Urteil des VG Freiburg vom 07.12.2015

aufschiebende wirkung, ordnungswidrigkeit, bad, täterschaft

VG Freiburg Beschluß vom 7.12.2015, 4 K 2707/15
Fahrtenbuchauflage: Pflicht zur Vernehmung des Halters als Zeuge
Leitsätze
Wenn der Halter eines Kraftfahrzeugs aufgrund von Umständen, die entweder bereits
bei Einleitung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens oder zumindest deutlich vor Ablauf
der Verfolgungsverjährungsfrist bekannt sind, als Fahrzeugführer ausscheidet und nur
(noch) als Zeuge in Betracht kommt, dann gehört es grundsätzlich zu den der
Bußgeldbehörde nach § 31a StVZO möglichen, angemessenen und zumutbaren
Mitteln, ihn als Zeugen anzuhören.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der
Antragsgegnerin vom 02.02.2015 und den Widerspruchsbescheid des
Regierungspräsidiums … vom 18.08.2015 wird wiederhergestellt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 500 EUR festgesetzt.
Gründe
1 Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig und begründet. Das private
Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage - 4 K
2178/15 - gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 02.02.2015 verfügte
(und im Widerspruchsbescheid bestätigte) Anordnung zum Führen eines
Fahrtenbuchs (Fahrtenbuchauflage) überwiegt das öffentliche Interesse an der
sofortigen Vollziehung dieser Verfügung. Dies ergibt sich daraus, dass sich die
angegriffene Verfügung der Antragsgegnerin bei der im Verfahren auf Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und
Rechtslage voraussichtlich als rechtswidrig erweist.
2 Die dem Antragsteller auferlegte Verpflichtung zum Führen eines Fahrtenbuchs
beruht auf § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Danach kann die Verwaltungsbehörde
gegenüber einem Fahrzeughalter die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen,
wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen
Verkehrsvorschriften nicht möglich war.
3 Unmöglich im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO ist die Feststellung des
Fahrzeugführers, wenn die Behörde nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln,
obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat. Für die
Beurteilung der Angemessenheit der Aufklärungsmaßnahmen kommt es im
Wesentlichen darauf an, ob die Bußgeldbehörde und die Polizei in sachgerechtem
und rationellem Einsatz der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nach
pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen haben, die der Bedeutung
des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß
Erfolg haben können. Dabei können sich Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit
an der Erklärung des betreffenden Fahrzeughalters ausrichten (BVerwG, Urteil
vom 17.02.1982, Buchholz 442.16, § 31a StVZO Nr. 12, sowie Beschlüsse vom
09.12.1993 - 11 B 113.93 -, juris, und vom 21.10.1987, NJW 1988, 1104; VGH
Bad.-Württ., Beschlüsse vom 08.09.2015 - 10 S 1540/15 -, juris, und vom
04.08.2009, NJW 2009, 3802; VG Freiburg, Urteil vom 10.04.2014 - 4 K 2141/13 -).
Hier kann bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung
nicht festgestellt werden, dass die Feststellung des Fahrzeugführers seitens des
Regierungspräsidiums ... (Bußgeldstelle) mit den möglichen und angemessener
Maßnahmen versucht worden ist.
4 Der Antragsteller ist vom Regierungspräsidium ... mit Schreiben vom 30.10.2014 im
Ordnungswidrigkeitenverfahren ausschließlich als Betroffener und nicht wegen
seiner Eigenschaft als Halter des Kraftfahrzeugs auch als Zeuge angehört worden.
Dies ergibt sich aus den verwendeten Formulierungen „Ihnen wird zur Last gelegt
... folgende Ordnungswidrigkeit begangen zu haben“ oder „Sie hielten … den
erforderlichen Abstand nicht ein ...“ sowie aus dem Verweis auf § 55 OWiG in den
formularmäßigen Hinweisen des vom Regierungspräsidium verwendeten
Vordrucks. Für den Betroffenen besteht aber auch im Verfahren wegen der
Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit keine Verpflichtung, zur Sache auszusagen.
Der vom Regierungspräsidium versandte Vordruck enthält auch den Hinweis auf
dieses Aussageverweigerungsrecht des Betroffenen. Ferner ist den Hinweisen des
Vordrucks zu entnehmen, dass der Betroffene, sofern er die Ordnungswidrigkeit
nicht begangen hat, auch Angaben zu den Personalien des Verantwortlichen
machen kann, hierzu aber nicht verpflichtet ist.
5 Zur Erfüllung der aus § 31a StVZO folgenden Verpflichtung, zur Ermittlung des
Täters einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften sämtliche möglichen,
aber auch angemessenen und zumutbaren Schritte zu unternehmen, hätte der
Antragsteller aber zum Zwecke der Klärung der Täterschaft des
Verkehrsverstoßes vom 10.10.2014 nicht (nur) als Betroffener, sondern (auch) als
Zeuge angeschrieben und zur Aussage aufgefordert werden müssen. Denn als
Zeuge wäre der Antragsteller grundsätzlich zur Auskunft verpflichtet gewesen
(siehe zum Vorstehenden VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 04.08.2009, a.a.O.).
6 Aufgrund des hinreichend deutlichen Beweisfotos vom 10.10.2014, auf dem
erkennbar ein deutlich jüngerer Mann als der im Jahr 1957 geborene Antragsteller
als Fahrer abgebildet und damit als Täter der Ordnungswidrigkeit ausgewiesen ist,
sprach von Beginn des Ermittlungsverfahrens an ganz Überwiegendes dafür, dass
der Antragsteller als Täter des ihm im Anhörungsschreiben vom 30.10.2014 zur
Last gelegten Verkehrsverstoßes ausschied. Auch die Bußgeldstelle war bereits
sehr früh der Meinung, dass der Antragsteller wohl nicht der verantwortliche
Fahrzeugführer sein könne, wie sie in ihrem Ermittlungsersuchen an das
Polizeipräsidium Freiburg vom 13.11.2014 mit dem Hinweis „Fahrer erscheint
jünger“, ausdrücklich zum Ausdruck brachte. Spätestens nachdem die
Bußgeldstelle am 24.11.2014 und damit deutlich vor Ablauf der
Verfolgungsverjährungsfrist im Besitz von Lichtbildern des Antragstellers und
seiner beiden Söhne, F. und S., war, verdichtete es sich zur Gewissheit, dass der
Antragsteller als Fahrzeugführer ausschied und einer der beiden Söhne der
verantwortliche Fahrzeugführer sein musste (u. a. auch insoweit unterscheidet sich
der vorliegende Fall von dem durch den VGH Bad.-Württ., Beschluss vom
21.07.2014 - 10 S 1256/13 -, entschiedenen Fall, in dem der Halter durchaus als
Fahrzeugführer in Betracht kam; vgl. hierzu auch VG Aachen, Urteil vom
13.07.2010 - 2 K 971/09 -, juris).
7 Damit kam der Antragsteller bereits deutlich vor Ablauf der
Verfolgungsverjährungsfrist lediglich noch als Zeuge in Betracht. Es war auch nicht
gänzlich auszuschließen, dass der Antragsteller als Zeuge Angaben zum
verantwortlichen Fahrer machen würde. Denn auch im
Ordnungswidrigkeitenverfahren besteht für einen Zeugen anders als für einen
Betroffenen (Beschuldigten) grundsätzlich die Pflicht, bei der Behörde auf eine
entsprechende Ladung hin zu erscheinen und zur Sache auszusagen. Zwar
erfährt diese Pflicht zur Aussage durch Zeugnisverweigerungsrechte (nach den §§
46 Abs. 1 OWiG und 52 StPO) zugunsten von Angehörigen Einschränkungen. Aus
dem - seine Aussage rechtmäßig verweigernden - Verhalten des Antragstellers im
Rahmen seiner förmlichen Anhörung als Betroffener kann aber nicht ohne
Weiteres und gleichsam von vornherein geschlossen werden, er hätte im
Ordnungswidrigkeitenverfahren, entgegen der ihm dann obliegenden
grundsätzlichen Auskunftspflicht, auch als Zeuge keine Aussage zur Sache
gemacht, sich vielmehr auf sein Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber seinen
Söhnen (nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO) berufen und deshalb in keinem Fall zur
Klärung der Täterschaft beigetragen (wie hier VGH Bad.-Württ., Beschluss vom
04.08.2009, a.a.O.; ebenso Nieders. OVG, Beschluss vom 24.04.2012 - 12 ME
33/12 - juris; vgl. hierzu auch den der Antragsgegnerin bekannten Beschluss der
Kammer vom 15.11.2013 - 4 K 1970/13 -).
8 Ein solcher Schluss kann auch nicht mit der erforderlichen Gewissheit aus dem im
vorliegenden Verfahren konkret an den Tag gelegten Verhalten des Antragstellers
gezogen werden. Denn sein Verhalten bestand lediglich darin, dass er auf seine
Anhörung als Betroffener nicht bzw. nur insoweit reagiert hatte, als er über seine
Prozessbevollmächtigte Akteneinsicht beantragt hatte (die er bis zum Abschluss
des Ordnungswidrigkeitenverfahrens nicht erhielt). Er hat damit (anders als in dem
Fall, der dem Beschluss der Kammer vom 15.11.2013, a.a.O., zugrunde lag) nicht
auch zum Ausdruck gebracht, dass er sich auch als Zeuge so verhalten und unter
keinen Umständen zur Klärung der Täterschaft und hier damit u. a. auch zur
Entlastung eines seiner beiden als Täter in Betracht kommenden Söhne beitragen
werde. Dieser Beurteilung stehen auch nicht die Beschlüsse des
Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 21.07.2014 (a.a.O.) und vom
04.12.2013 (VBlBW 2015, 128) entgegen, aus deren Gründen sich ergibt, dass die
betreffenden Fahrzeugführer dort (anders als der Antragsteller im vorliegenden
Fall) trotz ihrer Einbeziehung im Ordnungswidrigkeitenverfahren als Zeugen keine
Angaben zum Fahrzeugführer gemacht haben.
9 Hiernach kann voraussichtlich nicht angenommen werden, dass die Feststellung
eines Fahrzeugführers nach der mit dem Pkw des Antragstellers begangenen
Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften mit den der Bußgeldbehörde
möglichen, angemessenen und zumutbaren Mitteln unmöglich war.
10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
11 Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 und 52 Abs.
1 GKG in Verbindung mit den Empfehlungen des Streitwertkatalogs 2014 für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit (siehe dort die Nrn. 1.5 und 46.11), wonach im
Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes 200 EUR je Monat der
Geltung der Fahrtenbuchauflage als Streitwert anzusetzen ist. Dabei war im
vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass hier nur die Zeit ab Stellung des
Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage am
19.11.2015 bis zum Ablauf des Jahres, für das die Antragsgegnerin die Führung
des Fahrtenbuchs angeordnet hat, also bis zum 02.02.2016, von Bedeutung sein
kann.