Urteil des VG Freiburg vom 29.01.2014

prüfer, jugend und sport, hochschulreife, unbestimmter rechtsbegriff

VG Freiburg Urteil vom 29.1.2014, 2 K 1132/13
Abiturprüfung an der Waldorfschule; Passivlegitimation; Ausschluss des
Vorverfahrens und Wiedereinsetzung; Bewertung der schriftlichen
Prüfungsleistung im Fach Deutsch; Neukorrektur durch Drittkorrektor
Leitsätze
Die Feststellung des Erwerbs der Allgemeinen Hochschulreife und der in der
Abiturprüfung erzielten Gesamtnote durch den Vorsitzenden des
Prüfungsausschusses ist auch bei der Abnahme der Abiturprüfung an einer privaten
Waldorfschule ein Verwaltungsakt des Regierungspräsidiums als der oberen
Schulaufsichtsbehörde. Damit ist nicht der Schulträger, sondern das Land für die
Klagen gegen die Bewertung einer Prüfungsleistung im Abitur passivlegitimiert.
Der nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO bei Ausgangsentscheidungen des
Regierungspräsidiums angeordnete Ausschluss des Vorverfahrens erfasst auch die
Entscheidungen der Prüfungsausschüsse im Rahmen der Abiturprüfung, die dem
Regierungspräsidium zugerechnet werden. Die Abiturprüfung ist keine
berufsbezogene Prüfung im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AGVwGO.
Hat der Bevollmächtigte eines Prüflings bei der Einlegung des Widerspruchs auf eine
nach seiner Auffassung gegebene Unsicherheit bei der Zuordnung der ohne
Rechtsmittel erlassenen Prüfungsentscheidung zu § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AGVwGO
ausdrücklich hingewiesen und hat das Regierungspräsidium hierauf in keiner Weise
reagiert, so ist dieser ohne Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist gehindert,
wenn er deshalb zunächst nur das Widerspruchsverfahren betreibt.
Der von der oberen Schulaufsichtsbehörde beauftragte Endkorrektor darf bei der
endgültigen Festsetzung der Bewertung einer schriftlichen Prüfungsleistung im Abitur
nach § 21 Abs. 5 Satz 3 NGVO den durch die Ergebnisse der Erst- und Zweitkorrektur
der Arbeit gebildeten Notenrahmen nur dann über- oder unterschreiten, wenn die
jeweils begrenzende Korrektur an einem rechtserheblichen Bewertungsfehler leidet.
Hingegen kann allein der Umstand, dass der Endkorrektor zu dem Ergebnis kommt,
dass die Vorbewertung die Leistung - auch im Vergleich zu den ihm bekannten
Bewertungen anderer Arbeiten - nicht angemessen beurteilt, nicht ausreichen, um den
nach der Regelung des § 21 Abs. 5 Satz 3 NGVO für eine entsprechend
weitergehende Bindungsfreiheit erforderlichen "atypischen Fall" einer
Prüfungsbewertung zu begründen.
Eine Ermächtigung des Endkorrektors zu einer von den Ergebnissen der Erst- und
Zweitkorrektur unabhängigen eigenständigen Festlegung der Bewertung kann auch
nicht aus dem gesetzliche Vorbehalt in § 21 Abs. 5 Satz 4 NGVO abgeleitet werden,
der für die dort angeordnete Festsetzung der Endnote mit dem aus den Ergebnissen
der Erst- und Zweitkorrektur gebildeten Mittel- oder Rundungswert die Möglichkeit
einer inhaltlichen Überprüfung dieser Ergebnisse voraussetzt. Denn auch hier entfällt
die Bindung an die Ergebnisse der Erst- und Zweitkorrektur allein in den Fällen eines
dort gegebenen rechtlichen Bewertungsfehlers.
Die langjährige Prüfungspraxis der oberen Schulaufsichtsbehörde, nach der ein
Endkorrektor auf der Grundlage des stichprobenhaft gewonnenen Eindrucks, dass die
Vorprüfer keine angemessenen Bewertungen getroffen haben, ermächtigt war, alle
Arbeiten des Kurses nachzukorrigieren und ohne die in § 21 Abs. 5 NGVO
niedergelegte Bindung durch die Ergebnisse der Vorkorrekturen neu zu bewerten,
steht mit der rechtlichen Ausgestaltung der Abiturprüfung nicht in Einklang.
Tenor
Soweit die Klägerin die Klage gegen die Beklagte zu 1) zurückgenommen hat, wird
das Verfahren eingestellt.
Der Beklagte zu 2) wird verpflichtet, die schriftliche Prüfungsarbeit der Klägerin in der
Abiturprüfung im Fach Deutsch nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts
erneut zu bewerten und sie aufgrund dieser Bewertung erneut über das
Gesamtergebnis ihrer Abiturprüfung zu bescheiden.
Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin die außergerichtlichen Kosten der
Beklagten zu 1). Im Übrigen tragen die Klägerin und der Beklagte zu 2) die Kosten des
Verfahrens zu je ½.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1 Die Klägerin wendet sich gegen die Bewertung ihrer schriftlichen Prüfungsleistung
in der Abiturprüfung im Fach Deutsch.
2 Die Klägerin war Schülerin der xxx, die als staatlich genehmigte Ersatzschule von
dem Beklagten zu 1) betrieben wird. An dieser Schule legte sie im Frühjahr 2012
ihre Abiturprüfung ab, in der sie unter Berücksichtigung der Bewertung ihrer
schriftlichen Prüfungsleistung im Fach Deutsch mit 9 Punkten die Gesamtnote 1,5
erreichte. Ein entsprechendes Zeugnis der Allgemeinen Hochschulreife wurde der
Klägerin unter dem 15.06.2012 ausgestellt.
3 Die schriftliche Prüfungsleistung im Fach Deutsch, die auf eine vergleichende
Interpretation der Gedichte „Ein Beispiel von ewiger Liebe“ von Erich Kästner und
„Nur nicht“ von Erich Fried bezogen war, war zunächst von der Fachlehrerin der
Klägerin mit 14 Punkten bewertet worden. Hierfür führte sie zur Begründung aus,
die Gedichtinterpretationen würden sehr strukturiert und schlüssig entwickelt. Die
wesentlichen lyrischen Mittel würden in die Interpretation einbezogen. Die
Flüchtigkeit des Ortes und die Geschwindigkeit des Gedichts von Kästner würden
aufgegriffen. Ebenso werde die Zufälligkeit und Beiläufigkeit der für das lyrische Ich
schicksalshaften Begegnung thematisiert. Sehr sensibel werde die Irrealität der
Liebe verdeutlicht. Der Titel, die lyrischen Mittel, der Ort, die Inhalte der Abschnitte
würden zur Interpretation herangezogen. Bei der Interpretation des Gedichtes von
Erich Fried werde sofort die Realität der Liebe thematisiert, die starke Emotionalität
des Gedichtes, welche sich hinter der sachlichen Darstellung verberge, werde
herausgearbeitet. Die Grundlage beider Gedichte sei ein gelungener Umgang mit
Zitaten aus dem Gedicht, die schlüssig interpretiert würden. Bei dem Vergleich
würden die verschiedenen Gesichtspunkte sprachlicher und inhaltlicher Art
aufgegriffen. Den Schwerpunkt bilde das Thema reale und irreale Liebe. Die Arbeit
sei sprachlich angemessen formuliert und weitgehend fehlerfrei. Abschließende
Worte allgemeiner Art zur Thematik der Liebe fehlten, seien jedoch bereits in der
Einleitung der Interpretation erfolgt.
4 Die Zweitkorrektorin der Arbeit bewertete die Prüfungsleistung mit 10 Punkten und
führte hierfür zur Begründung aus: Die Einleitung führe gut auf die beiden
inhaltlichen Pole der Gedichte hin. In der Interpretation des Gedichtes von Kästner
werde der illusorische Charakter der Liebe gut herausgearbeitet. Die
Versachlichung und die Ironie seien nicht erkannt worden. Einige sprachliche Mittel
seien richtig untersucht worden. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die
sprachliche Gestaltung noch mehr in Beziehung zum Inhalt gesetzt worden wäre.
Dies sei bei der Interpretation des Gedichtes von Fried besser gelungen. Der
Vergleich benenne die wesentlichen formalen und inhaltlichen Unterschiede und
führe sie aus. Die vergleichende Untersuchung sei jedoch relativ kurz und gehe
hinsichtlich der sprachlichen Gestaltung nicht in die Tiefe. Sprachlich sei die
insgesamt noch gute Arbeit bis auf wenige Unsicherheiten im Satzbau flüssig zu
lesen.
5 Der mit der Endbeurteilung der Prüfungsleistung beauftragte Drittkorrektor xxx
setzte als endgültige Bewertung 9 Punkte fest. Dieser Festsetzung lag seine
Entscheidung zur Neukorrektur des gesamten Deutsch-Kurses der Klägerin
zugrunde, die er auf der Grundlage einer „Arbeitsanweisung des
Regierungspräsidiums Freiburg für die Endbeurteilung der Abiturarbeiten“ getroffen
und unter dem 10.05.2012 gegenüber dem Regierungspräsidium im Wesentlichen
damit begründet hatte, dass weder in der Erst- noch in der Zweitkorrektur die
Korrekturrichtlinien eingehalten worden seien. In beiden Korrekturdurchgängen
seien Fehler nicht mit der gebotenen Gewissenhaftigkeit gekennzeichnet worden.
Es sei auch nach der Zweitkorrektur nur ein Bruchteil der Fehler angestrichen
gewesen. Dies habe häufig zu einer Fehleinschätzung der Ausdrucksfähigkeit
geführt. Insbesondere vom Erstkorrektor seien auch immer wieder vermeintliche
Fehler zu Unrecht angestrichen und Fehlerzeichen jenseits der Richtlinie
verwendet worden. Ein weiteres Manko sei, dass von beiden Vorkorrektoren so gut
wie keine inhaltlichen Korrekturzeichen verwendet worden seien, ein Befund, der
sich auch in der Bewertung niedergeschlagen habe. Die Kommentare zu den
Arbeiten seien überwiegend ausführlich. Immer wieder aber bestehe eine deutliche
Diskrepanz zwischen dem Kommentar und dem Befund, den der Text zeige.
Insbesondere die Erstkorrektur nehme seines Erachtens die Arbeiten durchweg zu
wenig differenziert und mit zu wenig kritischer Distanz war. Das gelte teilweise
auch für die Zweitkorrektur, die den Texten im Mittel aber in der schriftlichen
Beurteilung etwas besser gerecht werde. Es zeigten sich aber häufig deutliche
Diskrepanzen zwischen Kommentar und Benotung. Die Bewertungen der beiden
Vorkorrektoren seien - gerade auch im Vergleich mit anderen Kursen - nicht
realistisch und zum Teil deutlich zu hoch.
6 Zur Begründung der endgültigen Bewertung der Leistung der Klägerin mit neun
Punkten führte der Drittkorrektor aus: Die Verfasserin leite mit einem zentralen
Aspekt gut ein. Die Interpretation des Kästner gehe - nach einer in der Luft
hängenden und zum Teil fehlerhaften Formbeschreibung - am Text entlang. Der
fantasmatische Charakter dieser Liebe werde klar erkannt, die Fixiertheit des
lyrischen Ichs auf sich selbst hätte indes deutlicher benannt werden können. Es
befänden sich einige plausible Deutungsansätze (Alltäglichkeit, Rasanz,
Überschrift im Kontrast zum Gedicht), immer wieder aber komme die Deutung
kaum in die Tiefe, ja nähere sich bisweilen der Paraphrase (z.B. Seite 4 f). Dies
habe auch damit zu tun, dass sprachliche Mittel zu wenig konsequent
herangezogen und zum Teil nicht plausibel gedeutet würden. Das reflexive Spiel
mit Versatzstücken bleibe unberücksichtigt. Die Kernaussage des Gedichts von
Erich Fried werde klar herausgearbeitet. Die Begründung am Text ziehe jedoch zu
wenig die sprachlichen Mittel heran, ja stehe in der Gefahr, sie zu übersehen (vgl.
Seite 10). Die Begründungen seien nicht immer nachvollziehbar, teilweise neige
der Aufsatz auch hier zur bloßen Inhaltswiedergabe. Der Vergleich habe einen
zentralen Aspekt, der klar formuliert werde. Dieser Aspekt könne aber ergiebiger
ausgeführt werden. So bleibe der interpretative Ertrag insgesamt bei guten
Ansätzen überschaubar. Der Aufsatz zeige ein gutes Ausdrucksvermögen, weise
aber auch elementare Schwächen in der Fachsprache auf (passim „Abschnitt“ und
„Zeile“ statt Strophe und Vers). Unsicherheiten im Satzbau, Z und R trübten den
Gesamteindruck ein wenig. Angesichts der Form könne nicht mehr von einer guten
Arbeit gesprochen werden.
7 Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 27.09.2012 legte die Klägerin beim
Regierungspräsidium Freiburg gegen das „Abiturzeugnis“ Widerspruch ein. Dabei
verwies dieser darauf, dass das Widerspruchsverfahren wegen § 15 AGVwGO
wohl ausgeschlossen sei. Da aber in § 15 Nr. 2 AGVwGO für die
Leistungsbewertung im Rahmen einer berufsbezogenen Prüfung eine Ausnahme
vom Wegfall des Widerspruchsverfahrens bestehe und nicht ausgeschlossen
werden könne, dass das Abitur als Voraussetzung zum Zugang zu Berufen als
eine Prüfung in diesem Sinne eingeordnet werde, werde vorsorglich Widerspruch
eingelegt.
8 Der Widerspruch wurde, nach einer Rückfrage des Regierungspräsidiums, unter
dem 18.12.2012 im Wesentlichen damit begründet, dass der Drittkorrektor zwar zu
Recht in die Bewertung der Abiturarbeit einzuschalten, dieser bei seiner
Endbeurteilung jedoch an den Rahmen gebunden gewesen sei, der durch die
Noten des Erst- sowie des Zweitkorrektors gebildet werde. Soweit der
Endbeurteiler für sich in Anspruch nehme, den vorgegebenen Rahmen deshalb
überschreiten zu können, weil die Erst- und Zweitkorrektorinnen aus seiner Sicht
nicht die Korrekturrichtlinien eingehalten hätten und die Punkteverteilung nicht
akzeptiert werden könne, finde dies in den Normen der NGVO keine Stütze. Die
entsprechende Arbeitsanweisung des Regierungspräsidiums Freiburg an die
Endbeurteiler verstoße gegen höherrangiges Recht. Das Kriterium der fehlenden
Einhaltung der Korrekturrichtlinien sei (etwa in Hinblick auf die korrekte
Verwendung von Korrekturzeichen) auf die Einhaltung von Formalia durch die
Korrektoren bezogen, die für die Bewertung der Arbeit als solche nicht
entscheidend seien. Das weitere Kriterium, ob die Punkteverteilung jeweils
akzeptiert werden könne, sei ebenfalls nicht geeignet, um die grundsätzliche
Regelung zum Einsatz eines Erst- und Zweitkorrektors außer Kraft zu setzen.
Denn hier werde der subjektive Bewertungsmaßstab des Drittkorrektors an die
Stelle der Bewertungen der eigentlich zuständigen Prüfer gesetzt. Insofern
widerspreche es bereits dem Rechtsstaatsgebot, wenn derjenige, der die
Voraussetzungen seiner Zuständigkeit nach subjektivem Empfinden feststellen
könne, auch gleichzeitig die an einem solchen orientierte Neubewertung der
Prüfungsleistungen vornehme. Unabhängig von der bestehenden Rechtswidrigkeit
der Arbeitsanweisung des Regierungspräsidiums habe der Drittkorrektor bei seiner
Entscheidung für eine eigenständige Neukorrektur des gesamten Deutschkurses
der Klägerin die dort niedergelegten Anforderungen nicht beachtet. Denn seine
Entscheidung sei auf keine konkrete Arbeit des Kurses bezogen. Jedenfalls führe
er keinen Nachweis darüber, dass die Kriterien der Arbeitsanweisung für eine
Neubewertung auch bei der konkreten Arbeit der Klägerin erfüllt seien. Die bloße
Behauptung, dass dem bei allen Arbeiten so sei, könne nicht ausreichen.
Schließlich habe der Endbeurteiler bei seiner Beurteilung der Prüfungsleistung der
Klägerin auch überzogene und willkürliche Maßstäbe sowie unsachliche Kriterien
angelegt. An zahlreichen Stellen würden fehlende Belege kritisiert, obwohl die
Arbeit aus den zwei kurzen Gedichten zitiere und die entsprechenden Passagen in
Anführungszeichen gesetzt worden seien. Sofern an 11 Stellen der Ausdruck
kritisiert werde, handele es sich immer um den Wiederholungsfehler, dass die
Strophen des Gedichtes mit „Abschnitt“ bezeichnet worden seien. Sofern auf Seite
5 der Arbeit drei Grammatikfehler angestrichen seien, seien die dortigen Passagen
grammatisch korrekt.
9 Der zu den Einwendungen um Stellungnahme gebetene Drittkorrektor xxx führte
mit Schreiben vom 11.05.2013 aus, dass er die Entscheidung, sämtliche Arbeiten
des Deutschkurses der Klägerin ohne Bindung an die Vornoten der Erst- und
Zweitkorrektorin zu bewerten, nicht leichtfertig, sondern im Bewusstsein der damit
verbundenen hohen Verantwortung getroffen habe. Seine breite Erfahrung
ermögliche es ihm jedoch, die vorliegenden Arbeiten mit anderen Arbeiten und
deren Bewertung zu vergleichen. Dabei beruhe diese Erfahrung nicht allein darauf,
dass er seit mehreren Jahren als Endbeurteiler eingesetzt sei, sondern vor allem
darauf, dass er im Jahr 2012 insgesamt drei Kurse als Endbeurteiler habe
miteinander vergleichen können. Hinzu komme, dass er seit vielen Jahren als
Fachberater für Deutsch im Austausch mit vielen Kollegen verschiedener Schulen
stehe und es auch zu seinen Aufgaben als Fachberater gehöre, die
Korrekturergebnisse des Abiturs nach Abschluss des Verfahrens noch einmal
kritisch zu evaluieren. Bei seiner Entscheidung sei er - mit den
Arbeitsanweisungen - davon ausgegangen, dass ein Verlassen des Rahmens, der
durch die Erst- und die Zweitkorrektur vorgegeben sei, nur dann möglich sei, wenn
alle Arbeiten des Kurses wegen Verstoßes gegen Korrekturrichtlinien neu korrigiert
werden müssten, dass also eine Beschränkung auf den Einzelfall selbst dann nicht
möglich sei, wenn es sich insoweit um einen „Ausnahmefall“ handeln würde.
Entsprechend fuße seine Entscheidung zur Neubewertung der Arbeit der Klägerin
auf einer Prüfung aller Arbeiten des Kurses. Hieraus folge notwendig die
generalisierende Formulierung der Begründung dieser Entscheidung. Soweit ihm
konkret vorgeworfen werde, er habe den Ausnahmefall aufgrund seiner -
gegenüber den Bewertungsmaßstäben der Erst- und Zweitkorrektorinnen -
„subjektiv verschärften Kriterien“ angenommen, sei dies nicht zutreffend. Vielmehr
habe er seine Maßstäbe an den Vergleichsarbeiten orientiert, die ihm ebenfalls zur
Korrektur übertragen worden seien. Insoweit müsse er darauf hinweisen, dass er
durchaus auch sehr gute Noten vergeben und bestätigt habe, nur eben nicht in
dem Kurs der Klägerin, der insoweit allerdings eine Ausnahme darstelle.
Zuzugeben sei, dass die von ihm an den Vorkorrekturen gerügte fehlerhafte oder
fehlende Verwendung der vorgegebenen Korrekturzeichen auf den ersten Blick
einen formalen Fehler beträfen und zum Teil auch den Ermessensspielraum des
Korrektors berührten. Allerdings sei der Mangel bei der von ihm gerügten
Korrekturkohorte so gravierend, dass er ein deutliches Indiz dafür biete, dass auch
inhaltliche Defizite nicht hinreichend wahrgenommen worden seien. Diesem Indiz
sei er dann auf der Ebene der Bewertung und Begründung nachgegangen. Sofern
ihm in Bezug auf die Arbeit der Klägerin vorgeworfen werde, dass seine Bewertung
überzogene Maßstäbe anlege und er die Note aufgrund von Formfehlern
herabgesetzt habe, liege dem ein Missverständnis zugrunde. Es gehe klar aus der
Begründung seiner Bewertung hervor, dass diese im Wesentlichen auf inhaltlichen
Gründen beruhe. Sofern er ausgeführt habe, dass die Arbeit „angesichts der Form“
nicht mehr im guten Bereich angesiedelt werden könne, finde dies seine
Berechtigung darin, dass die sprachliche Form nicht nur eine Formalie sei, wie es
die Klägerin nahelegen wolle, sondern unter dem Aspekt der Ausdrucksfähigkeit
sowie der Fähigkeit zu präziser Formulierung und adressatenangemessener
Darstellung ein wichtiges Bewertungskriterium. Soweit sich die Klägerin dagegen
wende, dass er auf das Fehlen genauer Belegstellen hingewiesen habe, sei dies
für die Bewertung der Arbeit im Ganzen nicht zentral gewesen. Allerdings gehöre
das Anführen genauer Belegstellen zum Darstellungsstandard der
Gedichtinterpretation. Seine Kritik an der fehlerhaften Bezeichnung der Strophe als
Abschnitt betreffe Anforderungen an die Fachsprache, wie sie bereits in der Unter-
und Mittelstufe zum Standard gehörten. Sofern von der Klägerin eingewendet
werde, dass er zu Unrecht das Fehlen einer Begründung moniere, werde das
entsprechende Korrekturzeichen (Bg) missverstanden. Dieses beziehe sich auf die
fehlende Plausibilität der vorhandenen Begründung. Die als Grammatikfehler
bezeichnete Verwendung des Präteritums bei der Wiedergabe des Gedichts von
Kästner sei zu Recht angestrichen, da sich eine Interpretation auf einen präsenten
Text beziehe und das Geschehen deshalb nicht - wie bei einer Nacherzählung - in
der Vergangenheitsform wiedergegeben werde. Insgesamt halte er bei einer
erneuten Überprüfung der Arbeit an seiner Bewertung fest.
10 Im März 2013 legte die Klägerin auch gegenüber dem Träger der xxx Schule xxx,
dem Beklagten zu 1), Widerspruch ein. Dieser sei als Beliehener für das
Abiturzeugnis verantwortlich.
11 Am 20.6.2013 hat die Klägerin gegen den Beklagten zu 1) Klage erhoben.
12 Unter dem 15.07.2013 hat die Klägerin die Klage auf den Beklagten zu 2) erweitert.
13 Nachdem die Klägerin ihre Klage gegenüber dem Beklagten zu 1) in der
mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat, führt sie zur Begründung der im
Übrigen aufrecht erhaltenen Klage gegenüber dem Beklagten zu 2) aus: Es
bestehe ein Rechtschutzbedürfnis daran, dass die Bewertung ihrer
Prüfungsleistung im Abitur im Fach Deutsch aufgehoben und nach Maßgabe der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut vorgenommen werde. Eine erneute
Bewertung der Prüfungsleistung mit 12 Punkten und mehr würde zu einer
Verbesserung ihrer Gesamtnote im Abitur um 1/10 Note führen. Dies sei bei einer
Bewerbung um einen Studienplatz im Fach Medizin, wie er aktuell ins Auge
gefasst werde, von Bedeutung. Jedenfalls aber finde die im Zeugnis der
Allgemeinen Hochschulreife ausgewiesene Note im Fach Deutsch im Rahmen
eines jeden Bewerbungsgesprächs besondere Beachtung.
14 Hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Bewertung der schriftlichen Prüfungsleistung
im Fach Deutsch durch den Endkorrektor wiederholt und vertieft die Klägerin ihr
Vorbringen: Wenn die NGVO für den Regelfall eine Bindung des Drittkorrektors an
den Rahmen der Noten der Vorkorrektoren bestimme, müsse die Atypik, die ein
Abweichen von diesem Rahmen ermögliche, auf den Fall der fehlerhaften
Vorkorrektur beschränkt bleiben. Auch der Drittkorrektor müsse den
Bewertungsspielraum der bestellten Erst- und Zweitkorrektoren achten. Objektive
Bewertungsfehler der Vorkorrektoren habe der Drittkorrektor jedoch nicht
aufgezeigt. Er setze vielmehr seinen eigenen strengeren Maßstab an die Stelle der
Bewertung der Arbeit durch die Erst- und die Zweitprüferin.
15 Die Klägerin beantragt,
16 das beklagte Land zu verpflichten, die schriftliche Prüfungsarbeit der Klägerin in
der Abiturprüfung im Fach Deutsch nach Maßgabe der Rechtsauffassung des
Gerichts erneut zu bewerten und sie aufgrund dieser Bewertung erneut über das
Gesamtergebnis ihrer Abiturprüfung zu bescheiden.
17 Das beklagte Land beantragt,
18 die Klage abzuweisen.
19 Die gegen das Land gerichtete Klage dürfte zwar zulässig sein, sie sei jedoch in
der Sache unbegründet. Sowohl die Einsetzung eines Drittkorrektors als auch
dessen Bewertung der Prüfungsleistung der Klägerin im Fach Deutsch seien
rechtmäßig erfolgt. Der Einsatz des Drittkorrektors und dessen Freiheit von
vorgegebenen Bewertungen der Erst- und Zweitkorrektorinnen beruhe auf der in §
21 Abs. 5 Satz 4 NGVO vorgesehenen Möglichkeit der Schulaufsicht zur
Intervention bei Verstößen der Korrektoren gegen die Korrekturrichtlinien. Es
entspreche der Arbeitsanweisung und sei auch sachgerecht, dass dann, wenn -
wie hier - bei zumindest einer Arbeit eines Kurses ein Verstoß gegen die
Korrekturrichtlinien gegeben sei oder die Punkteverteilung nicht akzeptiert werden
könne, alle Arbeiten des Kurses durch den Drittkorrektor neu und eigenständig zu
bewerten seien. Im konkreten Fall habe der Drittkorrektor in seiner Stellungnahme
ausführlich dargelegt, warum sowohl in der Erst- als auch in der Zweitkorrektur die
Voraussetzungen für eine Neukorrektur gegeben gewesen seien. Hierbei sei es
unbedenklich, wenn der Drittkorrektor, der diese Voraussetzungen feststelle,
gleichzeitig auch die Neukorrektur vornehme. Anderenfalls würde eine vierte
Korrektur durchgeführt. Soweit sich die Klägerin gegen die Bewertung des
Drittkorrektors als solche wende, seien - auf der Grundlage der hierzu eingeholten
Stellungnahme des Drittkorrektors - relevante Rechtsfehler bei der Bewertung nicht
erkennbar. Insoweit sei auf die Stellungnahme des Prüfers zu verweisen.
20 Der Kammer liegen neben der Verfahrensakte und der einschlägigen Akte des
Regierungspräsidiums Freiburg zum Widerspruch der Klägerin die Gerichtsakte
und die Widerspruchsakte des Regierungspräsidiums Freiburg zu dem Verfahren
2 K 1145/13 vor, welches gemeinsam mit dem Verfahren der Klägerin verhandelt
wurde. Auf den Inhalt dieser Akten, die den Beteiligten bekannt sind, wird
ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
21 Nachdem die Klägerin die Klage gegen den Beklagten zu 1) zurückgenommen
hat, war das Verfahren insoweit nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
22 Die gegenüber dem Beklagten zu 2) aufrecht erhaltene Klage ist zulässig (hierzu
zu I.) und begründet (hierzu zu II.).
I.
23 1. Die auf eine Neubescheidung der Klägerin über das Gesamtergebnis ihrer
Abiturprüfung gerichtete Klage ist als Verpflichtungsklage in der Form der
Bescheidungsklage statthaft. Die von der Klägerin als rechtswidrig angesehene
Bewertung ihrer schriftlichen Arbeit im Fach Deutsch stellt eine Teilnote ihrer
Abiturprüfung dar, die unmittelbar in die Berechnung und Ermittlung des
Gesamtergebnisses der Abiturprüfung eingeflossen ist. Dieses Gesamtergebnis
der Abiturprüfung wird nach § 7 Abs. 1 der Verordnung des Kultusministeriums
über die Abiturprüfung für Schüler an Freien Waldorfschulen v. 13.03.2002 -
WaldorfAbiPrV 2002 - (GBl. S. 162; geänd. d. VO v. 20.02.2007; GBl. S. 187), die
nach § 9 Satz 2 der WaldorfAbiPrV v. 28.04.2011 (GBl. 2011, 209) letztmals auf die
im Schuljahr 2011/2012 stattfindende Abiturprüfung der Klägerin Anwendung
findet, vom Vorsitzenden des Prüfungsausschusses im Anschluss an die
mündliche Prüfung ermittelt und zusätzlich zu der Zuerkennung der Allgemeinen
Hochschulreife als Gesamtnote bekannt gegeben. Der bekannt gegebenen
Durchschnittsnote gemäß Staatsvertrag, die in einem später nach § 7 Abs. 4
WaldorfAbiPV 2002 auszustellenden Zeugnis über die Allgemeine Hochschulreife
nachrichtlich ausgewiesen ist, kommt im Hinblick auf das bei der Vergabe von
Studienplätzen maßgebliche Merkmal des Grads der Qualifikation ein eigener
rechtlicher Regelungscharakter zu (vgl. hierzu - wenn auch mit Blick auf das
Zeugnis der Allgemeinen Hochschulreife - VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.11.1989 - 9
S 735/89 -, DVBl. 1990, 533).
24 2. Die Klage ist auch zu Recht gegen den Beklagten zu 2) gerichtet. Er ist als
Rechtsträger des Regierungspräsidiums Freiburg nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO
passivlegitimiert, das als obere Schulaufsichtsbehörde (vgl. § 34 Abs. 1 SchG)
über den unselbständigen Prüfungsausschuss die Abiturprüfung auch an den
Waldorfschulen abnimmt und dem die Feststellung des Ergebnisses dieser
Prüfungen durch den Vorsitzenden des Prüfungsausschuss als Behörde
zugerechnet wird. Diese Zurechnung beruht darauf, dass die Abiturprüfung an der
als - nichtregelschulakzessorische Ersatzschule anerkannten - Waldorfschule von
einem Prüfungsausschuss abgenommen wird, der vom Regierungspräsidium ad
hoc und nur für die jeweilige Schule gebildet wird (vgl. § 6 Abs. 1 WaldorfAbiPrV
2002 i.V.m. § 18 Abs. 1 der Abiturverordnung Gymnasien der Normalform - NGVO
- v. 24.07.2001, GBl. S. 518 mit späteren - hier nicht relevanten - Änderungen) und
der deshalb aufgrund seiner fehlenden organisatorischen Selbständigkeit als
unselbständiger Teil dieser Behörde handelt (hierzu VGH Bad.-Württ., Urt. v.
31.01.1989 - 9 S 961/88 -, S 10 f ; Urt. v. 29.09.1989 - 9 S 735/89 -, a.a.O.; Urt. v.
27.03.1990 - 9 S 2059/89 -, NVwZ-RR 1990, 479 und Urt. v. 17.07.1990 - 9 S
707/89 -, VBlBW 1991, 148; zur fehlenden Relevanz, dass die Entscheidung auf
Vornoten anderer Entscheidungsträger beruht vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v.
09.11.1993 - 9 S 1537/91 -, juris unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 22.10.1981,
Buchholz 421.0 Nr. 155).
25 Der Zurechnung steht nicht entgegen, dass einer Waldorfschule ebenso wie
anderen staatlich anerkannten Ersatzschulen nach § 10 Abs. 2 Satz 1 PSchG das
Recht übertragen ist, Prüfungen abzuhalten und Zeugnisse zu erteilen. Denn
abgesehen davon, dass sich die Anerkennung einer Waldorfschule nach § 3 Abs.
2 Satz 1 PSchG darauf beschränkt, die Schüler in der Klasse 13 auf die
Hochschulreife vorzubereiten (zur fehlenden Verantwortung einer Waldorfschule
für die Abiturprüfung vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 06.03.1990 - 9 S 1387/89 -,
juris Rn. 51), ist der Umfang der Beleihung einer staatlich anerkannten
Ersatzschule durch die zitierten Regelungen der Abiturverordnungen von
vornherein normativ beschränkt worden (zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit
des Ausschlusses von Privatschulen aus dem Bereich der auf die Zuerkennung
der Hochschulzugangsberechtigung zielenden Abiturprüfung vgl. auch VGH Bad.-
Württ., Urt. v. 23.10.2011 - 9 S 2188 -, juris Rn. 52). Sofern für den Bereich der
Waldorfschulen Regelungen zur Durchführung der Abiturprüfung getroffen worden
sind, die von denen der Abiturverordnung für Gymnasien in Normalform
abweichen, begründen diese eine noch deutlichere Anbindung der Durchführung
der Prüfung an das Regierungspräsidium, da hier die Schüler - anders als an
staatlichen Schulen oder regelschulakzessorischen Ersatzschulen - nicht durch
den Schulleiter, sondern unmittelbar durch die Schulaufsichtsbehörde zur Prüfung
zugelassen werden (§ 2 Abs. 3 WaldAbiPV) und über den Vorsitzenden des
Prüfungsausschusses hinaus auch der Leiter der schriftlichen Prüfung und der
stellvertretende Vorsitzende des Prüfungsausschusses von dieser Behörde
bestimmt werden (§ 6 Nr. 3 WaldAbiPrV 2002).
26 3. Die gegenüber dem Beklagten zu 2) am 15.07.2013 erhobene Klage ist nicht
verfristet.
27 a) Zwar wäre die Klage gegen das ohne Rechtsbehelfsbelehrung spätestens am
15.06.2012 bekannt gegebene Gesamtergebnis der Abiturprüfung der Klägerin
nach §§ 74 Abs. 2, Abs. 1 Satz 2; 58 Abs. 2 VwGO innerhalb einer Jahresfrist zu
erheben gewesen, die damit gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO; §
188 Abs. 2 BGB spätestens am 15.06.2013 abgelaufen war. Denn mit der
Zurechnung der Entscheidungen des Prüfungsausschusses und seines
Vorsitzenden als Entscheidung des Regierungspräsidiums Freiburg liegt ein Fall
vor, in dem es nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO
einer Nachprüfung der Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts
in einem Vorverfahren nicht bedarf und in dem deshalb nach § 74 Abs. 1 Satz 2
VwGO nach der Bekanntgabe des Verwaltungsakts innerhalb der Klagefrist
unmittelbar Klage erhoben werden muss.
28 Auch kann die Bekanntgabe des Gesamtergebnisses der Abiturprüfung, wie sie
hier angefochten ist, nicht als Fall der Bewertung einer Leistung im Rahmen einer
berufsbezogenen Prüfung angesehen werden, der nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
AGVwGO aus der landesrechtlichen Regelung zur Entbehrlichkeit eines
Widerspruchsverfahrens herausgenommen worden ist. Denn die Abiturprüfung ist
keine „berufsbezogene Prüfung“ im Sinne dieser Norm. Die mit ihr zu erlangende
Allgemeine Hochschulreife ist ebenso wie die in dieser Prüfung erreichte
Gesamtnote (nur) auf die Zulassung zu einem Hochschulstudium oder - zumindest
faktisch - zu einer Berufsausbildung, nicht jedoch unmittelbar auf die Qualifizierung
in einem bestimmten Beruf bezogen. Sofern es aufgrund der nur eingeschränkten
Überprüfbarkeit einer Prüfungsentscheidung auch im Rahmen der Abiturprüfung
eines eigenständigen verwaltungsinternen Kontrollverfahrens bedarf, in welchem
die Prüfer substantiierte Einwendungen des Prüflings gegen ihre Bewertung zu
überdenken haben (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 09.08.1996 - 6 C 3/95 -, NVwZ-RR
1998, 176), kann dieses Überdenkensverfahren auch ohne Durchführung eines
Widerspruchsverfahrens während eines gerichtlichen Verfahrens durchgeführt
werden, wobei letzteres gegebenenfalls ausgesetzt wird (BVerwG, Urt. v.
24.02.1993 – 6 C 35/92 –, BVerwGE 92, 132, 138 ff).
29 b) War demnach bei Klageerhebung gegenüber dem Beklagten zu 2) die Klagefrist
abgelaufen, so ist die Klage dennoch nicht unzulässig. Denn der Klägerin war
hinsichtlich dieser Frist nach § 60 VwGO die Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand zu gewähren. Sie war auch unter Zurechnung des Verhaltens ihres
Prozessbevollmächtigten nach § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO ohne
Verschulden gehindert, die einjährige Klagefrist einzuhalten. Es kann weder der
Klägerin selbst noch ihrem Bevollmächtigten als Verstoß gegen die ihnen
zumutbare Sorgfalt bei der Rechtsverfolgung vorgeworfen werden, dass sie die
Klage gegen das Gesamtergebnis ihrer Abiturprüfung nicht bereits innerhalb eines
Jahres nach der Bekanntgabe dieses Ergebnisses erhoben haben. Denn der
Bevollmächtigte der Klägerin hat mit Schreiben vom 27.09.2012 beim
Regierungspräsidium Freiburg gegen das „Abiturzeugnis“ Widerspruch eingelegt
und dabei ausdrücklich auf die - aus seiner Sicht bestehende - Rechtsunsicherheit
hingewiesen, ob der Ausschluss des Widerspruchsverfahrens nach § 15
AGVwGO auch auf die Abiturprüfung zu beziehen sei oder ob es sich insoweit um
eine berufsbezogene Prüfung handele, für die nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
AGVwGO nach wie vor ein Widerspruchsverfahren durchzuführen sei. Diese offen
gelegte Rechtsunsicherheit führt hier deshalb dazu, dass der letztlich gegebene
und regelmäßig irrelevante Rechtsirrtum ausnahmsweise entschuldigt ist, weil das
Regierungspräsidium Freiburg auf diesen Hinweis in keiner Weise mit dem
Einwand einer tatsächlich gegebenen Unzulässigkeit des Widerspruchsverfahrens
reagiert und die Klägerin auf ein mögliches Klageverfahren verwiesen hatte.
Vielmehr wurde das Widerspruchsverfahren - entsprechend der in der mündlichen
Verhandlung ausdrücklich eingeräumten eigenen Unkenntnis von der Regelung
des § 15 Abs. 1 AGVwGO - ohne jegliche Zulässigkeitsbedenken inhaltlich
betrieben. So wurden die - nach einer Bitte um Vorlage einer
„Widerspruchsbegründung“ - vom Bevollmächtigten der Klägerin erhobenen
Einwendungen an den Drittkorrektor der schriftlichen Prüfungsleistung der Klägerin
im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zur Überprüfung und Stellungnahme
weitergeleitet. Auch wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin unter dem
27.06.2013 mitgeteilt, dass man auf der Grundlage des Überdenkens der
Einwendungen durch den Drittkorrektor keinen Rechtsfehler erkenne, und den
Widerspruch deshalb zurückweisen werde. Dieses Verhalten, das die Zulässigkeit
des Widerspruchs der Klägerin in keiner Weise in Frage gestellt hatte, hatte zur
Folge, dass der Bevollmächtigte der Klägerin auf die Zulässigkeit des eingelegten
Widerspruchs vertrauen und von einer vorsorglichen parallelen Klageerhebung
absehen durfte.
30 Als der entschuldbare Irrtum des Kläger-Bevollmächtigten zur Statthaftigkeit seines
Widerspruchs durch den Hinweis des Vorsitzenden in der mündlichen
Verhandlung entfallen war, hatte der Bevollmächtigte der Klägerin - wenn auch in
der Annahme einer Fallgestaltung nach § 75 Satz 1 VwGO - die versäumte Klage
bereits erhoben, sodass die Frist für die Nachholung der während der regulären
Klagefrist versäumten Prozesshandlung bei Wegfall des Hindernisses eingehalten
worden war.
31 4) Das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin für die Klage gegen das
Gesamtergebnis der Abiturprüfung ergibt sich daraus, dass sich dieses
Gesamtergebnis um 1/10 verbesserte, wenn die geforderte Neubewertung der
schriftlichen Prüfungsarbeit im Fach Deutsch zu einer Bewertung mit 12 Punkten
statt - wie bisher - mit neun Punkten führen würde (hierzu VGH Bad.-Württ., Urt. v.
29.09.1989 - 9 S 735/89 -, DVBl 1990, 533, 534). Diese mögliche Verbesserung
ihrer Durchschnittsnote in der Abiturprüfung von 1,5 auf 1,4 hat für die Klägerin
auch eine unmittelbare rechtliche Relevanz, weil sie - wie sie in der mündlichen
Verhandlung vor der Kammer dargelegt hatte - ins Auge fasst, das bisherige
Studium der Psychologie an der Universität xxx abzubrechen und sich auf einen
Studienplatz im Fach Medizin zu bewerben. Unerheblich ist, ob ein zur begehrten
Neubewertung verpflichteter Prüfer statt der bisherigen Note tatsächlich
mindestens 12 Punkte vergeben würde. Denn die Klägerin wendet sich nicht nur
gegen die Unterschreitung des durch die Erst- und Zweitkorrektur vorgegebenen
Rahmens, der zwischen 14 Punkten und 10 Punkten liegt, sondern sie macht
hinsichtlich der Drittkorrektur auch inhaltliche Einwendungen geltend. Damit ist es
nicht bereits nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen, dass bei einer
Neubewertung der untere Rand des Notenrahmens überschritten und eine höhere
Punktzahl als zehn Punkte festgesetzt wird.
32 Lässt sich das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin bereits über die gegebene
Möglichkeit begründen, dass sich die Durchschnittsnote ihres Abiturs um 1/10
erhöht, kann dahin gestellt bleiben, ob der für das Rechtsschutzbedürfnis
notwendige „vernünftige Zweck“ einer Klage auf Verbesserung einer
Prüfungsbewertung (BVerwG, Beschl. v. 03.12.1979 - 7 B 196/79 - Buchholz 421.0
Prüfungswesen Nr 123) auch darin gesehen werden kann, dass eine Anhebung
der im Zeugnis der Allgemeinen Hochschulreife ausgewiesenen Note in der
schriftlichen Prüfungsleistung im Fach Deutsch von bislang neun Punkten auf eine
Note im Bereich von zehn bis 14 Punkten zu einer Verbesserung der Situation der
Klägerin bei zukünftigen Bewerbungen führen könnte.
II.
33 Die Klage ist auch begründet.
34 Die Feststellung des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses über das
Gesamtergebnis der Abiturprüfung der Klägerin mit der Note 1,5 ist rechtswidrig
und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch darauf,
dass ihre schriftliche Prüfungsarbeit im Fach Deutsch erneut bewertet und sie
aufgrund dieser Bewertung nochmals über das Gesamtergebnis ihrer
Abiturprüfung beschieden wird (§ 113 Abs. 5 VwGO).
35 Die Feststellung des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses für die Abiturprüfung
an der xxx - Freie Waldorfschule - xxx im Schuljahr 2011/2012 über die
Gesamtnote der Abiturprüfung der Klägerin findet ihre Rechtsgrundlage in § 7 Abs.
1 WaldorfAbiPV 2002. Hiernach ermittelt der Vorsitzende des
Prüfungsausschusses im Anschluss an die mündliche Prüfung das Ergebnis der
Abiturprüfung (Gesamtqualifikation) und ermittelt aus dieser nach der als Anlage
beigefügten Tabelle die Gesamtnote. Diese Gesamtqualifikation besteht nach § 7
Abs. 2 WaldorfAbiPV 2002 aus der Summe der in den acht Prüfungsfächern
erreichten Punkte, die, je nachdem wie die Prüfungsleistung erbracht worden ist,
mit unterschiedlichen Faktoren zu multiplizieren sind.
36 Die hier mit 684 Punkten rechnerisch einwandfreie Ermittlung des
Gesamtergebnisses der Prüfungsleistungen der Klägerin ist deshalb rechtswidrig,
weil sie für das Fach Deutsch auf der Bewertung der schriftlichen Prüfungsleistung
der Klägerin durch den Drittprüfer xxx mit neun Punkten beruht. Denn diese
Bewertung ist mit den für das Abitur maßgeblichen Vorschriften nicht vereinbar,
sodass der Klägerin ein Anspruch auf eine erneute Bewertung dieser Leistung
zusteht.
37 1. Allerdings war der Drittprüfer für die Festsetzung der Benotung der schriftlichen
Prüfungsleistung der Klägerin im Fach Deutsch nach § 6 Satz 1 WaldorfAbiPV
(2002) i.v.m. § 21 Abs. 5 Satz 3 NGVO zuständig. Nach dieser Regelung setzt ein
Beauftragter der oberen Schulaufsichtsbehörde die endgültige Bewertung für die
schriftliche Arbeit in einer Abiturprüfung fest, wenn die von ihm zunächst zu
überprüfenden Bewertungen der als Erstkorrektor eingesetzten Fachlehrkraft des
Schülers und einer als Zweitkorrektor bestimmten Fachlehrkraft eines anderen
Gymnasiums um mehr als zwei Punkte voneinander abweichen.
38 Diese Voraussetzungen waren hier gegeben, nachdem die Fachlehrerin der
Klägerin die schriftliche Prüfungsleistung mit 14 und die eingesetzte
Zweitkorrektorin die dieselbe Arbeit mit 10 Punkten bewertet hatte. Auch war der
Endkorrektor xxx als „Beauftragter der oberen Schulaufsichtsbehörde“ tätig. Zwar
war er nicht unmittelbar durch das Regierungspräsidium mit der Überprüfung der
Klausur der Klägerin beauftragt worden, sondern entsprechend Ziffer 4.10 der
Regelung in dem Abiturerlass des Regierungspräsidiums Freiburg vom 31.01.2012
durch die Schulleitung. Diese Subdelegation der Beauftragung einzelner
Fachlehrkräfte mit der Drittkorrektur auf die Schulleitungen begegnet jedoch keinen
rechtlichen Bedenken. Sie findet den - für die Bestimmung eines konkreten Prüfers
stets notwendigen (hierzu näher Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rn.
362 m.w.N.) - sachlichen Grund in der größeren Nähe der Schulleitungen zur
jeweils aktuellen Personalsituation und den zeitlichen und sonstigen Belastungen,
denen die einzelnen Fachlehrkräfte insgesamt ausgesetzt sein können. Auch ist
die Subdelegation in ihren sachlichen Kriterien dadurch hinreichend bestimmt,
dass die Bestimmung der Endbeurteiler an die Merkmale der fachlichen Eignung
und der ausreichenden Abiturerfahrung im betreffenden Fach gebunden ist.
39 2. Es kann offen bleiben, ob der Rechtmäßigkeit der Bewertung der schriftlichen
Prüfungsleistung der Klägerin im Fach Deutsch durch den Drittkorrektor xxx bereits
die Einwände der Klägerin und ihres Bevollmächtigten entgegenstehen, die diese
inhaltlich gegen die Korrektur der Arbeit als solche erheben. Denn diese
Bewertung ist jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil der Drittprüfer bei dieser -
rechtsfehlerhaft - den Rahmen unterschritten hat, der durch die Noten der Erst- und
der Zweitkorrektorin der Prüfungsleistung gebildet wird.
40 a) Nach § 21 Abs. 5 Satz 3 NGVO darf der Beauftragte der oberen
Schulaufsichtsbehörde bei der endgültigen Festsetzung der Bewertung für die
schriftliche Prüfung die von der Fachlehrkraft des Schülers und von der als
Zweitkorrektor tätig gewordenen Fachlehrkraft eines anderen Gymnasiums
vorgenommenen Bewertungen „in der Regel“ nicht über- oder unterschreiten. Da
diese Bindung des Endbeurteilers nach der Formulierung des § 21 Abs. 5 Satz 3
letzter Halbsatz NGVO für den „Regelfall“ festgeschrieben ist, setzt ein Über- oder
Unterschreiten der Bewertungen der Arbeit durch die Erst- und Zweitkorrektoren
nach allgemeinen Grundsätzen der Normauslegung das Vorliegen eines
atypischen Ausnahmefalls voraus, in dem die für die Grundregel der Bindung
maßgeblichen Annahmen des Verordnungsgebers ausnahmsweise nicht zum
Tragen kommen, weil die für den Ausnahmefall sprechenden Gesichtspunkte so
gewichtig sind, dass sie die für den Regelfall angeordnete Rechtsfolge
insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Prüfungsgerechtigkeit nachhaltig in
Frage stellen.
41 Mit der Regelung zum Einsatz eines Endbeurteilers in § 21 Abs. 5 Satz 3 knüpft
der Verordnungsgeber an das in § 21 Abs. 5 Satz 1 NGVO ausgestaltete Zwei-
Prüfer-Prinzip an, welches den prüfungsrechtlichen Normalfall darstellt und über
das die Schwierigkeiten der Überprüfbarkeit von grundrechtsrelevanten
Prüfungsentscheidungen verfahrensrechtlich kompensiert werden sollen (hierzu
Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rn. 547). Während der
Verordnungsgeber bei gleichen Bewertungen der Arbeit durch den Erst- und den
Zweitprüfer sowie bei geringen Bewertungsdifferenzen davon ausgehen konnte,
dass beide Bewertungen die Qualität der Prüfungsleistung derart zutreffend
ausdrücken, dass das Gesamtergebnis der Bewertung über ein arithmetisches
Rechen- und Rundungsverfahren gebildet werden kann, konnte er bei größeren
Bewertungsdifferenzen von mehr als zwei Punkten sachgerecht von dem Prinzip
der arithmetischen Mittelung der Einzelbewertungen abweichen und eine weitere
Bewertung anordnen, deren Ergebnis dann den Ausschlag geben soll (vgl. zum
Ganzen BVerwG, Beschl. v. 15.12.1987 - BVerwG 7 B 216.87 -, NVwZ 1988, 437).
Über die hierbei für den Regelfall angeordnete Bindung des Drittprüfers an den
durch die Erst- und Zweitbewertung der Arbeit gebildeten Rahmen gibt er dieser
Bewertung das Gepräge eines „schiedsrichterlichen Ausgleichs“ zwischen den
bereits bestehenden Bewertungen der Arbeit durch die Vorprüfer. Damit trägt er
zum einen dem Umstand Rechnung, dass auch größere Differenzen zwischen den
Einzelbewertungen nicht zwingend bedeuten, dass der Erst- und/oder der
Zweitkorrektor seinen Beurteilungsspielraum überschritten hat. Zum anderen
kompensiert er mit dieser Bindung, dass auch der Drittprüfer bei seiner endgültigen
Korrektur den ihm eingeräumten Bewertungsspielraum - wie jeder Prüfer -
zumindest teilweise subjektiv ausübt. Denn dieses jeder Beurteilung immanente
subjektive Moment kann - wie sich im Grundsatz des Zwei-Prüfer-Prinzips zeigt -
regelmäßig über die die Bewertung einer Prüfungsleistung durch mehrere Prüfer
abgeschwächt werden.
42 b) Von diesem normativen Konzept ausgehend, kann die Begrenzung des
Bewertungsspielraums durch die Einzelbewertungen des Erst- und des
Zweitprüfers nur dann nicht mehr gegeben sein, wenn diese Vorbewertungen
ihrerseits - atypischerweise - rechtswidrig sind und in einem gerichtlichen
Überprüfungsverfahren aufgehoben werden müssten. Dies ist immer dann der Fall,
wenn die Bewertung, die über- oder unterschritten werden soll, einen justiziablen
Fehler aufweist, der auf das Prüfungsergebnis einschließlich der Prüfungsnote von
Einfluss gewesen sein kann. Ein solcher Fehler kann sich zugunsten wie zulasten
des Prüflings daraus ergeben, dass eine vertretbare, mit gewichtigen Argumenten
folgerichtig begründete Lösung als falsch bewertet wurde, der Prüfer die
objektivierbaren Grenzen des Bewertungsspielraums nicht eingehalten hat, weil er
bei seiner Wertung von falschen Tatsachen ausgegangen ist oder er ihr
sachfremde Erwägungen zugrunde gelegt hat oder aber der Prüfer objektiv
festgelegte Bewertungsmaßstäbe (wie etwa eine vorgegebene Punkteverteilung
zu einzelnen Aufgaben) nicht beachtet hat (zu diesen Maßstäben vgl. BVerfG,
Beschl. v. 17.04.1991 - 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83 -, BVerfGE 84, 34).
Erforderlich ist zusätzlich, dass der Drittkorrektor bei verständiger Würdigung der
tragenden Gründe des Vorprüfers für seine Bewertung davon ausgehen muss,
dass der festgestellte Korrekturfehler für diese im Ergebnis von Bedeutung war.
43 Liegen derartige Fehler der Bewertung nicht vor, sondern kommt der Drittprüfer
allein zu dem Ergebnis, dass diese aus seiner Sicht nicht (mehr) angemessen ist,
kann die Begrenzungswirkung nicht entfallen. Denn mit ihr möchte der
Verordnungsgeber gerade der Problematik entgegenwirken, dass der Prüfling bei
der alleinigen Maßgeblichkeit der Entscheidung des Drittprüfers in einem höheren
Maße der Subjektivität seiner Wertungen ausgesetzt ist, als dies bei der
Maßgeblichkeit zweier Einzelbewertungen der Fall wäre. Würde die Begrenzung
allein deshalb entfallen, weil der Drittkorrektor aufgrund seiner eigenen subjektiven
Bewertung der Arbeit zu einer Note käme, die außerhalb des Rahmens liegt, die
durch die Bewertung der Erst- und Zweitkorrektoren gebildet wurde, so würde
gerade die Notenkonstellation zu einem Wegfall der Begrenzung führen, die nach
dem Willen des Verordnungsgebers begrenzt werden soll. Da es ferner dem von
der Norm vorgesehenen Regelfall entspricht, dass die Noten des Erst- und des
Zweitkorrektors um mehr als zwei Punkte differieren, kann auch nicht bereits aus
der großen Differenz zwischen den Bewertungen des Erst- und des
Zweitkorrektors geschlossen werden, dass der Prüfer, dessen Beurteilung als
untere oder obere Grenze der Drittbeurteilung entfallen soll, den ihm zustehenden
Beurteilungsspielraum in einer auch unter dem Gesichtspunkt der
prüfungsrechtlichen Chancengleichheit nicht mehr hinnehmbaren Weise ausgeübt
hat. Sofern der Drittkorrektor in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass sein
subjektivierter Bewertungsmaßstab in Bezug auf die landesweit an die Prüfung
angelegten Anforderungen deshalb eine höhere Verlässlichkeit mit sich bringt als
die Bewertungen der Erst- und Zweitkorrektoren, weil er selbst nicht nur ebenfalls
als Erst- und Zweitkorrektor tätig war, sondern er zudem als Drittkorrektor den
Überblick über die Bewertungen weiterer drei Kurse erhalten hat, mag dies auf den
ersten Blick plausibel erscheinen. Es ändert jedoch nichts an der normativen
Konzeption, nach der er bei der Ausübung seines eigenen Beurteilungsspielraums
durch die Festlegungen der Vorprüfer begrenzt sein soll, soweit diese nicht einen
der oben genannten Fehler enthalten. Die „höhere Verlässlichkeit“ seines
Beurteilungsmaßstabs macht die gegebenen Erst- und Zweitkorrekturen hingegen
für sich noch nicht rechtswidrig.
44 Unabhängig von der normativen Konzeption steht der Möglichkeit, dass ein
Drittprüfer die ihm auferlegte Begrenzung seines Beurteilungsspielraums aufgrund
einer eigenen Wertungsentscheidung außer Kraft setzt, auch entgegen, dass der
für die konkrete Prüfungsarbeit bejahte Grund für das Entfallen der
Bindungswirkung weder durch den Prüfling selbst noch durch ein von ihm
angerufenes Gericht im Rahmen eines Rechtsschutzverfahrens auf seine
Berechtigung hin geprüft werden könnte. Dies ist jedoch schon deshalb notwendig,
weil die Möglichkeit des Abweichens von dem vorgegebenen Notenrahmen das
Vorliegen eines „atypischen Falles“ der Vorkorrektur voraussetzt, und der
Verordnungsgeber diese damit an ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal anknüpft.
Die Notwendigkeit einer vollen gerichtlichen Kontrolle ist zudem aus den
Grundsätzen des Vorbehalts des Gesetzes und der Chancengleichheit im
Prüfungsverfahren abzuleiten. Denn auch wenn im Prüfungsrecht einzelne
Funktionsträger wie etwa die Prüfungsausschüsse oder auch einzelne Prüfer
durch die Prüfungsordnungen ermächtigt werden können, im Prüfungsverfahren
einzelfallbezogene Regelungen zu treffen (hierzu ausführlich Niehues/Fischer,
Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rn. 19 ff), so ist immer dort, wo durch eine solche
Entscheidung in Rechte eines Prüflings, wie etwa in das Recht auf Einhaltung der
Chancengleichheit eingegriffen werden kann, von dem aus Art. 19 Abs. 4 GG
abzuleitenden Grundsatz der vollen tatsächlichen wirksamen Kontrolle
auszugehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.08.1996 - 6 C 3/95 -, DVBl 1996, 1381, 1384;
Niehues/Fischer, a.a.O., Rn. 889). Ein solcher Fall liegt hier vor. Denn es wird dem
Drittprüfer bei der (regelwidrigen) Abweichung von dem durch die Bewertungen der
Vorprüfer gebildeten Bewertungsrahmen ermöglicht, die Arbeit des Prüflings
schlechter zu bewerten als dies bei der Bindung an die Vorbewertungen der Fall
wäre.
45 Liegt hiernach gemäß § 21 Abs. 5 Satz 3 NGVO ein zum Wegfall des
Bewertungsrahmens führender atypischer Fall nur dann vor, wenn die
Bewertungen der Vorprüfer an einem rechtlich relevanten Fehler leiden und - ohne
die Drittkorrektur - im Falle einer gerichtlichen Überprüfung aufzuheben wären, so
kann diese Regelung inhaltlich nicht durch die „Arbeitsanweisung des
Regierungspräsidiums Freiburg für die Endbeurteilung“ abgeändert werden. Zwar
lässt diese Arbeitsanweisung ein Abweichen von dem durch die Vorkorrekturen
bestimmten Bewertungsrahmen auch dann zu, wenn der Endbeurteiler feststellt,
dass die Punkteverteilung in der Erst- und der Zweitkorrektur „nicht akzeptiert
werden kann“. Dies legt ein Verständnis nahe, nach dem der Drittkorrektor - im
Interesse einer gleichmäßigen Bewertung der landesweit gestellten
Abituraufgaben - auch Unterschiede ausgleichen können soll, die etwa durch die
unterschiedlichen Erwartungen und Schwerpunktsetzungen einzelner Prüfer bei
der Erst- und Zweitkorrektur auftreten können. Allerdings sind sowohl die
Arbeitsanweisung des Regierungspräsidiums Freiburg als auch die
entsprechenden Arbeitsanweisungen der übrigen Regierungspräsidien rein
verwaltungsinterne Vorschriften, die sich in ihrer Bedeutung darauf beschränken,
den Endbeurteilern Hilfestellungen dafür zu geben, wann und wie sie eine den
Regelungen der Abiturprüfungsordnung für Gymnasien in Normalform
entsprechende rechtmäßige Drittkorrektur durchführen müssen. Bezogen auf die
Frage der entfallenden Bindung an den durch die Erst- und Zweitkorrektur
vorgegebenen Bewertungsrahmen stellen die Hinweise der Arbeitsanweisung
lediglich die Rechtsauffassung des Regierungspräsidiums zum Vorliegen eines
vom Regelfall abweichenden atypischen Ausnahmefalls nach § 21 Abs. 5 Satz 3
NGVO dar. Als unbestimmter Rechtsbegriff unterliegt die Bestimmung dieses
atypischen Ausnahmefalls jedoch allein der gerichtlichen Entscheidung, ohne dass
hierbei eine Bindung an die Rechtsauffassung der Behörden oder der übrigen
Beteiligten bestünde.
46 c) Kommt es nach all dem für die Möglichkeit des Drittkorrektors zur Abweichung
von dem durch die Erst- und Zweitkorrektoren gebildeten Bewertungsrahmen
darauf an, ob die zu über- oder zu unterschreitende Bewertung dieser Vorprüfer an
einem rechtlich relevanten Beurteilungsfehler leidet, so war der Endbeurteiler der
schriftlichen Prüfungsleistung der Klägerin im Fach Deutsch, xxx, an der
Unterschreitung der insoweit maßgeblichen schlechteren Bewertung der Arbeit,
wie sie durch die Zweitkorrektorin xxx vorgenommen worden war, gehindert. Denn
diese Korrektur weist für sich keinen rechtlich relevanten Beurteilungsmangel auf.
47 aa) Ein - zur Rechtswidrigkeit der Zweitkorrektur führender - Beurteilungsfehler
kann - entgegen der Einschätzung des Drittkorrektors - nicht darin gesehen
werden, dass die Zweitkorrektorin insoweit gegen die „Beurteilungs- und
Korrekturrichtlinien des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-
Württemberg für die Abiturprüfung an den allgemein bildenden Gymnasien, gültig
für die Abiturprüfung 2012“ (Az. 36-6615.31/530/1) verstoßen hat, als sie -
entgegen der dortigen Anweisung zu Nr. 1.1. 2. Absatz - nicht sämtliche Fehler mit
Korrekturzeichen gekennzeichnet hat, die von der Erstbeurteilerin übersehen
wurden. Zwar hatten sich die Erst- und die Zweitkorrektorin darauf beschränkt,
einige sprachlich-formale Mängel der Arbeit, wie etwa Rechtschreib-,
Zeichensetzungs- und Satzbaufehler zu kennzeichnen, sodass sich der
Drittkorrektor - in Einklang mit den Korrekturrichtlinien - veranlasst gesehen hatte,
in einer Vielzahl von Fällen auch Mängel inhaltlicher Art (wie etwa fehlende oder
falsche Begründungen und Belegstellen) mit den entsprechenden
Korrekturzeichen kenntlich zu machen. Zudem waren selbst die Kennzeichnungen
der sprachlich-formalen Mängel der Arbeit nach der Erst- und der Zweitkorrektur
unvollständig geblieben, so dass der Drittkorrektor auch hier in einigen Fällen
entsprechende Korrekturzeichen nachtragen musste. Aus den genannten
Unterlassungen ergibt sich jedoch deshalb kein relevanter Beurteilungsfehler der
Zweitkorrektorin, weil bei einer entsprechend verständigen Würdigung der - auch
nach den Beurteilungs- und Korrekturrichtlinien maßgeblichen - schriftlichen
Begründung der vergebenen Note nicht davon ausgegangen werden kann, dass
die Zweitkorrektorin bei ihrer Bewertung der Leistung der Arbeit der Klägerin in
relevanter Weise von einem - hinsichtlich ihrer sprachlich-formalen sowie
argumentativ-inhaltlichen Leistungen - falschen Sachverhalt ausgegangen ist.
48 So ist zunächst hinsichtlich der sprachlich-formalen Mängel, von denen der
Drittkorrektor schreibt, dass „sie den Gesamteindruck der Arbeit ein wenig trüben“,
festzustellen, dass sie zu einem beachtlichen Teil Wiederholungsfehler betreffen,
wenn jeweils viermal die Großschreibung des Wortes „beide“ oder aber die
Kommasetzung vor und nach einem in Anführungsstriche gesetzten Zitat gerügt
wird. Insgesamt steht damit den vom Drittkorrektor ergänzten Rechtschreib- und
Zeichensetzungsfehlern eine vergleichbare Menge von etwas mehr als zehn
entsprechenden Fehlern gegenüber, die bereits durch die Vorkorrektorinnen
deutlich gemacht worden sind. Da zudem der Großteil der Zeichensetzungsfehler
im Zusammenhang mit missglückten Satzkonstruktionen steht, auf die die
Zweitkorrektorin in ihrer Begründung zur vergebenen Note dadurch Bezug nimmt,
dass sie der „insgesamt noch guten Arbeit“ „wenige Unsicherheiten im Satzbau“
attestiert, kann ausgeschlossen werden, dass die Zweitkorrektorin bei der
Bewertung ihrer Arbeit das tatsächliche Ausmaß der sprachlich-formalen Mängel in
relevanter Weise zugunsten der Klägerin verkannt hat. Vielmehr ist davon
auszugehen, dass die Zweitkorrektorin die - vom Drittkorrektor gekennzeichneten -
Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler ungeachtet der fehlenden Vermerke am
Korrekturrand tatsächlich in ihre Bewertung aufgenommen hat und den
möglicherweise versehentlich übersehenen Fehlern im Gesamteindruck der Arbeit
kein zusätzliches Gewicht eingeräumt hätte. Dies wird durch die Beurteilungs- und
Korrekturrichtlinien des Kultusministeriums zu Punkt 1.2 bestätigt, nach denen bei
der Bewertung der Leistung zwar auch die sprachliche Richtigkeit mit den
Gesichtspunkten der Interpunktion und Orthographie von Bedeutung sind, diese
jedoch nur bei - hier selbst nach der Einschätzung des Drittkorrektors nicht
vorliegenden - „schwerwiegenden Verstößen“ zu einem Abzug von Notenpunkten
führen sollen.
49 Soweit der Drittkorrektor in seiner Bewertung der Arbeit weiter darauf verweist,
dass die Klägerin die korrekte Fachterminologie dadurch missachte, dass sie
Strophen durchgängig mit „Abschnitten“ und Verse teilweise mit „Zeilen“
bezeichne, kann aus den in diesem Zusammenhang vielfach ergänzten
Korrekturzeichen für den falschen Ausdruck („A“) nicht darauf geschlossen
werden, dass der Zweitkorrektorin dieser - nach den Beurteilungs- und
Korrekturrichtlinien als regelmäßig beachtlich angesehene - Fehler verborgen
geblieben ist. Dies ergibt sich schon daraus, dass sie den Ausdrucksfehler der
Falschbezeichnung der Strophe mit „Abschnitt“ an der ersten relevanten Textstelle
mit dem vorgesehenen Korrekturzeichen als Fehler markiert und dann
offensichtlich nur noch darauf verzichtet hatte, die vielfachen und jeweils deutlich
erkennbaren Wiederholungen der terminologisch inkorrekten Bezeichnung erneut
durch Korrekturzeichen hervorzuheben.
50 bb) Soweit sich die ergänzende Korrektur der Arbeit durch den Drittkorrektor
schließlich auf Korrekturzeichen bezieht, mit denen nach den Vorgaben der Nr. 2
der Beurteilungs- und Korrekturrichtlinien des Kultusministeriums „Mängel
inhaltlicher Art“ zu kennzeichnen sind, sind die - aus der Sicht des Drittkorrektors -
auch nach der Zweitkorrektur unterbliebenen Korrekturzeichen auf inhaltliche und
logische Mängel sowie auf unzureichende oder fehlende Begründungen oder
fehlerhafte oder fehlende Belege für einen Gedanken bezogen. Da diese Aspekte
im Wesentlichen auch die Aspekte des Inhalts der Arbeit einschließlich ihrer
sprachlichen Gestaltung betreffen, die die Zweitkorrektorin in der
zusammenfassenden Begründung ihrer Note ausdrücklich aufgegriffen und
abgewogen hatte, muss bei verständiger Würdigung davon ausgegangen werden,
dass sie die entsprechenden Fehler weder im einzelnen noch in ihrer Gesamtheit
übersehen, sondern allein darauf verzichtet hat, diese im Detail an den
entsprechenden Passagen der Bearbeitung kenntlich zu machen.
51 Sofern der Drittkorrektor - verallgemeinernd auf die Korrektur des gesamten
Deutschkurses der Klägerin - darlegt, dass die fehlenden Korrekturzeichen
jedenfalls ein Indiz dafür bilden, dass Fehler übersehen und deshalb in der
Gesamtbewertung der Arbeit nicht hinreichend berücksichtigt worden sind, steht
dem bereits entgegen, dass seine eigene Bewertung der Arbeit der Klägerin mit
neun Punkten die Bewertung der Zweitkorrektorin nur um einen Notenpunkt
unterschreitet und sich damit in einem Bereich hält, der ohne weiteres mit der
unterschiedlichen Gewichtung der - auch von der Zweitkorrektorin erkannten -
Fehler etwa bei der Verwendung der Fachsprache der Gedichtinterpretation zu
begründen ist.
52 d) Schließlich kann die Möglichkeit des Drittkorrektors, von dem durch die Erst- und
Zweitkorrektur gebildeten Bewertungsrahmen abzuweichen - entgegen der
Auffassung des Beklagten - auch nicht aus der Regelung des § 21 Abs. 5 Satz 4
NGVO abgeleitet werden, die in ihrem letzten Halbsatz die Möglichkeit einer
Überprüfung einer schriftlichen Arbeit „in entsprechender Anwendung von Satz 3“
voraussetzt.
53 aa) Die mit der „entsprechenden Anwendung von Satz 3“ ermöglichte
eigenständige Bewertung einer Arbeit durch einen Drittprüfer ist schon vom
Wortlaut allein auf die in Satz 4 des § 21 Abs. 5 NGVO direkt geregelten Fälle
bezogen, in denen die Bewertungen der Arbeit durch den Erst- und den
Zweitkorrektor um zwei oder einen Punkt differieren. Denkbar wäre allenfalls eine -
ergänzende - Erstreckung der Anwendung auf den - hier nicht gegebenen - Fall,
dass Erst- und die Zweitkorrektur identische Noten ergeben haben.
54 Eine „entsprechende Anwendung von Satz 3“ auch auf die - hier gegebene -
Situation der eigenständigen Endbeurteilung von Prüfungsarbeiten, deren Erst-
und Zweitkorrektur um mehr als zwei Punkte differieren, scheidet hingegen aus.
Dies ergibt sich nicht nur daraus, dass der Satz 3 des § 21 Abs. 5 NGVO, der
„entsprechend anwendbar“ sein soll, gerade diese Situation unmittelbar regelt.
Damit fehlt es für die Nachkorrektur einer Prüfungsleistung, deren Erst- und
Zweitkorrektur im Ergebnis um mehr als zwei Punkte differieren, an der für die
„entsprechende Anwendung“ einer Norm notwendigen Regelungslücke, die durch
die Übertragung einer Regelung zu einem vergleichbaren Fall geschlossen
werden soll. Letztlich reagiert der Verordnungsgeber mit der Anordnung der
„entsprechenden Anwendung von Satz 3“ in § 21 Abs. 5 Satz 4 NGVO auf die
Situation, dass die Ermittlung der Note in dieser Regelung grundsätzlich allein
aufgrund einer arithmetischen Berücksichtigung der Ergebnisse der Erst- und
Zweitkorrektur erfolgt, ohne dass diese Korrekturen durch den mit dieser Ermittlung
beauftragten Drittkorrektor auf ihre inhaltliche Tragfähigkeit hin überprüft würden.
Eine solche Situation, dass die Ergebnisse der Erst- und der Zweitkorrektur
unbesehen zur Ermittlung des Ergebnisses der Prüfung herangezogen werden, ist
jedoch in dem Fall der Endkorrektur einer Arbeit, in der die Ergebnisse der Erst-
und Zweitkorrektur um mehr als zwei Punkte differieren, gerade nicht gegeben,
weil hier die Nachprüfung der Bewertung des Erst- und des Zweitkorrektors als
Vorstufe zu einer eigenständigen Festsetzung der Note durch den Drittkorrektor
ausdrücklich bestimmt ist.
55 Soll über die entsprechende Anwendung von Satz 3 erreicht werden, dass der
Drittprüfer die Grundlagen der rechnerischen Ermittlung einer Endnote überprüfen
kann, so ist damit gleichzeitig verbunden, dass er nur dann von der Vorgabe der
rechnerischen Berücksichtigung dieser Noten befreit und mit der eigenständigen
Korrektur und Notenfestsetzung beauftragt ist, wenn diese Nachprüfung ergibt,
dass die Erst- und oder Zweitkorrektur rechtswidrig sind. Denn die Norm des § 21
Abs. 5 Satz 4 NGVO, die über die „entsprechende Anwendung von Satz 3“ ergänzt
werden soll, regelt entsprechend dem Grundsatz des Zwei-Prüfer-Prinzips den Fall
der rechtmäßigen Bewertungen einer Prüfungsarbeit durch den Erst- und den
Zweitkorrektor über die grundsätzliche Anordnung der Bindungswirkung
unmittelbar selbst und bedarf deshalb nur insoweit der Ergänzung, als der in
Bezug genommene Satz 3 des § 21 Abs. 5 NGVO die dort ebenfalls bestimmte
Bindung des Endbeurteilers an die Ergebnisse der Erst- und Zweitkorrektur für die
atypischen Fälle der rechtswidrigen Vorbeurteilungen für nicht mehr gegeben hält.
56 bb) Entgegen der Auffassung des Beklagten kann ferner aus der in § 21 Abs. 5
Satz 4 NGVO vorausgesetzten Möglichkeit einer Abweichung von der dort
bestimmten Regelung zur rechnerischen Notenermittlung auch nicht abgeleitet
werden, dass es -über die ausdrücklichen Regelungen in § 21 Abs. 5 NGVO zur
Notenbildung hinaus - eine allgemeine Freiheit oder Pflicht des Drittkorrektors zur
unabhängigen Neukorrektur sämtlicher Arbeiten eines Kurses gibt, wenn aufgrund
von Stichproben festgestellt wird, dass die „Punkteverteilung des Erst- und
Zweitkorrektors nicht akzeptiert werden kann“. Es mag dem Endkorrektor
überlassen bleiben, die Erst- und Zweitkorrektur eines ganzen Kurses
stichprobenartig oder gar vollständig auch in den Fällen zu überprüfen, in denen
dies für die Notenbildung nach § 21 Abs. 5 NGVO nicht unmittelbar vorgeschrieben
ist. Er muss jedoch stets die detaillierten und abschließenden Bestimmungen des
§ 21 Abs. 5 NGVO beachten, die ihn bei der konkreten Ermittlung der Endnote
entweder direkt an die Ergebnisse der Erst- und Zweitkorrektur oder - bei
Abweichungen zwischen diesen Korrekturen von mehr als zwei Punkten -
zumindest an den durch diese Ergebnisse gebildeten Notenrahmen binden und
die - in direkter oder entsprechender Anwendung von Satz 3 - eine Abweichung
hiervon nur dann zulassen, wenn die Vorkorrekturen justiziable Bewertungsfehler
aufweisen.
57 Hätte der Verordnungsgeber über das abschließende Gefüge des § 21 Abs. 5
NGVO hinaus eine weitgehende Möglichkeit der Abweichung von dem - auch in §
21 Abs. 5 NGVO festgelegten - Grundsatz des Zwei-Prüfer-Prinzips vorsehen
wollen, hätte er dies - auch unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes
- klar und eindeutig regeln und dabei insbesondere auch normative Regelungen zu
den Voraussetzungen und Grenzen eines solchen Vorgehens festlegen müssen,
die hier jedoch fehlen.
58 cc) Entgegen der Auffassung des Beklagten lässt sich schließlich eine hinreichend
klare Regelung zur Nachkorrektur eines ganzen Kurses auch nicht aus der
Arbeitsanweisung des als obere Schulaufsichtsbehörde zuständigen
Regierungspräsidiums Freiburg für die Endbeurteilung von Abiturarbeiten ableiten.
Denn abgesehen davon, dass die durch diese verwaltungsinternen Anweisungen
geprägte Prüfungspraxis eine notwendige normative Regelung des
Verordnungsgebers nicht ersetzen kann, ist der Erlass in Bezug auf die
Ermächtigung zur Nachkorrektur eines ganzen Kurses schon nicht geeignet, eine
einheitliche Prüfungspraxis festzulegen. So knüpft er zum einen an die - letztlich zu
zufälligen Ergebnissen führende - Überprüfung von Stichproben an. Zum anderen
verknüpft er unter Nr. 3 die vollständige Nachkorrektur eines Kurses mit der
Einschätzung des Drittprüfers, „ob … die Korrekturrichtlinien eingehalten wurden
und die Punkteverteilung akzeptiert werden kann“, während die Hinweise der
Regierungspräsidien Stuttgart und Tübingen für die Endbeurteilung von
Prüfungsarbeiten davon - zumindest potentiell - abweichend von der Einschätzung
abhängig sind, dass bei der Erst- und Zweitkorrektur keine „angemessenen
Maßstäbe“ angelegt wurden. Eine deutlich begrenztere Praxis der Nachkorrektur
dürfte im Bezirk des Regierungspräsidiums Karlsruhe herrschen, wenn in den
dortigen Hinweisen an den Endbeurteiler unter Nr. 7 die freie Nachkorrektur des
gesamten Kurses an die „Verwendung einer veralteten Verrechnungstabelle“,
„grobe Verstöße gegen die Korrekturrichtlinien“, das „Übersehen fachlich
schwerwiegender Fehler“ oder eine „völlig unakzeptable Verteilung der Punkte“
geknüpft wird. Von der fehlenden Einheitlichkeit der Praxis zur freien Nachkorrektur
eines ganzen Kurses und der fehlenden normativen Regelung abgesehen, ist die
in den Arbeitsanweisungen enthaltene Ermächtigung und Verpflichtung des
Drittkorrektors zu einer vollständigen Nachkorrektur des entsprechenden Kurses
schließlich auch ungeeignet, von dem in § 21 Abs. 5 NGVO zugrunde gelegten
Grundsatz des Zwei-Prüfer-Prinzips abzuweichen. Denn mit den Merkmalen der
fehlenden „Angemessenheit“ oder „Akzeptanz“ der von den Erst- und
Zweitkorrektoren angelegten Bewertungsmaßstäbe wird die - dem Prüfling
potentiell ungünstige - Nachkorrektur von einer Wertung des Drittprüfers abhängig
gemacht, die nach dem bereits Dargelegten ihrerseits nicht gerichtlich nachgeprüft
werden kann.
III.
59 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Danach
sind der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, soweit sie die Klage
zurückgenommen hat. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, soweit
streitig entschieden worden und er unterlegen ist. Bei der Verteilung der Kosten
und der Festsetzung der Kostenquoten hat die Kammer berücksichtigt, dass die
außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) allein dem durch die
Klagerücknahme beendeten Verwaltungsrechtsstreit zuzurechnen und damit
ausschließlich von der Klägerin zu tragen sind. Im Übrigen ergibt sich die
Kostenquote aus dem Verhältnis der durch die Klagerücknahme und die streitige
Entscheidung bestimmten Teile des Verfahrens zueinander. Die Kammer sieht
gemäß § 167 Abs. 2 VwGO nach Ermessen davon ab, das Urteil hinsichtlich der
Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit sich die Kostenentscheidung
auf den durch Rücknahme beendeten Verfahrensteil bezieht, bedarf es aufgrund
der Unanfechtbarkeit der Verfahrenseinstellung zumindest in Bezug auf die
ausscheidbaren außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) keiner Regelung
zur vorläufigen Vollstreckbarkeit mehr (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.09.2005 - 3 C 50/04
-, NJW 2006, 536, 538; weitergehend BVerwG Beschl. v. 07.08.1998 - 4 B 75.98 -
NVwZ-RR 1999, 407; VG Freiburg, Urt. v. 18.06.2008 - 1 K 2155/07 -, juris), und für
den übrigen Teil ist ein Interesse der Beteiligten an einer Kostenerstattung bereits
vor Eintritt der Rechtskraft des Urteils nicht erkennbar.
60 Die Zulassung der Berufung beruht auf §§ 124a Abs. 1 Satz 1; 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO. Die Möglichkeit eines Endkorrektors, bei seiner Notenfestlegung in der
schriftlichen Abiturprüfung nach § 21 Abs. 5 Satz 3 NGVO von dem Rahmen
abzuweichen, der durch die Bewertung des Erst- und des Zweitkorrektors
festgelegt wird, betrifft eine Rechtsfrage, deren obergerichtliche Klärung im
Interesse der Einheit der Rechtsanwendung im Zentralabitur in Baden-
Württemberg geboten ist.
61 Sofern das Verfahren nach Teilrücknahme der Klage eingestellt und insoweit über
die ausscheidbaren Kosten des Beklagten zu 1) entschieden worden ist, ist die
Entscheidung unanfechtbar (§§ 92 Abs. 3 Satz 2 analog, 158 Abs. 2 VwGO).
Gleiches gilt für die Entscheidung der Kammer, der Klägerin die Wiedereinsetzung
in die Klagefrist zu gewähren (vgl. § 60 Abs. 5 VwGO; BVerwG, Beschl. v.
11.11.1987 - 9 B 379.87 -, NJW 1988, 1863).