Urteil des VG Freiburg vom 04.09.2014

wasserversorgung, ermessen, rechtsgrundlage, mahnung

VG Freiburg Beschluß vom 4.9.2014, 4 K 1748/14
einstweiliger Rechtsschutz - zur Frage der Einstellung der Wasserversorgung
wegen rückständiger Gebühren
Leitsätze
Bei der (schlichten) Einstellung der Wasserlieferung handelt es nicht um einen
Verwaltungsakt, sondern um einen Realakt.
Für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der
Untersagung der Einstellung der Wasserversorgung ist der Verwaltungsrechtsweg
gegeben.
Die Rechtsgrundlage (in einer kommunalen Wasserversorgungssatzung) über die
Einstellung der Wasserversorgung wegen eines Gebührenrückstands begründet
keine Verpflichtung des Wasserversorgers, sondern stellt die Versorgungseinstellung
in dessen Ermessen.
Die Einstellung der Wasserversorgung aufgrund rückständiger Forderungen des
Versorgers ist nur dann gerechtfertigt, wenn es um Forderungen gerade aus dem
Wasserversorgungsverhältnis geht. Eine Versorgungseinstellung darf nicht (auch)
darauf gestützt werden, dass ein Bezieher von Wasser seinen finanziellen
Verpflichtungen wegen anderer öffentlicher Forderungen, insbesondere wegen
offener Gebühren für die Abwasserentsorgung, nicht nachgekommen ist oder
nachkommen wird.
Tenor
Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem
Verwaltungsgericht bewilligt und Rechtsanwältin Dr. …, …, beigeordnet.
Ratenzahlungen sind nicht zu leisten.
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt,
die Lieferung von Wasser an die Antragstellerin einzustellen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1 Wegen der antragsgemäßen Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung
der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin sieht das Gericht gemäß den §§
122 Abs. 2 Satz 1 und 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 1 Satz 1 ZPO von
einer Begründung ab.
II.
2 Der Antrag der Antragstellerin ist sachdienlich darauf gerichtet, der Antragsgegnerin
im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO vorläufig zu untersagen,
die Wasserversorgung für die Wohnung der Antragstellerin in … T., … …, wie von
der Antragsgegnerin angekündigt, einzustellen. Dieser Antrag ist statthaft, weil es
sich bei der (schlichten) Einstellung der Wasserlieferung nicht um einen
Verwaltungsakt, sondern um einen Realakt handelt (vgl. OVG NRW, Urteil vom
05.02.1992, NJW 1993, 414; vgl. auch OVG Berl.-Brandenb., Beschluss vom
21.04.2010 - 9 S 121.09 -, juris; VG Lüneburg, Beschluss vom 10.06.2003 - 3 B
43/03 -, juris), und auch im Übrigen zulässig; insbesondere ist der
Verwaltungsrechtsweg gegeben (vgl. hierzu ausführlich VG Lüneburg, Beschluss
vom 10.06.2003, a.a.O.).
3 Der Antrag ist auch begründet. Der Anordnungsgrund liegt angesichts der
Ankündigung der Antragsgegnerin, die Lieferung von Wasser an die Antragstellerin
(spätestens) am 04.09.20124 einzustellen, und der elementaren Bedeutung der
Wasserversorgung für die tägliche Lebensführung auf der Hand. Die Antragstellerin
hat auch im Sinne der §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht,
dass sie gegenüber der Antragsgegnerin einen Anspruch hat, dass dieser untersagt
wird, die Wasserversorgung einzustellen. Die Absicht der Antragsgegnerin, die
Wasserversorgung der Antragstellerin einzustellen, ist nach der der Kammer
bekannten Sach- und Rechtslage mit großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig.
4 Das von der Antragsgegnerin angekündigte Vorgehen hat seine Rechtsgrundlage in
§ 10 Abs. 2 der Satzung (der Antragsgegnerin) über den Anschluss an die
öffentliche Wasserversorgungsanlage und die Versorgung der Grundstücke mit
Wasser vom 11.04.2013 - WVS -, die ihrerseits ihre Rechtsgrundlage in den §§ 4,
11 GemO und §§ 2, 8 Abs. 2, 11, 13, 20 und 42 KAG hat. Nach dieser Vorschrift ist
die Stadt bei anderen Zuwiderhandlungen (als den in § 10 Abs. 1 WVS genannten,
um die es hier nicht geht), insbesondere bei Nichtzahlung einer fälligen
Abgabenschuld trotz Mahnung, berechtigt, die Versorgung zwei Wochen nach
Androhung einzustellen. Dies gilt nicht, wenn der Wasserabnehmer darlegt, dass
die Folgen der Einstellung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung
stehen und hinreichende Aussicht besteht, dass der Wasserabnehmer seinen
Verpflichtungen nachkommt. Die Stadt kann mit der Mahnung zugleich die
Einstellung der Versorgung androhen. Diese Regelung entspricht (beinahe wörtlich)
der Regelung in § 33 Abs. 2 der (bundesrechtlichen) Verordnung über die
Allgemeinen Bedingungen für die Versorgung mit Wasser in der Fassung von Art. 3
des Gesetzes vom 21.01.2013 (BGBl I, 91) - AVBWasserV -.
5 Die zuvor genannten Vorschriften begründen jedoch (auch bei Vorliegen der
tatbestandlichen Voraussetzungen), wie sich schon aus ihrem Wortlaut („berechtigt“)
ergibt, keine Verpflichtung des Wasserversorgers zur Einstellung der
Wasserversorgung, sondern stellen dieses in dessen Ermessen (vgl. auch VG
Dresden, Urteil vom 17.04.2012 - 2 K 816/10 -, juris). Ungeachtet einer möglichen
Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 10 Abs. 2 WVS hat die
Antragsgegnerin dieses Ermessen offenkundig fehlerhaft ausgeübt. Denn eine
Einstellung der Wasserversorgung aufgrund rückständiger Forderungen des
Versorgers ist nur dann gerechtfertigt, wenn es um Forderungen gerade aus dem
Wasserversorgungsverhältnis geht. Eine Versorgungseinstellung darf nicht (auch)
darauf gestützt werden, dass ein Bezieher von Wasser seinen finanziellen
Verpflichtungen wegen anderer öffentlicher Forderungen, insbesondere wegen
offener Gebühren für die Abwasserentsorgung, nicht nachgekommen ist oder
nachkommen wird (OVG Berl.-Brandenb., Beschluss vom 01.11.2011, NVwZ-RR
2012, 140, m.w.N.; VG Magdeburg, Urteil vom 22.06.2012 - 9 A 166/11 -, juris; VG
Freiburg, Beschluss vom 20.07.2012 - 2 K 990/12 -). Die Antragsgegnerin hat ihre
Entscheidung, der Antragstellerin künftig kein Wasser mehr zu liefern, ersichtlich
allein auf der Grundlage getroffen, dass die Antragstellerin (und ihr Ehemann) mit
einer Gebührenzahlung in Höhe von 1.588,52 EUR im Rückstand ist. Ausweislich
des Gebührenbescheids vom 31.12.2013 setzt sich dieser Betrag jedoch
annähernd zur Hälfte aus Abwassergebühren zusammen. Das stellt eine
wesentliche Änderung der Entscheidungsgrundlagen dar. Es erfordert eine neue,
auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit andere
Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin, ob eine solche Versorgungssperre
auch allein angesichts der (erheblich geringeren) Rückstände der Antragstellerin bei
der Zahlung von Wasserversorgungsgebühren erfolgen soll.
6 Schon wegen dieses Ermessensfehlers erweist sich das beabsichtigte Vorgehen
der Antragsgegnerin als rechtswidrig. Darauf, ob die tatbestandlichen
Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 WVS für eine Einstellung der Wasserversorgung
vorliegen und ob die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin auch aus
anderen Gründen rechtlichen Bedenken begegnet, kommt es hiernach nicht an.
Immerhin wäre daran zu denken, dass die Antragsgegnerin auch in ihre
Überlegungen hätte einstellen müssen, ob es nicht angezeigt sein könnte, vor einer
Einstellung der Wasserversorgung das Ergebnis der Prüfung des Jobcenters für
den Landkreis L. abzuwarten, ob die Zahlungsrückstände der Antragstellerin durch
eine Darlehensbewilligung dieses Amts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
abgelöst werden können, zumal aktuell keine weitere Erhöhung dieser
Zahlungsrückstände droht; des Weiteren könnte es geboten sein, dass die
Antragsgegnerin darlegt, wie sie sich im konkreten Fall ein (menschenwürdiges)
Leben der Antragstellerin ohne jegliche Wasserversorgung auf Dauer vorstellt (vgl.
hierzu auch VG Dresden, Urteil vom 17.04.2012, a.a.O., m.w.N.; siehe auch VG
Freiburg, Beschluss vom 20.07.2012, a.a.O.) und wie sie (die Antragsgegnerin) in
der Vergangenheit mit anderen Abgabenschuldnern umgegangen ist und
umzugehen gedenkt.
7 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
8 Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 und 63 Abs. 2
GKG.