Urteil des VG Freiburg vom 24.11.2015

aufschiebende wirkung, psychologisches gutachten, straftat, vollziehung

VG Freiburg Beschluß vom 24.11.2015, 4 K 2480/15
Gutachtensanforderung und Entziehung der Fahrerlaubnis wegen verbaler
Auseinandersetzung mit Gemeindevollzugsbeamten
Leitsätze
Anders als für § 11 Abs. 3 Nr. 7 FeV reicht für § 11 Abs. 3 Nr. 6 FeV die Begehung
einer Straftat aus, die dafür aber erheblich sein muss. Der Begriff "erheblich" ist nicht
ohne Weiteres mit "schwerwiegend" gleichzusetzen, sondern bezieht sich auf die
Kraftfahreignung.
Für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung des § 11 Abs. 3 Nr. 6 FeV trägt
im Zweifel die Fahrerlaubnisbehörde die Darlegungslast.
Eine rein verbale Auseinandersetzung zwischen dem Inhaber einer Fahrerlaubnis und
einem anderen Menschen erfüllt, auch wenn diese Auseinandersetzung mit großer
Lautstärke und Emotionalität geführt wird und wenn mit ihr ein Straftatbestand
verwirklicht wird, in aller Regel nicht die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Nr. 6 FeV.
Das gilt vor allem dann, wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Überschreitung der
Schwelle zum körperlichen Angriff auf den Kontrahenten kraft eigener Willenskontrolle
unterlässt und damit belegt, dass er imstande ist, seine Aggressionen zumindest so
zu steuern, dass es nicht zu Verletzungen der körperlichen Integrität kommt.
Zu den Anforderungen an die Begründung der Sofortvollzugsanordnung (hier
verneint)
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die
Fahrerlaubnisentziehung und die Verpflichtung zur Ablieferung seines Führerscheins
im Bescheid der Antragsgegnerin vom 13.10.2015 wird wiederhergestellt und gegen
die dort angedrohte Wegnahme des Führerscheins angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 3.750 EUR festgesetzt.
Gründe
1
1.
Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung seines Widerspruchs gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom
13.10.2015 ausgesprochene Entziehung seiner Fahrerlaubnis und die
Verpflichtung zur Ablieferung seines Führerscheins sowie auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung dieses Widerspruchs gegen die angedrohte Wegnahme
des Führerscheins ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig und begründet. Denn
das private Interesse des Antragstellers, vorläufig weiter im Besitz der
Fahrerlaubnis zu bleiben und ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr
führen zu dürfen, überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung
der im angegriffenen Bescheid getroffenen Verfügungen. Dies folgt daraus, dass
bei einer Prüfung der Sach- und Rechtslage nach Durchführung einer
Erörterungsverhandlung mit Beweisaufnahme durch den Berichterstatter
Überwiegendes dafür spricht, dass der Widerspruch des Antragstellers gegen den
genannten Bescheid deshalb erfolgreich sein wird, weil nicht mit der erforderlichen
Gewissheit feststeht, dass der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen
ungeeignet ist.
2 Nach den §§ 3 Abs. 1 StVG und 46 Abs. 1 und 3 FeV hat die
Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als
ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 Abs. 1
Satz 2 FeV insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den
Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken an der
Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen eines Kraftfahrzeugs begründen,
hat die Fahrerlaubnisbehörde unter den in §§ 11 bis 14 FeV genannten
Voraussetzungen durch die Anordnung der Vorlage von ärztlichen oder
medizinisch-psychologischen Gutachten die Eignungszweifel aufzuklären (§§ 3
Abs. 1 Satz 3 StVG, 46 Abs. 3 FeV). Wenn sich der Betroffene weigert, sich
untersuchen zu lassen, oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte
Gutachten nicht fristgerecht beibringt, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer
Entscheidung auf die Nichteignung schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Der
Schluss auf die Nichteignung ist aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung der
ärztlichen bzw. medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtmäßig,
insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist und die Weigerung ohne
ausreichenden Grund erfolgte (BVerwG, Urteile vom 09.06.2005, NJW 2005, 3081,
und vom 21.03.2013, NVwZ 2013, 1550; VGH Bad.-Württ, Urteil vom 03.09.2015 -
10 S 778/14 -, juris, und Beschluss vom 08.03.2013, NJW 2013, 1896).
3 Diesen Anforderungen wird die Gutachtensanforderung im Schreiben der
Antragsgegnerin vom 14.07.2015 selbst dann nicht gerecht, wenn man von dem
Fehler absieht, dass in diesem Schreiben unverständlicherweise von einer
Mitarbeiterin des Gemeindevollzugsdienstes (also einer Frau) statt von einem
männlichen Mitarbeiter die Rede ist, mit der bzw. mit dem der Antragsteller eine
Auseinandersetzung gehabt habe. Denn für diese Anordnung gibt es keine
rechtliche Ermächtigung. Nach § 11 Abs. 3 FeV, auf den § 46 Abs. 3 FeV u. a.
verweist, kann dann, wenn sich weder aus dem Sehvermögen (§ 12 FeV), aus
einer Alkoholproblematik (§ 13 FeV) noch aus dem Konsum von Betäubungs- oder
Arzneimitteln (§ 14 FeV) Zweifel an der Kraftfahreignung ergeben, die Beibringung
eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung
(medizinisch-psychologisches Gutachten) zur Klärung von Eignungszweifeln für
die Zwecke nach § 11 Abs. 1 und 2 FeV nur in den in den Nummern 1 bis 9 (von §
11 Abs. 3 FeV) genannten Fällen angeordnet werden. Die Voraussetzungen einer
dieser Nummern liegen hier nicht vor. Zu Recht hat die Antragsgegnerin den Kreis
der in Betracht kommenden Alternativen auf die Nummern 6 und 7 reduziert, alle
anderen Nummern scheiden im vorliegenden Fall tatbestandlich von vornherein
aus.
4 Aber auch § 11 Abs. 3 Nr. 7 FeV scheidet hier aus, weil die Vorschrift die
Begehung mehrerer Straftaten voraussetzt, das Verhalten des Antragstellers, das
Anlass für Zweifel an der Kraftfahreignung bieten könnte, aber allenfalls den
Tatbestand einer Straftat in Form des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte
nach § 113 StGB erfüllen könnte. Soweit die Antragsgegnerin gleichzeitig auch
den Tatbestand der Nötigung nach § 240 StGB erfüllt sieht, verkennt sie, dass die
Rechtsprechung § 113 StGB als spezielle Vorschrift gegenüber § 240 StGB
ansieht (siehe BGH, Urteil vom 20.02.2003 - 4 StR 228/02 -, juris; Fischer, StGB,
62. Aufl. 2015, RdNrn. 2 und 40, m.w.N.).
5 Nach der hiernach allein verbleibenden Vorschrift des § 11 Abs. 3 Nr. 6 FeV kann
ein medizinisch-psychologisches Gutachten angefordert werden bei einer
erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht,
insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen
oder die erhebliche Straftat unter Nutzung eines Fahrzeugs begangen wurde.
Anders als für § 11 Abs. 3 Nr. 7 FeV reicht hier die Begehung einer Straftat aus, die
dafür aber erheblich sein muss. Der Begriff „erheblich“ ist nach der
Gesetzesbegründung zur Änderungsverordnung zur Fahrerlaubnisverordnung
vom 18. Juli 2008 (BGBl I 1338, BR-Drs. 302/08, S. 61) nicht ohne Weiteres mit
„schwerwiegend“ gleichzusetzen, sondern bezieht sich auf die Kraftfahreignung
(so u. a. VG München, Beschluss vom 22.09.2014 - M 6b S 14.3454 -, juris,
m.w.N.). Hiernach liegen auch die Voraussetzungen von § 11 Abs. 3 Nr. 6 FeV
nicht vor. Dabei kommt hier nur die Alternative des Bestehens von Anhaltspunkten
für ein hohes Aggressionspotenzial in Betracht; von einer Straftat, die unter
Nutzung eines Fahrzeugs begangen wurde, kann im vorliegenden Fall auch nach
dem Vortrag und der Auffassung der Antragsgegnerin nicht die Rede sein.
6 Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass es zwischen dem
Antragsteller und einem Gemeindevollzugsbediensteten zu einer heftigen verbalen
Auseinandersetzung gekommen ist, die daraus resultierte, dass der Antragsteller
den Gemeindevollzugsbediensteten nicht für berechtigt hielt, seine Personalien
festzustellen und ihn zu diesem Zweck festzuhalten. Im Übrigen ist Vieles streitig.
Die eine Seite, der Gemeindevollzugsbedienstete und mit ihm seine
Anstellungskörperschaft, die Antragsgegnerin, sieht die Verantwortung für die
verbale Eskalation allein im Verantwortungsbereich des Antragstellers, während
der Antragsteller äußerte, dass der Gemeindevollzugsbedienstete ihn durch die Art
seines Auftretens und den Ton seiner Äußerungen bewusst habe provozieren
wollen. Die vom Berichterstatter als Zeugin vernommene Lebensgefährtin des
Antragstellers wiederum hat das heftige Wortgefecht auf die Gereiztheit beider
Personen zurückgeführt; sie hat den Gemeindevollzugsbediensteten als
aufdringlich und in der konkreten Situation auch als aggressiv empfunden, wobei
sie das Wort „auch“ in dem Sinne gebrauchte, dass sie beide Kontrahenten als
zunehmend aggressiv empfand.
7 Schon allein wegen des insoweit streitigen Sachverhalts kann die Kammer nicht
die erforderliche Überzeugungsgewissheit dafür gewinnen, dass der Antragsteller
eine erhebliche Straftat begangen hat, die im Zusammenhang mit der
Kraftfahreignung steht und bei der er Anhaltspunkte für ein hohes
Aggressionspotenzial geliefert hat. Für das Vorliegen der tatbestandlichen
Voraussetzung des § 11 Abs. 3 Nr. 6 FeV trägt aber im Zweifel die
Antragsgegnerin als Fahrerlaubnisbehörde die Darlegungslast. Die Schilderung
des Vorgangs durch den Gemeindevollzugsbediensteten kann nicht als allein
maßgeblicher objektiver Sachverhalt zugrunde gelegt werden mit der Folge, dass
die Sicht des Antragstellers und seiner bei der Auseinandersetzung ebenfalls
anwesenden Lebensgefährtin, nach der der Streit zumindest auch von dem
Gemeindevollzugsbediensteten mit zu verantworten gewesen sei, unberücksichtigt
zu bleiben hat. Immerhin war auch der Gemeindevollzugsbedienstete persönlich in
die Auseinandersetzung involviert und durch sie emotional betroffen, so dass es
aus der Warte eines objektiven Dritten naheliegend erscheint, wenn auch er die
Verantwortlichkeiten für den Streit mit dem Antragsteller subjektiv zu seinen
Gunsten auslegt.
8 Vor allem aber steht auch nach dem Vortrag des Gemeindevollzugsbediensteten
fest, dass es in der Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Antragsteller allein
bei einem verbalen Streit geblieben ist. Auch der Gemeindevollzugsbedienstete
hat in seiner Vernehmung als Zeuge in der gerichtlichen Erörterungsverhandlung
zum Ausdruck gebracht, dass der Antragsteller ihn, abgesehen davon, dass dieser
ihn mit einer zur Faust geballten Hand von seinem Auto weggeschoben habe,
nicht körperlich angegriffen habe und dass er selbst nicht davon ausgegangen sei,
dass der Antragsteller ihn habe schlagen wollen. Ferner hat er gesagt, dass der
Antragsteller auch keine Beleidigungen ihm gegenüber geäußert habe. Bei dieser
Sachlage kann von dem Vorliegen einer erheblichen Straftat, die im
Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, insbesondere wenn Anhaltspunkte
für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen, keine Rede sein. Eine allein verbale
Auseinandersetzung zwischen dem Inhaber einer Fahrerlaubnis und einem
anderen Menschen erfüllt, auch wenn diese Auseinandersetzung mit großer
Lautstärke und Emotionalität geführt wird und wenn mit ihr ein Straftatbestand
verwirklicht wird, in aller Regel nicht die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Nr. 6
FeV. Das gilt vor allem dann, wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Überschreitung
der Schwelle zum körperlichen Angriff auf seinen Kontrahenten kraft eigener
Willenskontrolle unterlässt und damit belegt, dass er imstande ist, seine
Aggressionen zumindest so zu steuern, dass es nicht zu Verletzungen der
körperlichen Integrität kommt. So liegt der Fall hier. Der Antragsteller mag sich im
Ton und in der Wortwahl gegenüber dem Gemeindevollzugsbediensteten
vergriffen haben, er hat es jedoch von sich aus und nicht aufgrund äußerer
Einwirkungen unterlassen, durch körperliche Verletzungshandlungen den Konflikt
auf einer weiteren Eskalationsstufe fortzusetzen. Vielmehr hat er dem
Gemeindevollzugsbediensteten schließlich selbst durch eigenen Entschluss den
Rücken gekehrt und den Ort der Auseinandersetzung verlassen, indem er sich in
sein Auto gesetzt hat und weggefahren ist. Der Kammer ist auch nach gründlicher
Recherche kein Fall bekannt, in dem ein anderes Gericht in einem vergleichbaren
Fall einer rein verbalen Auseinandersetzung vom Vorliegen der Voraussetzungen
des § 11 Abs. 3 Nr. 6 FeV ausgegangen wäre.
9 Hiernach hält die Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychiatrischen
Gutachtens durch die Antragsgegnerin einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Damit
erweist sich auch die auf § 11 Abs. 8 FeV gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis
als rechtswidrig. Auf die Frage, ob die Antragsgegnerin das ihr nach § 11 Abs. 3
FeV eingeräumte Ermessen bei der Aufforderung zur Beibringung eines
medizinisch-psychiatrischen Gutachtens fehlerfrei ausgeübt hat, kommt es
hiernach nicht mehr an, weil es bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen
hierfür fehlt.
10 Damit entfallen auch die rechtlichen Voraussetzungen für die Aufforderung an den
Antragsteller zur Ablieferung seines Führerscheins und für die Androhung der
Wegnahme dieses Führerscheins durch die Antragsgegnerin.
11
2.
Außerdem und unabhängig von der Begründetheit des Antrags auf
Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom
13.10.2014 kann die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid der
Antragsgegnerin vom 13.10.2015 auch deshalb keinen Bestand haben, weil die
Antragsgegnerin diese Anordnung nicht in einer dem § 80 Abs. 3 VwGO
genügenden Weise schriftlich begründet hat.
12 Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des
Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Diese Vorschrift ist im vorliegenden Fall
zu beachten, weil die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der
Fahrerlaubnisentziehung der Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins im
angegriffenen Bescheid nach Maßgabe von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO
angeordnet hat. Zweck des (formellen) Begründungserfordernisses des § 80 Abs.
3 Satz 1 VwGO ist es, die Behörde zu einer sorgfältigen Prüfung des besonderen
Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts anzuhalten und sie
zu veranlassen, sich die besondere Ausnahmesituation eines Wegfalls der kraft
Gesetzes grundsätzlich bestehenden aufschiebenden Wirkung eines
Rechtsbehelfs bewusst zu machen (Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010,
§ 80 RdNr. 42, m.w.N.). Außerdem sollen dem Betroffenen die für die
Sofortvollzugsanordnung maßgeblichen Gründe zur Kenntnis gebracht werden, so
dass ihm eine Verteidigung seiner Rechte möglich ist. Ferner soll die Begründung
der Sofortvollzugsanordnung die Grundlage für eine gerichtliche Kontrolle der
Anordnung bilden (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 22.01.2013 - 10 S
282/12 - und vom 25.09.2012, DVBl 2012, 1506, m.w.N.; OVG NW, Beschluss vom
22.01.2001, NJW 2001, 3427). Dementsprechend muss aus der Begründung
hinreichend nachvollziehbar hervorgehen, dass und aus welchen besonderen
Gründen die Behörde im konkreten Fall dem besonderen öffentlichen Interesse an
der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts den Vorrang vor dem
Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt und aus welchen im dringenden
öffentlichen Interesse liegenden Gründen sie es für gerechtfertigt oder geboten
hält, den durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ansonsten
eintretenden vorläufigen Rechtsschutz des Betroffenen einstweilen
zurückzustellen. Demgegenüber genügen pauschale bzw. nichtssagende
formelhafte Wendungen dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1
VwGO nicht, weil sie nicht geeignet sind zu belegen, dass die Behörde sich die
Ausnahmesituation im konkreten Fall vor Augen geführt hat (siehe zum Ganzen
VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 22.01.2013 und vom 25.09.2012, jew. a.a.O.;
Beschluss der Kammer vom 24.05.2013 - 4 K 616/13 -, m.w.N.).
13 Es ist unbestritten, dass § 80 Abs. 3 VwGO grundsätzlich auch für den Bereich der
Gefahrenabwehr und dort für das Fahrerlaubnisrecht gilt (vgl. u. a. VGH Bad.-
Württ., Beschluss vom 22.11.2004, VBlBW 2005, 279, m.w.N.). Daran ändert sich
grundsätzlich auch dann nichts, wenn man im Recht der Gefahrenabwehr, zu dem
das Fahrerlaubnisrecht gehört und in dem die Gründe für den Erlass des
Verwaltungsakts regelmäßig zugleich für das Vorliegen des besonderen
Sofortvollzugsinteresses sprechen (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom
22.11.2004, a.a.O., m.w.N.), an den Inhalt der Begründung zutreffenderweise keine
allzu hohen Anforderungen stellt (siehe zum Ganzen auch Beschluss der Kammer
vom 24.05.2013, a.a.O.).
14 Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Sofortvollzugsanordnung im
angegriffenen Bescheid der Antragsgegnerin nicht. Die Antragsgegnerin hat die
Sofortvollzugsanordnung nach dem einleitenden Satz über die Notwendigkeit
eines sofortigen Ausschlusses ungeeigneter Kraftfahrzeugführer von der
Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr im Fall des Antragstellers wie folgt
begründet: „Aufgrund der aufschiebenden Wirkung eines von Ihnen eventuell
eingelegten Rechtsbehelfs bestünde die dringende Gefahr, dass Sie erneut gegen
verkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen und dadurch bedingt Unfälle
verursachen.“ Mit dieser Begründung offenbart die Antragsgegnerin jedoch, dass
sie bei Begründung der Sofortvollzugsanordnung entweder einem Irrtum über den
konkret zu entscheidenden Sachverhalt und über die vom Antragsteller
ausgehende Gefahr unterlag oder dass sie gedankenlos einen vorformulierten
Text eingefügt hat, ohne diesen Text auf die Verwendbarkeit im konkreten Fall hin
zu prüfen. In beiden Fällen werden die durch die Formvorschrift des § 80 Abs. 3
Satz 1 VwGO verfolgten Zwecke (siehe oben) verfehlt. Dem Antragsteller wurden
und werden im gesamten Verfahren keine (mehrfachen) Verstöße gegen
verkehrsrechtliche Vorschriften vorgeworfen, vielmehr hat die Antragsgegnerin die
Kraftfahreignung beim Antragsteller aus ganz anderen Gründen, nämlich allein
wegen eines bei Begehung einer Straftat zum Ausdruck gekommenen hohen
Aggressionspotenzials, in Zweifel gezogen. Wenn die Regelung über das
Begründungserfordernis in § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO in der Praxis nicht jegliche
Bedeutung verlieren und sie u. a. weiterhin dazu dienen soll, dem Adressaten eine
Verteidigung seiner Rechte (ggf. auch vor Gericht) zu ermöglichen (siehe oben),
dann wird man nicht umhin kommen, in Begründungsmängeln der vorliegenden Art
einen formellen Fehler der Sofortvollzugsanordnung zu sehen, der zu ihrer
Aufhebung führt (vgl. hierzu und zu den Folgen eines solchen Fehlers Beschluss
der Kammer vom 24.05.2013, a.a.O., m.w.N; vgl. insbes. auch Bostedt, in:
Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2015, Teil 2-VwGO, § 80 RdNr.
159, m.w.N.).
15 Von einer solchen Aufhebung der Sofortvollzugsanordnung ist hier nur deshalb
abzusehen, weil dem weitergehenden und rechtsschutzintensiveren Antrag des
Antragstellers auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung
seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13.10.2014
stattzugeben war.
16 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
17 Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1
und 39 Abs. 1 GKG. Die Kammer orientiert sich dabei an den Empfehlungen in den
Nrn. 46.2 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit,
Fassung 2013; der sich hieraus ergebende Streitwert in Höhe von 7.500 EUR wird
entsprechend der Nr. 1.5 des oben gen. Streitwertkatalogs im Hinblick auf die
Besonderheiten des lediglich auf die Gewährung vorläufigen Rechtschutzes
gerichteten Verfahrens halbiert.