Urteil des VG Freiburg vom 16.06.2008

VG Freiburg (gebiet, öffentliche sicherheit, errichtung, grundstück, nicht öffentlich, befreiung, freiburg, berg, bienenhaus, liste)

VG Freiburg Urteil vom 16.6.2008, 3 K 1850/07
Errichtung eines Bienenhauses im unbeplanten Außenbereich
Leitsätze
1. Auch eine Landschaftsschutzverordnung kann wegen Funktionslosigkeit unwirksam werden, wenn die
Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine
Verwirklichung der naturschutzrechtlichen Schutzzwecke auf unabsehbare Zeit ausschließt und dies auch
offenkundig ist (vorliegend verneint).
2. Ein faktisches Vogelschutzgebiet ist ein Gebiet, das aus fachlich ornithologischer Sicht als Lebensraum für die
nach Art. 4 Abs. 1 u. Abs. 2 Vogelschutzrichtlinie geschützten Vogelarten besonders geeignet, aber noch nicht
förmlich unter Schutz gestellt worden ist
3. Die Aufnahme eines Gebiets in die IBA-Liste (Important Bird Areas) begründet die Vermutung, dass es
ornithologisch schutzwürdig ist und ggf. als faktisches Vogelschutzgebiet einzustufen ist.
4. Zum strengen Schutzregime im faktischen Vogelschutzgebiet (Art. 4 Abs. 4 Vogelschutzrichtlinie).
5. Das erleichterte Schutzregime nach Art. 6 Abs. 2 - Abs. 4 FFH-Richtlinie findet erst nach förmlicher
Unterschutzstellung Anwendung.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Tatbestand
1
Die Klägerin ist Eigentümerin des auf der Gemarkung der Beklagten im Geltungsbereich der Verordnung des
Landratsamtes Lörrach über das Landschaftsschutzgebiet „Tüllinger Berg“ vom 20.12.1979 (GBl. 1980, S. 93) -
LSGV - gelegenen Grundstücks FlstNr. ..., Spitalreben.
2
Am 24.10.2006 stellte sie bei der Beklagten den Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung
eines Bienenhauses mit Geräteschuppen (Länge 10m, Breite 5m, umbauter Raum 167,65 cm) auf dem
genannten Grundstück.
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Nach vorheriger Anhörung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.03.2007 den Antrag ab. Zur Begründung
heißt es, das Bauvorhaben auf dem im Außenbereich gelegenen Grundstück sei unzulässig, weil ihm im Sinne
des § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB öffentliche Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege
entgegenstünden. Das Baugrundstück liege im Bereich des Tüllinger Berges innerhalb der Grenzen eines
faktischen Vogelschutzgebiets. Die Vogelschutzgebiete seien der EG-Kommission im März 2001 verbindlich
gemeldet und im Bundesanzeiger bekanntgemacht worden. Das vorliegende Vogelschutzgebiet unterfalle als
faktisches noch dem strengen Verschlechterungsverbot gemäß Art. 4 Abs. 4 der Vogelschutzrichtlinie, denn
es sei noch nicht öffentlich bekanntgemacht, sondern befinde sich in der sogenannten Nachmeldekulisse
2005/2006, bei der gerade das Beteiligungsverfahren 2. Stufe erfolge. Eine Baugenehmigung könne nicht erteilt
werden, weil nicht auszuschließen sei, dass das Bienenhaus mit Geräteschuppen erhebliche
Beeinträchtigungen für das Vogelschutzgebiet (insbesondere die Zaunammer) bewirken werde. Erst nach
Identifikation und Erklärung zum Vogelschutzgebiet greife das mildere Rechtsregime gemäß Art. 6 FFH-
Richtlinie ein (§ 38 NatSchG).
4
Mit Bescheid vom 15.08.2007 - zugestellt am 20.08.2007 - wies das Regierungspräsidium Freiburg den von der
Klägerin am 16.04.2007 eingelegten Widerspruch zurück. Ergänzend führte es zur Begründung aus, das
baugenehmigungspflichtige, nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 (richtig: Nr 4) BauGB, möglicherweise auch nach § 35 Abs.
1 Nr. 1 BauGB privilegierte Vorhaben widerspreche dem Schutzzweck aus § 3 LSGV. Die Voraussetzungen für
eine im Ermessenswege zu erteilende Befreiung (§§ 5 und 7 LSGV i.V.m. § 78 NatSchG) lägen auch nicht vor.
5
Am 17.09.2007 hat die Klägerin verwaltungsgerichtliche Klage erhoben. Zur Begründung bringt sie vor: Die
Landschaftsschutzgebietsverordnung (im Folgenden: LSGV) stehe der Baugenehmigung nicht entgegen, weil
sie entsprechend den Regeln über das Funktionsloswerden von Bebauungsplänen obsolet geworden und damit
nicht mehr gültig sei. Nach Inkrafttreten der LSGV seien von der Beklagten unbeanstandet auf zahlreichen
Grundstücken Veränderungen vorgenommen worden, die mit dieser nicht vereinbar seien. So befinde sich in
unmittelbarer Nähe des Grundstücks eine Straußwirtschaft mit einem erheblichen Verkehrsaufkommen. Die
Kraftfahrzeuge parkten unbeanstandet auf Feldwegen und angrenzenden Privatgrundstücken. Auf mehreren
Grundstücken in der Nachbarschaft werde ohne Störungen für das Landschaftsschutzgebiet oder die Vögel
Imkerei betrieben. Insgesamt habe sich in den letzten Jahrzehnten eine Nutzung entwickelt, die die Belange
des Landschaftsschutzes und die Bedürfnisse der Grundstückseigentümer (Naherholung und kleingärtnerische
Nutzung) angemessen zum Ausgleich bringe. Die Beklagte habe erst in jüngster Zeit einzelne Baumaßnahmen
beanstandet und Beseitigungsanordnungen erlassen. Aus den Maßnahmen sei aber nicht zu ersehen, ob die
Beklagte selbst noch von der Gültigkeit der LSGV ausgehe. Das Regierungspräsidium Freiburg habe auch
angeregt, öffentlich-rechtliche Vereinbarungen über die Duldung solcher Baumaßnahmen abzuschließen. Sollte
die LSGV noch gültig sein, lägen angesichts dieser Situation jedenfalls die Voraussetzungen für die Erteilung
einer Befreiung vor. - Die Baugenehmigung könne auch nicht mit dem Argument abgelehnt werden, das
Grundstück liege in einem faktischen Vogelschutzgebiet. Eine rechtsverbindliche Ausweisung als
Vogelschutzgebiet sei bislang nicht erfolgt. Art und Umfang der Vogelvorkommen seien nicht belegt. Die
Nachmeldung der „Natura 2000“ Vogelschutzgebiete begnüge sich mit einer allgemein gehaltenen
Gebietsbeschreibung und einem Hinweis auf das Vorkommen der Zaunammer. Da das Gebiet am Tüllinger
Berg aber trotz der dort vorhandenen zahlreichen Nutzungen Heimat zahlreicher Vogelarten sei, sei nicht
ersichtlich, warum die Imkerei der Klägerin mit dem Vogelschutz nicht vereinbar sein solle, zumal auf dem
Grundstück zahlreiche Bäume und Sträucher stünden sowie zahlreiche Kleintiere und Insekten dort anzutreffen
seien. Das vom Regierungspräsidium Freiburg genehmigte Starten und Landen eines Ultraleichtflugzeugs am
Tüllinger Berg störe die Vögel jedenfalls erheblich mehr.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 19.03.2007 sowie den Widerspruchsbescheid des
Regierungspräsidiums Freiburg vom 15.08.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr die
am 24.10.2006 beantragte Baugenehmigung zur Errichtung eines Bienenhauses mit Geräteschuppen
zu erteilen,
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hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, sie über die Erteilung der beantragten Baugenehmigung neu
zu bescheiden,
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sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
10 Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
12 Zur Begründung macht sie geltend: Obwohl seit Inkrafttreten der LSGV auf zahlreichen Grundstücken
erhebliche Veränderungen vorgenommen worden seien, sei die Verordnung noch rechtswirksam, denn das
Gebiet sei weiterhin schützwürdig. Gegen rechtswidrige bauliche Anlagen gehe die Beklagte vor und werde das
weiterhin tun. Mit dem Erlass der LSGV sei die Entscheidung für eine größtmögliche Freihaltung der
Außenbereichslandschaft gefallen. Die Erteilung der Baugenehmigung sei daher mit § 4 LSGV nicht zu
vereinbaren. Gerade in unmittelbarer Nähe des Grundstücks der Klägerin lägen alte Streuobstwiesen,
Feldgehölze, brach gefallene, aber auch kleinere landwirtschaftlich genutzte Grundstücke. Durch die Erstellung
eines Bienenhauses würde das Landschaftsbild nachträglich erheblich verändert, der Gebietscharakter
erheblich beeinflusst und die Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt. Auch geringfügige Einzeleingriffe
führten in der Summe (Nachahmungs- und Breitenwirkung) zu einem erheblichen Natur- und
Landschaftsverbrauch und einer unerwünschten Zersiedelung. Eine großzügige Praxis bei der Entscheidung
über eine Befreiung könnte gerade im Hinblick auf die bereits vorhandenen rechtswidrigen Bebauungen eine
negative Vorbildwirkung haben und dazu beitragen, die rechtswidrigen Zustände weiter zu zementieren. Nach
dem strengen Schutzregime gemäß Art. 4 Abs. 4 Vogelschutzrichtlinie im faktischen Vogelschutzgebiet seien
Projekte unzulässig, die zu Verschmutzungen oder Beeinträchtigungen der Lebensräume sowie zu
Belästigungen der Vögel führen würden. Da die Schwelle, ab der erhebliche Auswirkungen auf die Vogelwelt
anzunehmen seien, sehr niedrig liege, sei sie auch vorliegend überschritten. Denn auch das Bienenhaus
einschließlich des Geräteschuppens schränke den Lebensraum der Vögel ein, zumal die Klägerin in der
Vergangenheit bereits ohne Rücksicht auf Landschaftsschutzgesichtspunkte vorgegangen sei. Nur
überragende Gemeinwohlbelange wie Lebens- und Gesundheitsschutz oder die öffentliche Sicherheit, nicht
aber wirtschaftliche Gesichtspunkte könnten im Einzelfall Vorrang gegenüber dem Vogelschutz haben. Es sei
geplant, für das Gebiet im Jahr 2008 eine förmliche Vogelschutzgebietsverordnung zu erlassen. Es stehe aber
keineswegs fest, dass das privilegierte Vorhaben der Klägerin danach zulässig sei.
13 Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
14 Die Kammer hat das Baugrundstück und seine nähere Umgebung in Augenschein genommen und die
Naturschutzfachkraft Huber des Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung informatorisch zur Frage, ob der
Tüllinger Berg ein faktisches Vogelschutzgebiet sei, und über mögliche Beeinträchtigungen der Vogelwelt durch
das Bauvorhaben der Klägerin angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll Bezug genommen.
15 Dem Gericht liegen die Akten der Beklagten sowie die Akten des Regierungspräsidiums Freiburg (je ein Heft)
und außerdem die Gerichtsakte aus dem Verfahren 7 K 42/07 einschließlich der dazugehörenden
Verwaltungsakte der Beklagten vor. Darauf sowie auf die Gerichtsakte wird ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
16 Die Klage ist zulässig, insbesondere besteht ein Rechtsschutzbedürfnis. Die Klägerin benötigt für die
Errichtung eines Bienenhauses, einer baulichen Anlage i.S. des § 2 Abs. 1 LBO, eine Baugenehmigung (§ 49
Abs. 1 LBO). Das Vorhaben ist nicht gemäß § 50 Abs. 1 LBO i.V.m. Nr. 2 des Anhangs zu dieser Bestimmung
verfahrensfrei. Zwar werden die dort genannten Maße (70 qm Grundfläche, mittlere Höhe von 5 m) ersichtlich
nicht überschritten. Das Bienenhaus dient jedoch nicht nur dem vorübergehenden Schutz der Bienen - wie etwa
ein sog. Offenstall auf einer Weide für Pferde -, sondern der dauernden Unterbringung der Bienenstöcke. Auch
gewöhnliche Ställe (die von den Tieren naturgemäß ebenfalls zeitweilig verlassen werden) sind grundsätzlich
baugenehmigungspflichtig (vgl. Sauter, LBO, Komm. Stand: Juli 2001, RN 30 zu § 50).
17 Die Klage ist aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 19.03.2007 und der
Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 15.08.2007 sind rechtmäßig und verletzen die
Klägerin nicht in ihren Rechten. Ein Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung steht ihr nicht zu.
Da es auch bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Befreiung von den der Erteilung der
Baugenehmigung entgegenstehenden naturschutzrechtlichen Bestimmungen des LSGV fehlt, kommt auch eine
Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung der Klägerin nicht in Betracht (§ 113 Abs. 5 Sätze 1 und 2
VwGO).
18 Die Beklagte hat der Klägerin die begehrte Baugenehmigung zu Recht versagt, weil dem Bauvorhaben von der
Baurechtsbehörde zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen (§ 58 Abs. 1 Satz 1 LBO).
19 Es ist zwar gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB oder jedenfalls nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB (vgl. dazu Battis,
Krautzberger, Löhr, BauGB, Komm., 10. Aufl., RN 44 zu § 35, Stichwort: Bienenhaus) im Außenbereich
privilegiert. Es ist jedoch gleichwohl unzulässig, weil ihm öffentliche Belange - hier des Naturschutzes und der
Landschaftspflege (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) - entgegenstehen. Die genannte Bestimmung hat einen
eigenständigen Regelungswert und ist daher auch dann zu beachten, wenn ein Gebiet nicht förmlich unter
Natur- oder Landschaftsschutz gestellt worden ist. Besteht für ein Gebiet - wie hier - weitergehend sogar eine
Natur- oder Landschaftsschutzverordnung, sind auch privilegierte Vorhaben nur zuzulassen, wenn sie danach
zulässig sind (vgl. Brohm, Öffentl. Baurecht, 3. Aufl., RN 22 zu § 21 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts). Das ist vorliegend nicht der Fall.
20 Gemäß § 5 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 LSGV bedarf die Errichtung baulicher Anlagen nach der LBO (dazu bereits
oben) der schriftlichen naturschutzbehördlichen Erlaubnis. Diese Erlaubnis wird durch die Baugenehmigung
(eine nach anderen Vorschriften notwendige Gestattung i.S. des § 5 Abs. 4 LSGV) ersetzt, wenn sie mit
Zustimmung der unteren Naturschutzbehörde, d.h. des Landratsamt Lörrach (§§ 60 Abs. 1 Nr. 3 NatSchG, 13
Abs. 1 Nr. 1, 16 Abs. 1 Nr. 14 LVG), erteilt wurde. Die fehlende Zustimmung wird als verwaltungsinterner
Mitwirkungsakt ggf. durch die gerichtliche Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der Baugenehmigung
ersetzt. Die Baugenehmigung kann danach nicht erteilt werden, weil die Errichtung des Bienenhauses dem
Schutzzweck der LSGV zuwiderläuft (§ 5 Abs. 3 i.V.m. §§ 4 und 3 LSVG) und auch eine Befreiung nicht in
Betracht kommt.
21 Die Gegenargumente der Klägerin greifen nicht durch. Zunächst ist die LSGV nicht funktionslos und damit
obsolet, d.h. unwirksam geworden.
22 In der Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass auch eine Landschaftsschutzverordnung wegen
Funktionslosigkeit unwirksam werden kann. Dies setzt - in Anlehnung an die entsprechende Konstellation bei
Bebauungsplänen - voraus, dass die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung
einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der naturschutzrechtlichen Schutzzwecke auf
unabsehbare Zeit ausschließt und dies auch offenkundig ist, so dass von der Fortgeltung der
Landschaftsschutzverordnung nicht mehr ausgegangen werden kann. Dabei ist jedoch ein strenger Maßstab
anzulegen. So führt z. B. auch die Errichtung mehrerer Bauten im Landschaftsschutzgebiet nicht zur
Funktionslosigkeit, wenn diese illegal sind und dagegen weiterhin eingeschritten werden kann (vgl. zum
gesamten Fragenkomplex VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 18.05.2000 - 3 S 687/00 - BWGZ 2001, 71 f., zit. nach
juris, auch mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts über das
Funktionsloswerden von Bebauungsplänen).
23 Schutzzweck der LSGV ist nach ihrem § 3 die Sicherung eines wichtigen Naherholungsgebiets zwischen den
Städten Lörrach und Weil am Rhein; gleichzeitig dient das Landschaftsschutzgebiet dem Ortsbildschutz der
Ortsteile Röttler Kirche, Ober- und Untertüllingen und Ötlingen sowie der Erhaltung eines in seinen Grundzügen
noch unverletzten Landschaftsbildes, mit charakteristischen Landschaftsformen, mit teilweise ursprünglichem
Waldbestand sowie einer wohlausgebildeten Waldrandzone. Der von der Kammer eingenommene Augenschein
hat allerdings gezeigt, dass im Landschaftsschutzgebiet - insbesondere in seinem Randbereich, in dem auch
das Grundstück der Klägerin liegt - zahlreiche Veränderungen vorgenommen worden sind, die mit dem
beschriebenen Schutzzweck nicht vereinbar sind. Die in östlicher Richtung nicht weit vom Grundstück der
Klägerin entfernten Siedlungen sind zwar nach § 2 Abs. 1 Unterabs. 2 LSGV von ihrem Geltungsbereich
ausgenommen. Bereits das nur wenig außerhalb des Bebauungszusammenhangs gelegene und u.a. als
Straußwirtschaft genutzte Gebäude befindet sich jedoch schon im Landschaftsschutzgebiet. Nicht nur auf dem
Grundstück der Klägerin, sondern auch auf zahlreichen anderen Grundstücken in der Nähe wurden Hütten und
Zäune oder sonstige Einfriedungen errichtet, werden Gegenstände abgelagert (z. B. Gartenmöbel und -geräte,
Hollywoodschaukel), wurden Wege angelegt oder die Bodennutzung durch Anlegen von Gärten und
Obstplantagen verändert. Die dafür gemäß § 5 Abs. 2 LSGV erforderlichen Erlaubnisse wurden nicht erteilt und
hätten auch im Falle der Beantragung versagt werden müssen, weil die entsprechenden Handlungen den
Charakter des Landschaftsschutzgebiets verändern und/oder seinem Schutzzweck zuwiderlaufen. Die LSGV
ist deshalb aber weder insgesamt noch im Bereich des Grundstücks der Klägerin funktionslos geworden.
Einige dieser Nutzungen genießen Bestandsschutz, weil sie schon z.Z. der Ausweisung des
Landschaftsschutzgebiets vorhanden waren. Dies gilt etwa für das Gebäude mit der Straußwirtschaft. Die
nachträgliche Einrichtung der Straußwirtschaft führte trotz des damit verbundenen Besucherverkehrs nicht zu
einer zusätzlichen Beeinträchtigung des Landschaftsschutzgebiets, zumal dieses auch der Sicherung eines
naturgemäß auch zum Aufenthalt von Menschen bestimmten Naherholungsgebiets dient. Teilweise werden alte
landwirtschaftliche Nutzungen lediglich als gärtnerische weitergeführt. Soweit die beschriebenen Nutzungen
keinen Bestandsschutz genießen, haben die Beklagte und der Beigeladene in der mündlichen Verhandlung
plausibel dargelegt, dass sie an der Entwicklung einheitlicher Regeln zur Beseitigung illegaler Nutzungen (insb.
Hütten und Einfriedungen) im Außenbereich und insbesondere in ausgewiesenen Schutzgebieten arbeiten, um
so in den kommenden Jahren nach und nach sowie gemäß ihrer Kapazität zur Durchführung entsprechender
Verfahren rechtmäßige Zustände herzustellen. Dementsprechend ist die Beklagte im Parallelverfahren 3 K
1851/07 - auch zur Klärung der Rechtslage für zukünftige Fälle - gegen ungenehmigte bauliche Anlagen
eingeschritten und hat diese in einem Vergleich nur noch für eine Übergangszeit geduldet. Auch im
Randbereich des Landschaftsschutzgebiets gibt es im Übrigen noch zahlreiche unveränderte Grundstücke, die
als Streuobstwiese genutzt werden. Erst recht gilt dies für die weiter von der Landschaftsschutzgebietsgrenze
entfernt liegenden Bereiche. Davon, dass der Zweck der LSGV offenkundig nicht mehr erreicht werden könne,
kann unter diesen Umständen keine Rede sein.
24 Die Klägerin hat auch keinen Anspruch, dass die Naturschutzbehörde ihre Zustimmung zur Baugenehmigung
erklärt (§ 5 Abs. 3 und 4 LSGV). Denn die Errichtung des Bienenhauses veränderte den Charakter des
Landschaftsschutzgebiets und liefe seinem in § 3 LSGV geregelten Schutzzweck zuwider. Angesichts der
Größe des Bienenhauses (es ist wesentlich größer als einige frei aufgestellte Bienenstöcke) würde dadurch
das Landschaftsbild nachträglich verändert (§ 4 Nr. 4 LSGV), denn dieses soll gerade unverletzt bleiben und
von baulichen Anlagen freigehalten werden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass diese Wirkungen durch Auflagen
abgewendet werden können (§ 4 Abs. 3 LSGV). Eine die Sicht auf das Bienenhaus versperrende Bepflanzung
würde ihrerseits wider das Landschaftsbild verändern. Die Kammer verkennt nicht, dass die Klägerin ihr
Grundstück jedenfalls teilweise liebevoll gestaltet hat und dieses auf den Betrachter insoweit einen durchaus
gepflegten Eindruck macht. Da die LSGV indessen dazu dient, das Landschaftsbild unverändert zu erhalten,
kommt es darauf aber gerade nicht an.
25 Der Klägerin kann auch nicht ausnahmsweise eine Befreiung von den Bestimmungen der LSGV erteilt werden.
Gemäß § 7 LSGV kann von ihren Vorschriften nach § 31 des Gesetzes über Naturschutz und
Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) vom 20.12.1976 (BGBl. I S. 3574) Befreiung erteilt werden.
Auch das Naturschutzgesetz sieht einen Befreiungstatbestand vor. § 79 Abs. 1 NatSchG bestimmt, dass von
den Vorschriften der Rechtsverordnungen unter den Voraussetzungen des § 78 Abs. 1 NatSchG befreit werden
kann. Zuständig ist die Behörde, die die Rechtsverordnung erlassen hat (§ 79 Abs. 2 Satz 1 NatSchG). Die
Befreiung wird durch eine nach anderen Vorschriften mit Zustimmung des Landratsamtes Lörrach als untere
Naturschutzbehörde erteilte Gestattung (hier die beantragte Baugenehmigung) ersetzt. Vorrangig dürfte der
Befreiungstatbestand im normhierarchisch höher angesiedelten Naturschutzgesetz sein. Das Verhältnis der
Befreiungstatbestände zueinander bedarf indessen keiner Klärung. In beiden Fällen fehlt es bereits an den
tatbestandlichen Voraussetzungen. In Betracht kommt ohnehin nur, dass der Vollzug der LSGV zu einer nicht
beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist (so § 78
Abs. 1 Nr. 2 NatSchG) bzw. die Abweichung mit den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege
zu vereinbaren ist (so § 31 Abs. 1 Nr. 1 a Bundesnaturschutzgesetz vom 20.12.1976). Es fehlt indessen
bereits an einer unbeabsichtigten Härte i.S. der genannten Normen. Denn eine Befreiungsmöglichkeit besteht
grundsätzlich nicht im Hinblick auf Folgen, die eine Norm in einer Vielzahl von Fällen typischerweise und
gleichermaßen haben kann oder sogar haben soll. Die LSGV dient aber gerade dazu, bauliche Anlagen im
Landschaftsschutzgebiet zu verhindern (vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 1 LSGV). Dass eine objektive (Gesichtspunkte in
der Person der Klägerin sind nicht zu berücksichtigen) Sondersituation in Bezug auf ihr Grundstück vorläge, ist
ihrem Vortrag nicht zu entnehmen (vgl. dazu Kratsch/Schumacher, Naturschutzgesetz Baden-Württemberg,
Stand: Okt. 2007, RN 16 und 18 zu § 78).
26 Der Erteilung der Baugenehmigung steht außerdem auch Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie des Rates vom
02.04.1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (79/409/EWG) -Vogelschutzrichtlinie (VSR) -
entgegen, denn das Baugrundstück liegt in einem faktischen Vogelschutzgebiet i.S. von Art. 4 Abs. 1 VSR und
das Bienenhaus führte zu Verschmutzungen oder Beeinträchtigungen der Lebensräume bzw. zu Belästigungen
der geschützten Vögel, die sich auf die Zielsetzungen der VSR erheblich auswirken.
27 Ein faktisches Vogelschutzgebiet ist ein Gebiet, das aus fachlich ornithologischer Sicht als Lebensraum für die
nach Art. 4 Abs. 1 VSR i.V.m. ihrem Anhang I bzw. nach Art. 4 Abs. 2 VSR geschützten Vogelarten
besonders geeignet ist, das bislang aber noch nicht förmlich als Schutzgebiet i.S. der §§ 33 Abs. 2, 22 Abs. 1
BNatSchG, 36 ff NatSchG unter Schutz gestellt worden ist (Die Meldung als Schutzgebiet gegenüber der
Kommission nach Art. 4 Abs. 3 VSR ist nicht ausreichend). Maßgeblich für die Einstufung eines Gebiets als
faktisches Vogelschutzgebiet sind etwa Seltenheit, Empfindlichkeit und Gefährdung der jeweiligen Vogelart, die
Populationsdichte und Artenvielfalt eines Gebiets, sein Entwicklungspotential und seine Kohärenz sowie die
Erhaltungsperspektiven der bedrohten Art; eine Abwägung mit anderen Belangen findet nicht statt. Erst wenn
ein schützwürdiges Gebiet nach den genannten Vorschriften förmlich unter Schutz gestellt worden ist, wird das
strenge Schutzregime des Art. 4 Abs. 4 VSR gemäß Art. 7 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom
21.05.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-RL)
durch das erleichterte Schutzregime nach Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL ersetzt, das aus überwiegenden Gründen
des öffentlichen Interesses im Einzelfall auch die Zulassung vogelschutzunverträglicher Vorhaben vorsieht.
Entsprechende Regelungen enthalten die o.g. nationalen Umsetzungsvorschriften. Zuvor ist eine Abweichung
von den Schutzzwecken nur wegen überragender Gemeinwohlbelange (Lebens- und Gesundheitsschutz oder
die öffentliche Sicherheit) zulässig (vgl. zu den angesprochenen Fragen Michler, Die Rechtsstellung der
Gemeinden bei der Ausweisung Europäischer Vogelschutzgebiete, VBlBW 2006, 449 ff sowie BVerwG Urt. v.
01.04.2004 - 4C 2.03 -, BVerwGE 120, 276 ff.).
28 Zwar ist die Rüge der Klägerin zutreffend, dass es für seine Qualifikation als faktisches Vogelschutzgebiet
nicht ausreicht, dass das Gebiet „Tüllinger Berg und Gleusen“ im Rahmen der sogenannten Nachmeldekulisse
2005/2006 als potentielles Schutzgebiet der Kommission gemeldet worden ist. Das Gebiet ist jedoch nach dem
bereits oben ausgeführten Maßstab des Art. 4 Abs. 1 VSR (vgl. dazu auch BVerwG, aaO) nach
ornithologischen Kriterien als Vogelschutzgebiet schutzwürdig. Zunächst ist das Gebiet in der sog. IBA-Liste
(IBA = Important Bird Areas) verzeichnet, weshalb schon auf Grund des hohen wissenschaftlichen Werts
dieser Liste eine Vermutung für seine Schutzwürdigkeit besteht. Auch der EuGH misst dieser Liste große
Bedeutung bei der Ausweisung von Schutzgebieten zu (vgl. Michler, aaO. S. 450 mit Nachweisen der
Rechtsprechung des EuGH). Diese Vermutung wurde durch die Ausführungen der Naturschutzfachkraft des
Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung bestätigt. In dem fraglichen Gebiet kommen die Zaunammer und
der Wendehals vor, die als Zugvogelarten nach Art. 4 Abs. 2 VSR geschützt sind. Beide Vogelarten sind vom
Aussterben bedroht. Ihr Bestand ist seit den 30ger Jahren des letzten Jahrhunderts kontinuierlich
zurückgegangen. Die Zaunammer ist in Baden-Württemberg nur noch mit ca. 40 Brutpaaren vertreten, wovon
ca. 30 in dem genannten Gebiet anzutreffen sind. Weitere 5 bis 6 Paare leben auf der Gemarkung Grenzach-
Whylen. Da 20 bis 30 Brutpaare die untere Grenze für den Fortbestand dieser Art in einem Gebiet darstellen,
ist die Population in Grenzach-Whylen nur überlebensfähig, weil ein Austausch mit dem Gebiet „Tüllinger Berg
und Gleusen“ möglich ist. Vergleichbar stellt sich die Situation beim Wendehals dar. Dessen Population ist in
den letzten Jahren insbesondere am Osthang des Tüllinger Berges infolge der Umwandlung von
Streuobstbeständen in Spalierobst- oder sonst intensiv genutzte Obstanlagen stark rückläufig. Außerdem sind
in dem genannten Gebiet noch der Grauspecht (Picus canus), der Mittelspecht (Dendrocopos medius) und der
Neuntöter (Lanius collurio) anzutreffen, die als besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich ihres Lebensraums
benötigende Arten im Anhang I zur Vogelschutzrichtlinie aufgeführt sind. Auch die „Natura 2000 -
Gebietsinformation“ spricht dafür, das Gebiet „Tüllinger Berg und Gleusen“ mit seinen noch günstigen
Bedingungen für vom Aussterben (wenigstens) in Süddeutschland bedrohte Arten als faktisches
Vogelschutzgebiet einzustufen.
29 Der Errichtung des Bienenhauses steht Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VSR entgegen. Nach dieser Bestimmung treffen
die Mitgliedstaaten in den Schutzgebieten geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder
Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die Zielsetzungen
dieses Artikels (insbesondere nach Abs. 1 Satz 1 bis 3) erheblich auswirken, zu vermeiden. Das
Erheblichkeitskriterium bezieht sich nicht nur auf die Belästigung der Vögel, sondern auch auf die
Verschmutzung und Beeinträchtigung ihrer Lebensräume. Die Abgrenzung zwischen erheblichen und
unerheblichen Beeinträchtigungen und Störungen beurteilt sich gemäß Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VSR nach den
„Zielsetzungen dieses Artikels“ (vgl. dazu Art. 4 Abs. 1 VSR). Mangels konkretisierender Festlegung
gebietsspezifischer Erhaltungsziele im faktischen Vogelschutzgebiet ist ergänzend auf die allgemeinen
Zielsetzungen in Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 VSR zurückzugreifen. Das Gewicht der Beeinträchtigungen
und Störungen beurteilt sich jeweils nach Art und Ausmaß der negativen Auswirkungen auf diese
Zielsetzungen. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Verringerung der Anzahl von Vögeln oder gar die
konkrete Gefahr des Aussterbens einer geschützten Art muss nicht nachgewiesen werden, es genügt bereits
die Verkleinerung eines Schutzgebiets (vgl. dazu BVerwG, aaO. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des
EuGH).
30 Auch die Errichtung des für den Vogelschutz scheinbar unbedeutenden Bienenhauses führte zu
Verschmutzungen und Beeinträchtigungen der Lebensräume bzw. zu Belästigungen der o.g. geschützten
Vögel, die sich auf die Zielsetzungen der Vogelschutzrichtlinie (insbesondere die Erhaltung wildlebender
Vogelarten) erheblich auswirken, wie sich aus den Darlegungen der Naturschutzfachkraft des Beigeladenen
ergibt. So ist der Wendehals etwa auf abgestorbene Bäume und Totholz als Brutmöglichkeit angewiesen. Die
Zaunammer ist, obwohl sie in Siedlungsnähe vorkommt, ein eher scheues Tier und benötigt Rückzugsräume in
Gebüschen und Dornensträuchern, wie sie auf naturbelassenen Grundstücken anzutreffen sind. Wie bereits
ausgeführt, wirkt sich der Umbruch von Streuobstwiesen oder sonstigen Wiesen hin zu intensiveren
Nutzungsformen bei beiden Arten besonders nachteilig aus. Die Genehmigung eines Bienenhauses fördert und
zementiert aber die oben beschriebene, für die genannten Vögel nachteilige Entwicklung. Angesichts des
Gefährdungsgrades der an der unteren Grenze einer überlebensfähigen Population angekommenen Vogelarten
gilt es aber vor dem Hintergrund des beschriebenen strengen Schutzregimes des Art. 4 Abs. 4 VSR, jede
weitere Verschlechterung bzw. Verkleinerung des Lebensraums zu verhindern, zumal sie das Verschwinden
der ohnehin sehr gefährdeten Population nach sich ziehen kann.
31 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Es besteht kein Anlass, das
Urteil wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.