Urteil des VG Freiburg vom 12.01.2016

betroffene person, wiederholungsgefahr, tatverdacht, einstellung des verfahrens

VG Freiburg Urteil vom 12.1.2016, 4 K 1915/15
Leitsätze
Für die Frage, ob Daten in POLAS-BW zu Recht gespeichert wurden, ist auf die Sach-
und Rechtslage in dem Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Speicherung der jeweiligen
Daten erfolgt ist. Für jede Speicherung sind die Speichervoraussetzungen gesondert
zu prüfen.
Auch Einstellungen von Strafverfahren nach den §§ 153, 153a oder 170 Abs. 2 StPO
können einen Tatverdacht im Sinne des § 38 Abs. 2 PolG begründen und damit eine
Datenspeicherung nach § 38 Abs. 1 und 2 PolG (als so gen. Prüffall) rechtfertigen.
Bei der Beurteilung der nach § 38 Abs. 3 PolG für eine Speicherung von mehr als zwei
Jahren erforderlichen Wiederholungsgefahr steht dem Polizeivollzugsdienst anders
als bei den Voraussetzungen für die (erstmalige) Speicherung, die gerichtlich
vollumfänglich nachprüfbar sind ein Prognosespielraum zu.
Zur Rechtmäßigkeit der Prognose der Wiederholungsgefahr bedarf es einer auf den
Einzelfall bezogenen, auf schlüssigen, verwertbaren und nachvollziehbar
dokumentierten Tatsachen beruhenden Entscheidung.
Die dokumentierte Überprüfung der Wiederholungsgefahr, die erst ca. zwei Monate
nach Ablauf des für einen Prüffall geltenden Zwei-Jahreszeitraums stattfindet, ist
verspätet, da sich andernfalls eine von einer dokumentierten Wiederholungsgefahr
unabhängige Speicherung auf unbestimmte Zeit verlängerte.
Tenor
Der Beklagte wird verpflichtet, die vom Polizeivollzugsdienst über den Kläger
gespeicherten Eintragungen zum Vorfall vom 12.06.2010 im System POLAS-BW zu
löschen und die dazu gehörenden Unterlagen zu vernichten.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu vier Fünfteln, der Beklagte zu einem
Fünftel.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt die Löschung aller vom Polizeivollzugsdienst über ihn
gespeicherten Daten in dem polizeilichen Auskunftssystem (POLAS-BW).
2 Der am … geborene Kläger wurde wegen verschiedener Vorfälle zur Anzeige
gebracht und es wurden gegen ihn verschiedene strafrechtliche
Ermittlungsverfahren eingeleitet. In einem Fall wurde er vom Amtsgericht ... zu
einer Geldauflage verurteilt, in anderen Fällen wurden die Verfahren von der
Staatsanwaltschaft ... jeweils nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
3 Der Verurteilung durch das Amtsgericht ... vom 30.11.2010 (Az: 18 Ds 141
25806/10) lag eine am 12.06.2010 begangene gefährliche Körperverletzung
zugrunde.
4 Am 08.02.2012 gab es gegen 21.50 Uhr eine Auseinandersetzung zwischen dem
Kläger und seiner früheren Freundin … …, in deren Verlauf Frau … den Kläger
angespuckt und ihm eine Ohrfeige versetzt haben soll. Dem Kläger wurde
vorgeworfen, Frau … gewaltsam festgehalten, sie am Einsteigen in ihren Pkw
gehindert sowie ihr und ihrem neuen Freund gedroht zu haben, sie und ihre
Familien umzubringen. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft ... vom 16.03.2012
(Az: 141 Js 7503/12) wurde das Verfahren wegen fehlenden Tatverdachts nach §
170 Abs. 2 StPO eingestellt, da die Tatbeteiligten die Vorwürfe jeweils bestritten
und den Sachverhalt kontrovers geschildert hätten und keine unabhängigen
Zeugen vorhanden seien.
5 In einem weiteren Vorfall vom 08.02.2012 wurde dem Kläger vorgeworfen, gegen
23.00 Uhr den … … mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen und ihm
mehrere Fußtritte gegen Beine und Oberkörper versetzt zu haben, so dass Herr …
eine Gehirnerschütterung erlitten habe. Auch dieses Verfahren wurde mit
Verfügung der Staatsanwaltschaft ... vom 26.07.2012 (Az: 260 Js 8327/12) wegen
fehlenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, weil nicht zweifelsfrei
zu belegen sei, dass der Kläger sich nicht nur gegen Angriffe des Herrn … habe
schützen und zur Wehr setzen wollen.
6 Am 20.08.2012 vermerkte ein Mitarbeiter des Polizeipräsidiums ... auf einem
Formblatt „Aussonderungsprüfung / Einzelfalllöschung“ handschriftlich Folgendes
unter a) Tatverdacht: 㤠170 (2) StPO, Restverdacht aufgrund d. Aussagen der
Beteiligten selbst sowie Zeugenaussagen“ und b) Wiederholungsgefahr: „ja,
Vortaten im gleichen Deliktsbereich, Aggressionspotential“.
7 Am 27.10.2012 gab es gegen 01.00 Uhr eine Auseinandersetzung zwischen zwei
Türstehern einer Diskothek in Person des Klägers und eines Kollegen von ihm auf
der einen Seite und einer Gruppe mehrerer Männer auf der anderen Seite, in deren
Verlauf der Kläger einem … … mit einem Schlagstock auf die Hand geschlagen
habe. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft ... vom 05.03.2013 (Az: 141 Js
6451/13) wurde das Verfahren wegen fehlenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2
StPO eingestellt, da dem Kläger aufgrund kontroverser Aussagen der am
Geschehen Beteiligten nicht habe nachgewiesen werden können, dass er nicht in
Notwehr gehandelt habe.
8 Bereits am 20.11.2012 hatte der Kläger bei der Polizeidirektion ... einen Antrag auf
Löschung seiner personenbezogenen Daten gestellt. Dieser Antrag war von der
Polizeidirektion ... mit Bescheid vom 25.11.2012 abgelehnt worden. Zur
Begründung hatte die Polizeidirektion ... im Wesentlichen ausgeführt: Die
Voraussetzungen für die Speicherung von Daten lägen bei dem Kläger weiterhin
vor. Er sei einmal wegen einer am 12.06.2010 begangenen gefährlichen
Körperverletzung zu einer Geldauflage verurteilt worden und gegen ihn sei wegen
zweier Körperverletzungsdelikten am 08.02.2012 und wegen einer gefährlichen
Körperverletzung und Beleidigung am 27.10.2012 strafrechtlich ermittelt worden.
Die Verfahren wegen der Körperverletzungen am 08.02.2012 seien von der
Staatsanwaltschaft ... gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, das Verfahren
wegen der Taten am 27.10.2012 sei noch anhängig. Nach kriminalistischer
Erfahrung und unter Einbeziehung aller Tatsachen zu Art und Ausführung der
Taten und seiner Persönlichkeit bestehe bei dem Kläger eine
Wiederholungsgefahr. Die gespeicherten Daten seien geeignet, künftige
polizeiliche Ermittlungen zu fördern. Falls keine neuen Erkenntnisse hinzuträten,
sei eine Überprüfung der Löschung dieser Daten zum 08.02.2017 vorgesehen.
9 Gegen den Bescheid vom 25.11.2012 legte der Kläger keinen Rechtsbehelf ein.
10 Bei einem weiteren Vorfall am 22.12.2012 wurde dem Kläger vorgeworfen,
ebenfalls in seiner Eigenschaft als Türsteher einer Diskothek Gäste dieser
Diskothek, die ihrerseits andere Gäste angegriffen hätten, durch Faustschläge
verletzt zu haben. Die Staatsanwaltschaft stellte dieses Verfahren gegen den
Kläger mit Verfügung vom 30.07.2013 (Az: 171 Js 16839/13) wegen fehlenden
Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO ein, weil sein Einschreiten zur Verhinderung
der Verletzung anderer gerechtfertigt gewesen sei.
11 Am 08.05.2013 vermerkte ein Mitarbeiter des Polizeipräsidiums ... auf einem
Formblatt „Aussonderungsprüfung / Einzelfalllöschung“ maschinenschriftlich
Folgendes unter a) Tatverdacht: „Angaben des Geschädigten“ und b)
Wiederholungsgefahr: „ja Mehrfachtäter, einschlägig“.
12 Am 26.02.2015 stellte der Kläger erneut beim Polizeipräsidium ... einen Antrag auf
Löschung des Vorfalls aus dem Jahr 2010 aus dem Polizeiregister.
13 Mit Schreiben vom 02.03.2015 teilte das Polizeipräsidium ... dem Kläger mit:
Derselbe Antrag sei bereits mit Bescheid vom 25.11.2012 abgelehnt worden. Es
seien keine Gesichtspunkte für eine andere Bewertung und für eine Verkürzung
der Löschungsfrist zu erkennen. Im Gegenteil sei der Kläger durch einen neuen
Datensatz erfasst worden. Dadurch verlängere sich die Frist zur
Datenaussonderung vom 08.02.2017 bis zum 22.12.2017.
14 Am 02.04.2015 wiederholte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten
seinen Antrag auf Löschung seiner personenbezogenen Daten. Er lebe seit dem
12.06.2010 straffrei. Der Verdacht der Köperverletzung am 08.02.2012 habe sich
nicht erhärten lassen. Das Verfahren sei nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt
worden. Deshalb sei keine Speicherung nach § 38 PolG zulässig.
15 Darauf antwortete das Polizeipräsidium ... mit Schreiben vom 09.04.2015: Der
neuerliche Antrag könne als Antrag auf Wiederaufgreifen des durch Bescheid vom
25.11.2012 bestandskräftig abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens ausgelegt
werden. Dafür sei jedoch die Frist des § 51 Abs. 3 LVwVfG verstrichen. Dem
Antrag könne aber auch aus materiellen Gründen nicht entsprochen werden. Denn
aus den Verfügungen über die Einstellung der Strafverfahren gegen den Kläger
ergebe sich nicht, dass er die ihm vorgeworfen Straftaten nicht oder nicht in
rechtswidriger Weise begangen habe.
16 Mit Schreiben vom 29.04.2015 bat der Kläger ausdrücklich um Neubescheidung
seines Löschungsantrags. Die Bestandskraft des alten (rechtswidrigen) Bescheids
stehe dem nicht entgegen. Falls nicht bis zum 13.05.2015 über seinen Antrag
entschieden sei, werde er Klage auf Löschung beim Verwaltungsgericht erheben.
17 Mit Schreiben vom 05.05.2012 teilte das Polizeipräsidium ... dem Kläger mit, dass
es sein Schreiben als Antrag auf Löschung der Daten im Zusammenhang mit dem
Strafverfahren wegen Körperverletzung vom 22.12.2012 auslege und dass es
zeitnah darüber entscheiden werde. Für eine Neubescheidung des
bestandskräftigen Bescheids vom 25.11.2012 bestehe keine Veranlassung.
18 Mit weiterem Schreiben vom 12.05.2015 teilte das Polizeipräsidium ... dem Kläger
mit, dass die Daten im Zusammenhang mit dem Strafverfahren wegen
Körperverletzung vom 22.12.2012 gelöscht würden, da nach der
Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft ... insoweit kein Restverdacht gegen
den Kläger mehr vorliege.
19 Am 30.07.2015 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor: Er
habe einen Anspruch auf Löschung aller über ihn im polizeilichen
Auskunftssystem gespeicherten Daten. Da er sich beim Staat bewerben wolle,
befürchte er wegen dieser Eintragungen Nachteile bei der Bewerberauswahl. Aus
den Verfügungen der Staatsanwaltschaft über die Einstellung der gegen ihn
geführten Ermittlungsverfahren ergäben sich keine Gründe für das Bestehen eines
so gen. Restverdachts gegen ihn. Es sei unzulässig, wenn die Polizei immer von
einem solchen Restverdacht ausgehe, selbst wenn der Betroffene völlig
unschuldig sei und die strafrechtlichen Vorwürfe auf falschen Beschuldigungen
beruhten. Gewissheit über das Vorliegen einer Straftat habe man erst nach einer
Hauptverhandlung. Wenn aber die Staatsanwaltschaft die Verfahren aus Gründen
der Opportunität und der Prozessökonomie einstelle, könne dies bei der
polizeilichen Datenverarbeitung zu Lasten des Betreffenden gehen. Speziell bei
der ihm vorgeworfenen Tat am 27.10.2012 habe es sich um Notwehr gehandelt.
Bei der Tat am 08.02.2012 um 21.50 Uhr sei die Aussage seiner Ex-Freundin
falsch gewürdigt worden. In Wirklichkeit habe er sich ihr nur kurz in den Weg
gestellt, um sie für einen kurzen Moment innehalten zu lassen, und nicht, um sie
am Wegfahren zu hindern. Die Formulierung in einer Einstellungsverfügung könne
nicht entscheidend sein. Aus einer Einstellung wegen widersprechender Aussagen
von Beteiligten ließen sich keine zuverlässigen Rückschlüsse auf die Tat ziehen
und damit keine Restzweifel begründen. Abgesehen davon sei er selbst verletzt
worden, so dass seine Aussage durch objektive Tatsachen gestützt werde. Hinzu
komme, dass sein Gegner ein so gen. Intensivtäter sei. Seit 2012 sei er im Übrigen
in keiner Weise mehr aufgefallen. Sein familiäres Umfeld spreche gegen eine
Negativprognose; sein jüngerer Bruder sei Beamter beim Finanzamt. Wegen der
Eintragungen in den polizeilichen Informationssystemen sei er bereits drei Mal mit
Bewerbungen bei Behörden gescheitert. Er beabsichtige, sich weiterhin zu
bewerben.
20 Der Kläger beantragt,
21 den Bescheid des Polizeipräsidiums ... vom 05.05.2015 aufzuheben, soweit damit
die Löschung der Eintragungen des Klägers im System POLAS-BW abgelehnt
wurde, und den Beklagten zu verpflichten, sämtliche vom Polizeivollzugsdienst
über den Kläger gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen und die
dazu gehörenden Unterlagen zu vernichten.
22 Der Beklagte beantragt,
23 die Klage abzuweisen.
24 Zur Begründung trägt der Beklagte vor: Der Antrag des Klägers auf Löschung
seiner Daten sei bereits mit Bescheid vom 25.11.2012 bestandskräftig abgelehnt
worden. Er habe aber auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Anspruch auf die
begehrte Löschung seiner Daten. Denn diese Daten hätten nach § 38 Abs. 1 bis 3
PolG gespeichert werden dürfen. Das gelte im Hinblick auf die beiden am
08.02.2012 um 21.50 Uhr und um 23.00 Uhr sowie für die am 27.10.2012
begangenen Körperverletzungsdelikte deshalb, weil sich aus den entsprechenden
Einstellungsverfügungen der Staatsanwaltschaft nicht ergebe, dass er die Taten
nicht oder nicht rechtswidrig begangen habe, wie das nach § 38 Abs. 2 Satz 2
PolG für eine Löschung der Daten erforderlich sei. Die Einstellung dieser Verfahren
sei vielmehr erfolgt, weil jeweils „Aussage gegen Aussage“ gestanden habe und
ihm deshalb entweder nicht habe nachgewiesen werden können, dass er die ihm
vorgeworfenen Taten begangen habe, oder weil ihm nicht habe widerlegt werden
können, dass er in Notwehr gehandelt habe. Diese Taten seien deshalb anders zu
beurteilen als der Vorwurf der Körperverletzung am 22.12.2012, bei dem die
Staatsanwaltschaft dem Kläger bescheinigt habe, in seiner Eigenschaft als
Türsteher gerechtfertigt gehandelt zu haben, und der deshalb aus den
polizeilichen Informationssystemen auch gelöscht worden sei. Diese drei
eingestellten Verfahren wegen Körperverletzungsdelikten vom 08.02.2012 und
vom 27.10.2012 hätten somit neben der abgeurteilten Tat vom 12.06.2010 nach §
38 Abs. 3 Satz 1 und 3 PolG auch über zwei Jahre hinaus gespeichert werden
dürfen, weil wegen der wiederholten Tatbegehung innerhalb von zwei Jahren
tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Kläger auch künftig eine
Straftat begehen werde. Darüber hinaus sei während der Dauer des gerichtlichen
Verfahrens ein weiterer Eintrag über den Kläger wegen einer Körperverletzung und
Beleidigung am 24.05.2015 erfolgt. Das Ermittlungsverfahren sei inzwischen durch
Verfügung der Staatsanwaltschaft ... vom 11.12.2015 (Az: 250 Js 37941/15b) nach
§ 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, weil der Geschädigte keinen Strafantrag
gestellt habe und das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht bejaht
worden sei, da es zu keinen erheblichen Verletzungen gekommen sei und die
Beteiligten die Situation als Durcheinander und eher als Gerangel statt als
Schlägerei bezeichnet hätten.
25 Mit Beschluss vom 22.09.2015 - 4 K 1916/15 - hat die Kammer einen Antrag des
Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Löschung der über ihn
gespeicherten Daten abgelehnt.
26 Der Kammer liegen die Akten des Polizeipräsidiums ... über die Korrespondenz mit
dem Kläger zur Löschung der über ihn gespeicherten Daten (1 Heft) sowie die
Akten der Staatsanwaltschaft ... - 141 Js 7503/12, 260 Js 8327/12, 141 Js 6451/13
und 250 Js 37941/15b - (4 Hefte) vor. Der Inhalt dieser Akten und der
Gerichtsakten - 4 K 1915/15 und 4 K 1916/15 - war Gegenstand der mündlichen
Verhandlung; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
27 Die Klage ist zulässig und in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang
begründet, im Übrigen jedoch nicht begründet.
28
1.
Die Klage ist als Verpflichtungsklage statthaft und zulässig. Die vom Kläger
begehrte Löschung der von ihm im polizeilichen Auskunftssystem POLAS-BW
gespeicherten Daten setzt einen Verwaltungsakt voraus, mit dem über diesen
Anspruch entschieden wird (h. M.; siehe BVerwG, Urteil vom 09.06.2010, NJW
2011, 405; BSG, Urteil vom 21.03.2006 - B 2 U 24/04 R -, juris; VGH Bad.-Württ.,
Urteil vom 26.05.1992, DVBl 1992, 1309; VG Karlsruhe, Urteile vom 19.11.2014 - 4
K 2270/12 - und vom 27.10.2011 - 2 K 256/11 -, juris; VG Sigmaringen, Urteil vom
24.02.2005 - 8 K 1829/03 -, juris; VG Neustadt, Urteil vom 21.05.2013 - 5 K 969/12
-, juris; Zeitler/Trurnit, Polizeirecht für Baden-Württemberg, 3. Aufl. 2014, RdNr.
1125; a. A. Belz/Mußmann/Kahlert/Sander, Polizeigesetz für Baden-Württemberg,
8. Aufl. 2015, § 46 RdNr. 41).
29 Die (Verpflichtungs-)Klage ist auch ohne ordnungsgemäße Durchführung eines
Widerspruchsverfahrens nach Maßgabe von § 75 VwGO zulässig, weil das
Polizeipräsidium ... über den Antrag des Klägers vom 02.04.2015 auf Löschung
der über ihn in polizeilichen Datenbanken gespeicherter Daten, den er mit
Schreiben vom 29.04.2015 wiederholt hat, bis heute nicht förmlich entschieden
hat. Soweit das Polizeipräsidium ... den Löschungsantrag des Klägers im Wege
der Auslegung beschränkt hat auf die Daten im Zusammenhang mit dem
Strafverfahren wegen Körperverletzung vom 22.12.2012 und diesem so
ausgelegten Antrag mit Schreiben vom 12.05.2015 in der Sache stattgegeben hat,
stellt das keine umfassende Bescheidung des Antrags des Klägers dar, der nach
dem objektivierten Willen des Klägers eindeutig auf die Löschung sämtlicher über
ihn gespeicherten personenbezogenen Daten und nicht allein der Daten über das
Verfahren wegen der am 22.12.2015 begangenen Körperverletzung gerichtet war.
30
2.
Die Klage ist teilweise begründet. Über den Kläger existieren nach dem
aktuellen POLAS-Ausdruck vom 04.01.2016 Eintragungen zu fünf Vorfällen und
zwar über eine gefährliche Körperverletzung vom 12.06.2010 (1.) sowie über den
Verdacht von Straftaten am 08.02.2012 um 21.50 Uhr (2.) und um 23.00 Uhr (3.),
am 27.10.2012 (4.) und am 24.05.2015 (5.). In Bezug auf die Eintragungen zum
Vorfall vom 12.06.2010 ist die Klage begründet; der Kläger hat insoweit einen
Anspruch auf Löschung und Vernichtung der Unterlagen - im Folg. unter 2.1 -.
Wegen der anderen Vorfälle hat der Kläger einen solchen Anspruch nicht - im Folg.
unter 2.2 - (§ 113 Abs. 5 VwGO).
31 Soweit POLAS-BW auch wegen eines Vorfalls vom 22.12.2012 eine Eintragung
über den Kläger enthielt, ist dieser Vorfall, wie das Polizeipräsidium ... vom
12.05.2015 mitgeteilt hatte, bereits vor Klageerhebung gelöscht worden. Dieser
Vorgang ist auch tatsächlich nicht mehr in POLAS-BW gespeichert und damit auch
nicht Gegenstand dieses Klageverfahrens (geworden).
32 Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Löschung ist § 38 Abs.
1 Satz 4 PolG und/oder § 46 Abs. 1 Satz 1 PolG, wobei es auf der Verhältnis
dieser beiden Vorschriften zueinander nicht ankommt (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ.,
Urteil vom 27.09.1999, NVwZ-RR 2000, 287, und Beschluss vom 20.02.2001,
NVwZ 2001, 1289; VG Karlsruhe, Urteil vom 19.11.2014, a.a.O.; Stephan/Deger,
Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 7. Aufl. 2014, § 38 RdNr. 5 und § 46 RdNr.
1). Nach diesen Vorschriften ist ein Löschungsanspruch gegeben, wenn die Daten
entweder gar nicht hätten gespeichert werden dürfen, die Speicherung also von
Anfang an unzulässig war, oder wenn die Speicherung nicht mehr zulässig ist oder
wenn bei der zu bestimmten Fristen oder Terminen vorzunehmenden Überprüfung
oder im Einzelfall festgestellt wird, dass ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur
Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben nicht mehr erforderlich ist (Stephan/Deger,
a.a.O., § 46 RdNr. 5; Zeitler/Trurnit, a.a.O., RdNrn. 894 ff., m.w.N.).
33 Für die Frage, ob Daten zu Recht gespeichert worden sind, ist auf die Sach- und
Rechtslage in dem Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Speicherung der
entsprechenden Information erfolgt ist. Für jede Speicherung sind die
Speichervoraussetzungen gesondert zu prüfen. Denn das Gesetz geht davon aus,
dass eine Speicherung nur erfolgt, wenn zum Zeitpunkt der Speicherung die
gesetzlichen Voraussetzungen für die Speicherung vorliegen. Daher entsteht bei
einer von vornherein unzulässigen Speicherung auch umgehend ein
Löschungsanspruch aus § 38 Abs. 1 Satz 4 PolG oder aus § 46 Abs. 1 Satz 1
PolG (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2015, DVBl 2015, 506, m.w.N.; VG
Karlsruhe, Urteil vom 19.11.2014 - 4 K 2270/12 -, juris).
34
2.1
Der Vorfall vom 12.06.2010, der erste Eintrag über den Kläger in POLAS-BW,
ist zunächst zu Recht in POLAS-BW eingetragen bzw. gespeichert worden.
Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Speicherung dieses Vorfalls ist nach den
Ausführungen im vorstehenden Absatz § 38 des Polizeigesetzes in der ab dem
22.11.2008 geltenden Fassung des Gesetzes vom 18.11.2008 (GBl, 390). Diese
Vorschrift ist in der Folgezeit zwar durch Gesetz vom 20.11.2012 (GBl, 625) mit
Wirkung vom 29.11.2012 geändert worden, allerdings nur in Form der Hinzufügung
von Satz 2 in § 38 Abs. 5 PolG; im Übrigen ist § 38 PolG seit der (grundlegenden)
Änderung vom 18.11.2008 unverändert geblieben (dementsprechend wird im
Weiteren bei der Bezeichnung § 38 PolG nicht zwischen den Fassungen vor und
nach der Änderung vom 20.11.2012 differenziert). § 38 PolG ist hier gegenüber §
37 PolG als speziellere Vorschrift anzuwenden, weil es im Fall des Klägers um die
Speicherung von Daten geht, die der Polizei im Rahmen von strafrechtlichen
Ermittlungsverfahren bekannt geworden sind (vgl. hierzu Stephan/Deger, a.a.O., §
38 RdNr. 1; Zeitler/Trurnit, a.a.O., RdNr. 795; vgl. hierzu auch VGH Bad.-Württ.,
Urteil vom 10.02.2015, a.a.O.; VG Karlsruhe, Urteil vom 19.11.2014, a.a.O.).
35 Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 PolG kann der Polizeivollzugsdienst personenbezogene
Daten, die ihm im Rahmen von Ermittlungsverfahren bekanntgeworden sind,
speichern, verändern und nutzen, soweit und solange dies zur Abwehr einer
Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist. Nach §
38 Abs. 2 Satz 1 und 2 PolG ist die Speicherung, Veränderung und Nutzung
personenbezogener Daten zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten bis zu
einer Dauer von zwei Jahren erforderlich, wenn auf Grund tatsächlicher
Anhaltspunkte der Verdacht besteht, dass die betroffene Person eine Straftat
begangen hat. Ein solcher Verdacht besteht nicht, wenn die betroffene Person im
Strafverfahren rechtskräftig freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens
gegen sie unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nicht nur vorläufig
eingestellt ist und sich aus den Gründen der Entscheidung ergibt, dass die
betroffene Person die Straftaten nicht oder nicht rechtswidrig begangen hat.
36 Die in § 38 Abs. 1 Satz 2 und 3 PolG genannten erhöhten Anforderungen an die
Speicherung und Nutzung haben hier keine Bedeutung, da es sich bei den über
den Kläger gespeicherten Daten unstreitig nicht um Daten handelt, die durch
Maßnahmen nach den §§ 100a oder 100c StPO erhoben wurden.
37 Dass die Daten über Verurteilung des Klägers wegen der am 12.06.2010
begangenen gefährlichen Körperverletzung zu Recht gespeichert wurden, wird
auch vom Kläger im Grunde nicht bestritten, weil insoweit seine Schuld aufgrund
eines rechtskräftigen Urteils feststeht.
38 Die oben genannten Vorschriften erlauben eine Speicherung von Daten über
einen Vorfall jedoch zunächst nur für die Dauer von zwei Jahren (als so gen.
Prüffall; siehe zu diesem für das Verständnis von § 38 PolG bedeutsamen Begriff
LT-Drs 14/3165, 33, Anm. 16; vgl. auch Zeitler/Trurnit, a.a.O., RdNr. 803; VG
Karlsruhe, Urteil vom 19.11.2014, a.a.O.). Eine Speicherung über diesen Zeitraum
hinaus ist nur nach Maßgabe von § 38 Abs. 3 PolG zulässig. Danach ist eine
weitere Speicherung, Veränderung und Nutzung zur vorbeugenden Bekämpfung
von Straftaten (nur) zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen,
dass die betroffene Person zukünftig eine Straftat begehen wird. Tatsächliche
Anhaltspunkte können sich insbesondere aus Art, Ausführung und Schwere der
Tat ergeben. Lagen solche Anhaltspunkte im Zeitpunkt der Speicherung der
personenbezogenen Daten noch nicht vor, dürfen die Daten zur vorbeugenden
Bekämpfung von Straftaten über die Dauer von zwei Jahren hinaus nur dann
gespeichert, verändert und genutzt werden, wenn auf Grund tatsächlicher
Anhaltspunkte der Verdacht besteht, dass die betroffene Person während des
Laufs dieser zwei Jahre eine weitere Straftat begangen hat.
39 Bei der Beurteilung der nach dieser Vorschrift (§ 38 Abs. 3 PolG) erforderlichen
Wiederholungsgefahr steht dem Polizeivollzugsdienst - anders als bei den
Voraussetzungen für die (erstmalige) Speicherung, die gerichtlich vollumfänglich
nachprüfbar sind - ein Prognosespielraum zu. Denn diese Prognose der
Wiederholungsgefahr besteht nicht lediglich in der Feststellung von Tatsachen und
deren Subsumtion. Die Prognoseentscheidung enthält vielmehr eine
vorausschauende Beurteilung und ist insofern ein Akt wertender Erkenntnis, in den
auch polizeiliches Erfahrungswissen einfließt (so zu der nach § 38 Abs. 1 des
Polizeigesetzes in der vor dem 22.11.2008 geltenden Fassung - PolG a. F. -
bereits für die erstmalige Speicherung erforderlichen Wiederholungsgefahr VGH
Bad.-Württ., Urteile vom 10.02.2015, a.a.O., m.w.N., und vom 26.05.1992, a.a.O.;
ebenso VG Sigmaringen, Urteil vom 24.02.2005, a.a.O.; so auch Stephan/Deger,
a.a.O., § 38 RdNr. 7; a. A. VG Karlsruhe, Urteil vom 19.11.2014, a.a.O.). Dieser
Prognosespielraum ist verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber kann - wie in § 38
Abs. 3 PolG - durch eine gesetzliche Regelung der Exekutive einen
Prognosespielraum eröffnen und insoweit die Rechtskontrolle durch die Gerichte
einschränken. Die Gerichte überprüfen jedoch, ob eine ausreichende
Rechtsgrundlage für den Beurteilungsspielraum besteht und ob die Behörde von
einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist,
Verfahrensvorschriften eingehalten hat, den gesetzlichen Rahmen zutreffend
erkannt hat, allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe beachtet und keine
sachfremden Erwägungen angestellt hat.
40 Ob die Behörde, der ein Beurteilungsspielraum durch das Gesetz eingeräumt ist,
von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist,
die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums eingehalten und die richtigen
Bewertungsmaßstäbe angewendet hat, kann nur anhand einer die gerichtliche
Nachprüfung ermöglichenden Begründung der Entscheidung durch die Behörde
überprüft werden. Fehlt es an einer diesen Anforderungen genügenden
Begründung, unterliegt die behördliche Entscheidung der gerichtlichen Aufhebung.
Es bedarf daher zur Rechtmäßigkeit der Prognose der Wiederholungsgefahr nach
§ 38 Abs. 3 PolG einer auf den Einzelfall bezogenen, auf schlüssigen,
verwertbaren und nachvollziehbar dokumentierten Tatsachen beruhenden
Entscheidung. Auch die nach wie unveränderte (an die geänderten
Gesetzesfassungen nicht angepasste) Verwaltungsvorschrift des
Innenministeriums vom 18.07.1997 zum Polizeigesetz (GABl 1997, 406) zu § 38
Abs. 1 PolG a. F. sieht vor, dass die die Prognoseentscheidung tragenden Gründe
stichwortartig in der Akte festzuhalten sind, um diese später - auch im Hinblick auf
ein mögliches verwaltungsgerichtliches Verfahren - nachvollziehen zu können
(siehe zum Ganzen VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2015, a.a.O.).
41 Hiernach liegen die Voraussetzungen für eine Speicherung des Vorfalls vom
12.06.2010 über die Dauer von zwei Jahren hinaus nicht vor. Denn es fehlt an
einer nach den vorstehenden Ausführungen erforderlichen rechtzeitigen
Dokumentation der Bejahung bzw. Begründung einer Wiederholungsgefahr. Nach
den von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen
hat der Polizeivollzugsdienst erstmals am 20.08.2012 stichwortartig in Akten
vermerkt, dass bei dem Kläger eine Wiederholungsgefahr besteht. Dieser Vermerk
ist damit nach Ablauf des Zwei-Jahreszeitraums für die Speicherung eines
Prüffalls, hier in Form des Vorfalls vom 12.06.2010, erstellt worden und damit zu
einem Zeitpunkt, zu dem dieser Vorfall bereits aus POLAS-BW hätte gelöscht
werden müssen. Der Zeitpunkt, an dem der Polizeivollzugsdienst den Vorfall vom
12.06.2010 in POLAS-BW eingetragen hatte, und damit auch der genaue
Zeitpunkt, ab dem der Zwei-Jahreszeitraum exakt zu laufen begann, lässt sich den
vom Beklagten vorgelegten Akten und Unterlagen nicht sicher entnehmen. Die
gesamten Umstände des Falls und auch die Einlassungen der Beteiligten hierzu in
der mündlichen Verhandlung lassen aber den Schluss zu, dass die Speicherung
tatsächlich im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Tat vom
12.06.2010 erfolgt ist. Nach dem Wortlaut und dem Zweck von § 38 Abs. 2 Satz 1
PolG kommt es für die Berechnung des Zwei-Jahreszeitraums auf den Zeitpunkt
an, zu dem die Speicherung tatsächlich erfolgt ist. Denn ein späterer Beginn führte
zu einer faktischen Verlängerung des Zwei-Jahreszeitraums in § 38 Abs. 2 Satz 1
PolG, gegen den angesichts der fehlenden Erforderlichkeit einer
Wiederholungsgefahr ohnehin schon verfassungsrechtliche Bedenken ins Feld
geführt werden (vgl. hierzu Zeitler/Trurnit, a.a.O., RdNr. 803, m.w.N.) und der
deshalb eine strenge und grundrechtsfreundliche, das heißt am Grundrecht der
informationellen Selbstbestimmung ausgerichtete, Berechnungsweise gebietet.
Angesichts der Tatsache, dass der Polizeivollzugsdienst im vorliegenden Fall den
Vorfall vom 12.06.2010 im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang hierzu in
POLAS-BW eingestellt (gespeichert) hat, kommt es nach Auffassung der Kammer
hier auf die sich aus § 38 PolG nicht zu beantwortenden Fragen, ob die
Voraussetzungen für die Speicherung von Daten im Zeitpunkt der Tat, im Zeitpunkt
der Kenntniserlangung von der Tat durch den Polizeivollzugsdienst - für diesen
könnten praktische Gründe, der Sinn und Zweck der Datenspeicherung sowie der
Wortlaut von § 38 Abs. 1 Satz 1 PolG („bekanntgeworden sind“) sprechen (vgl. zu
diesen Fragen auch VG Karlsruhe, Urteil vom 19.11.2014, und VG Sigmaringen,
Urteil vom 24.02.2005, jew. a.a.O.) - oder erst im Zeitpunkt der das Ermittlungs-
oder Strafverfahren abschließenden gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen
Entscheidung - dafür könnte die Regelung in § 38 Abs. 2 Satz 2 PolG sprechen -
vorliegen müssen, nicht an.
42 Damit endete der Zwei-Jahreszeitraum für die Speicherung des ersten den Kläger
betreffenden Vorfalls vom 12.06.2010 im Juni 2012. Eine längere Speicherung
dieses Vorfalls hätte der Bejahung einer Wiederholungsgefahr durch den
Polizeivollzugsdienst nach § 38 Abs. 3 PolG und der formellen Dokumentation der
Gründe für diese Entscheidung bedurft. Zumindest an einer zeitnahen
Dokumentation fehlt es hier. Der Vermerk vom 20.08.2012, in dem der
Polizeivollzugsdienst die Wiederholungsgefahr (im Einklang mit der
Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums zum Polizeigesetz vom 18.07.1997
[a.a.O.]) stichwortartig dokumentiert hat, ist verspätet und steht nicht mehr in dem
erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Ablauf des Zwei-
Jahreszeitraums; er ist erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der Vorfall vom
12.06.2010 längst hätte gelöscht sein müssen. Darauf, ob diese Dokumentation
spätestens exakt am Tag des Ablaufs des Zwei-Jahreszeitraums stattfinden muss
oder ob dies auch innerhalb eines begrenzten Zeitraums danach erfolgen kann,
was sich aus § 38 PolG ebenfalls nicht entnehmen lässt, kommt es hier nicht an.
Denn eine dokumentierte Überprüfung der Wiederholungsgefahr, die - wie hier -
erst ca. zwei Monate nach Ablauf des Zwei-Jahreszeitraums stattgefunden hat, ist
jedenfalls verspätet, da sich andernfalls die Zulässigkeit der Speicherung eines so
gen. Prüffalls auf eine unbestimmte Zeit von mehr als zwei Jahren verlängerte, was
angesichts der unklaren gesetzlichen Regelung mit dem Grundrecht auf
informationelle Selbstbestimmung schwerlich zu vereinbaren wäre.
43 Ein anderes Ergebnis lässt sich auch nicht mit Hinweis auf die Regelung in § 38
Abs. 5 Satz 1 und 2 des Polizeigesetzes in der aktuellen Fassung vom 20.11.2012
(GBl, 625) begründen. So beginnen nach § 38 Abs. 5 Satz 1 PolG die Fristen zwar
spätestens mit Ablauf des Jahres, in dem das letzte Ereignis erfasst worden ist,
das zur Speicherung der personenbezogenen Daten geführt hat, jedoch nicht vor
der Entlassung des Betroffenen aus einer Justizvollzugsanstalt oder vor der
Beendigung einer mit Freiheitsentziehung verbundenen Maßregel der Besserung
und Sicherung, und nach § 38 Abs. 5 Satz 2 PolG gilt für alle Speicherungen
gemeinsam die Frist, die als letzte endet, wenn innerhalb der Fristen weitere
personenbezogene Daten über dieselbe Person gespeichert werden. Doch mit
dem Begriff der „Fristen“ in § 38 Abs. 5 PolG sind, wie sich auch aufgrund einer
historischen Auslegung ergibt, nur die in § 38 Abs. 4 PolG (bzw. in § 38 Abs. 2 des
Polizeigesetzes in der vor dem 22.11.2008 geltenden Fassung) und die in § 5
DVO PolG genannten Fristen gemeint (ebenso Zeitler/Trurnit, a.a.O., RdNr. 807;
vgl. auch Stephan/Deger, a.a.O., § 38 RdNrn. 13 f.). Mit Blick auf § 38 Abs. 5 Satz
2 PolG kommt hinzu, dass diese Vorschrift erst am 29.11.2012 und damit erst zu
einem Zeitpunkt in Kraft trat, in dem der Vorfall vom 12.06.2010 nach den
vorstehenden Ausführungen bereits hätte gelöscht sein müssen.
44 Dass über den Kläger noch vor Ablauf des Zwei-Jahreszeitraums seit Speicherung
des Vorfalls vom 12.06.2010 weitere (zwei) Vorfälle (vom 08.02.2012) in POLAS-
BW eingetragen worden sind, vermag nichts daran zu ändern, dass es zu einer
weiteren, das heißt über zwei Jahre hinausgehenden, Speicherung der Daten über
den Vorfall vom 12.06.2010 einer (formellen) Dokumentation der Gründe für die
Annahme einer Wiederholungsgefahr spätestens am Ende des Zwei-
Jahreszeitraums bedurfte hätte. Die Verstrickung des Klägers in weitere
strafrechtlich relevante Vorgänge mag für die Bejahung einer Wiederholungsgefahr
sprechen und die Darlegung der Gründe dafür erleichtern, sie ersetzt jedoch nicht
die Verpflichtung zur formellen Dokumentation der Wiederholungsgefahr nach
Ablauf der Prüffristen für jede einzelne Eintragung.
45 Auf die Bestandskraft des Bescheids der Polizeidirektion ... vom 25.11.2012, mit
dem das erstmals beantragte Löschungsbegehren des Klägers abgelehnt wurde,
kann der Beklagte sich schon deshalb nicht berufen, weil sich die Sach- und
Rechtslage danach u. a. insoweit (auch) zugunsten des Klägers verändert hat, als
der Zwei-Jahreszeitraum für die Speicherung des Vorfalls vom 10.06.2010 (als so
gen. Prüffall) abgelaufen war und eine weitere Speicherung nur nach Prüfung einer
Wiederholungsgefahr und Dokumentation dieser Prüfung zulässig war (siehe § 51
Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG). Abgesehen davon muss die Polizei dem mit einer
langjährigen Datenspeicherung einhergehenden Dauereingriff in das Grundrecht
auf informationelle Selbstbestimmung fortlaufend Rechnung tragen und entweder
aufgrund konkreter Erkenntnisse oder im Rahmen gesetzlicher
Überprüfungsfristen sowie nach Ablauf anderer gesetzlicher Prüfzeiträume, wie z.
B. des Zwei-Jahreszeitraums nach § 38 Abs. 2 Satz 1 PolG, die Rechtmäßigkeit
gespeicherter personenbezogener Daten unter Kontrolle halten und
gegebenenfalls nach Erlass eins bestandkräftigen Bescheids, mit dem eine
Datenlöschung abgelehnt wurde, die Datenspeicherung im Wege von
Ermessenentscheidungen nach Maßgabe der §§ 51 Abs. 5, 48 Abs. 1 Satz 1 oder
49 Abs. 1 LVwVfG überprüfen.
46
2.2
Demgegenüber hat der Kläger keinen Anspruch auf Löschung der Daten über
die zwei Vorfälle vom 08.02.2012 sowie die Vorfälle vom 27.10.2012 und vom
24.05.2015. Denn die Speicherung dieser Daten über den Kläger ist rechtmäßig
erfolgt und diese Daten dürfen auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung
noch gespeichert und genutzt werden; somit liegen auch die Voraussetzungen für
ihre Löschung nicht vor.
47 Bei den gespeicherten Daten über den Vorfall vom 08.02.2012, um 21.50 Uhr,
handelt es sich um den Vorwurf einer vorsätzlichen Körperverletzung, einer
versuchten Nötigung und einer Bedrohung, indem er seine Ex-Freundin
festgehalten und dadurch gewaltsam am Einsteigen in ihren Pkw gehindert sowie
ihr und ihrem neuen Freund und dessen Familie damit gedroht habe, sie
umzubringen. Alle Erkenntnisse über diesen Vorfall beruhten auf Aussagen des
Klägers und seiner Ex-Freundin, die sich gegenseitig verschiedener Straftaten
beschuldigt und den Sachverhalt kontrovers geschildert hatten. Die
Staatsanwaltschaft hat das Verfahren laut ihrer Verfügung vom 16.03.2012
deshalb nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, weil hier Aussage gegen Aussage
stand, sie keiner der kontroversen Aussagen einen höheren Beweiswert zusprach
und deshalb keinen hinreichenden Tatverdacht begründet sah. Bei dieser
Sachlage, die sich auch nach den der Kammer vorliegenden Akten der
Staatsanwaltschaft bestätigt hat, lagen die Voraussetzungen für eine Speicherung
dieses Vorfalls nach § 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 PolG vor, da aufgrund
der tatsächlichen Umstände auch nach Auffassung der Kammer Anhaltspunkte für
den Verdacht der Begehung von Straftaten durch den Kläger bestanden. Der
Wortlaut dieser Vorschriften zeigt, dass Anhaltspunkte für einen Tatverdacht
ausreichen und dass hierfür keine (rechtskräftige) strafrechtliche Verurteilung
erforderlich ist. In § 38 Abs. 2 Satz 2 PolG kommt zum Ausdruck, dass ein solcher
Tatverdacht erst dann ausgeräumt ist, wenn sich (u. a.) im Fall eines
freisprechenden Urteils oder einer Verfahrenseinstellung aus der jeweiligen
Entscheidung, dem Urteil oder der Einstellungsverfügung ergibt, dass die
betroffene Person die ihr vorgeworfenen Straftaten entweder nicht begangen hat
oder sie zwar begangen hat, ihr Handeln aber gerechtfertigt war.
48 Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt diese Regelung nicht gegen
höherrangiges Recht. Nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung
begründen auch Einstellungen von Strafverfahren nach den §§ 153, 153a oder
170 Abs. 2 StPO einen Tatverdacht im Sinne des § 38 Abs. 2 PolG gegen die
Betroffenen. Denn der hinreichende Tatverdacht ist Voraussetzung für die
Zulässigkeit von Einstellungen nach den §§ 153 und 153a StPO und auch eine
Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO oder ein Freispruch schließen einen gegen
den Beschuldigten fortbestehenden Tatverdacht nicht notwendig aus. Sofern die
Verdachtsmomente nicht ausgeräumt sind, ist eine Speicherung daher auch in
diesen Fällen zulässig und mit der durch das Rechtsstaatsprinzip und Art. 6 Abs. 2
EMRK verbürgten Unschuldsvermutung vereinbar (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil
vom 10.02.2015 und Beschluss vom 20.02.2001, jew. a.a.O. und m.w.N.; vgl. auch
BVerwG, Urteil vom 09.06.2010, a.a.O.; Bayer. VGH, Beschlüsse vom 07.07.2015
- 10 C 14.726 - und vom 24.02.2015 - 10 C 14.1180 -, jew. juris; VG Karlsruhe,
Urteil vom 19.11.2014, a.a.O.; VG Neustadt, Urteil vom 21.05.2013, a.a.O.). Dem
hat auch das Bundesverfassungsgericht - selbst im Fall eines rechtskräftigen
gerichtlichen Freispruchs - unter Auswertung der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zugestimmt. So hat das
Bundesverfassungsgericht in seinem Nichtannahmebeschluss vom 16.05.2002
(NJW 2002, 3231) ausgeführt:
49 „…
50 Die weitere Speicherung und Verwendung in Strafermittlungsverfahren
gewonnener Daten zur Verhütung oder Verfolgung künftiger Straftaten steht der
Unschuldsvermutung grundsätzlich auch dann nicht entgegen, wenn der
Betroffene rechtskräftig freigesprochen worden ist, sofern die Verdachtsmomente
dadurch nicht ausgeräumt sind. Gleiches gilt, wenn das Strafverfahren aus
anderen Gründen beendet worden ist. Die Vermutung der Unschuld gilt bis zu
einem etwaigen richterlichen Schuldspruch. Kommt es nicht dazu, gilt sie fort. Bei
der Verfahrensbeendigung durch Einstellung nach den §§ 153 ff. StPO oder bei
einem Freispruch, der ausweislich der Gründe aus Mangel an Beweisen erfolgt,
ist der Straftatverdacht nicht notwendig ausgeräumt. Darf er Grundlage für
Maßnahmen der weiteren Datenspeicherung sein, so steht die
Unschuldsvermutung als solche dem nicht entgegen.
51 …
52 Die weitere Aufbewahrung und Verwendung von Daten aus Strafverfahren zur
vorbeugenden Straftatenbekämpfung stellt auch keinen Nachteil des
Beschwerdeführers dar, der einem Schuldspruch oder einer Strafe gleichkäme. In
ihren Voraussetzungen sind diese Maßnahmen von einem fortbestehenden
Tatverdacht, nicht aber von einer Schuldfeststellung abhängig. Auch ist die
Datenspeicherung in den Kriminalakten von ihren faktischen Wirkungen her nicht
mit einer Strafsanktion zu vergleichen und dient anderen Zwecken, nämlich der
vorbeugenden Straftatenbekämpfung. Ferner fehlt ihr die einem Strafurteil
zukommende Publizitätswirkung.
53 …“
54 Nach diesen Grundsätzen ist der Tatverdacht der Körperverletzung, der
versuchten Nötigung und der Bedrohung hinsichtlich des Vorfalls vom 08.02.2012,
21.50 Uhr, nicht ausgeräumt. Vielmehr war lediglich die Beweislage so dünn, dass
die Staatsanwaltschaft davon ausging, dass der Kläger bei den strengen
Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung nicht wegen der ihm
vorgeworfenen Taten verurteilt werden könne. Zu Recht hat die Staatsanwaltschaft
in ihrer Einstellungsverfügung nach § 170 Abs. 2 StPO nicht zum Ausdruck
gebracht, dass der Kläger die Taten nachweislich nicht begangen hat oder dass
sein Handeln gerechtfertigt war. Damit verblieb gegenüber dem Kläger ein so gen.
Restverdacht, der für die Annahme eines Tatverdachts im Sinne von § 38 Abs. 2
PolG zur Speicherung der entsprechenden Daten ausreicht.
55 Das Gleiche gilt im Wesentlichen für die Vorgänge am selben Abend des
08.02.2015 gegen 23.00 Uhr, und am 27.10.2012, gegen 01.00 Uhr. Auch hier
wurden dem Kläger vorsätzliche Körperverletzungen zum Vorwurf gemacht und
auch hier wurden die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren jeweils nach § 170 Abs.
2 StPO eingestellt, in beiden Fällen allerdings vor allem deshalb, weil dem Kläger,
der in beiden Fällen eindeutig den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung
bzw. der gefährlichen Körperverletzung erfüllt hatte, aufgrund unklarer Beweislage
nicht nachzuweisen war, dass er nicht in Notwehr und damit gerechtfertigt
gehandelt hatte.
56 Auch bei dem jüngsten Vorfall vom 24.05.2015 bleibt bei dem Kläger ein
Restverdacht der versuchten Körperverletzung (gem. § 223 Abs. 2 StGB) und der
Beleidigung, die vor allem wegen einer diffusen Beweislage letztlich ungeahndet
blieb. Dass eine Strafverfolgung auch daran gescheitert wäre, dass der
Geschädigte keinen Strafantrag gestellt und die Staatsanwaltschaft das besondere
öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht bejaht hat, steht der Annahme
eines Tatverdachts im Sinne von § 38 Abs. 2 PolG nicht entgegen.
57 Die Speicherung der diesbezüglichen Daten war auch zur vorbeugenden
Bekämpfung von Straftaten, die jedenfalls die Verhütung von Straftaten
(Verhinderungsvorsorge; vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15.05.2014, NVwZ-RR
2015, 26), im (begrenzten) Anwendungsbereich der Datenverarbeitung wegen der
Öffnungsklausel in § 484 Abs. 4 StPO aber voraussichtlich auch die Vorsorge für
die Verfolgung künftiger Straftaten (Strafverfolgungsvorsorge) umfasst, erforderlich.
Die Polizei benötigt solche Daten, um Maßnahmen und Strategien gegen die
Begehung spezifischer Delikte, u. a. auch von Körperverletzungsdelikten, in die
der Kläger mehrfach verstrickt war, zu entwickeln und um bei Einsätzen auch aus
Gründen des Eigenschutzes für die Polizeibeamten und für Dritte Klarheit über das
Profil der Personen zu haben, mit denen sie es vor Ort z. B. bei der Schlichtung
von Auseinandersetzungen und bei der Ermittlung solcher Straftaten zu tun hat.
58 Die Daten dieser (vier) Vorfälle vom 08.02.2012, 21.50 Uhr und 23.00 Uhr, vom
27.10.2012 und vom 24.05.2015 durften zumindest bis zum Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung auch gespeichert werden.
59 Das gilt ohne Weiteres für den Vorfall vom 24.05.2015, weil die Speicherung dieser
Daten allein nach Maßgabe von § 38 Abs. 1 und 2 PolG zulässig und der dort
genannte Zwei-Jahreszeitraum noch nicht abgelaufen ist mit der Folge, dass die
Speicherung gegenwärtig auch ohne Vorliegen einer Wiederholungsgefahr und
der Dokumentation der Gründe für das Vorliegen einer solchen Gefahr zulässig ist.
60 Das gilt aber auch für die drei weiteren Vorfälle aus dem Jahr 2012. Der Zwei-
Jahreszeitraum für deren Speicherung als Prüffall nach Maßgabe von § 38 Abs. 1
und 2 PolG lief für die Vorfälle vom 08.02.2012 am 08.02.2014 und für den Vorfall
vom 27.10.2012 am 27.10.2014 ab. Doch durften diese Vorfälle nach Maßgabe
von § 38 Abs. 3 PolG über die genannten Zeiten hinaus gespeichert werden (zum
Wortlaut dieser Vorschrift siehe oben zu 2.1). Die hiernach erforderliche
Wiederholungsgefahr hat das Polizeipräsidium ... in nicht zu beanstandender
Weise bejaht und es hat diese Wiederholungsgefahr auch rechtzeitig
dokumentiert.
61 Durch die Annahme einer Wiederholungsgefahr beim Kläger hat das
Polizeipräsidium ... den ihm insoweit eingeräumten Prognosespielraum (siehe
oben) nicht überschritten. Der Kläger ist im Jahr 2012 drei Mal wegen
Körperverletzungsdelikten angezeigt worden und in all diesen Fällen ist, wie zuvor
ausgeführt, mindestens der Restverdacht einer vorwerfbaren Tatbegehung
geblieben. Dass der Polizeivollzugsdienst angesichts der Häufung und der
Gleichartigkeit der begangenen Delikte die Gefahr einer Wiederholung
vergleichbarer Vorkommnisse bejaht hat und weiterhin bejaht, kann gerichtlich
nicht beanstandet werden. Diese Bewertung steht sowohl mit § 38 Abs. 3 Satz 2
PolG als auch wegen der mehrfachen Verstrickungen des Klägers in einen
Tatverdacht mit § 38 Abs. 3 Satz 3 PolG in Einklang. Die Bejahung der
Wiederholungsgefahr gründet sich deshalb nicht nur darauf, dass der Kläger im
Sinne von § 38 Abs. 3 Satz 3 PolG wegen mehrerer Strafanzeigen in den Verdacht
geraten ist, eine Straftat begangen zu haben. Vielmehr hat er darüber hinaus durch
die Deliktstypik und die Gleichartigkeit der Straftaten (allesamt vorsätzliche bzw.
gefährliche Körperverletzungen), deretwegen der Verdacht bestand, eine
Wiederholungsgefahr auch im Sinne § 38 Abs. 3 Satz 2 PolG begründet, so dass
es auf die Frage, ob ein mehrfacher Tatverdacht innerhalb eines Zeitraums von
zwei Jahren bereits ohne Weiteres für die Annahme einer Wiederholungsgefahr
ausreicht, hier nicht ankommt.
62 Gerade auch der neuerliche Vorfall vom 24.05.2015 belegt, dass körperliche
Auseinandersetzungen und Beleidigungen weiterhin zum
Handlungsinstrumentarium des Klägers in Konfliktsituationen gehören und damit
weiterhin eine Gefahr der Begehung von strafbaren Handlungen besteht. Der
Umstand, dass der Kläger als Türsteher beschäftigt ist bzw. war und zwei der ihm
vorgeworfenen Taten offensichtlich in einem engen Zusammenhang mit dieser
Tätigkeit stehen, ändert an dieser Einschätzung nichts. Denn zum einen ist gerade
die Ausübung dieser Beschäftigung geeignet, die Wiederholungsgefahr zu
erhöhen, und zum anderen ist es gerade für Türsteher bedeutsam, die Schwelle
zwischen gerechtfertigtem Einschreiten gegen gewaltbereite Gäste des
Gastronomiebetriebs und strafbaren Überreaktionen zu beachten. Wenn die
Polizei deshalb zur vorbeugenden Bekämpfung von Körperverletzungsdelikten vor
allem auch Türsteher, die durch den Vorwurf einer Körperverletzung bereits in
Erscheinung getreten sind, besonders im Auge hat, indem sie die Daten über
vergangene strafbare Vorwürfe abrufbar speichert, ist das durch den polizeilichen
Prognosespielraum gedeckt und gerichtlich nicht zu beanstanden.
63 Indem das Polizeipräsidium ..., nach Erlangung der Kenntnis von der
Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft ... über den Vorfall vom 27.10.2012,
in einem Vermerk vom 08.05.2013 die Bejahung der Wiederholungsgefahr mit den
Stichworten „Mehrfachtäter, einschlägig“ schriftlich dokumentiert hat, ist sie auch
ihrer formellen Dokumentationsverpflichtung nachgekommen. Dass die Polizei
diese Dokumentation am 08.05.2013, nach Bekanntwerden der Einstellung des
Verfahrens über den Vorfall vom 27.10.2012 durch die Staatsanwaltschaft, und
damit (deutlich) vor Ablauf des Zwei-Jahreszeitraums, in dem diese Vorfälle ohne
Vorliegen einer Wiederholungsgefahr als so gen. Prüffall gespeichert werden
durften, vorgenommen hat, ist nach Auffassung der Kammer unschädlich, weil zu
diesem Zeitpunkt (am 08.05.2013) sowohl nach § 38 Abs. 3 Satz 3 PolG der
Verdacht der Begehung mehrerer Straftaten bestand und weil aufgrund der
Gleichartigkeit und Deliktstypik der vorgeworfenen Körperverletzungen auch nach
§ 38 Abs. 3 Satz 2 PolG die Wiederholungsgefahr begründet war.
64 Danach durften die Daten über die drei Vorfälle aus dem Jahr 2012 länger als zwei
Jahre gespeichert werden und ihre Speicherung war auch im Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung noch zulässig. Denn abgesehen von speziellen
Erkenntnissen der Polizei über Umstände, die eine Wiederholungsgefahr im
konkreten Fall entfallen lassen oder die eine weitere Datenspeicherung nicht mehr
als erforderlich erscheinen lassen und die ohnehin jederzeit eine Überprüfung der
Fortdauer der Datenspeicherung gebieten (vgl. hierzu Zeitler/Trurnit, a.a.O., RdNrn
559 und 899; Stephan/Deger, a.a.O., § 38 RdNr. 10), war nach den §§ 38 Abs. 4
PolG und 5 Abs. 1 DVO PolG (der immer noch auf den bis zum 21.11.2008
geltenden § 38 Abs. 2 PolG a. F., der allerdings in jeder Hinsicht dem § 38 Abs. 4
PolG entspricht, Bezug nimmt) eine erneute Überprüfung der Datenspeicherung
erst nach Ablauf von fünf Jahren erforderlich. Dabei kann es hier dahingestellt
bleiben, ob die fünfjährige Überprüfungsfrist am Tag der Begehung der Tat, die
dem Betreffenden zum Vorwurf gemacht wird, am Tag der Speicherung des
betreffenden Vorfalls oder am Tag der letztmaligen Überprüfung der
Wiederholungsgefahr beginnt, da keine dieser Fristen bis zur mündlichen
Verhandlung abgelaufen ist. Eine kürzere Überprüfungsfrist von drei Jahren
gemäß § 5 Abs. 3 DVO PolG kommt hier nicht in Betracht, weil es sich bei der
letzten dem Kläger im Jahr 2012 vorgeworfenen Tat um eine gefährliche
Körperverletzung im Sinne von § 224 StGB handelt, bei der die Annahme eines
Falls von geringer Bedeutung ausscheidet (arg. e § 5 Abs. 3, 3. Spiegelstrich DVO
PolG).
65
2.3
Aus den vorstehenden Ausführungen, vor allem aus den Ausführungen zum
Vorliegen einer Wiederholungsgefahr, ergibt sich auch, dass der
Polizeivollzugsdienst bei der Speicherung der personenbezogenen Daten über
den Kläger und die ihn betreffenden strafrechtlichen Vorwürfe den ihm vom Gesetz
(gem. § 38 Abs. 1 Satz 1 PolG) eingeräumten Ermessenspielraum nicht
überschritten hat. Die fortbestehende Speicherung dieser Daten ist zur
vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten geeignet, erforderlich und
verhältnismäßig. Der damit verbundene Eingriff in die Rechte des trotz dieser
Speicherung nach wie vor unbestrittenermaßen als nicht vorbestraft geltenden
Klägers wiegt geringer als die Rechtsgüter, die die Polizei durch diese Maßnahme
schützen will.
66 Die Verhältnismäßigkeit der fortbestehenden Speicherung der Daten über die den
Kläger betreffenden (vier) Vorfälle vom 08.02.2012, vom 27.10.2012 und vom
24.05.2015 steht jedenfalls nicht in Frage, solange diese Daten ausschließlich zu
den für die weitere Speicherung erforderlichen präventiv-polizeilichen Zwecken der
Gefahrenabwehr und vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten verwendet
werden. Die speziell in Bezug auf die Person des Klägers im Raum stehenden
(und für die Klageerhebung wohl ursächlichen) Fragen, ob die Verwendung dieser
Daten auch für Zwecke der Personalauswahl in polizeilichen
Bewerbungsverfahren zulässig ist und ob es für die Zulässigkeit der Verwendung
dieser Daten für solche Zwecke von Bedeutung ist, ob der Betreffende dem
(nolens volens) zugestimmt hat oder nicht, stellt sich in diesem Verfahren nicht und
muss damit von der Kammer auch nicht beantwortet werden.
67 Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Kammer sieht
keinen Grund, die Kostenentscheidung gemäß § 167 Abs. 2 VwGO für vorläufig
vollstreckbar zu erklären.
68 Die Berufung wird gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, weil die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die grundsätzliche Bedeutung folgt
hier daraus, dass das Urteil Auswirkungen hat auf die generelle Anwendung des
am 18.11.2008 neu gefassten § 38 PolG und dass die Auslegung dieser Vorschrift
Fragen aufwirft, die u. a. den Beginn und damit auch den Ablauf der in § 38 Abs. 2
und 4 PolG genannten Zeiträume und Fristen, die Zeitpunkte, zu denen nach der
Rechtsprechung die Wiederholungsgefahr zu dokumentieren ist, sowie die
Anwendbarkeit von § 38 Abs. 5 PolG (nur auf die Fristen im Sinne von § 38 Abs. 4
PolG oder auch auf den in § 38 Abs. 2 Satz 1 PolG genannten Zwei-
Jahreszeitraum) betreffen. Zu diesen Fragen fehlt es bislang weitgehend an
einschlägiger ober- und höchstgerichtlicher Rechtsprechung.