Urteil des VG Freiburg vom 14.11.2006

VG Freiburg: Auffinden eines Ausländers, Wohnungsdurchsuchung, Androhung des Verwaltungszwangs, gefahr im verzug, unverletzlichkeit der wohnung, botschaft, öffentliche sicherheit, vorführung

VG Freiburg Beschluß vom 14.11.2006, 2 K 1949/06
Auffinden eines Ausländers; Wohnungsdurchsuchung; Androhung des Verwaltungszwangs
Leitsätze
Soll ein Ausländer im Wege der Durchsuchung in seiner Wohnung aufgefunden werden, um ihn einer ausländischen Botschaft vorzuführen, setzt
dies regelmäßig die vorherige Androhung des unmittelbaren Zwangs voraus.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Vollstreckungsgläubiger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
1
Das Verwaltungsgericht ist für den Erlass der beantragten Durchsuchungsanordnung nach § 6 Abs. 2 Satz 1 LVwVG zuständig. Über den Antrag
entscheidet die Kammer nach § 6 Abs. 1 VwGO. Es handelt sich nicht um eine Streitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz i.S.d. § 76 Abs. 1
AsylVfG (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.12.1999 - 11 S 240/99 -; VG Freiburg, Beschlüsse vom 6.2.2001 - A 1 K 10119/01 - und vom
22.3.2001 - 2 K 450/01 -).
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Der nach § 6 Abs. 2 LVwVG zulässige Antrag des Vollstreckungsgläubigers ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die begehrte
Durchsuchungsanordnung sind nicht erfüllt
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Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 LVwVG kann der Vollstreckungsbeamte Wohnungen, Betriebsräume und sonstiges befriedetes Besitztum gegen den
Willen des Vollstreckungsschuldnern nur auf Anordnung des Verwaltungsgerichts durchsuchen. Die auf Antrag der Vollstreckungsbehörde
ergehende Durchsuchungsanordnung hat einer rechtmäßigen Vollstreckung zu dienen; nur wenn und soweit die Verwirklichung des
Vollstreckungszwecks es gebietet, muss es der Vollstreckungsbehörde möglich sein, in den geschützten räumlich-gegenständlichen Bereich des
Vollstreckungsschuldners einzudringen. Das Verwaltungsgericht hat demnach zunächst festzustellen, ob die Vollstreckungsvoraussetzungen
vorliegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3.4.1979 - 1 BvR 994/76 - BVerfGE 51, 97 <113>), und sodann insbesondere zu prüfen, ob der Zweck der
Vollstreckung noch nicht erreicht, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist und ein den Anforderungen des § 5 Abs. 1 LVwVG
entsprechender Vollstreckungsauftrag an den Vollstreckungsbeamten vorliegt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.11.1999,
a.a.O.).
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Der beantragten Durchsuchungsanordnung stehen rechtliche Hindernisse entgegen.
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Es fehlt an den besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen. Diese müssen vorliegen, denn die Durchsuchung dient der Durchsetzung eines im
Verwaltungsvollstreckungsrecht vorgesehenen Zwangsmittels, das als solches rechtmäßig anzuwenden ist (vgl. hierzu und zum Folgenden
ausführl.: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 1.6.2005 - 2 S 499/05 - VBlBW 2005, 386 m.w.Nachw.).
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Mit der Durchsuchung soll der Vollstreckungsschuldner zunächst in seiner Wohnung aufgefunden werden. Danach soll er im Wege des
unmittelbaren Zwanges der nigerianischen Botschaft in Berlin vorgeführt werden (§ 26 LVwVG). Dieses Vorgehen ist im vorliegenden Fall indes
rechtswidrig. Das Zwangsmittel des unmittelbaren Zwangs ist dem Vollstreckungsschuldner vor Erlass der Durchsuchungsanordnung entgegen
der Vorschrift des § 20 Abs. 1 LVwVG nicht angedroht worden. Selbst der Grundverwaltungsakt vom 10.11.2006, mit dem er aufgefordert wird, vor
der nigerianischen Botschaft vorzusprechen, ist ihm bislang nicht bekannt gegeben worden. Wie aus dem Text der Verfügung hervorgeht, soll
dies vielmehr erst anlässlich der beabsichtigten Durchsuchung geschehen.
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Auf die Androhung des Zwangsmittels, mit der der Vollstreckungsschuldner zur freiwilligen Befolgung des Gebots angehalten und ein Vorgehen
im Wege des Verwaltungszwangs entbehrlich gemacht werden soll, konnte hier nicht ausnahmsweise verzichtet werden.
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Nach § 21 LVwVG kann u.a. von § 20 Abs. 1 LVwVG abgewichen werden, soweit die Abwehr einer Gefahr, durch die die öffentliche Sicherheit
oder Ordnung bedroht und gestört wird, dies erfordert. Erforderlich ist die Abweichung, wie der dieser Bestimmung beigefügten amtlichen
Überschrift entnommen werden kann, bei Gefahr im Verzug; die Gesetzesbegründung stellt demnach auf das Bedürfnis nach einer schnellen
Durchsetzung von Verwaltungsakten auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr ab (LT-Drs. 6/2990, S. 22). Gefahr im Verzug liegt dann vor, wenn der
Erfolg einer notwendigen Maßnahme ohne sofortiges Eingreifen beeinträchtigt oder vereitelt würde, die Maßnahme also unaufschiebbar ist.
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Eine Dringlichkeit in diesem Sinne ist hier nicht gegeben. Nachdem die Vorführung des Vollstreckungsschuldners vor der liberianischen
Botschaft am 17.5.2006 ergeben hatte, dass dieser wohl nicht aus Liberia stammt, hätte ausreichend Zeit bestanden, ihn aufzufordern, innerhalb
einer bestimmten Frist vor der nigerianischen Botschaft vorzusprechen, und ihm andernfalls die zwangsweise Vorführung vor der nigerianischen
Botschaft im Wege des unmittelbaren Zwangs anzudrohen. Dass dies unterblieben ist und nunmehr eine gewisse Eilbedürftigkeit besteht, wenn
der für morgen bestimmte Termin vor der nigerianischen Botschaft wahrgenommen werden soll, wurzelt in der Sphäre der Behörde und kann
nicht zu Lasten des Vollstreckungsschuldners gehen.
10 Die Durchsetzung der dem Vollstreckungsschuldner auferlegten Verpflichtung sieht der Vollstreckungsgläubiger wohl zudem durch die
Warnfunktion einer Zwangsmittelandrohung gefährdet. Auch dies ist indes nicht überzeugend. Denn wenn dem Vollstreckungsschuldner bereits
im Mai aufgegeben worden wäre, innerhalb einer bestimmten Frist vor der nigerianischen Botschaft vorzusprechen, und ihm andernfalls die
zwangsweise Vorführung vor der nigerianischen Botschaft im Wege des unmittelbaren Zwangs angedroht worden wäre, ist nicht ersichtlich,
weshalb hierdurch der Vollstreckungserfolg gefährdet sein könnte. Denn die Ankündigungswirkung allein der Androhung unmittelbaren Zwangs
ist noch sehr allgemein (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 1.6.2005, a.a.O.). Nur ein vorheriger Hinweis auf das genaue Datum einer
beabsichtigten (zwangsweisen) Vorführung wäre möglicherweise geeignet, den Vollstreckungsschuldner zu warnen und zu einem (kurzzeitigen)
Untertauchen zu bewegen. Ein solcher Hinweis hätte allerdings nicht erfolgen müssen, denn er ist rechtlich nicht gefordert, so dass auch unter
diesem Gesichtspunkt keine Gefährdung des Vollstreckungserfolgs wahrscheinlich ist.
11 Es spricht zudem Überwiegendes dafür, dass eine Durchsuchungsanordnung im vorliegenden Fall nicht verhältnismäßig ist. Der
Vollstreckungsgläubiger ist insoweit der Ansicht, er dürfe schon ohne die begehrte Durchsuchungsanordnung nach § 6 Abs. 1 LVwVG das
Besitztum des Vollstreckungsschuldners betreten und hierbei auch verschlossene Räume und Behältnisse öffnen. Da es vorliegend nicht um die
Suche nach leicht zu versteckenden Unterlagen geht, sondern darum, den Vollstreckungsschuldner selbst aufzufinden, ist ausgehend von dieser
Rechtsauffassung nicht ersichtlich, weshalb eine Durchsuchungsanordnung erforderlich sein könnte.
12 Jedenfalls aber ist die begehrte Durchsuchung nicht angemessen. Sie würde in die grundrechtlich geschützte Sphäre des
Vollstreckungsschuldners eingreifen, ohne dass dies durch überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt wäre.
13 Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Dem Einzelnen wird damit zur freien Entfaltung der Persönlichkeit ein
elementarer Lebensraum gewährleistet, dieser hat in seinen Wohnräumen das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. In diese grundrechtlich
geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein, dem Gewicht des Eingriffs und seiner verfassungsrechtlichen
Bedeutung entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehält. Der
Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz. Wird die Durchsuchung
regelmäßig ohne vorherige Anhörung des Betroffenen angeordnet, soll die Einschaltung des Gerichts auch dafür sorgen, dass die Interessen des
Betroffenen angemessen berücksichtigt werden, was eine eigenverantwortliche richterliche Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen verlangt. Die
richterliche Durchsuchungsanordnung ist danach keine bloße Formsache (ständige Rechtsprechung des BVerfG, u.a. Beschluss vom 8.3.2004 -
2 BvR 27/04 - NJW 2004, 1517 m. w. N; vgl. auch VG Stuttgart, Beschluss vom 21.1.2005 - 4 K 58/05 - VENSA).
14 Vor diesem Hintergrund eines erheblichen Grundrechtseingriffs reicht es nicht aus, wenn die Behörde die beabsichtigte Durchsuchung ohne
nähere Begründung damit rechtfertigt, es sei zu befürchten, dass der Vollstreckungsschuldner sich in seiner Wohnung verstecken werde. Denn
hierfür fehlt jeder Beleg. Allein die nicht näher mit konkreten Vorfällen belegte Aussage, der Adoptionspfleger des Vollstreckungsschuldners - bei
dem dieser wohnt - öffne nachts die Tür nicht, ist nicht geeignet, eine derartige konkrete Gefahr des Versteckens innerhalb der Wohnung
darzutun. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass es z.B. aufgrund einer besonderen Größe oder sonstiger Eigenheiten der Wohnung überhaupt
erfolgversprechende Möglichkeiten gäbe, sich in ihr versteckt zu halten. Weiter ist zu berücksichtigen, dass am 17.5.2006 eine Vorführung des
Vollstreckungsschuldners vor der Außenstelle der liberianischen Botschaft durchgeführt werden konnte, ohne dass der Vollstreckungsschuldner
versucht hat, sich dieser Vorführung durch ein Verstecken in der von ihm und seinem Adoptionspfleger bewohnten Wohnung zu entziehen.
15 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.