Urteil des VG Freiburg vom 14.09.2015

cannabis, aufschiebende wirkung, konsum, besitz

VG Freiburg Beschluß vom 14.9.2015, 4 K 1937/15
Regelmäßige Einnahme von Cannabis
Leitsätze
Die Einnahme von Cannabis kann im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn nur dann als
regelmäßig angesehen werden, wenn sie täglich oder nahezu täglich erfolgt. Von
einem regelmäßigen Konsum kann hiernach nicht mehr die Rede sein, wenn er "nur"
alle zwei Tage, also "nur" halb so oft wie täglich, stattfindet.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die
Fahrerlaubnisentziehung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.08.2015 wird
wiederhergestellt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
1 Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
seines Widerspruchs gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.08.2015
ausgesprochene Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B ist gemäß § 80 Abs.
5 VwGO zulässig und begründet. Denn das private Interesse des Antragstellers,
vorläufig weiter im Besitz der Fahrerlaubnis zu bleiben und ein Kraftfahrzeug im
öffentlichen Straßenverkehr führen zu dürfen, überwiegt das öffentliche Interesse an
der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung im angegriffenen Bescheid
der Antragsgegnerin. Dies folgt daraus, dass nach der im Verfahren auf Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen, aber auch ausreichenden
summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage Überwiegendes dafür spricht,
dass der Widerspruch des Antragstellers gegen die in dem genannten Bescheid
ausgesprochene Fahrerlaubnisentziehung deshalb erfolgreich sein wird, weil nicht
mit hinreichender Gewissheit feststeht, dass der Antragsteller zum Führen von
Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.
2 Die Fahrerlaubnisentziehung beruht auf den §§ 3 Abs. 1 und 6 Abs. 1 Nr. 1q StVG
in Verbindung mit § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung - FeV -. Nach
diesen Vorschriften hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis
diese zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen
erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach der Anlage 4
zur Fahrerlaubnisverordnung vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von
Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 9.2.2 in Verbindung mit der
Vorbemerkung Nr. 3 der genannten Anlage 4 ist hinsichtlich der Kraftfahreignung bei
der Einnahme von Cannabis zu differenzieren. Bei regelmäßiger Einnahme ist die
Kraftfahreignung ohne Hinzutreten weiterer Voraussetzungen zu verneinen,
während ein Kraftfahrer, der (nur) gelegentlich Cannabis einnimmt, im Regelfall nur
dann als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist, wenn keine
Trennung zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen von Fahrzeugen
erfolgt oder wenn zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv
wirkenden Stoffen oder eine Störung der Persönlichkeit oder ein Kontrollverlust
vorliegen.
3 Wegen gelegentlicher Einnahme von Cannabis kann dem Antragsteller hiernach -
was zwischen den Beteiligten wohl auch unstreitig ist - wohl in keinem Fall die
Kraftfahreignung abgesprochen werden, weil es, nachdem die Polizeibeamten bei
der Kontrolle des Antragstellers am 21.03.2015 insoweit keine Feststellungen
getroffen haben, keine hinreichenden Anhaltpunkte dafür gibt, dass er den Konsum
von Cannabis und das Führen von Fahrzeugen unter Einfluss des
Cannabiswirkstoffs nicht trennen könnte. Auch liefert der der Kammer bekannte
Sachverhalt keine hinreichenden Erkenntnisse dafür, dass der Antragsteller einen
so genannten Mischkonsum von Cannabis, Alkohol und/oder anderen psychoaktiv
wirkenden Stoffen praktiziert. Das gilt auch für den bloßen widerrechtlichen Besitz
anderer psychoaktiv wirkender Stoffe, wie z. B. der in der Wohnung des
Antragstellers aufgefunden Psilocybe (so genannte Magic Mushrooms), oder
psychoaktiv wirkender Arzneimittel, zu denen möglicherweise auch die beim
Antragsteller aufgefundenen Ritalinkapseln gehören. Dieser Besitz stellt zwar häufig
ein Indiz für Eigengebrauch dar und begründet damit in der Regel Zweifel an der
Kraftfahreignung, reicht aber allein nicht aus für die Feststellung der Nichteignung
zum Führen von Kraftfahrzeugen nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur
Fahrerlaubnisverordnung (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 04.07.2003 - 10 S
2270/02 -, juris; VG München, Beschluss vom 13.03.2015 - M 1 S 15.618 -, juris; VG
Magdeburg, Beschluss vom 17.06.2014 - 1 B 629/14 -; vgl. hierzu auch die
Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV, wonach der widerrechtliche Besitz von
Betäubungsmitteln lediglich ein Grund ist für die Anforderung eines ärztlichen
Gutachtens). Angesichts der ansonsten recht offenherzigen und ehrlich wirkenden
Angaben des Antragstellers gegenüber der Sachverständigen Dr. … spricht hier
auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Antragsteller die Psilocybe
und Ritalinkapseln tatsächlich nicht zum Eigenverbrauch besaß.
4 Dem Antragsteller kann aber auch der regelmäßige Konsum von Cannabis im Sinne
der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV nicht in dem erforderlichen
Umfang nachgewiesen werden. Soweit die Antragsgegnerin dies aus der Aussage
des Antragstellers gegenüber der sachverständigen Fachärztin für Psychiatrie und
Psychotherapie Dr. … folgert, wonach der Antragsteller gesagt haben soll, er habe
von Herbst 2014 bis zum 21.03.2015 jeden zweiten Abend im Freundeskreis
Haschisch geraucht, verkennt sie, dass ein alle zwei Tage stattfindender
Cannabiskonsum in quantitativer Hinsicht voraussichtlich nicht die Anforderungen
an einen regelmäßigen Cannabiskonsum im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn erfüllt.
Nach gefestigter verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung liegt eine regelmäßige
Einnahme von Cannabis nicht bereits dann vor, wenn die Einnahmen in
gleichlangen zeitlichen Abständen erfolgen, sondern nur dann, wenn täglich oder
nahezu täglich Cannabis konsumiert wird (so u. a. BVerwG, Urteile vom 23.10.2014,
NJW 2015, 2439, und vom 20.09.2009, NJW 2009, 2151). Nur dann, wenn der
Cannabiskonsum in diesen engen Intervallen und in dieser Häufigkeit erfolgt,
besteht unabhängig von einem aktuellen Konsum die Möglichkeit einer ständigen
Beeinträchtigung der für die Verkehrssicherheit bedeutsamen Fähigkeiten wie die
Aufmerksamkeitsleistung, die Verarbeitungsgeschwindigkeit und das
Kurzzeitgedächtnis (siehe hierzu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom
13.12.2007 - 10 S 1272/07 -, juris; Urteil der Kammer vom 10.02.2010 - 4 K 953/08
-). Im Ergebnis folgt daraus, dass die gewohnheitsmäßige Einnahme von Cannabis
nur dann als regelmäßig im fahrerlaubnisrechtlichen Sinne angesehen werden
kann, wenn sie nicht deutlich seltener als täglich erfolgt (OVG NRW, Beschluss vom
01.06.2010 - 16 B 428/10 -, juris). Von einem täglichen oder nahezu täglichen
Konsum kann hiernach nicht mehr die Rede sein, wenn er „nur“ alle zwei Tage, also
„nur“ halb so oft wie täglich, stattfindet (siehe OVG NRW, Beschluss vom
01.06.2010, a.a.O.; siehe vor allem auch Bayer. VGH, Beschlüsse vom 04.05.2009 -
11 CS 09.262 -, vom 08.02.2008 - 11 CS 07.3017 - und vom 07.12.2006 - 11 CS
06.1350 -, jew. juris, wonach bis zu vier Konsumvorgänge pro Woche nicht als
regelmäßiger Konsum gewertet wurden; vgl. hierzu auch Urteil der Kammer vom
10.02.2010, a.a.O., in dem 20 Konsumvorgänge pro Monat unter den besonderen
Umständen des dortigen Falls so gerade noch als regelmäßiger Cannabiskonsum
angesehen wurden). Danach lässt sich den Angaben des Antragstellers gegenüber
der Sachverständigen nicht entnehmen, dass er regelmäßig (im
fahrerlaubnisrechtlichen Sinn) Cannabis konsumiert hat. Auch ansonsten fehlt es an
Anhaltspunkten für einen noch intensiveren Cannabiskonsum des Antragstellers als
von ihm angegeben. Dafür, dass der Antragsteller bei seinen Angaben gegenüber
der Sachverständigen eher untertrieben und seinen Cannabiskonsum eher
kleingeredet hätte, fehlt es ebenfalls an jeglichen Anhaltspunkten; davon ist bislang
auch die Antragsgegnerin nicht ausgegangen.
5 Angesichts dieser Rechtslage kommt es auf die zwischen den Beteiligten
vorwiegend erörterten Fragen über die Verwertbarkeit der Aussagen des
Antragstellers gegenüber der Sachverständigen sowie auf evtl. sich weiter stellende
Fragen, über welchen Zeitraum ein regelmäßiger Cannabiskonsum stattgefunden
und bis zu welchem Zeitpunkt vor dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage
bei einer Fahrerlaubnisentziehung maßgeblichen Zeitpunkt dieser Konsum
angedauert haben muss, um als regelmäßig im Sinn von Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur
Fahrerlaubnisverordnung zu gelten, nicht mehr an.
6 Nach alledem liegen derzeit keine hinreichenden Gründe für die Feststellung der
Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen vor. Das mag aus
Sicht der Antragsgegnerin unbefriedigend sein angesichts der Gesamtumstände
des vorliegenden Falls, die geprägt sind durch einen sehr laxen und offenkundig
verantwortungslosen Umgang des Antragstellers mit Drogen und Drogenutensilien
und die in keiner Weise zu dem Bild des angeblich soliden, sportlichen und
verantwortungsbewussten Mannes passen, das in den Stellungnahmen des
Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zu zeichnen versucht wird. Doch ist das
Ergebnis zum einen Folge des geltenden zwingenden Rechts und zum anderen
fehlender weitergehender Feststellungen durch die Polizeibeamten, die den
Antragsteller am 21.03.2015 kontrolliert hatten.
7 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
8 Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 und 52 Abs. 1
GKG in Verbindung mit der Empfehlung Nr. 1.5 und in Anlehnung an die
Empfehlung Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit,
Fassung 2013; der hiernach vorgesehene Streitwert in Höhe von 5.000 EUR wird für
das Eilverfahren halbiert.