, soweit ein entsprechender Sachverhalt vorgetragen oder sonst
ersichtlich ist. Eine solche rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der
Abschiebung liegt hier jedoch nicht vor. Insoweit kann auf die obigen
Ausführungen, insbesondere unter 2. c) cc), verwiesen werden.
34 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten
(Gebühren und Auslagen) werden gem. § 83 b AsylG nicht erhoben.