Urteil des VG Freiburg vom 25.09.2013

aufschiebende wirkung, einkünfte, beitragsfestsetzung, mindestbeitrag

VG Freiburg Urteil vom 25.9.2013, 1 K 2186/11
Zur Festsetzung eines Säumniszuschlages durch ein berufsständiges
Versorgungswerk - hier: Rechtsanwalt
Leitsätze
Gemäß §§ 45, 3 Abs. 1 Nr. 5 b) KAG findet auf Säumniszuschläge § 240 Abs. 1 Satz
4 AO entsprechende Anwendung. Sofern die Festsetzung eines Beitrags aufgehoben,
geändert oder wegen offenbarer Unrichtigkeiten berichtigt wird, bleiben folglich die bis
dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt. Die entsprechende Anwendung des §
240 Abs. 1 Satz 4 AO wird nicht dadurch gehindert, dass 8 Abs. 2 Satz 3 RAVG (und
ihm folgend § 15 Abs. 6 RAVwS) die entsprechende Anwendung des § 24 SGB IV
vorsieht. Ausweislich des Gesetzentwurfs der Landesregierung vom 21.09.1984 zum
RAVG (LT.-Drs. 9/495, Seite 18) sollte damit eine gesetzliche Grundlage "für die
Berechnung der Säumniszuschläge" geschaffen werden. Daraus wird genügend klar
ersichtlich, dass der (dynamische) Verweis auf § 24 SGB IV an die Stelle des § 240
Abs. 1 Satz 1 AO tritt und nur die Ermittlung der Höhe der Säumniszuschläge betrifft,
während es hingegen für das weitergehende Schicksal festgesetzter bzw.
entstandener Säumniszuschläge mangels sonst vorhandener spezieller gesetzlicher
Regelungen bei der Anwendung der §§ 45, 3 KAG sowie der AO-Vorschriften bleibt.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1 Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung eines Säumniszuschlags durch
das beklagte Versorgungswerk.
2 Der am ... 1970 geborene Kläger wurde im Jahr 2001 im Anschluss an einen
Zulassungswechsel von der Rechtsanwaltskammer Hamm zur
Rechtsanwaltskammer Freiburg sowie zugleich unter Überleitung seiner an das
Versorgungswerk der Rechtsanwälte in NRW entrichteten Beiträge Mitglied beim
beklagten Versorgungswerk. Bis zum 15.05.2007 war der Kläger (der zu diesem
Zeitpunkt bereits Fachanwalt für Steuerrecht war) angestellter Rechtsanwalt, ab
dann ließ er sich in eigener Kanzlei nieder und wurde als selbstständiges Mitglied
beim Beklagten geführt.
3 Für die Zeit ab 01.06.2007 wurde der Kläger auf den Mindestbeitrag veranlagt.
4 Wegen der beabsichtigten Beitragsfestsetzung für 2008 und 2009 erfolgte
Anforderungen und Erinnerungen des Beklagten vom 15.07.2008, 30.09.2008,
14.07.2009 und 30.10.2009 betreffend die Vorlage der
Einkommensteuerbescheide 2006 und 2007 oder der Bescheinigung eines
Angehörigen der steuerberatenden Berufe über das Einkommen beantwortete der
Kläger (erst) im November 2009 und teilte mit, Einkommensteuerbescheide für
diese Jahre lägen ihm noch nicht vor. Ferner fügte er die
Lohnsteuerbescheinigung für 2006 bei und führte aus, 2006 keine weiteren
Einnahmen sowie in 2007 ab Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit nur einen
Verlust gehabt zu haben.
5 Unter dem 14.09.2010 erinnerte der Beklagte noch einmal an die Nachweise für
2006 und 2007 sowie nunmehr ferner, um den Beitrag für 2010 festsetzen zu
können, an Einkommensnachweise aus dem Jahr 2008. Zugleich wurde dem
Kläger zur Vorlage letztmalig eine Frist von 2 Wochen eingeräumt und darauf
hingewiesen, dass nach fruchtlosem Ablauf der Regelpflichtbeitrag festgesetzt
werde.
6 Am 20.09.2010 legte der Kläger die Seite 1 des Einkommensteuerbescheids 2006
des Finanzamts ... vom 25.03.2010 vor sowie den Gewinnfeststellungsbescheid
2007 des Finanzamtes ... vom 15.04.2009 (Einkünfte: -4.955,28 EUR) und dessen
Gewinnfeststellungsbescheid 2008 vom 30.08.2010 (Einkünfte: 25.984,-- EUR).
Der Beklagte erwiderte unter dem 14.10.2010, der Einkommensteuerbescheid
2006 sei unvollständig und die Festsetzungsbescheide nicht zur
Beitragsfestsetzung geeignet.
7 Der Kläger reichte am 06.11.2010 den vollständigen Einkommensteuerbescheid
des Jahres 2006 nach und führte aus, der Einkommensteuerbescheid 2007 des
zuständigen Wohnsitzfinanzamtes ... liege ihm noch nicht vor und werde, sobald er
erlassen sei, eingereicht.
8 Mit Bescheid vom 19.10.2010 setzte der Beklagte - unter Vorbehalt der
Nachprüfung anhand des Einkommensteuerbescheides 2008 - den monatlichen
Beitrag des Klägers ab 01.01.2010 auf 430,90 EUR (10/10 des
einkommensabhängigen Pflichtbeitrags) fest. Zugrunde gelegt wurde dabei ein
Monatseinkommen aus freiberuflicher Tätigkeit von 2.165,33 EUR, entsprechend
einem im Gewinnfeststellungsbescheid des Finanzamts vom 30.08.2010
ausgewiesenen Jahreseinkommen von 25.984,-- EUR.
9 Mit Schreiben vom 13.12.2010 forderte der Beklagte den Kläger erneut zur Vorlage
des Einkommensteuerbescheides 2007 binnen 3 Wochen auf und kündigte für
den Fall nicht fristgerechter Vorlage die Festsetzung des Regelpflichtbeitrages für
das Jahr 2009 an.
10 Mit Bescheid vom 29.03.2011 setzte der Beklagte den monatlichen Beitrag des
Klägers für das Jahr 2009 abweichend vom bislang geltenden Mindestbeitrag
(82,66 EUR) auf 1.074,60 EUR (10/10 Regelpflichtbeitrag) fest. Der Kläger erhob
hiergegen am 29.04.2011 Widerspruch und teilte mit, dass die
Einkommensteuerbescheide 2007 und 2008 noch nicht vorlägen, indessen die
Feststellungbescheide des Finanzamts ..., die seine gesamten beitragspflichtigen
Einkünfte darstellten.
11 Mit Bescheid vom 23.05.2011 setzte der Beklagte, nachdem der seit 15.04.2011
fällige erhöhte Beitrag für das Jahr 2009 nicht bezahlt worden war,
Säumniszuschläge i.H.v. 119,-- EUR (1 v.H. aus 11.900,-- EUR für den Zeitraum
16.04.-15.05.2011) fest. Der Kläger erhob hiergegen am 24.06.2011 Widerspruch
und wies, verbunden mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des
Beitragsbescheids vom 29.03.2011 für 2009, darauf hin, den
Gewinnfeststellungsbescheid für 2008 habe er vorgelegt. Weitere Einkünfte habe
er nicht gehabt, so dass der Regelpflichtbeitrag nicht zugrunde gelegt werden
dürfe.
12 Mit Bescheiden vom 20.06.2011 und 20.07.2011 setzte der Beklagte weitere
Säumniszuschläge i.H.v. jeweils 119,-- EUR fest. Gegen diese beiden Bescheide
erhob der Kläger keinen Widerspruch.
13 Am 09.08.2011 schließlich legte der Kläger den ihm am 06.08.2011
zugegangenen Einkommensteuerbescheid 2007 des Finanzamts ... vom
05.08.2011 vor, aus dem sich (die bereits im Feststellungsbescheid des
Finanzamts ... vom 15.04.2009 ausgewiesenen negativen) Einkünfte aus
selbstständiger Tätigkeit i.H.v. -4.955,28 EUR ergaben. Mit Bescheid vom
15.08.2011 setzte der Beklagte daraufhin den Beitrag ab 01.01.2009 bis
31.12.2009 neu auf den Mindestbeitrag von 82,66 EUR fest.
14 Mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2011 (zugestellt am 01.10.2011) wies der
Beklagte im Anschluss an einen entsprechenden Beschluss des Vorstands vom
12.09.2011 den Widerspruch vom 24.06.2011 gegen den Bescheid vom
23.05.2011 „bezüglich der Vollstreckungsandrohung und der Festsetzung von
Säumniszuschlägen in Höhe von 119,-- EUR“ zurück und setzte für diese
Entscheidung eine Gebühr von 50,-- EUR fest. Zur Begründung ist ausgeführt, der
Widerspruch sei, soweit damit gegen die Vollstreckungsandrohung vorgegangen
werde, unzulässig, da es sich bei der Vollstreckungsandrohung nicht um einen
Verwaltungsakt, sondern um die Androhung einer bevorstehenden
Zwangsvollstreckung handele. Der Widerspruch gegen die Festsetzung von
Säumniszuschlägen sei unbegründet, da diese infolge des bestandskräftigen
Beitragsbescheides vom 29.03.2011 und der daraus entstehenden
Nachforderungen rechtmäßig entstanden seien. Die Vorlage des
Einkommensteuerbescheides 2007 im August 2011 sei nicht rechtzeitig gewesen,
nachdem der Kläger zuvor zur Vorlage aufgefordert worden sei. Die Festsetzung
von Säumniszuschlägen sei nach der Satzung möglich. Diese seien ein
Druckmittel zur Bezahlung der Beiträge und zudem ein Äquivalent dafür, dass
andere, ihre Beiträge pünktlich entrichtende Mitglieder, zu einem guten Ertrag der
Vermögensanlagen des Versorgungswerks beitrügen, während säumige Mitglieder
dies nicht oder nicht in gleichem Maße täten. Der Gesamtvorstand halte es nach
alledem für angemessen, es bei der Säumniszuschlagsbelastung sowohl dem
Grunde als auch der Höhe nach zu belassen.
15 Der Kläger hat am 02.11.2011 (Tag nach „Allerheiligen“) Klage erhoben und trägt
vor: Die gesonderte Gewinnfeststellung für die Einkünfte aus der selbstständigen
Tätigkeit erfolge durch das Finanzamt ... Sein Wohnsitz liege im
Veranlagungsbezirk des Finanzamtes ..., so dass zunächst jeweils der
Gewinnfeststellungsbescheid beim Finanzamt ... zu erwirken sei und der
Einkommensteuerbescheid sodann nach Feststellung des Gewinns und nach
Einreichung der Einkommensteuererklärung durch das Finanzamt ... ergehe. Seit
Beginn seiner Mitgliedschaft im Jahre 2001 hätten nie Rückstände beim Beklagten
bestanden. Die angeforderte Bescheinigung eines Angehörigen der
steuerberatenden Berufe sei nicht vorgelegt worden, weil es sich ihm nicht
erschließe, was dort bescheinigt werden solle. Außerdem sehe er sich als
Fachanwalt für Steuerrecht selbst in der Lage und in der Pflicht, richtige
Erklärungen abzugeben. Es sei weiterhin nicht nachvollziehbar, weshalb ein
rechtskräftiger Gewinnfeststellungsbescheid des Finanzamtes Konstanz für die
Beitragsfestsetzung durch die Beklagte nicht ausreichend sei. Die Festsetzung der
Säumniszuschläge sei rechtswidrig, da er alle ihm vorliegenden steuerlichen
Bescheide unverzüglich vorgelegt habe. In der Sache hätten sich keine
Nachzahlungsbeträge ergeben. Seine Angaben seien richtig und vollständig
gewesen und hätten sich schließlich durch den eingereichten
Einkommensteuerbescheid 2007 bestätigt. In der Begründung des
Widerspruchsbescheids finde sich kein Hinweis darauf, dass er gerade nicht mit
Beiträgen säumig gewesen sei und das Beitragsaufkommen auch nicht gefährdet
habe. Der Widerspruchsbescheid lasse ermessensfehlerhaft eine eingehende
Auseinandersetzung mit der Tatsache bereits rechtskräftiger
Feststellungsbescheide vermissen.
16 Der Kläger beantragt,
17 den Bescheid des Beklagten vom 23.05.2011 und dessen Widerspruchsbescheid
vom 27.09.2011 aufzuheben.
18 Der Beklagte beantragt,
19 die Klage abzuweisen.
20 Er entgegnet: Ausschließlich ein Einkommensteuerbescheid, nicht indessen ein
Gewinnfeststellungsbescheid sei für die Beitragsfestsetzung relevant, wie von der
Rechtsprechung bereits mehrfach entschieden worden sei. Da der Kläger den
relevanten Einkommensteuerbescheid erst nach der
Regelpflichtbeitragsfestsetzung vorgelegt habe, sei die Festsetzung von
Säumniszuschlägen auf Basis der festgesetzten Regelpflichtbeiträge rechtmäßig.
Die vom Kläger mit der Begründung begehrte Herabsetzung, dass die ursprünglich
festgesetzten Beiträge nachträglich aufgrund einer Neuveranlagung reduziert
worden seien, komme wegen §§ 45, 3 Abs. 1 Nr. 5 b.) KAG i.V.m. § 240 Abs. 1
Satz 4 AO nicht in Betracht.
21 Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze
der Beteiligten und den Akteninhalt (ein Heft des Beklagten) verwiesen.
Entscheidungsgründe
22 Die Kammer konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Beklagte in der
mündlichen Verhandlung nicht vertreten war. Die ordnungsgemäß bewirkte
Ladung enthielt einen entsprechenden Hinweis (§ 102 Abs. 2 VwGO). ferner hatte
der Beklagte am 23.09.2013 das mögliche Fernbleiben eines Vertreters
angekündigt, ohne einen Verlegungsantrag zu stellen.
I.
23 Die zulässige Klage ist unbegründet. Gegenstand ist der Ausgangsbescheid vom
23.05.2011, wie er durch den Widerspruchsbescheid vom 27.09.2011 bestätigt
wurde (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Soweit der Widerspruchsbescheid Ausführungen
zu einer angeblichen Anfechtung einer Vollstreckungsandrohung enthält, gehen
diese ins Leere, da der Bescheid vom 23.05.2011 eine solche Androhung nicht
enthält (anders hingegen diejenigen vom 20.06. und 20.07.2011). Die Festsetzung
von Säumniszuschlägen ist dem Grunde und der Höhe nach rechtmäßig und
verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
24
1.)
Rechtsgrundlage für die Erhebung von Säumniszuschlägen ist § 15 Abs. 6 der
Satzung des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg
(RAVwS). Danach werden (sc. zwingend) auf rückständige Beiträge
Säumniszuschläge entsprechend § 24 SGB IV erhoben. § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB
IV (in der hier maßgebenden Fassung des 2. SGBÄndG vom 13.06.1994)
wiederum bestimmt, dass für Beiträge, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum
Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der
Säumnis ein Säumniszuschlag von eins vom Hundert des rückständigen, auf 50
Euro nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen ist.
25 Im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides vom 23.05.2011 befand sich der
Kläger mit der Beitragszahlung in Rückstand. Denn ihm gegenüber war zuvor mit
Bescheid vom 29.03.2011 der monatliche Beitrag rückwirkend für das Jahr 2009
(und abweichend vom bis dahin geltenden Mindestbeitrag von 82,66 EUR) auf den
Regelpflichtbeitrag von 1.074,60 EUR festgesetzt worden, so dass - abzüglich der
bislang nur gezahlten Mindestbeiträge - Rückstände von 11.903,28 EUR
entstanden waren. Die daraus errechnete Höhe des Säumniszuschlages (1 v.H.
aus abgerundet 11.900,-- EUR) ist zutreffend. Nach Fälligkeit des rückwirkend für
2009 festgesetzten Regelpflichtbeitrags zum 15.04.2011 (vgl. § 15 Abs. 1, Abs. 2
RAVwS) befand sich der Kläger im ersten Monat der Säumnis. Dass er gegen den
wirksamen, nicht nichtigen Beitragsbescheid vom 29.03.2011 rechtzeitig
Widerspruch erhoben hatte, ändert daran nichts, da diesem Rechtsmittel wegen
des Abgabencharakters des Beitrags keine aufschiebende Wirkung zukam (§ 80
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Dem Vollziehungsaussetzungsantrag des Klägers kam
der Beklagte nicht nach und der Kläger stellte schließlich auch keinen Antrag
gemäß § 80 Abs. 5 VwGO.
26
2.)
Zwar ist der Beitragsbescheid vom 29.03.2011 und damit die dem
Säumniszuschlag zugrunde liegende Hauptforderung durch den Beitragsbescheid
vom 15.08.2011 rückwirkend ersetzt und der Kläger (wieder) mit dem
Mindestbeitrag veranlagt worden. Gleichwohl hat dies nichts an der
Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 23.05.2011 geändert. Wie die Kammer auch
bereits im Beschluss vom 10.08.2012 (1 K 646/12) zum Verhältnis von
Beitragsfestsetzung und Säumniszuschlag ausgeführt hat, gelten gemäß § 45
KAG die §§ 3, 7 und 8 KAG sinngemäß für sonstige öffentlich-rechtliche Abgaben
und Umlagen, die u. a. von öffentlich-rechtlichen Körperschaften - wie hier dem
Versorgungswerk der Rechtsanwälte - erhoben werden (in diesem Sinne auch
VGH Bad.-Württ., Urt. v. 27.07.2012 - 9 S 569/11 -, juris). Über § 3 Abs. 1 Nr. 5 b)
KAG findet deshalb § 240 Abs. 1 Satz 4 AO entsprechende Anwendung. Dieser
bestimmt, dass, sofern die Festsetzung einer Steuer (hier: eines Beitrags)
aufgehoben, geändert oder wegen offenbarer Unrichtigkeiten berichtigt wird, die
bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt bleiben. Auch wenn es somit im
Fall des Klägers zur Aufhebung des den Säumniszuschlag auslösenden
Beitragsbescheids vom 29.03.2011 kam, musste der Beklagte die bisher
angefallenen Säumniszuschläge aus dem Regelpflichtbeitrag aufrechterhalten. §
240 Abs. 1 Satz 4 AO durchbricht den für (steuerliche) Nebenleistungen geltenden
Grundsatz der Akzessorietät für die Säumniszuschläge, indem er die Höhe der
Säumniszuschläge allein nach der Höhe des jeweils rückständigen Betrages
bemisst. Es kommt weder darauf an, dass der rückständige Betrag nach
materiellem Recht tatsächlich entstanden ist oder die (Steuer-)Festsetzung in
dieser Höhe in Bestandskraft erwächst. Unerheblich ist auch, auf welcher
Rechtsnorm die Änderung oder Aufhebung der Festsetzung beruht oder ob sie
durch Verwaltungsakt oder gerichtliche Entscheidung erfolgt. Maßgeblich ist allein,
dass eine festgesetzte (Steuer-)Schuld bei Fälligkeit nicht getilgt wird.
Entscheidender Anknüpfungspunkt ist nicht das materiell-rechtliche Bestehen
einer Hauptschuld, sondern der in der Missachtung vollziehbarer
Abgabenbescheide zum Ausdruck kommende Ungehorsam (vgl. mit Nachweisen
aus der Rspr. des BFH und des BVerfG: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl. 2009, § 240
Rnr. 29).
27 Die entsprechende Anwendung des § 240 Abs. 1 Satz 4 AO wird nicht dadurch
gehindert, dass § 15 Abs. 6 RAVwS auf § 24 SGB IV verweist. Die Ermächtigung
zum Erlass dieser Satzungsvorschrift enthält § 8 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über
das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg (vom 10.12.1984
- RAVG). Für Beiträge, die der Zahlungspflichtige eine Woche nach Fälligkeit noch
nicht entrichtet hat, können danach Säumniszuschläge erhoben werden; § 24 des
Vierten Buches des Sozialgesetzbuches gilt entsprechend. Der Gesetzentwurf der
Landesregierung vom 21.09.1984 zum RAVG (LT.-Drs. 9/495, Seite 18) bestimmte
ausdrücklich, dass mit diesem Verweis eine gesetzliche Grundlage „für die
Berechnung der Säumniszuschläge“ geschaffen werde. Abweichend vom 1984
bereits an sich über § 12 KAG 1982 (jetzt § 45 KAG) geltenden § 240 Abs. 1 Satz
1 AO 1977 (Säumniszuschlag beträgt für jeden angefangenen Monat der Säumnis
eins vom Hundert des rückständigen auf hundert Deutsche Mark nach unten
abgerundeten Betrags) stellte § 24 SGB IV in der damaligen Fassung die
Säumniszuschlagserhebung noch in das Ermessen des Versicherungsträgers und
differenzierte in der Höhe und in Abhängigkeit von der Dauer der Rückstands (vgl.
§ 24 Abs. 1 und Abs. 1 SGB IV a.F.). Daraus wird zur Überzeugung der Kammer
genügend klar ersichtlich, dass der (dynamische) Verweis auf § 24 SGB IV an die
Stelle des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO tritt und nur die Ermittlung der Höhe der
Säumniszuschläge betrifft, während es hingegen für das weitergehende Schicksal
festgesetzter bzw. entstandener Säumniszuschläge mangels sonst vorhandener
spezieller gesetzlicher Regelungen bei der Anwendung der §§ 45, 3 KAG sowie
der AO-Vorschriften bleibt.
28
3.)
Nicht zu entscheiden ist schließlich vorliegend, ob der Kläger einen Anspruch
auf (zumindest Teil-) Erlass der Säumniszuschläge haben könnte (zu den
allerdings engen Voraussetzungen vgl. aus der steuerrechtlichen Rspr. etwa BFH,
Urt. v. 20.05.2010 - V R 42/08 -, juris; FG München, Urt. v. 27.10.2011 - 10 K
2070/10 -, juris). Denn unabhängig davon, ob neben § 15 Abs. 4 RAVwS eine
entsprechende Anwendung des § 227 AO (über §§ 45, 3 Abs. 1 Nr. 5a) KAG) noch
in Betracht kommt, handelt es sich hierbei um ein eigenständiges,
antragsgebundenes Verwaltungsverfahren, dessen Ausgang im
Anfechtungsprozess gegen die Abgabenfestsetzung nicht zu berücksichtigen ist
(vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 29.06.1992 - 9 S 1346/92 -, juris).
II.
29 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Kammer hat keinen
Anlass, sie für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 167 Abs. 2 VwGO). Gründe für
eine Zulassung der Berufung liegen nicht vor, weshalb hinsichtlich der
Anfechtbarkeit dieses Urteils Folgendes gilt:
30
Beschluss
31 Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß § 52 Abs. 3 GKG auf 119,-- EUR
festgesetzt.