Urteil des VG Freiburg vom 11.11.2009

VG Freiburg (wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, abschluss, aussetzung, forderung, vergleich, kag, fälligkeit, höhe, ergebnis, antrag)

VG Freiburg Urteil vom 11.11.2009, 2 K 257/08
Erhebung von Aussetzungszinsen nach § 237 Abs 1, 2 AO 1977 - Aussetzungsentscheidung i.S.d. § 80
Abs 4 VwGO - Prozessvergleich und Erfolglosigkeit eines Rechtsmittels i.S.d. § 237 Abs. 1 AO 1977
Leitsätze
Eine Aussetzungsentscheidung i.S.d. § 80 Abs. 4 VwGO entfaltet nur dann Rechtswirksamkeit im Hinblick auf §
237 Abs. 1 AO, wenn sie dem Beitragsschuldner (formlos) mitgeteilt wird; dies gilt unabhängig davon, ob die
Aussetzungsentscheidung auf Antrag oder von Amts wegen erfolgt ist.
Ein Prozessvergleich begründet nur dann die endgültige Erfolglosigkeit eines Rechtsmittels i.S.d. § 237 Abs. 1
AO, wenn aus seinem Inhalt deutlich wird, dass der Kläger auf die ursprüngliche Forderung zumindest einen
Teilbetrag zahlt und damit die Forderung im Ergebnis in dieser Höhe anerkennt.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 14.9.2007 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamts O. vom 17.1.2008
werden aufgehoben.
Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Aussetzungszinsen.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin der Grundstücke FlSt.Nrn. aa, bb und cc im Gemeindegebiet der Beklagten; die
Grundstücke befinden sich innerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplanes "B" der Beklagten an der „X-
Straße“.
3
Nach Fertigstellung der „X-Straße“ wurden mit Erschließungsbeitragsbescheiden der Beklagten vom
16.11.2005 Erschließungsbeiträge für die im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstücke i.H.v. insgesamt
26.516,42 EUR erhoben.
4
Die Klägerin erhob unter dem 22.11.2005 Widerspruch gegen die Bescheide und beantragte, die
Zahlungsverpflichtung auszusetzen, bis über den Widerspruch endgültig entschieden sei.
5
Der Gemeinderat der Beklagten fasste am 16.1.2006 den Beschluss, den Vollzug der
Straßenerschließungsbeitragsbescheide "Alte Landstraße", soweit dagegen Widerspruch und Klage eingelegt
wurde, bis zu einer Entscheidung der Widerspruchsbehörde oder des Verwaltungsgerichts auszusetzen. Der
Beschluss wurde nach außen nicht bekannt gemacht.
6
Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid des Landratsamts O. vom 16.5.2006
zurückgewiesen.
7
Die Klägerin erhob daraufhin Klage beim Verwaltungsgericht Freiburg (2 K 1152/06). Im Verlauf der mündlichen
Verhandlung am 25.4.2007 schlossen die Beteiligten, nachdem das Gericht im Hinblick auf die noch nicht
erfolgte Widmung des am Ende der „X-Straße“ befindlichen Wendehammers Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
angefochtenen Bescheide geäußert hatte, einen gerichtlichen Vergleich, der, soweit hier erheblich, folgenden
Wortlaut hatte:
8
"§ 1
Die Beklagte erlässt der Klägerin einen Betrag in Höhe von 15% des in den streitgegenständlichen
Bescheiden festgesetzten Erschließungsbeitrags, sofern die Zahlung binnen zwei Monaten nach
Mitteilung der Wirksamkeit des Vergleichs durch das Gericht bei der Beklagten eingegangen ist.
§ 2
Die Beklagte verzichtet auf die Nacherhebung von Erschließungsbeiträgen für die Erschließungsanlage
"Alte Landstraße".
§ 3
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens."
9
Die Klägerin zahlte fristgerecht i.S.d. § 1 des Vergleichs.
10 Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 14.9.2007 Aussetzungszinsen i.H.v. 2.020,50 EUR gegen die Klägerin
fest. Die Klägerin habe aufgrund des Widerspruchs- und Klageverfahrens ihre
Straßenerschließungsbeitragsanteile erst am 13.7.2007 bezahlen müssen. Im gerichtlichen Vergleich sei eine
Regelung über die Kostenverteilung, nicht jedoch über Säumniszuschläge oder Aussetzungszinsen getroffen
worden. Die Stadt M. müsse daher nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 b KAG i.V.m. § 37 AO Aussetzungszinsen i.H.v. 0,5
pro Monat (§ 238 AO) erheben.
11 Die Klägerin erhob am 5.10.2007 Widerspruch. Es sei nicht erforderlich gewesen, im gerichtlichen Vergleich
Regelungen über Aussetzungszinsen zu treffen. Denn die Forderung der Stadt M. sei daran gescheitert, dass
der für die Erschließungsanlage notwendige Wendehammer bis zum heutigen Tage nicht dem öffentlichen
Verkehr gewidmet sei, so dass die Beitragsbescheide unwirksam gewesen seien und somit auch keine
Fälligkeit für die entsprechenden Beträge habe entstehen können. Voraussetzung für Verzugszinsen seien
jedoch Fälligkeit und Verzug. Der Bescheid sei daher rechtswidrig.
12 Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid des Landratsamts O. vom 17.1.2008 zurückgewiesen.
Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Aussetzungszinsen sei § 237 Abs. 1 AO i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 5 b
KAG. Mit Abschluss des vor dem Verwaltungsgerichts geschlossenen Vergleichs seien die
Erschließungsbeitragsbescheide rechtskräftig. Der 15%ige Erlass des Erschließungsbeitrags lasse nicht auf
die Unwirksamkeit der Bescheide schließen. Die Fälligkeit der Bescheide bleibe daher bestehen. Ein
geschuldeter Betrag sei nach § 237 Abs. 1 AO, § 3 Abs. 1 Nr. 5 b KAG zu verzinsen, soweit erstens eine
Zahlungspflicht bestehe. Das sei aufgrund des rechtskräftigen Erschließungsbeitragsbescheides vom
16.11.2005 der Fall. Außerdem müsse die Aussetzung der Zahlungspflicht gem. § 80 Abs. 4 VwGO durch eine
Aussetzungsentscheidung erfolgt sein. Die Aussetzung des Vollzugs sei mit Widerspruch vom 22.11.2005
seitens der Klägerin beantragt worden. Schließlich müsse der Rechtsbehelf gegen den Beitragsbescheid
endgültig erfolglos gewesen sein. Dies sei mit Abschluss des Vergleichs der Fall, da dieser die
Beitragsbescheide bis auf den von der Stadt M. zu erlassenden Betrag i.H.v. 15% für rechtmäßig erkläre.
13 Die Klägerin hat am 12.2.2008 Klage erhoben. Voraussetzung für einen Anspruch auf Aussetzungszinsen sei
die Rechtswirksamkeit der Erschließungsbeitragsbescheide. Diese seien jedoch unwirksam gewesen, da die
für die Erschließungsanlage "Alte Bahnhofstraße" erforderliche Wendeplatte bis heute nicht dem öffentlichen
Verkehr gewidmet sei. Fälligkeit sei deshalb nicht eingetreten. Bei Abschluss eines Vergleichs liege im Übrigen
eine endgültige Erfolglosigkeit eines Rechtsbehelfes nicht vor. Grundlegend für den Abschluss eines
gerichtlichen Vergleichs sei das Nachgeben beider Parteien; die einzelnen Beweggründe für ein Nachgeben
seien derart vielgestaltig, dass von einem Abschluss des Vergleichs nicht auf die endgültige Erfolglosigkeit
des jeweiligen Rechtsbehelfs geschlossen werden könne. Der Vergleich stelle gegenüber einem Bescheid
einen selbständigen Vollstreckungstitel dar. Es könne deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass auf die
ursprüngliche Beitragsforderung zumindest ein Teilbetrag gezahlt worden und die Forderung damit im Ergebnis
in dieser Höhe anerkannt worden sei. Aus Sicht des Gerichts und der Parteien sei eine Regelung der
Verzugszinsen nicht erforderlich gewesen, da sich die Parteien völlig einig gewesen seien, dass die
Beitragsbescheide mangels Widmung der Wendeplatte unwirksam gewesen seien. Die Beklagte hätte den
Vergleich auch niemals schließen dürfen, wenn sie nicht der Meinung gewesen wäre, dass diese unwirksam
seien. Der Rechtsstandpunkt der Beklagten könne nur als treuwidriges Verhalten bezeichnet worden. Mangels
Fälligkeit besteht daher kein Anspruch auf Aussetzungszinsen.
14 Die Klägerin beantragt,
15
den Bescheid der Beklagten vom 14.9.2007 und den Widerspruchsbescheid des Landratsamts O. vom
17.1.2008 aufzuheben sowie
16
die Hinzuziehung des Unterzeichners im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
17 Die Beklagte beantragt,
18
die Klage abzuweisen.
19 Es treffe nicht zu, dass die Beteiligten darüber einig gewesen seien, dass der Erschließungsbeitragsbescheid
unwirksam sei. Vielmehr sei Motiv zum Abschluss des Vergleichs gewesen, das ohnehin langwierige Verfahren
zu beenden. Den Standpunkt, dass der Beitragsbescheid rechtmäßig gewesen sei, habe die Beklagte nicht
aufgegeben. Dies ergebe sich auch aus dem Wortlaut des Vergleichs. Sowohl der Erlass als auch der Verzicht
auf eine Nacherhebung ließen erkennen, dass beide Beteiligten davon ausgegangen seien, dass die
Erschließungsbeiträge wirksam festgesetzt worden seien. Der Erlass eines festgesetzten Beitrags sei nur
möglich, wenn der Beitragsgläubiger in der Lage sei, über seine Forderung zu verfügen. Das sei bei einem
rechtswidrigen Beitragsbescheid nicht der Fall. Die Beklagte habe sich zur Kostentragung nur entschlossen,
weil sie das Verfahren schnell zu einem Abschluss habe bringen wollen, nicht weil sie die Bescheide für
rechtswidrig gehalten hätte. Die Voraussetzungen für die Erhebung von Aussetzungszinsen seien gegeben. § 3
Abs. 1 Nr. 5b KAG i.V.m. § 237 Abs. 1 AO nenne zunächst den endgültigen Misserfolg eines Rechtsbehelfs
oder einer Anfechtungsklage gegen den Bescheid. Endgültig keinen Erfolg habe ein Rechtsbehelf dann, wenn
der Bescheid im Ergebnis Bestand behalte, unerheblich aus welchem Grund. Dies gelte auch für den Fall der
Erledigung durch Vergleich. Vorliegend sei die Forderung in Höhe von 85% anerkannt worden und der
Beitragsbescheid sei in dieser Höhe bestandskräftig geworden. Es komme nicht auf die materielle
Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung an; auch rechtswidrige Verwaltungsakte könnten bestandskräftig werden.
Auch sei die Vollziehung der Aussetzung gegeben. Dies könne auch von Amts wegen geschehen; auch eine
Bekanntgabe an den Adressaten sei nicht nötig, da es sich um eine unselbständige Nebenentscheidung
handele. Das Rechtsstaatsprinzip fordere eine Bekanntgabe unselbständiger Verfahrenshandlungen
grundsätzlich nur insoweit, als dies Voraussetzung für die ausreichende Gewährung rechtlichen Gehörs sei.
Dies sei bei der Aussetzungsentscheidung nicht der Fall. Der Adressat des Verwaltungsaktes werde durch die
Aussetzung seiner Vollziehung besser gestellt als durch ein Unterbleiben. Da die Vollziehung jedenfalls intern
ausgesetzt worden sei, sei auch diese Voraussetzung des § 237 Abs. 1 AO erfüllt. Lediglich hilfsweise sei
ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 240 Abs. 1 AO gegeben seien. Damit seien sogar
Säumniszuschläge i.H.v. 1% zu erheben gewesen; wenn das Gericht die erhobenen Aussetzungszinsen für
rechtswidrig erkläre, müsse die Beklagte daher die verwirkten Säumniszuschläge erheben. Die
Voraussetzungen für einen Verzicht gem. §§ 237 Abs. 4 i.V.m. 234 Abs. 2 AO i.V.m. § 3 Abs. 1 KAG seien
ebenfalls nicht gegeben. Auch im Zivilrecht würden zumindest Prozesskosten fällig. Diese Parallelwertung
mache deutlich, dass ein Prozess nicht kostenlos in dem Sinne sei, dass während seiner Dauer keine Zinsen
anfielen. Die Beklagte habe auch nicht auf ihr Recht zur Erhebung von Aussetzungszinsen verzichtet. Eine
Verzichtserklärung sei nie abgegeben worden, und auch ein konkludenter Verzicht komme nicht in Betracht,
zumal die Schriftform gem. § 57 LVwVfG nicht eingehalten sei. Es habe auch nie der Wille vorgelegen, auf
Zinsen zu verzichten. Schließlich sei das Recht auf Erhebung der Aussetzungszinsen auch nicht verwirkt.
20 Dem Gericht haben die Verwaltungsakten des Landratsamts O. betreffend das vorliegende
Aussetzungsverfahren (2 Bde) sowie betreffend das Erschließungsbeitragsverfahren (1 Bd.) vorgelegen.
Hierauf sowie auf die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren und im Verfahren 2 K 1152/06 wird ergänzend
verwiesen.
Entscheidungsgründe
21 Die Kammer entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
22 Die als Anfechtungsklage gem. §§ 40, 42 VwGO zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Denn der Bescheid
der Beklagten vom 14.9.2007 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamts O. vom 17.1.2008 sind
rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
23
A.
kommunalabgabenrechtliche Streitigkeit gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 5 b) KAG entsprechende Anwendung findet.
Danach ist die Erhebung von Aussetzungszinsen dann gerechtfertigt, wenn eine infolge Vollziehbarkeit des
Beitragsbescheides begründete Zahlungspflicht bestanden hat, die durch eine Aussetzungsentscheidung nach
§ 80 Abs. 4 bzw. Abs. 5 VwGO beseitigt worden ist, und wenn ein gegen den Beitragsbescheid eingelegter
Rechtsbehelf endgültig keinen Erfolg gehabt hat.
24
I.
Verhandlung vom 25.4.2007 geschlossenen Vergleich keine diesbezügliche Regelung getroffen worden ist.
Denn die Verpflichtung zur Verzinsung entsteht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 237 Abs. 1 AO kraft
Gesetzes und bedarf keiner ausdrücklichen Festsetzung. Sofern der getroffenen Vergleichsregelung - wie
vorliegend - kein eindeutiger Ausschluss der Verpflichtung zur Zinszahlung zu entnehmen ist, ist der
Anwendungsbereich des § 237 AO daher eröffnet (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 15.2.1994 - 5 TH 1921/92 -, in
Juris; OVG NRW, Beschl. v. 2.2.2007 - 3 A 5042/04 -, in Juris).
25
II.
26
1.
Erschließungsbeitragsbescheide "unwirksam" und die Erschließungsbeitragsforderungen daher nicht fällig
geworden wären. Zwar bestanden durchaus gravierende Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit der
Beitragsbescheide, nachdem die Erschließungsanlage "Alte Landstraße" mangels Widmung des
Wendehammers für den öffentlichen Verkehr noch nicht endgültig hergestellt i.S.d. § 133 Abs. 2 BauGB
gewesen und daher die Beitragspflicht seinerzeit (noch) nicht entstanden sein dürfte. Auch rechtswidrige
Verwaltungsaktes sind jedoch - sofern sie nicht gemäß § 44 LVwVfG nichtig sind, wofür vorliegend keine
Anhaltspunkte bestehen - rechtswirksam. Die bloße Rechtswidrigkeit eines Beitragsbescheides hindert weder
den Eintritt der Fälligkeit der Forderung noch deren (vorläufige) Vollstreckung; vielmehr ergibt sich im
Umkehrschluss aus § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO, dass Beitragsbescheide selbst bei ernstlichen Zweifeln an ihrer
Rechtmäßigkeit grundsätzlich von Gesetzes wegen sofort vollziehbar sind. Demgemäß stellt auch § 237 AO
nicht auf die materielle Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Beitragserhebung ab (OVG NRW, Beschl. v.
2.2.2007 - 3 A 5042/04 -, in Juris); auch auf Grundlage eines rechtswidrigen Beitragsbescheides können daher
Aussetzungszinsen erhoben werden, sofern die Voraussetzungen des § 237 AO erfüllt sind, insbesondere
Rechtsbehelfe endgültig keinen Erfolg hatten.
27
2.
vorliegen.
28
a.
Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 59) - Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten bereits an einer die
Vollziehbarkeit beseitigenden wirksamen Aussetzungsentscheidung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO.
29 Zwar hat die Klägerin ihren Widerspruch vom 22.11.2005 gegen die Erschließungsbeitragsbescheide der
Beklagten seinerzeit mit dem ausdrücklichen Antrag verbunden, "die Zahlungsverpflichtung auszusetzen, bis
über den Widerspruch endgültig entschieden ist". Tatsächlich hat der Gemeinderat der Beklagten, nachdem
einige der Beitragspflichtigen entsprechende Anträge gestellt hatten, in nichtöffentlicher Sitzung am 16.1.2006
beschlossen, den Vollzug der Straßenerschließungsbeitragsbescheide "Alte Landstraße", soweit dagegen
Widerspruch und Klage eingelegt wurde, bis zu einer Entscheidung der Widerspruchsbehörde oder des
Verwaltungsgerichts auszusetzen. In diesem Beschluss ist eine Aussetzungsentscheidung gemäß § 80 Abs. 4
VwGO zu sehen.
30 Diese Aussetzungsentscheidung ist der Klägerin jedoch in der Folge nicht bekannt gemacht worden. Dies wäre
aber erforderlich gewesen. § 80 Abs. 4 VwGO verlangt zwar keine bestimmte Form der
Aussetzungsentscheidung (Posser/Wolff, VwGO, § 80 Rn. 125); jedenfalls soweit sich die
Aussetzungsentscheidung nicht auf einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung bezieht, muss die Entscheidung der
Behörde nicht mit schriftlichen Gründen versehen sein und kann dem Beitragsschuldner ggf. auch mündlich
bekannt gegeben werden (VGH München, Beschl. v. 5.12.2007 - 6 ZB 07.1770 -, in Juris; vgl. zur Rechtslage
beim VA mit Drittwirkung: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 112). Auch ist zu berücksichtigen, dass es sich bei
der Aussetzung - ähnlich wie bei der Anordnung des sofortigen Vollzugs nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO
und im Gegensatz zur Aussetzungsentscheidung nach § 361 AO (vgl. dazu Tipke/Kruse, AO, § 361 Rn. 9) -
nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um einen unselbständigen Annex handelt, gegen den kein
Rechtsbehelf gegeben und der der materiellen Bestandskraft nicht fähig ist (Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn.
107, 118 f.; vgl. auch VGH München, Beschl. v. 5.12.2007 - 6 ZB 07.1770 -, in Juris). Die Voraussetzungen
der §§ 118 ff. AO i.V.m. § 3 Abs. 1 Ziff. 3 b) KAG, insbesondere die Regelungen zur Bekanntgabe von
Verwaltungsakten (§ 122 AO), finden daher auf die Aussetzungsentscheidung keine unmittelbare Anwendung
(vgl. VG Gera, Beschl. v. 5.3.2007 - 5 E 100/07 Ge -, in Juris). Dessen ungeachtet entfaltet eine auf Grundlage
des § 80 Abs. 4 VwGO getroffene Aussetzungsentscheidung unmittelbare Rechtswirkungen. Der Sache nach
wird nämlich durch eine behördliche Aussetzung eine normativ verbindliche Lage geschaffen, die faktisch
demjenigen Schutz vor Vollstreckung entspricht, den die Anordnung bzw. Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung gewährt. Die Beitragsforderung darf daher nach Ergehen einer
Aussetzungsentscheidung - auch bei Zugrundelegung der Annahme, dass ein Verwaltungsakt aufgrund
behördlicher Aussetzung nur in seiner Vollziehbarkeit, nicht in seiner Wirksamkeit gehemmt ist - nicht mehr
durchgesetzt werden mit der Folge, dass auch ein Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig wird
(Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 136; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn. 191, 213;
Posser/Wolff, VwGO, § 80 Rn. 118). Ferner wird durch eine wirksame Aussetzung der Vollziehung die
Fälligkeit hinausgeschoben mit der Konsequenz, dass etwa keine Säumniszuschläge gemäß § 240 AO
entstehen (dazu Tipke/Kruse, AO, § 240 Rn. 23; Klein, AO, § 361 Rn. 19), dafür aber ggf. Aussetzungszinsen
nach § 237 AO verlangt werden können. Jedenfalls im Hinblick auf die von einer Aussetzungsentscheidung
ausgehenden Rechtswirkungen setzt eine - verbindliche - Aussetzungsentscheidung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO
bereits aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit voraus, dass die Behörde nicht nur intern die
Aussetzung beschlossen hat, sondern ihre Entscheidung dem Beitragsschuldner mitteilt (so auch VG Gera,
Beschl. v. 5.3.2007 - 5 E 100/07 Ge, in Juris). Dies hat nicht nur in Konstellationen zu gelten, in denen die
Behörde von Amts wegen eine Aussetzungsentscheidung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO fällt, sondern auch dann,
wenn der Aussetzungsentscheidung ein entsprechender Antrag des Beitragsschuldners zugrunde liegt. Dies
ergibt sich im Übrigen auch aus § 80 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 VwGO; da der Beitragsschuldner nur dann ohne
ablehnende behördliche Entscheidung einen gerichtlichen Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen
darf, wenn die Behörde über seinen Antrag in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat, heißt das,
dass der Beitragsschuldner Kenntnis von der behördlichen Entscheidung erlangen muss, um zu wissen, ob ein
Antrag bei Gericht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig ist.
31 Nachdem der Klägerin die Aussetzungsentscheidung nicht mitgeteilt wurde, fehlt es mithin an einer
Vollziehungsaussetzung i.S.d. § 237 Abs. 1 AO.
32
b.
Beitragsschuldners endgültig keinen Erfolg gehabt hat. Auch daran fehlt es hier.
33 Von endgültiger Erfolglosigkeit i.S.d. § 237 Abs. 1 AO ist zunächst auszugehen, wenn der Beitragsschuldner
aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung ganz oder teilweise unterlegen ist oder wenn er sein
Rechtmittel zurückgenommen hat (Tipke/Kruse, AO, § 237 Rn. 6; Klein, AO, § 237 Rn. 9 f.; Driehaus,
Erschließungs- und Ausbaubeiträge, § 24 Rn. 50; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 1.6.1992 - 2 S 2999/90 -, in
Juris). Darüber hinaus kann auch dann, wenn nach Abänderung des angefochtenen Bescheids der Rechtsstreit
durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten in der Hauptsache für erledigt erklärt wird und
der Ausgangsbescheid - mit geändertem Inhalt - unanfechtbar wird, davon ausgegangen werden, der
Rechtsbehelf habe endgültig (im entsprechenden Umfang) keinen Erfolg gehabt hat (VGH München, Urt. v.
1.2.1988 - 6 B 87.02003 -, NVwZ-RR 1989, 100; Urt. v. 21.2.2006 - 6 B 01.2541 -, in Juris). Der Grund für die
Erfolglosigkeit ist dabei gleichgültig; einem Anspruch auf Aussetzungszinsen steht daher nicht entgegen, dass
ein ursprünglich rechtswidriger Bescheid erst im Laufe des Rechtsmittelverfahrens, etwa durch rückwirkenden
Erlass einer wirksamen Erschließungsbeitragssatzung, geheilt wurde (Driehaus, a.a.O., § 24 Rn. 51 ff.; OVG
NRW, Urt. v. 25.5.1992 - 2 A 1464/91 -, in Juris; VGH München, Urt. v. 18.5.2000 - 6 B 96.770 -, in Juris).
Entscheidend ist allein, dass der Beitragsbescheid im Ergebnis Bestand behält (OVG NRW, Beschl. v.
2.2.2007 - 3 A 5042/04 -, in Juris; Urt. v. 25.5.1992 - 2 A 1464/91 -, in Juris); auf die Rechtmäßigkeit oder
Rechtswidrigkeit der Abgabenerhebung kommt es als Anknüpfungspunkt für die Verzinsungspflicht nicht an
(OVG NRW, Urt. v. 25.5.1992 - 2 A 1464/91 -, in Juris).
34 Diese von § 237 Abs. 1 AO geforderte rein formale Betrachtungsweise, die auf formell bestandskräftige
Bescheide bzw. gerichtliche Entscheidungen abstellt ohne Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der
Abgabenerhebung, schließt es zwar nicht grundsätzlich aus, auch im Falle einer durch Prozessvergleich
herbeigeführten Erledigung die Klage als endgültig erfolglos anzusehen (für eine Anwendung des § 237 AO auf
Vergleiche vgl. OVG NRW, Beschl. v. 2.2.2007 - 3 A 5042/04 -, in Juris; Hess. VGH, Beschl. v. 15.2.1994 - 5
TH 1921/92 -, in Juris; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, § 24 Rn. 50). Allerdings kann aufgrund
der Vielgestaltigkeit der Beweggründe, die zum Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs führen, aus der
Tatsache des Vergleichsabschlusses nicht in jedem Fall auf die Erfolgsaussichten des jeweiligen
Rechtsbehelfs geschlossen werden (vgl. VGH München, Urt. v. 1.2.1988 - 6 B 87.02003 -, NVwZ-RR 1989, 100
mit dem - zu weit gehenden - Ergebnis, ein Vergleich könne deshalb nie endgültige Erfolglosigkeit i.S.d § 237
AO begründen). Um diesen Besonderheiten des Vergleichs gerecht zu werden, andererseits § 237 AO nicht mit
einer - vom Gesetzgeber nicht gewollten - Überprüfung der dem Vergleichsabschluss zugrunde liegenden
Motive oder einer hypothetischen Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage zu überfrachten, ist der
Abschluss eines Vergleichs nur insoweit als eine endgültige Erfolglosigkeit der Klage i.S.d. § 237 Abs. 1 AO
zu werten, als aus seinem Inhalt deutlich wird, dass der Kläger auf die ursprüngliche Beitragsforderung
zumindest einen Teilbetrag zahlt und damit die Forderung im Ergebnis in dieser Höhe anerkennt (vgl. zu dieser
Einschränkung auch Hess. VGH, Beschl. v .15.2.1994 - 5 TH 1921/92 -, in Juris).
35 Vorliegend wurde das Verfahren durch Abschluss eines Vergleichs beendet, in dem die Beklagte der Klägerin
einen Abschlag i.H.v. 15% des Erschließungsbeitrags gewährte (§ 1) und auf die Nacherhebung von
Erschließungsbeiträgen verzichtete (§ 2); zugleich verpflichtete sich die Beklagte zur (vollständigen) Tragung
der Kosten des Verfahrens (§ 3). Bei isolierter Betrachtung von § 1 des Vergleichs liegt es zwar nahe,
anzunehmen, die Erschließungsbeitragsforderung der Beklagten sei von der Klägerin in Höhe von 85%
anerkannt worden. Dem widerspricht aber deutlich die in § 3 getroffene Kostenregelung; die vollständige
Kostentragung durch die Beklagte steht einer Wertung dahingehend, die Klägerin habe den
Erschließungsbeitragsbescheid, wie er Klagegegenstand war, zu 85% anerkannt, entgegen. Fehlt es damit an
einer hinreichend deutlichen Anerkennung der Forderung durch die Klägerin, verbietet sich auch eine Wertung
des Vergleichs dahingehend, dass das Rechtsmittel der Klägerin (zu 85%) endgültig erfolglos geblieben sei.
36
B.
VwGO für notwendig erklärt, weil sie vom Standpunkt einer verständigen, nichts rechtskundigen Partei im
Zeitpunkt der Bestellung für erforderlich gehalten werden durfte.
37
C.
(vgl. §§ 124 a Abs. 1, 124 Abs. 2 VwGO).