Urteil des VG Freiburg vom 30.10.2014

bebauungsplan, bad, neubau, baurecht

VG Freiburg Beschluß vom 30.10.2014, 4 K 1804/14
Nachbarschutz gegen Baugenehmigung zur Erweiterung eines
Gaststättenbetriebs
Leitsätze
Eigentümer von Grundstücken außerhalb des Geltungsbereichs eines
Bebauungsplans können sich (selbst im Hinblick auf Festsetzungen über die Art der
baulichen Nutzung und über Baugrenzen, denen innerhalb eines Baugebiets
nachbarschützende Wirkung zukommen kann) nicht auf die Einhaltung der
Festsetzungen dieses Bebauungsplans berufen, es sei denn, dem Bebauungsplan
ließe sich entnehmen, dass der Satzungsgeber ausdrücklich (auch) den Schutz
dieser außerhalb des Plangebiets gelegenen Grundstücke bezweckt hat.
Verletzungen der Rechte solcher Grundstückseigentümer können insoweit nur im Fall
einer Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme gegeben
sein.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auf 10.000 EUR festgesetzt.
Gründe
1 Der zulässige Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung der der
Beigeladenen bzw. ihrer Rechtsvorgängerin von der Antragsgegnerin erteilten
Baugenehmigung vom 06.08.2014 ist unbegründet. Das Interesse der
Beigeladenen, von dieser Baugenehmigung für den Umbau des Gasthauses „…“,
Gastronomieerweiterung, Einbau weiterer Hotelzimmer, Dachgauben,
Treppenhausanbau, Außenbewirtschaftung und Neubau eines Wohngebäudes
(zwölf Wohneinheiten) mit Tiefgarage (mit 14 Stellplätzen) und vier oberirdischen
Stellplätzen auf dem Grundstück Flst.-Nr. … der Gemarkung … (...straße …) -
Baugrundstück - entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 212a BauGB sofort
Gebrauch machen zu dürfen, überwiegt das private Interesse des Antragstellers,
des Eigentümers der östlich des Baugrundstücks gelegenen, jeweils mit einem
Reihenwohnhaus bebauten (zwei) Grundstücke Flst.-Nrn. … und … (...straße …
und …) an einem Aufschub der Bauausführung bis zur Entscheidung in der
Hauptsache. Denn der von dem Antragsteller rechtzeitig erhobene Widerspruch
gegen die oben genannten Baugenehmigung wird aller Voraussicht nach ohne
Erfolg bleiben, da der Antragsteller durch diese Baugenehmigung weder in
bauordnungsrechtlicher noch in bauplanungsrechtlicher Hinsicht in eigenen
Rechten verletzt sein dürfte.
2 Für den Erfolg (einer Baunachbarklage bzw.) eines Nachbarwiderspruchs - wie
hier - ist es anerkanntermaßen nicht ausreichend, wenn ein Bauvorhaben (nur)
objektiv-rechtlich rechtswidrig ist. Vielmehr muss hinzukommen, dass das
Bauvorhaben gegen Vorschriften verstößt, die auch dem Schutz der Nachbarn
und nicht allein öffentlichen Interessen dienen (siehe u. a. Dürr, Baurecht - Baden-
Württemberg, 14. Aufl. 2013, RdNrn. 294 ff., m.w.N., und 348; Kopp/Schenke,
VwGO, 19. Aufl. 2013, § 113 RdNrn. 24 ff., m.w.N.).
3
1.
Die Baugenehmigung verstößt nicht gegen Vorschriften des
Bauordnungsrechts, denen auch nachbarschützende Wirkung zukommt.
4
1.1
Die nach § 5 LBO erforderlichen Abstandsflächen sind, was auch vom
Antragsteller nicht bestritten wird, bis auf die Südseite des Baugrundstücks auf
dem Baugrundstück eingehalten. Soweit die Abstandsfläche für die Südwand des
genehmigten Neubaus in der öffentlichen Straßenfläche der …straße liegt, steht
das zum einen in Einklang mit § 5 Abs. 3 Satz 2 LBO und vermag zum anderen
keine Rechte des Antragstellers als Eigentümer zweier östlich gelegener
Grundstücke zu verletzen.
5
1.2
Die Frage, ob die Beigeladene ihre aus § 37 Abs. 1 und 2 LBO folgende
Stellplatzverpflichtung (ausreichend) erfüllt hat oder ob die nachgewiesenen
Stellplätze, wie der Antragsteller behauptet, hinter dem durch das Bauvorhaben,
insbesondere auch durch die in größerem Umfang geplante
Außenbewirtschaftung, zu erwartenden Bedarf an Stellplätzen zurückbleiben, kann
hier dahingestellt bleiben. Denn die Vorschriften über die Stellplatzverpflichtung
dienen anerkanntermaßen nicht dem Schutz Privater, sondern ausschließlich dem
öffentlichen Interesse an der Entlastung öffentlicher Verkehrsflächen vom
ruhenden Verkehr (Sauter, Landesbauordnung für Baden-Württemberg, Stand:
Nov. 2013, Bd. 1, § 37 RdNr. 12, m.w.N.; Dürr, Baurecht, a.a.O., RdNr. 315, m.w.N.;
Urteil der Kammer vom 18.09.2014 - 4 K 2190/13 -). Ein möglicher Verstoß gegen
§ 37 Abs. 7 Satz 2 LBO wäre zwar geeignet, den Nachbarn in seinen Rechten zu
verletzen (Dürr, Baurecht, a.a.O., RdNr. 315, m.w.N.). Doch ist hier angesichts der
Umstands, dass sich die Ein- und Ausfahrt der genehmigten Tiefgarage im Norden
an der Schwarzwaldstraße und damit weit entfernt von den Grundstücken des
Antragstellers befindet, kein Anhaltspunkt für eine tatsächliche Beeinträchtigung
des Antragstellers durch Lärm und/oder Abgase bei der Nutzung der
Tiefgaragenstellplätze gegeben. Ob ein eventueller Mangel an Stellplätzen im
Einzelfall zu Beeinträchtigungen führen kann, die für den Nachbarn unzumutbar
sind, ist kein bauordnungsrechtlicher, sondern allenfalls ein bei der Prüfung des
bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots zu berücksichtigender
Gesichtspunkt (siehe hierzu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.01.2008, NVwZ-
RR 2008, 600; Dürr, Baurecht, a.a.O., RdNr. 315, m.w.N.; Beschluss der Kammer
vom 18.12.2008 - 4 K 2219/08 -, juris; Näheres dazu unten Nr. 2.2.1).
6
2.
Auch in bauplanungsrechtlicher Hinsicht verletzt das genehmigte Bauvorhaben
bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung keine
Rechte des Antragstellers.
7
2.1
Dabei kann die von dem Antragsteller in den Vordergrund seiner Begründung
gestellte Frage, ob das Bauvorhaben nach dem für das Baugrundstück aktuell
geltenden Bebauungsplan „…“ in der Fassung der vom Gemeinderat der
Antragstellerin am 12.03.2013 als Satzung beschlossenen 1. Änderung (Plan-Nr.
…) zu beurteilen ist, ebenso dahingestellt bleiben, wie die weitere Frage, ob der
Entwurf über die 2. Änderung dieses Bebauungsplans gemäß dem Planentwurf
vom 02.07.2014 (Plan-Nr. …) die für die Erteilung einer Baugenehmigung nach §
33 Abs. 3 BauGB erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. Denn das genehmigte
Bauvorhaben verletzt nach allen in Betracht kommenden bauplanungsrechtlichen
Grundlagen keine Vorschriften bzw. Festsetzungen, die auch den Schutz des
Antragstellers als Nachbarn bezwecken.
8
2.1.1
Der Antragsgegner behauptet die Rechtswidrigkeit und die daraus folgende
Unwirksamkeit des aktuell geltenden Bebauungsplans „…“ in der 1.
Änderungsfassung vom 12.03.2013 (Plan-Nr. …) aus verschiedenen formellen und
materiellen Gründen. Für den Fall der Richtigkeit seiner Auffassung und der
weiteren Annahme, dass auch der Entwurf über die 2. Änderung dieses
Bebauungsplans gemäß dem Planentwurf vom 02.07.2014 (Plan-Nr. …) nicht
geeignet sein sollte, die Fehler zu heilen, oder der Entwurf noch nicht die für eine
Heilung der Baugenehmigung erforderliche Planreife haben sollte, käme es auf
den Bebauungsplan „…“ in seiner ursprünglichen vom Regierungspräsidium … am
24.03.1970 genehmigten Fassung (Plan-Nr. …) an. Dieser Bebauungsplan setzt
für das Baugrundstück u. a. als Art der baulichen Nutzung ein Baugebiet in Form
eines Allgemeinen Wohngebiets (WA), als Maß der baulichen Nutzung höchstens
zwei zulässige Vollgeschosse und eine Geschossflächenzahl (GFZ) von 0,7 sowie
als überbaubare Grundstücksflächen Baugrenzen (exakt) entlang der
vorhandenen Bebauung fest. Alle diese (vier) Festsetzungen, von denen
zumindest die Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung und die
überbaubare Grundstücksfläche recht deutlich überschritten sein dürften und
deren Verletzung vom Antragsteller auch gerügt wird, dienen jedoch mit größter
Wahrscheinlichkeit nicht dem Schutz des Antragstellers als Eigentümer der
Grundstücke Flst.-Nrn. … und …. Das folgt bereits daraus, dass diese
Grundstücke nicht innerhalb des Baugebiets und sogar außerhalb des
Geltungsbereichs des oben bezeichneten Bebauungsplans (in all seinen
Fassungen) liegen.
9 Festsetzungen in einem Bebauungsplan haben jedoch im Allgemeinen nur eine
städtebauliche und damit öffentlichen Interessen dienende Funktion, ihnen kommt
selbst innerhalb eines Baugebiets in aller Regel keine nachbarschützende
Wirkung (zugunsten Privater) zu. Etwas anderes gilt nur dann, wenn den textlichen
oder zeichnerischen Festsetzungen des Bebauungsplans oder seiner Begründung
(ggf. auch durch Auslegung) ein anderer Wille des Satzungsgebers entnommen
werden kann (vgl. hierzu Dürr, in: Brügelmann, Baugesetzbuch, Stand: Febr. 2014,
Bd. 2, § 30 RdNrn. 41 ff., m.w.N). Von den hier für eine Verletzung in Betracht
kommenden (vier) Festsetzungen hat die Rechtsprechung lediglich den
Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung und unter bestimmten
Voraussetzungen auch den Festsetzungen über Baugrenzen eine
nachbarschützende Wirkung zugesprochen, ohne dass sich dies eigens aus dem
Bebauungsplan ergeben muss (siehe Dürr, in: Brügelmann, a.a.O., § 30 RdNrn. 45
ff. und 63 ff.). Demgegenüber ist allgemein anerkannt, dass Festsetzungen über
das Maß der baulichen Nutzung, das heißt hier über die Zahl der zulässigen (Voll-
)Geschosse und die GFZ, nur dann eine nachbarschützende Wirkung
zugesprochen werden kann, wenn dies im Bebauungsplan (ausdrücklich) zum
Ausdruck kommt (siehe Dürr, in: Brügelmann, a.a.O., § 30 RdNrn. 57 ff., m.w.N.).
10 Soweit ein Bebauungsplan nach den vorstehenden Ausführungen dem Nachbarn
eines Bauvorhabens überhaupt einen Abwehranspruch gewährt, gilt das
grundsätzlich nur für Grundstücke innerhalb des Bebauungsplangebiets.
Eigentümer von Grundstücken außerhalb dieses Gebiets können sich selbst im
Hinblick auf Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung und über
Baugrenzen, denen innerhalb eines Baugebiets nachbarschützende Wirkung
zukommen kann, generell nicht auf die Einhaltung des Bebauungsplans berufen,
es sei denn, dem Bebauungsplan ließe sich entnehmen, dass der Satzungsgeber
ausdrücklich (auch) den Schutz dieser außerhalb des Plangebiets gelegenen
Grundstücke bezweckt hätte (vgl. speziell zum fehlenden
baugebietsübergreifender Nachbarschutz BVerwG, Urteil vom 18.12.2007, NVwZ
2008, 427; siehe auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 23.08.1996, VBlBW 1997,
62; siehe insgesamt zum planübergreifenden Nachbarschutz Dürr, in: Brügelmann,
a.a.O., § 30 RdNr. 74, m.w.N.; Beschluss der Kammer vom 18.09.2009 - 4 K
1412/09 -, bestätigt durch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 24.03.2010 - 3 S
2216/09 -; ganz aktuell VG Augsburg, Beschluss vom 22.08.2014 - Au 5 S
14.1046 -, juris). Eine solche Zweckbestimmung lässt sich dem Bebauungsplan in
seiner ursprünglichen am 24.03.1970 genehmigten Fassung nicht entnehmen. Es
gibt weder im textlichen noch im zeichnerischen Teil des Bebauungsplans noch in
der knappen Begründung irgendeinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gemeinderat
der Antragsgegnerin überhaupt irgendeiner Festsetzung eine private
Schutzwirkung zukommen lassen wollte. Etwas anderes hat auch der Antragsteller
nicht zu belegen vermocht.
11 Damit können durch eine Verletzung der in dem am 24.03.1970 genehmigten
Bebauungsplan getroffenen Festsetzungen keine Rechte des Antragstellers
verletzt sein.
12
2.1.2
Das gilt im Ergebnis auch für den Bebauungsplan in seiner späteren
Fassung vom 12.03.2013 und in seiner Entwurfsfassung vom 02.07.2014 - beide
Fassungen stimmen im Hinblick auf die getroffenen Festsetzungen und vor allem
auch in ihrem räumlichen Geltungsbereich, der sich auf das Baugrundstück
beschränkt, überein, sie unterscheiden sich nur in Teilen der Begründung und in
ihren Bezugnahmen auf unterschiedliche Fassungen der
Baunutzungsverordnung. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die in diesen
Bebauungsplanänderungen getroffenen Festsetzungen von dem genehmigten
Bauvorhaben weitestgehend eingehalten werden. Die Anzahl der Plätze für die
Außenbewirtung in der auf dem Baugrundstück vorgesehenen Gaststätte ist, wie
die Antragsgegnerin zutreffend ausgeführt hat, nicht Gegenstand einer
(normativen) Festsetzung, sondern nur eines Hinweises unter Nr. 9. der textlichen
Festsetzungen, so dass durch die vorgesehene Anzahl von bis zu 100
Außenbewirtungsplätzen schon deshalb kein rechtlich erheblicher Verstoß gegen
den Bebauungsplan in seiner Fassung vom 12.03.2013 vorliegt. Wenn überhaupt,
dann kann eine die Interessen des Antragstellers betreffende Verletzung von
(normativen) Festsetzungen des Bebauungsplans in den neueren Fassungen
allenfalls insoweit erörterungswürdig sein, als es darum geht, ob die
Überschreitung der östlichen Baugrenze um 1,50 m auf einer Länge von 26 m
durch die ebenerdigen Terrassen im Erdgeschoss des genehmigten Neubaus von
§ 23 Abs. 5 BauNVO gedeckt und damit noch zulässig ist. Aber auch hier gilt, dass
weder der Fassung der Satzung vom 12.03.2013 noch des Entwurfs vom
02.07.2014 zu entnehmen ist, dass der Gemeinderat der Antragsgegnerin einer
Festsetzung im Bebauungsplan eine private, erst recht eine über das Plangebiet
hinausreichende Schutzwirkung zukommen lassen wollte.
13 Damit scheidet eine Rechtsverletzung des Antragstellers wegen etwaiger (objektiv-
rechtlicher) Verstöße gegen Festsetzungen des Bebauungsplans in den neueren
Fassungen aus denselben Gründen aus wie dies im Hinblick auf die ursprüngliche
Fassung des Bebauungsplans der Fall ist (siehe hierzu oben unter 2.1.1).
14 Auf die unter den Beteiligten zum Teil ausgiebig erörterten Fragen zur Eigenschaft
der genehmigten Gaststätte als wohngebietsverträgliche Schank- und
Speisewirtschaft im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 2 BauNVO sowie auf die
abschließende Beantwortung der Zulässigkeit einer Baugrenzenüberschreitung
durch die Terrassen nach § 23 Abs. 5 BauNVO kommt es hiernach nicht an.
15
2.2
Damit können Rechtsverletzungen des Antragstellers durch das genehmigte
Bauvorhaben nur im Fall einer Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der
Rücksichtnahme gegeben sein (siehe hierzu BVerwG, Urteil vom 18.12.2007,
a.a.O.; Dürr, in: Brügelmann, a.a.O., § 30 RdNr. 74, m.w.N.; Beschluss der Kammer
vom 18.09.2009, a.a.O.; VG Augsburg, Beschluss vom 22.08.2014, a.a.O.), ohne
dass es hier darauf ankäme, ob das Rücksichtnahmegebot im vorliegenden Fall
aus § 15 Abs. 1 BauNVO, aus dem Begriff des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 BauGB
oder aus der „Würdigung nachbarlicher Interessen“ in § 31 Abs. 2 BauGB
abzuleiten ist.
16 Das Rücksichtnahmegebot hat insoweit zunächst objektiv-rechtliche Bedeutung.
Nachbarschutz vermittelt es nur insoweit, als in qualifizierter und zugleich
individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar
abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. In Nachbarrechtsverfahren
kommt es deshalb allein darauf an, ob sich ein Vorhaben in der dargelegten
qualifizierten Art und Weise rücksichtslos, das heißt unzumutbar auswirkt. Welche
Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt von den
Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung
desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute
kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und
unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger
braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen.
Abzuwägen ist, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und
andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist
(ständige Rechtsprechung; vgl. u. a. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 20.03.2012
- 3 S 223/12 -, juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 28.10.1993, NVwZ 1994, 686;
Urteil der Kammer vom 25.07.2012 - 4 K 2241/11 -, juris). Ob sich ein Vorhaben auf
ein benachbartes Grundstück unzumutbar auswirkt, ist eine Frage des Einzelfalls.
Dabei reichen bloße Lästigkeiten für einen Verstoß gegen das
Rücksichtnahmegebot nicht aus; vielmehr ist eine qualifizierte Störung im Sinne
einer Unzumutbarkeit erforderlich (siehe hierzu insges. auch Dürr, Baurecht,
a.a.O., RdNr. 301, m.w.N.).
17 Nach diesen Grundsätzen liegt hier eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots
nicht vor.
18
2.2.1
Das gilt zunächst für den genehmigten Gaststättenbetrieb einschließlich der
Außenbewirtung. Vor allem durch die von der Antragsgegnerin vorgelegte
schalltechnische Untersuchung - ergänzende Stellungnahme zum Gutachten vom
30.05.2012 - ist überzeugend belegt, dass dieser Betrieb nicht zu für die
Wohngebäude des Antragstellers unzulässigen Lärmimmissionen führt. Das ist
auch deshalb einleuchtend, weil zum einen das gesamte Gebiet ohnehin bereits
erheblich durch den Lärm des Kfz- und Straßenbahnverkehrs auf der …straße und
der …straße vorbelastet ist und weil der genehmigte Neubau auf dem
Baugrundstück gegenüber den Grundstücken des Antragstellers wie eine
Lärmschutzwand wirkt. Auch der durch die auf dem Baugrundstück genehmigten
Nutzungen hervorgerufene Parksuchverkehr verletzt den Antragsteller unabhängig
von der Frage, ob die nach der Landesbauordnung nachzuweisenden Stellplätze
ausreichend sind, nicht in seinen Rechten. Das setze voraus, dass ernsthaft zu
befürchten wäre, dass es aufgrund von Parkverstößen zu Erschwernissen für den
fließenden Verkehr und auf diese Weise zu Behinderungen bei der Zufahrt für
Feuerwehr, Polizei und Krankenwagen etc. kommen könnte, dass also die
Erschließung der Grundstücke des Antragstellers unzumutbar beeinträchtigt wäre
(vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.01.2008, a.a.O.). Angesichts der
konkreten örtlichen Situation, die durch generell fehlende Parkmöglichkeiten auf
der Straße vor den Häusern des Antragstellers gekennzeichnet ist und einen
vernünftigen Kraftfahrzeugführer von vornherein davon abhalten wird, dort nach
Parkmöglichkeiten zu suchen, ist mit solchen Erschwernissen indes nicht zu
rechnen. Falls es im Einzelfall erforderlich sein sollte, muss den Verstößen mit
ordnungsrechtlichen Mitteln begegnet werden; notfalls kann sich auch die
Anordnung straßenverkehrsrechtlicher Maßnahmen als erforderlich erweisen.
Jedenfalls kann eine Baugenehmigung, auf deren Erteilung der Bauherr bei
Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen einen grundrechtlich gewährleisteten
Anspruch hat, wegen solcher Erschwernisse nicht versagt werden (Beschluss der
Kammer vom 18.12.2008 - 4 K 2219/08 -, juris, m.w.N.).
19
2.2.2
Auch aus den Ausmaßen der genehmigten Bebauung auf dem
Baugrundstück und deren Lage ergibt sich kein Verstoß gegen das Gebot der
nachbarlichen Rücksichtnahme. Das gilt vor allem auch für den genehmigten
Neubau an der Ostseite des Baugrundstücks, gegen den sich der Antragsteller in
erster Linie wendet. Dieser Neubau hält die nach der Landesbauordnung
erforderlichen Abstandsflächen auf dem Baugrundstück unstreitig ein. Die
bauordnungsrechtlichen Abstandsflächentiefen konkretisieren grundsätzlich - so
auch hier - im Rahmen des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots die
Grenzen eines hinsichtlich Belichtung, Belüftung, Besonnung und Einsichtnahme
gebotenen Mindestschutzes (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22.11.1984, NVwZ
1985, 653, und vom 06.12.1996, NVwZ-RR 1997, 516; VGH Bad.-Württ.,
Beschluss vom 08.11.2007, VBlBW 2008, 147, m.w.N.; ständige Rechtsprechung
der Kammer, vgl. u. a. Beschluss der Kammer vom 13.02.2013 - 4 K 103/13 -;
siehe hierzu auch die Rechtsprechung in einem Bundesland mit anderen
Regelungen zu den Abstandsflächen, so u. a. VG Augsburg, Beschluss vom
22.08.2014, a.a.O., m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall in
Bezug auf die genannten Belange ausnahmsweise von Rechts wegen größere
Abstandsflächentiefen erforderlich wären, hat der Antragsteller nicht geltend
gemacht; hierfür ist auch nichts ersichtlich. Insbesondere grenzt das
Baugrundstück nicht unmittelbar an die Grundstücke des Antragstellers.
Dazwischen liegt vielmehr noch ein anderes mit mehreren Garagen bebautes
Grundstück (Flst.-Nr. …). Dadurch ist der Abstand von dem nächstgelegenen
Wohnhaus des Antragstellers zu der Grenze des Baugrundstücks an der engsten
Stelle etwa 7 m (ca. 9 m an der breitesten Stelle) und zu dem genehmigten
Neubau mehr als 11 m (bzw. 13 m) breit. Auf diese Weise entspricht der
tatsächliche Abstand zwischen den Gebäuden mehr als dem Doppelten der
gesetzlich erforderlichen Abstandsflächentiefe, die hier mit 0,4 der Wandhöhe
ohnehin die größten Ausmaße aufweist, die die baden-württembergische
Landesbauordnung vorsieht. Bei dieser Sachlage ist - abgesehen von den mit dem
Abstandsflächenrecht abschließend erfassten nachbarlichen Belangen der
Belichtung, Belüftung, Besonnung (bzw. Verschattung) und Einsichtnahme - auch
kein Raum für die Annahme, das genehmigte Bauvorhaben könne sich auf die
Wohnhäuser des Antragstellers erdrückend, einkesselnd oder einmauernd
auswirken. Das wird außerdem auch daran deutlich, dass der genehmigte Neubau
mit seiner absoluten Höhe exakt der Firsthöhe der Wohnhäuser des Antragstellers
entspricht und insoweit sogar niedriger ist als andere Gebäude in der näheren
Umgebung, darunter das bestehende Gebäude des (alten) Gasthauses „…“ und
die im Osten an das oben bezeichnete Garagengrundstück angrenzenden
Wohnhäuser auf der Südseite der …straße. Allein die Stellung des genehmigten
Neubaus in Nord-Süd-Richtung und quer zu den westlich des Baugrundstücks
zusammenlaufenden Straßen …straße und …straße vermag angesichts der zuvor
dargestellten besonderen örtlichen Gegebenheiten eine Rücksichtlosigkeit
gegenüber den Grundstücken des Antragstellers ebenfalls nicht zu begründen.
Denn diese Gebäudestellung stellt sich angesichts der aufeinander zulaufenden,
parallel zu den oben genannten Straßen angeordneten Häuserreihen, zu denen
die Wohnhäuser des Antragstellers gehören, durchaus als nachvollziehbarer
städtebaulich pointierter Endpunkt dieser Häuserreihen dar. Abgesehen davon
übersieht der Antragsteller bei seinen Einwendungen gegen diese in der näheren
Umgebung angeblich gebietsfremde Gebäudestellung, dass sich auf der Ostseite
seiner beiden Wohnhäuser und in weniger als 20 m Entfernung dazu das so gen.
„…“-Gebäude befindet, das im Verhältnis zu der umliegenden Bebauung eine
ähnliche Gebäudestellung (in Nord-Süd-Richtung) aufweist wie der genehmigte
Neubau und das die gesamte benachbarte Bebauung einschließlich des
geplanten Neubaus auf dem Baugrundstück in Bezug auf Gebäudehöhe und -
volumen deutlich übersteigt (siehe hierzu die in der Antragsschrift vom 12.08.2014
als Anlagen „Beweis“ bezeichneten Unterlagen in Form eines Lageplans und eines
Lichtbilds).
20 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 und 162 Abs. 3 VwGO.
21 Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 und 52
Abs. 1 GKG. Die Kammer orientiert sich hier an Ziff. 9.7.1 des Streitwertkataloges
für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, welcher bei der Anfechtung einer
Baugenehmigung durch einen Nachbarn einen Streitwert von 7.500 EUR bis
15.000 EUR vorsieht, soweit nicht ein höherer wirtschaftlicher Schaden feststellbar
ist. Im „Normalfall“ ist daher ein Streitwert von 10.000 EUR festzusetzen (vgl. VGH
Bad.-Württ., Beschluss vom 03.09.2014 - 5 S 804/14 -, juris). Im Rahmen des
vorliegenden Eilverfahrens ist hier nicht nur der halbe Wert des für das
Klageverfahren nach dem Klägerinteresse anzunehmenden Streitwerts
anzusetzen, weil die begehrte Entscheidung im Erfolgsfall bereits die Hauptsache
weitgehend vorwegnimmt.