Urteil des VG Freiburg vom 18.07.2007

VG Freiburg: persönliche anhörung, politische verfolgung, bundesamt, eltern, aufschiebende wirkung, asylverfahren, serbien, mazedonien, einzelrichter, verzicht

VG Freiburg Beschluß vom 18.7.2007, A 3 K 277/07
Bezugnahme im Asylantrag eines Kindes auf die Begründung des Asylantrages der Eltern
Leitsätze
Macht der Asylbewerber, dessen Asylantrag nach § 14a Abs. 2 Satz 3 AsylVfG als gestellt gilt, von der ihm durch das Bundesamt eingeräumten
Möglichkeit Gebrauch, auf die persönliche Anhörung zu verzichten und auf die Gründe im Asylverfahren seiner Eltern Bezug zu nehmen, liegt
grundsätzlich kein unsubstantiiertes Vorbringen i. S. von § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG vor.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage - A 3 K 276/07 - gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14.06.2007 wird
angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
1 Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge -
Bundesamt - vom 14.06.2007 und die darin enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ist gem. §§ 75, 36 Abs. 3 AsylVfG
i.V.m. § 80 Abs. 5, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Der Antrag ist auch begründet, da ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG).
2 Es sprechen erhebliche Gründe dafür, dass die (beabsichtigte) sofortige Beendigung des Aufenthalts der Antragstellerin im Bundesgebiet, die sich
gerade auf die qualifizierte Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet stützt, einer rechtlichen Überprüfung wahrscheinlich nicht
standhält (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BVR 1516/93 -, NVwZ 1996, 678 ff.). Das Bundesamt hat die Ablehnung des nach § 14a Abs. 2 Satz 3
AsylVfG aufgrund der Anzeige der Geburt der Antragstellerin durch das Regierungspräsidium Freiburg - Bezirksstelle für Asyl - (vgl. Schreiben v.
07.05.2007 an das Bundesamt) fingierten Asylantrages als offensichtlich unbegründet auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG gestützt. Nach dieser
Vorschrift ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn das Vorbringen des Ausländers in wesentlichen
Punkten nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte
Beweismittel gestützt wird. Das Bundesamt ist im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, die Voraussetzungen dieser Vorschrift lägen vor,
weil der Asylantrag „nicht ansatzweise begründet“ worden sei. Der Vorwurf, dass der Missbrauchtatbestand des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG vorliegt,
ist indes nicht gerechtfertigt.
3 § 30 Abs. 3 AsylVfG wurde bei seiner Einführung im Rahmen der großen Asylreform durch das Gesetz zur Änderung asylverfahrens-, ausländer-
und staatsangehörigkeitsrechtlicher Vorschriften vom 30.06.1993 (BGBl. I S. 1462) in Anwendung von Art. 16a Abs. 4 GG als formelle
Missbrauchsvorschrift konzipiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.11.2006 - 1 C 10.06 -, DVBl. 2007, 446). Das ist bei der Auslegung und Anwendung von §
30 Abs. 3 Nr. 1 Asyl-VfG zu beachten. Die auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG gestützte Ablehnung als offensichtlich unbegründet setzt daher
missbräuchliches Verhalten des Asylantragstellers voraus. Ein solches Verhalten kann der Antragstellerin bzw. ihren Eltern jedoch nicht
vorgehalten werden.
4 Mit Schreiben vom 24.05.2007 hat das Bundesamt den Eltern der Antragstellerin mitgeteilt, dass ein Asylverfahren für die Antragstellerin gem. §
14a AsylVfG eingeleitet worden sei. Es wies darauf hin, dass eine Ladung zur persönlichen Anhörung gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG beigefügt
sei. Wenn für das Kind aufgrund des Alters keine eigenen Asylgründe geltend zu machen seien, könnten die Eltern der Antragstellerin im Interesse
des Kindes auf eine persönliche Anhörung und die damit verbundenen Umstände (Anreise) verzichten, indem sie die beigefügte Erklärung
unterschrieben zurück sendeten. Unabhängig davon könnten sie auch jederzeit auf die Durchführung eines Asylverfahrens für das Kind
verzichten, in dem sie erklärten, dass dem Kind keine politische Verfolgung drohe. Auch für diese Erklärung könnten die Eltern das beigefügte
Formular nutzen und zurück senden. Das Formular sah zwei Möglichkeiten zum Ankreuzen vor. Die erste Alternative beinhaltete den Verzicht „auf
eine persönliche Anhörung vor dem Bundesamt zu den Asylgründen des/der o.g. Minderjährigen“ und die Bezugnahme „auf die in dem
Asylverfahren Az: ...... genannten Ausführungen“ sowie die Erklärung, dass „dem nichts hinzuzufügen“ sei. Durch Ankreuzen der zweiten
Alternative konnten die Eltern der Antragstellerin erklären, dass dieser keine politische Verfolgung drohe und auf die Durchführung eines
Asylverfahrens verzichtet werde. Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin teilte mit Schreiben vom 08.06.2007 mit, dass er im Laufe des
12.06.2007 mitteilen werde, ob die Eltern der Antragstellerin den Anhörungstermin wahrnehmen wollten. Am 12.06.2007 verzichtete er telefonisch
auf die persönliche Anhörung. Damit wurde sinngemäß von der im oben beschriebenen Formular enthaltenen ersten Alternative Gebrauch
gemacht, die insbesondere die Bezugnahme auf die in den Asylverfahren der Eltern der Antragstellerin vorgetragenen Gründe beinhaltete. Wenn
das Bundesamt aber der Antragstellerin die Möglichkeit einräumt, ihren Asylantrag auf „einfache Art“ zu begründen, so kann aus dem Umstand,
dass sie davon Gebrauch macht, nicht der Vorwurf missbräuchlichen Verhaltens hergeleitet werden.
5 Aufgrund der Bezugnahme auf die Gründe der Eltern kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Antragstellerin ihren Asylantrag in
keiner Weise begründet hat, zumal auch aus Sicht des Bundesamtes die Angaben ihrer Eltern in deren Asylverfahren Anlass zur Prüfung boten,
ob aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit politische Verfolgung in Serbien - der Vater der Antragstellerin ist nach Auffassung des Bundesamtes
albanischer Volkszugehöriger aus dem Kosovo/Serbien - oder in Mazedonien - die Mutter der Antragstellerin soll Ashkali aus Mazedonien sein -
droht. Im angefochtenen Bescheid setzt sich das Bundesamt ausführlich mit der Lage der albanischen Volkszugehörigen sowie der Ashkali in
Serbien sowie in Mazedonien auseinander. Auch ist zu berücksichtigen, dass im Hinblick auf die allgemeinen Verhältnisse im Herkunftsland die
Mitwirkungspflicht des Asylbewerbers überdehnt würde, wollte man auch insofern einen Tatsachenvortrag verlangen, der „schlüssig“ zu sein hätte.
Die Forderung in § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nach in wesentlichen Punkten des Vorbringens substantiierten Angaben bezieht sich in erster Linie auf
seinen persönlichen Bereich. Was die - bei der erst 6-jährigen Antragstellerin vor allem interessierenden - allgemeinen Verhältnisse im
Heimatland angeht, hat das Bundesamt von Amts wegen den Sachverhalt zu prüfen (vgl. GK-AsylVfG, Stand: Dezember 1998, § 30 Asyl-VfG, Rn.
58 ff.). Auch dies spricht dagegen, im vorliegenden Fall vom Vorliegen des Missbrauchstatbestandes des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG auszugehen.
6 Für das Vorliegen einer anderen Alternative des § 30 Abs. 3 AsylVfG ist weder etwas ersichtlich noch hat das Bundesamt dahingehende
Ausführungen gemacht. Auf § 30 Abs. 1 oder Abs. 2 AsylVfG hat sich das Bundesamt nicht gestützt. Im Hinblick auf das Erfordernis einer
Begründung, weshalb der Asylantrag nicht als (schlicht) unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist (vgl. GK-
AsylVfG, Stand: Mai 1996, § 30 AsylVfG, Rn. 148 ff.), sieht der Einzelrichter keinen Anlass zu prüfen, ob und weshalb die Ablehnung als
offensichtlich unbegründet nach einem der beiden Absätze gerechtfertigt sein könnte.
7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylVfG).
8 Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).