Urteil des VG Freiburg vom 26.04.2007

VG Freiburg: bundesamt für migration, nigeria, alleinstehende person, gewalt, geistige behinderung, genfer flüchtlingskonvention, amnesty international, polizei, unruhen, flucht

VG Freiburg Urteil vom 26.4.2007, A 1 K 11083/04
Verfolgungssituation eines aktiven Mitglieds der christlichen Pfingstbewegung in Nigeria.
Leitsätze
Einem Mitglied der Pfingstbewegung, welches stark religiös und missionarisch engagiert war, steht - sofern die Vorverfolgung durch ein konkret
seine Person ins Blickfeld fanatischer Moslems bringendes Ereignis ausgelöst wurde - kein interner Schutz gegen erneute religiös/ethnisch bedingte
Übergriffe zu.
Tenor
Die Nrn. 2, 3 und 4 des Bundesamtsbescheids vom 14.7.2004 werden aufgehoben. Die Beklagte - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - wird
verpflichtet, zugunsten des Klägers festzustellen, dass betreffend Nigeria die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen der Kläger 1/3 und die Beklagte 2/3.
Tatbestand
1 Der Kläger ist ein am ... 1974 geborener nigerianischer Staatsangehöriger, der Nigeria im April 2004 verließ und laut seinen Angaben am
13.4.2004 auf dem Luftweg nach Deutschland einreiste. Am 20.4.2004 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter.
2 Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 27.4.2004 gab der Kläger an, er sei Anhänger der christlichen Pfingstbewegung in Kaduna
gewesen. An einem Samstag (es sei der 3.4.2004 gewesen), an dem sie wie regelmäßig zwecks Missionierung ausgezogen seien, habe es eine
Auseinandersetzung geben. Ein Mitglied seiner dreiköpfigen Gruppe habe den Koran zerrissen. Der Konflikt sei dann eskaliert, die Moslems
hätten Häuser und Autos niedergebrannt. Sie hätten fliehen müssen. Er sei zunächst nach Hause gerannt, habe dieses jedoch niedergebrannt
vorgefunden. Auch die Kirche sei niedergebrannt gewesen. Schließlich habe er sich beim Kirchenvorsteher verstecken und mit dessen Hilfe
ausreisen können; von diesem habe er auch erfahren, dass sein Vater (dieser sei gelähmt und folglich nicht zur Flucht fähig gewesen) ums Leben
gekommen sei.
3 Mit Bescheid des Bundesamts vom 14.7.2004, zugestellt am 22.7.2004, wurde der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt und
festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen.
Schließlich wurde dem Kläger binnen Monatsfrist ab Unanfechtbarkeit die Abschiebung nach Nigeria angedroht.
4 Der Kläger hat am 27.7.2004 Klage erhoben und beantragt,
5
den Bescheid des Bundesamts vom 14.7.2004 aufzuheben und die Beklagte - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - zu verpflichten,
ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen;
6
hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Aussetzung einer Abschiebung gemäß § 60 Abs.
2 bis 7 AufenthG vorliegen.
7 Die Beklagte beantragt,
8
die Klage abzuweisen.
9 Dem Gericht liegt die Akte des Bundesamtes über den Kläger vor. Auf den Inhalt dieser Akte wird ergänzend ebenso verwiesen, wie auf die
wechselseitigen Schriftsätze. Der Kläger ist zunächst in der mündlichen Verhandlung vom 28.6.2006 angehört worden. Nach Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung hat das Gericht Beweis durch Einholung einer Auskunft des Auswärtigen Amts erhoben, die dann unter dem 6.2.2007
dem Gericht vorgelegt worden ist. Der Kläger hat in der weiteren mündlichen Verhandlung ergänzende Angaben gemacht; wegen Einzelheiten
seines gesamten Vortrags wird auf die Sitzungsniederschriften verwiesen.
Entscheidungsgründe
10 Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Dem Kläger steht, bezogen auf die maßgebliche Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen
Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu (§ 113
Abs. 5 Satz 1 VwGO).
11 Abzuweisen ist die Klage, soweit der Kläger die Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG begehrt. Nach Art. 16 a Abs. 2 GG
i.V.m. § 26 a AsylVfG wird Asyl nur demjenigen gewährt, der nicht aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland eingereist ist. Ob der
Asylbewerber über den Luftweg (aus einem nicht sicheren Drittstaat) eingereist ist, muss im Gerichtsverfahren von Amts wegen ermittelt werden.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der Asylbewerber hinsichtlich seiner Einreise nicht in einem asyltypischen Beweisnotstand befindet. Dem
entsprechen auch die ausdrücklichen Mitwirkungspflichten nach § 15 Abs. 2 Nr. 5 und Abs. 3 Nrn. 3 und 4 AsylVfG, wonach er alle Unterlagen
über seinen Reiseweg vorlegen muss, insbesondere seinen Flugschein. Lässt sich der Einreiseweg – unter Berücksichtigung seines Vortrags –
nicht aufklären, trägt der Asylbewerber hierfür die materielle Beweislast, mit der Folge, dass die Voraussetzungen der Asylgewährung nicht
festgestellt werden können (vgl. zum Vorstehenden im Einzelnen BVerwG, Beschl. v. 24.7.2001 - 1 B 123/01 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO
Nr. 35; Urt. v. 29.6.1999 - 9 C 36.98 - BVerwGE 109, 174). Im vorliegenden Fall hat sich das Gericht vom Einreiseweg des Klägers nicht
überzeugen können, weil der Kläger hierzu nichts sagen konnte, bzw. die alleinige Behauptung, er sei nicht kontrolliert worden, lebensfremd ist.
Der Umstand, dass sich die Schilderung seiner Fluchtgründe als glaubhaft herausgestellt und der Kläger sich auch sonst als glaubwürdig
erwiesen hat, ändert hieran nichts, da es sich bei den Fluchtgründen und den Umständen der Einreise insoweit um zwei unterschiedliche
Sachverhalte handelt, die vorliegend voneinander getrennt werden können.
12 Dem Kläger hat jedoch einen Anspruch nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004
(ABl. vom 30.9.2004 L 304/12) Diese allgemein und auch hier im folgenden so genannte Qualifikationsrichtlinie ist zu berücksichtigen, denn am
10.10.2006 ist gemäß ihrem Art. 38 Abs. 1 die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie abgelaufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs kommt nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien im Recht der Mitgliedstaaten eine unmittelbare Wirkung zu, wenn die Richtlinie von
ihrem Inhalt her unbedingt und hinreichend bestimmt ist, um im Einzelfall angewandt zu werden, und sie dem Einzelnen subjektiv-öffentliche
Rechte einräumt oder jedenfalls seine rechtlichen Interessen schützen will. Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Qualifikationsrichtlinie vor;
die darin enthaltenen Regelungen erfüllen zum ganz überwiegenden Teil diese Voraussetzungen. Dies hat zur Folge, dass die nationalen
Bestimmungen unter Berücksichtigung der Richtlinienbestimmung richtlinienkonform auszulegen sind, und im Falle des Entgegenstehens der
nationalen Bestimmung die Richtlinienbestimmung unmittelbare Anwendung findet (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.10.2006 - A 3 S 46/06 - VENSA).
13 Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (i.V.m. Art. 2 c), 6, 8, 9 und 10 der Qualifikationsrichtlinie) darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer
Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Diese
Voraussetzungen sind beim Kläger erfüllt. Er hat Nigeria im April 2004 vorverfolgt verlassen. Seine Flucht war die unmittelbare Reaktion auf
Nachstellungen fanatischer Moslems. Diese hatten die Auseinandersetzung eines Teilnehmers der Missionierungsgruppe des Klägers mit einem
Moslem, bei der eine Seite aus dem Koran beschädigt wurde, zum Anlass genommen, in der Region Kaduna (Makarfi) gewaltsame
Ausschreitungen vom Zaun zu brechen. Hierbei wurde nicht nur erheblicher Sachschaden angerichtet - es kam zur Zerstörung der Polizeistation,
in die sich der für den Koranvorfall verantwortliche christliche Missionar geflüchtet hatte, sowie von 9 Kirchen -, sondern es erfolgten auch
Übergriffe auf Christen, um diese zu verletzen bzw. sogar zu töten. Für den Kläger und seine beiden Mitmissionare galt diese Bedrohung umso
mehr, weil sie zumindest Mit-Auslöser dieser Reaktionen waren. Besonders ihnen wurde in ihrer Eigenschaft als christlichen Missionaren sowie
zugleich als Schänder des Korans mit der Folge einer akuten Gefahr für Leib und Leben nachgestellt (zur Relevanz dieses Vorgehens der
Moslems als Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund vgl. Art. 9. Abs. 1 a), Abs. 2 a), Abs. 3, Art. 10 Abs. 1 b) der Qualifikationsrichtlinie). Die
Heftigkeit der Ausschreitungen und der Umstand der auch sonst vorhandenen religiösen Spannungslage im Norden Nigerias
14
(vgl. für das Jahr 2004: NZZ 8.1.2004, FR 9.1.2004; ACCORD , Seiten 24 ff. [Seite 26: Bundesstaat Kaduna
mit moslemischer Mehrheit und Geltung des Scharia-Strafrechts]; vgl. ferner allgemein: Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 23.12.2003
[Seite 14] und vom 29.3.2005 [Seite 18]: „Insgesamt ist eine zunehmende Radikalisierung bzw. Fundamentalisierung sowohl in
christlichen als auch in muslimischen Kreisen zu beobachten, wobei die religiösen Trennlinien zumeist entlang ethnischer Linien
verlaufen.“)
15 machen es zwar überaus wahrscheinlich, dass die Gewalttäter diesen Vorfall zum Anlass nahmen, auch andere Zwecke zu verfolgen. So belegt
die Auskunftslage über einen Zeitraum von mehreren Jahren, dass religiöse Auseinandersetzungen oft auch mit sozialen und wirtschaftlichen
Konfliktlagen verknüpft waren
16
(vgl. neben den zuvor erwähnten Lageberichten des Auswärtigen Amts die Internetdatenbank des European Country of Origin
Information Network [ecoi.net - www.ecoi.net ] → „ Nigeria “ → „ Themenpapier “ → „ Aktuelle Themen “ → „ Religiöse Zusammenstöße
zwischen Christen und Moslems “; vgl. dort für das bisherige Jahr 2007: Auskünfte des US Department of State [USDOS]; für 2006:
Auskünfte des USDOS, des Internal Displacement Monitoring Center, von Freedom House und von ReliefWeb; für 2004: Auskünfte des
Integrated Regional Information Network [IRIN]; für 2003: Auskünfte des UK Home Office - nähere Details zu diesen Auskünften unten
auf Seite 8/9).
17 Gleichwohl spricht dies in keiner Weise dafür, ein Nachstellungs- und Vergeltungsinteresse am Kläger und den beiden anderen Missionaren
wäre unmittelbar nach dem Vorfall mit dem Koran verflogen gewesen. Die Missionare waren nämlich ihren moslemischen „Gegnern“ persönlich
bekannt, weil es zuvor im Alltag - außerhalb von konfliktträchtigen Ereignissen - immer wieder zu sozialen Kontakten (Straßenfußball, aber auch
Missionstätigkeiten ohne Vorfälle) gekommen war.
18 Das Gericht hat sich in einer ausführlichen mündlichen Verhandlung von der Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers überzeugt. Sein Vortrag
war erkennbar derjenige eines tatsächlich Betroffenen. Eine wesentliche Grundlage der Glaubhaftigkeit - und zugleich ein wichtiges
Prägungselement des Klägers - ist die Zugehörigkeit zur Pfingstbewegung (Gemeinde: „Assembly of God“). Gerade dort, wo in der Anhörung die
Religionszugehörigkeit und seine Missionstätigkeit eine Rolle spielten, hat der sonst eher zurückhaltend bzw. bedrückt und mitgenommen
wirkende Kläger sein Ausdrucksverhalten gewissermaßen umgekehrt und seine Begeisterung deutlich hervortreten lassen. Das gilt
insbesondere für die vom Gericht initiierte „Gesangseinlage“ in der mündlichen Verhandlung. Der Kläger strahlte Leidenschaft und Freude aus,
als er unter gekonnt rhythmischem Händeklatschen sein Lied über Jesus Christus sang. Auch der Umstand, dass er deshalb von seiner
Gemeinde mit dem (Alias-) Namen „Okoto Jesu“ (Tanzbegeisterter für Jesus) bedacht worden war, ist ein weiteres Kriterium für ein reales
Geschehen
19
(vgl. zur Praxis des Gottesdienstes in den Pfingstgemeinden, der lebhaft ist, mit viel und begeistertem Gesang, Händeklatschen und
Tanzen zu Musik einhergeht: Wikipedia [Freie Enzyklopädie, http://de.wikipedia.org] → „Pfingstbewegung“ → „Praxis“).
20 Der Kläger hat ferner sehr anschaulich die regelmäßige Missionstätigkeit seiner Gemeinde geschildert. Diese ist ebenfalls eine für Gemeinden
der Pfingstbewegung typische Aktivität
21
(Wikipedia, a.a.O., → „Missionarisch-diakonisches Engagement“).
22 Betrachtet man schließlich den Kernvortrag zum fluchtauslösenden Geschehen vom 3.4.2004, besteht für das Gericht ebenfalls kein Zweifel
daran, dass der Kläger Teilnehmer der dreiköpfigen, jeweils verschiedener Sprachen (Yoruba, Calabas und Pidgin-Englisch) mächtigen und
dadurch besser zur Kommunikation mit den ethnisch gemischten Einwohnern Kadunas fähigen Missionsgruppe war. David, einer der drei,
beschädigte eine Koranseite, was moslemische Fanatiker zu schlimmen Ausschreitungen veranlasste. Dieses zentrale Ereignis wurde in der
mündlichen Verhandlung mehrfach angesprochen und sowohl im Kern als auch in Randbereichen durch hartnäckige und kritische Nachfragen
beleuchtet. Der Kläger hat immer wieder - ohne sich relevant in Widersprüche oder Unstimmigkeiten zu verstricken - den Missionsbesuch vom
3.4.2004 konkret und nachvollziehbar beschreiben können. Gegen eine erfundene Geschichte spricht in diesem Zusammenhang gerade auch,
dass der Kläger eher wenig zur (tragischen) Person des „David aus Calabar“ zu sagen wusste (erste Bekanntschaft beim Straßenfußball, spätere
gemeinsame Tätigkeit in der Pfingstbewegung, Herkunft aus Calabar, möglicherweise geistige Behinderung [„mentale Probleme“]; Alias-Name
„Afadura Jagun“ [„kämpferischer Beter“]). Für eine Lüge hätte in diesem Zusammenhang im Gegenteil eher sprechen können, wenn der Kläger
vielseitige - aufgrund des späteren Verschwindens von David wohl kaum nachprüfbare bzw. widerlegbare - Einzelheiten zu David geschildert
hätte.
23 Besonders festzuhalten bleibt, dass die zum Fall des Klägers eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amts vom 6.2.2007 einer solchen
Überzeugungsbildung nicht entgegensteht. Der Umstand, dass das Auswärtige Amt keinen Beleg für die Ursache der Unruhen vom 3.4.2004
erhalten konnte, erschüttert den Vortrag des Klägers nicht, weil insoweit - sorgfältig vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Internet
recherchiert - zahlreiche Medienberichte mit im wesentlichen übereinstimmenden Details zu solchen Unruhen vorliegen
24
(IRIN News vom 27.4.2004; World Wide Religious News vom 14.7.2004; Vanguard vom 26.4.2004, Ex Orthodox for Christ vom 6.4.2004,
Liberty Post vom 6.4.2004 , Pakistan Christian Post vom 6.4.2004).
25 Auch die weiteren - mit Ausnahme der bestätigten Existenz eines (wie vom Kläger auch behauptet) eigenständigen Ortes namens Makarfi -
negativen Stellungnahmen zu den Beweisfragen lassen keine durchschlagenden Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Klägers zu. Der Umstand,
dass das Auswärtige Amt insoweit jeweils „keinen Beleg“ dafür erhalten konnte, dass der Kläger mit seinem Vater in Makarfi gewohnt habe, dass
es in Kaduna und/oder Makarfi eine Kirchengemeinde „Assembly of God“ gegeben habe, dass ferner der Kläger am 3.4.2004 als Missionar
unterwegs gewesen sei, sowie schließlich, dass die Zeitung „Vanguard“ die Namen der drei für den Vorfall vom 3.4.2004 Verantwortlichen
veröffentlicht habe, beweisen allenfalls, dass die Rechercheperson erfolglos war. Gerade weil sonstige Einzelheiten zu Aufwand, Sorgfalt und Art
des Vorgehens bei der Recherche nicht mitgeteilt werden, kann jedoch ein solches Ergebnis dem Kläger nicht entgegengehalten werden.
26 Wenngleich damit die Verfolgung des Klägers nicht vom nigerianischen Staat sondern von Privaten ausging, steht dies seiner
Flüchtlingsanerkennung nicht entgegen. § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG (i.V.m. Art. 6 c) und 7 der Qualifikationsrichtlinie) bestimmt nämlich
ausdrücklich, dass eine Verfolgung auch von
nichtstaatlichen Akteuren
Akteure (d.h. der Staat bzw. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen) einschließlich
internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten. Dies gilt nach der
gesetzlichen Regelung unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht
eine inländische Fluchtalternative bzw. interner Schutz i.S.v. Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie.
27 Der nigerianische Staat konnte dem Kläger
keinen Schutz i.S.v. Art. 6 c), und 7 der Qualifikationsrichtlinie
April 2004 verließ, war es ihm nicht zumutbar gewesen, zuvor Schutz bei staatlichen nigerianischen Stellen zu suchen. Zwar kann man wohl
davon ausgehen, dass der nigerianische Staat grundsätzlich schutzwillig ist. Die oben auf Seite 5 genannten Erkenntnisquellen belegen, dass
bei Ausschreitungen zwischen religiösen Gruppen Polizei und Militär immer wieder mit dem Ziel der Beendigung - allerdings durchaus auch in
menschenrechtswidriger Weise - durchgreifen. Gleichfalls ergibt sich jedoch aus diesen Erkenntnismaterialien, dass staatliche Interventionen
nahezu regelmäßig eine nachträgliche Reaktion auf zuvor entstandene gewaltsame Konflikte darstellen. Wegen des ethnischen, religiösen und
wirtschaftlichen Konfliktpotenzials, insbesondere aber auch gerade wegen der ersichtlichen Heftigkeit, die Ausschreitungen immer wieder mit
Blick auf die dabei verletzten Rechtsgüter und die Zahl der beteiligten Personen annehmen,
28
(vgl. aus ecoi.net „ Nigeria “ → „ Themenpapier “ → „ Aktuelle Themen “ → „ Religiöse Zusammenstöße zwischen Christen
und Moslems “:
29
6.3.2007 US Department of State : Im Februar bis zu 50.000 Personen bei einer Welle religiös motivierter Gewalt, ausgelöst von
Protesten gegen die Karikaturen des Propheten Mohamed, vertrieben und 150 getötet ; im Bundesstaat Borno im Februar bei Angriffen
gegen Christen 50 Tote
30
21.9.2006 Internal Displacement Monitoring Centre : 50.000 Binnenvertriebene, 150 Tote durch Welle religiös motivierter Gewalt in
mehreren Bundesstaaten
31
27.2.2006 ReliefWeb : 2.000 nigerianische Staatsbürger flohen nach gewalttätigen religiösen Zusammenstößen zwischen Christen und
Muslimen aus Nigeria
32
22.2.2006 ReliefWeb : Mindestens 27 Tote bei neuen religiösen Unruhen in Nigeria
33
10.6.2004 Integrated Regional Information Network : Bundesstaat Adamawa - ganztägige Ausgangssperre in Numan nach religiösen
Zusammenstößen; mindestens 10, tatsächlich wohl jedoch über 30 Tote
34
14.5.2004 Integrated Regional Information Network : Mindestens 57.000 Menschen flüchten vor religiösen Zusammenstößen zwischen
Christen und Moslems im Norden und Zentrum Nigerias
35
Oktober 2003 UK Home Office : Artikel über die Miss World-Wahl führte zu Zusammenstößen zwischen Christen und Muslimen;
schätzungsweise über 200 Tote
36
Oktober 2003 UK Home Office : Religiös motivierte Gewalt in Kaduna, dabei hunderte von Toten; bei Gegenaktionen gegen Muslime in
den Bundesstaaten Abia, Imo und Akwa Ibom über 400 Tote)
37 kann deswegen jedoch nicht von einer ausreichenden Schutzfähigkeit des nigerianischen Staates ausgegangen werden. Den genannten
Auskünften ist mit großer Deutlichkeit zu entnehmen, dass bei solchen Ausschreitungen nahezu regelmäßig eine große Personenzahl an Leib
und Leben geschädigt, ferner Tausende vertrieben sowie schließlich Sachgüter von beträchtlichem Ausmaß vernichtet werden. Konflikte
zwischen Christen und Moslems erreichen somit nahezu bürgerkriegsähnliche Zustände, die bislang nicht unterbunden werden konnten und
eine der ständigen „Konfliktlinien“ der nigerianischen Innenpolitik darstellen.
38 Angesichts der deutlichen Erkenntnislage ist der nigerianische Staat mithin
erwiesenermaßen
schutzfähig
Qualifikationsrichtlinie für die deutsche Asylpraxis > Asylmagazin 9/2004 des Informationsverbunds Asyl e.V. [abrufbar im Internet unter
www.asyl.net ]) - Definition einer Schutzgewährleistung in Art. 7 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie ist vorliegend für den Zeitpunkt der Ausreise
nicht erfüllt gewesen. Danach ist generell Schutz gewährleistet, wenn u. a. der Staat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder den
ernsthaften Schaden zu verhindern (beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von
Handlungen), und wenn der Antragsteller Zugang zu diesem Schutz hat. Dieser letztgenannte Zugang ist für Personen in der Situation des
Klägers jedoch zu verneinen, weil angesichts der Plötzlichkeit und Intensität von Übergriffen staatlicher Schutz mit hoher Wahrscheinlichkeit zu
spät kommt. Dadurch liegt aber zugleich auch auf der Hand, dass der Kläger nicht darauf verwiesen werden konnte, sich zunächst
schutzsuchend an die nigerianische Polizei zu wenden. Konkret bestätigt wird diese Überzeugung des Gerichts noch dadurch, dass die
Erkenntnisquellen zum Vorfall vom 3.4.2004 (s.o. Seite 7) die Zerstörung der Polizeistation durch Moslems belegen, in die sich David aus
Calabar zunächst geflüchtet hatte. Ferner muss eine Rolle spielen, dass die Verhältnisse in der nigerianischen Polizei angesichts Korruption und
ethnischer/religiöser Mischung des Personals
39
(vgl. aus ecoi.net → „ Nigeria “ → „ Themenpapier “ → „Sicherheit“ „Sicherheitskräfte“ bzw. „Korruption“:
40
06.03.2007 US Department of State: Korruption in allen Bereichen des Staatsapparats und der Gesellschaft weit verbreitet.
41
21.09.2006 Internal Displacement Monitoring Centre: Sicherheitskräfte beschuldigt, während Gewaltausbrüchen zwischen Gemeinden
nicht ausreichend für Sicherheit zu sorgen. Bei Zusammenstößen im Mai 2004 in Plateau State schritten Polizei und Armee erst ein,
nachdem hunderte von Menschen getötet worden waren; örtliche Medien berichteten, Sicherheitskräfte hätten sogar den Angreifern
Hilfe geleistet.
42
08.03.2006 US Department of State: Polizei und Sicherheitsapparat verantwortlich für Menschenrechtsverletzungen und gegenüber der
Ausbreitung von Gewalt untätig.
43
19.01.2005 Integrated Regional Information Network: Nigerianischer Polizeichef tritt wegen Korruptionsverdachts zurück.
44
August 2004 ACCORD: "Korruption ist im ganzen Land endemisch. Seit Jahren findet sich Nigeria auf einem der letzten Plätze des
`Corruption Perceptions Index’ von Transparency International. Im aktuellen Index nimmt Nigeria den vorletzten Rang (132) ein (TI
2003). Entsprechend hohe Korruptionsraten verzeichnet man im Umgang mit der Polizei.
45
Oktober 2003 UK Home Office: Polizei undiszipliniert, schlecht ausgebildet und nicht ausreichend ausgestattet; ist nicht in der Lage, die
hohe Kriminalität zu bewältigen.
46 nicht derart sind, dass eine Gefährdung des Klägers aus den Reihen der Sicherheitskräfte hätte ausgeschlossen werden können.
47 Darauf, ob dem Kläger im Zeitpunkt der Ausreise eine inländische Fluchtalternative bzw. interner Schutz in Nigeria offenstand, kommt es nach
aktueller Rechtslage für die Bejahung einer Vorverfolgung nicht (mehr) an. Das ergibt sich aus Art. 8 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie, der als
maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt denjenigen „ der Entscheidung über den Antrag “ bestimmt. Entscheidend ist nach der Systematik der
Richtlinie allein, ob für den Flüchtling - eine Verfolgung in seiner Herkunftsregion unterstellt - im Zeitpunkt der Entscheidung über seinen
Schutzantrag in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften
Schaden zu erleiden, besteht und von ihm heute vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in einem Landesteil - also am Ort des internen
Schutzes - aufzuhalten (Lehmann
Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie (interner Schutz)> NVwZ 2007, 508 [Seite 515]; ferner, unter Hinweis zugleich auf Art. 4 Abs. 3 a) der Richtlinie
[„… alle … Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind …“]: Marx, a.a.O.). Selbst bei anderer Auffassung hätte
es für den Kläger jedoch keinen inländischen sicheren Ort vor der Ausreise gegeben; Einzelheiten für einen größeren Zeitraum von 2004 bis
heute werden unten (Seite 13/14) im Zusammenhang mit der Rückkehrprognose dargelegt.
48 Beim Kläger bestehen die Gründe für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung fort.
Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kommt nach nationalem Recht wie nach der Qualifikationsrichtlinie ein
herabgestufter Verfolgungsmaßstab
von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist. Nach diesem Maßstab wird nicht verlangt, dass die
Gefahr erneuter Übergriffe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist - über die theoretische
Möglichkeit, Opfer eines Übergriffs zu werden, hinaus - erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und
damit als durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen. Dem entspricht im Ergebnis Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, wonach die
Tatsache einer bereits eingetretenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung als ernsthafter Hinweis darauf zu werten ist, dass die Furcht des
Schutzsuchenden vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen gegen eine erneute Bedrohung (vgl. zum
Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Licht der EU-Richtlinie: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.10.2006, a.a.O. - m.w.N.).
49 Eine erneute Gefährdung des Klägers für den (unterstellten) Fall einer Rückkehr nach Kaduna liegt auf der Hand. Der Vorfall vom 3.4.2004 war
konkret und beachtlich genug, dass auch heute noch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von seiner Eignung ausgegangen werden muss, in der
Erinnerung fanatischer Muslime geblieben zu sein und für den Fall eines Kontaktes mit dem Kläger Vergeltungsaktionen auszulösen. Dies gilt
umso mehr deshalb, weil der Kläger - wie schon oben dargelegt - im Raum Kaduna/Makarfi sowohl auf Grund sozialer Kontakte aber gerade
auch wegen seiner pfingstgemeindlichen Missionstätigkeit einen gewissen Bekanntheitsgrad besaß.
50 Der Kläger kann schließlich aber auch nicht darauf verwiesen werden, an einem anderen Ort innerhalb des Bundesstaates Kaduna oder in
einem anderen der übrigen 35 nigerianischen Bundesstaaten Zuflucht zu suchen. Für die Rückkehrprognose ist entscheidend, ob ein
Vorverfolgter eine
innerstaatliche Fluchtalternative bzw. internen Schutz
ist, obwohl es sich insoweit um eine offene Umsetzungsnorm handelt („… können die Mitgliedstaaten feststellen …“), nach den
Auslegungsvorgaben des Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie zu bestimmen, weil in Deutschland das Institut des internen Schutzes in Gestalt der
inländischen Fluchtalternative schon immer zum Prüfungsmaßstab der Schutzbedürftigkeit eines Flüchtlings gehörte (Lehmann, a.a.O. [511]; in
diesem Sinne auch BVerwG, Urt. v. 1.2.2007 - 1 C 24/06 - NVwZ 2007, 590). Gemäß Art. 8 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie können die
Mitgliedsstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt,
sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu
erleiden, besteht, und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Art. 8 Abs.
2 der Richtlinie kommt es dabei auf die am Ort des internen Schutzes bestehenden „allgemeinen Gegebenheiten“ und zusätzlich auch auf die
„persönlichen Umstände“ des Asylsuchenden im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag an. Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen
Umstände kann auf Art. 4 Abs. 3 c) der Qualifikationsrichtlinie zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen
Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, bei der
Entscheidung zugrunde zu legen sind. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem
Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält (VGH Bad.-Württ., Urt. v.
25.10.2006, a.a.O.).
51 Solches ist jedoch für den Kläger zu verneinen. Zwar folgt dies nicht schon aus dem Fehlen eines wirtschaftlichen Existenzminimums. Denn ein
verfolgungssicherer Ort bietet erwerbsfähigen Personen ein genügendes Auskommen in aller Regel schon dann, wenn sie dort, sei es durch
eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen
von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen
können (BVerwG, Urt. v. 1.2.2007, a.a.O.). Der Kläger war in Kaduna Mechaniker für Zugmaschinen, sodass davon ausgegangen werden kann,
dass er diese Tätigkeit auch an anderen Orten in Nigeria ausüben könnte. Hingegen würde es ihm unabhängig von dieser wirtschaftlichen
Betrachtung jedoch an einer hinreichenden Sicherheit seiner Person fehlen. Er, der Yoruba ist und somit einer großen Volksgruppen entstammt,
müsste auch bei Ansiedlung außerhalb Kadunas mit einer existenziellen Bedrohung durch Gewalt bzw. Vertreibung rechnen. In Nigeria sind
nämlich landesweit in den vergangenen Jahren bis heute eine Vielzahl von Personen Opfer ethnischer, sozialer, wirtschaftlicher und/oder
religiöser Konflikte geworden und dem Schicksal eines Binnenflüchtlings ausgesetzt worden.
52
(Vgl. die Rechercheergebnisse in ecoi.net: „Nigeria“ „Themenpapier“ „Humanitäre Fragen“ „Binnenvertreibung“
53
28.05.2003 Internal Displacement Monitoring Centre : Bericht zur Situation von Binnenvertriebenen - Bei ethnischen Zusammenstößen
zwischen Yoruba und Haussa-Fulanis in der Region Lagos wurden Tausende vertrieben; in den vergangenen 3 Jahren starben
hunderte von Menschen (Februar 2002).
54
24.05.2004 US Committee for Refugees and Immigrants : Im Jahr 2003 wurde Nigeria im fünften Jahr in Folge durch gewaltsame
Auseinandersetzungen, verbunden mit politischen, religiösen und ethnischen Meinungsverschiedenheiten, erschüttert. Mehr als eine
Million Menschen wurden seit 1999 aus ihrem angestammten Gebieten verdrängt, allein 750.000 davon in der Zeit zwischen 2001 und
2003 in Zentral-Nigeria (amtliche Schätzungen). Am Jahresende 2003 wurden mehr als 57.000 Nigerianer innerhalb des Landes
vertrieben.
55
08.03.2006 US Department of State : Im Jahr 2005 wurden im Zuge gewalttätiger Auseinandersetzungen unzählige Menschen aus ihrer
Heimatgegend vertrieben. Laut Amnesty International blieben Zehntausende als Folge u.a. ethnischer Konflikte in der Region des Niger
Delta.
56
21.09.2006 Internal Displacement Monitoring Centre : Anzahl der Binnenvertriebenen aufgrund fehlender Registrierung unbestimmt;
Mehrheit sucht Zuflucht bei Familie, Gastgemeinden oder in größeren Städten; 50.000 Binnenvertriebene, 150 Tote durch Welle religiös
motivierter Gewalt in mehreren Bundesstaaten, ausgelöst durch Proteste gegen Karikaturen des Propheten Mohamed im Februar 2006“.
57
Vgl. ferner die Rechercheergebnisse in ecoi.net: „Nigeria“ „Themenpapier“ „Humanitäre Fragen“ „Interne Schutzalternative“
58
UNHCR an österreichischen Bundesasylsenat 26. 04.2002: „D ie Gewalt hat aber insofern auf den Süden übergegriffen, als die meisten
Opfer der Unruhen im Norden aus dem Süden abstammen und sich zumindest bis zu einer Beruhigung der Situation im Norden in ihre
Heimatorte im Süden des Landes zurückgezogen haben. Manche sind nunmehr bereits wieder in den Norden zurückgekehrt. Dieses
Übergreifen der Gewalt zeigt sich etwa am Beispiel der Ereignisse nach den Unruhen von Kaduna vom Vorjahr, bei denen mehrere
Menschen getötet worden sind: Als die Leichen zum Begräbnis in die Heimat der Opfer im Süden Nigerias zurückgebracht wurden, kam
es dort zur rachemotivierten Ermordung von aus dem Norden stammenden Personen und in Folge zu einer umgekehrten
Fluchtbewegung der Bedrohten, die in ihre Herkunftsorte im Norden des Landes zurückgekehrt sind. Personen christlichen Glaubens
können sich der religiösen Verfolgung somit grundsätzlich durch Flucht in südliche Landesteile entziehen. Nach wie vor ziehen
Nigerianer in andere Gebiete, um den Unruhen zu entgehen. Vielfach kehren sie aber nach einer Beruhigung der Situation wieder an
ihren Wohnort zurück. Die Frage des Vorliegens einer internen Fluchalternative ist aber jedenfalls im Einzelfall zu überprüfen“.)
59 Zu Gunsten des Klägers rechtfertigen schließlich zu der zuvor geschilderten Lage hinzutretende
besondere persönliche Umstände
Annahme einer immer noch bestehenden, zumindest latenten Gefährdungslage bei Rückkehr. Zum einen handelt es sich beim Kläger zur
Überzeugung des Gerichts - auch insoweit bestehen an der Glaubhaftigkeit seiner Angaben keine Zweifel - um eine alleinstehende Person. Die
Kläger hat ausführlich und mit sichtlicher Betroffenheit geschildert, dass sein gelähmter Vater bei den Unruhen im April 2004 von Moslems
getötet wurde. Gerade auch das spricht übrigens dafür, dass konkret auf die Person des Klägers abgezielt worden war. Die Tötung des Vaters
wäre angesichts der Einwohnergrößen von Kaduna bzw. Makarfi sonst wohl ein äußerst unwahrscheinlicher Zufall gewesen. In der Versorgung
des Vaters hatte, seitdem Mutter und Geschwister bei einem Verkehrsunfall getötet worden waren, eine bedeutsame Lebensaufgabe des Klägers
bestanden. Auch in diesem Zusammenhang hat er absolut nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass die schwierige Situation, die er
und sein kranker (arbeitsunfähiger) Vater zu bewältigen hatten, sie zum Beitritt bei der Pfingstgemeinde bewegten. Von etwas Straßenfußball in
der Freizeit abgesehen, bestand der Lebensinhalt des Klägers sonst nur aus Arbeiten - um sich und den Vater zu versorgen - sowie aus der
Teilnahme am religiösen Gemeindeleben. Aufgrund seiner Befähigung zum Tanzen und Singen war der Kläger hier besonders gut für die
Missionstätigkeit seiner Gemeinde geeignet.
60 Diese wenigen Lebensinhalte hat der Kläger am 3.4.2004 zusammen mit seinem Vater verloren. Es war auch noch in der mündlichen
Verhandlung feststellbar, dass er hierdurch erheblich in seiner Persönlichkeit erschüttert wurde. Deshalb ist es für das Gericht auch ohne
weiteres erklärbar, dass er in der Folgezeit sein Schicksal ganz in die Hände seiner Kirchengemeinde legte und nur passiv an seiner Flucht
mitwirkte. Die ihn seit Jahren in Rottweil betreuende Sozialarbeiterin Frau A. hat in der mündlichen Verhandlung vor diesem gesamten
Hintergrund für das Gericht glaubhaft und nachvollziehbar dargelegt, dass der Kläger in Deutschland isoliert und zurückhaltend lebt. Seine
Aktivitäten betreffen nur Fußball und Religionsausübung (Bibellesen, Besuch von Gottesdiensten). Aus all dem schließt das Gericht, dass der
Kläger bei einer Rückkehr nach Nigeria noch weiter in seiner Persönlichkeit beeinträchtigt würde, und - gewissermaßen als Versuch der
Kompensation und des Vergessens der persönlichen Verluste - noch stärker als in der Vergangenheit eine „Flucht in die religiöse Betätigung“
suchte. Wie er selbst ohne Zögern eingeräumt hat, gibt es ganz Nigeria - so auch in Lagos - Niederlassungen seiner Kirchengemeinde. Seine
Aufnahme in eine solche Gemeinde wäre zwar sicher, ebenso sicher wäre aber, dass die nach außen gerichtete Missionstätigkeit künftige
Konfrontationen mit anderen Glaubensrichtungen - speziell der muslimischen - nach sich zöge. Angesichts des aus den mehrfach genannten
Erkenntnisquellen ersichtlichen gewaltsamen Konfliktpotenzials müsste dann erneut mit Gefahr für Leben, Freiheit und Gesundheit gerechnet
werden. Selbst wenn man darin „nur“ eine latente Gefährdungslage sehen wollte, so genügte dies unter Geltung des herabgestuften
Wahrscheinlichkeitsmaßstabs (vgl. dazu, dass ein latente Gefahrenlage der Situation einer nicht hinreichenden Verfolgungssicherheit entspricht:
BVerwG, Urt. v. 8.12.1998 - 9 C 17/98 - NVwZ 1999, 544). Wie bereits oben (Seite 9/10) dargelegt, war und ist der nigerianische Staat schließlich
in einer solchen Situation auch schutzunfähig (Art. 7 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie).
61 Weil dem Kläger ein Flüchtlingsstatus i. S. v. § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen ist, war die Nr. 2 des Bundesamtsbescheids aufzuheben und
die Beklagte zu verpflichten, ein entsprechendes Abschiebungsverbot festzustellen. Aufzuheben war ferner die dadurch gegenstandslos
gewordene Nr. 3 des Bescheids, denn einer Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG
bedurfte es nicht mehr (vgl. § 31 Abs. 3 Sätze 1 und 2, Abs. 2 AsylVfG). Auf Grund des bestehenden Anspruchs auf Gewährung von
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG war die Abschiebungsandrohung (Nr. 4) schließlich vollständig aufzuheben, weil in ihr konkret
der Staat hätte bezeichnet werden müssen, in den der Kläger abgeschoben werden darf (vgl. § 60 Abs. 10 AufenthG).
62 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 83 b AsylVfG. Unter Berücksichtigung der neueren (kostenrechtlichen)
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 21.12.2006 - 1 C 29/03 - NVwZ 2007, 469) sowie vor allem mit Blick auf die im
Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgebliche Rechtslage hält das Gericht eine deutliche Gewichtung der Flüchtlingsanerkennung zu
Gunsten des Klägers für geboten.