Urteil des VG Freiburg vom 07.05.2007

VG Freiburg (gaststätte, lärm, kläger, anwohner, stand der technik, gutachten, wohnung, bedürfnis, verhandlung, betrieb)

VG Freiburg Urteil vom 7.5.2007, 4 K 925/06
Sperrzeitverlängerung wegen Nachbarwiderspruch; Drittschutz bei Lärmimmissionen; öffentliches
Bedürfnis an Sperrzeit; Folgen der Überschreitung der Lärmgrenzen in der TA-Lärm; Umdeutung eines
Widerspruchs in einen Antrag auf Sperrzeitverlängerung
Leitsätze
1. Ein (wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses) unzulässiger Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt kann als
Antrag an die Behörde auf Vornahme/Erlass eines (anderen) Verwaltungsakts auszulegen sein.
2. Die §§ 18 Satz 2 GastG und 12 Satz 1 GastVO sind Ermächtigungsgrundlagen für eine Verlängerung (u. a.) der
Sperrzeit durch Verwaltungsakt. Diese Vorschriften haben auch dritt- bzw. nachbarschützenden Charakter.
Die SperrzeitVO der Stadt Freiburg lässt in § 3 Abs. 2 Satz 2 Raum für Veränderungen der Sperrzeit im Einzelfall
nach Maßgabe von § 12 GastVO.
3. Ein öffentliches Bedürfnis für eine Veränderung der allgemeinen Sperrzeit in einem Einzelfall liegt vor, wenn
durch die Betriebszeiten der Gaststätte schädliche Umwelteinwirkungen für die Allgemeinheit oder die
Nachbarschaft i. S. v. §§ 3, 22 BImSchG hervorgerufen werden.
4. Freisitzflächen von Gaststätten, die (unselbständiger) Teil der Gaststätte sind, beurteilen sich hinsichtlich ihrer
Lärmeinwirkungen nach der TA-Lärm 1998.
5. Ein Dauerschallpegel (Immissionswert) von 60 dB(A) in der Zeit nach 22.00 Uhr bis 23.00 Uhr bzw. 24.00 Uhr
überschreitet die Zumutbarkeitsgrenze für einen Anwohner in einem Kerngebiet, wenn eine Vorbelastung (durch
Fremdgeräusche) in diesem Ausmaß nicht besteht, auch dann, wenn diese Lärmbeeinträchtigung "nur" in der
wärmeren Jahreszeit auftritt. In einem solchen Fall kann sich das Ermessen der Behörde nach den §§ 18 Satz 2
GastG und 12 Satz 1 GastVO zu einem Anspruch des Anwohners verdichten.
6. Eine Verlagerung des Beginns der Nachtzeit um eine Stunde (von 22.00 Uhr auf 23.00 Uhr) nach Nr. 6.4 der TA-
Lärm 1998 kommt nur in Betracht, wenn sichergestellt ist, dass am anderen Morgen vor 07.00 Uhr keine
Lärmbeeinträchtigungen am Immissionsort zu erwarten sind, die den zulässigen nächtlichen Richtwert für das
jeweilige Baugebiet überschreiten.
Tenor
Die Beklagte wird verpflichtet, den Beginn der Sperrzeit für die Bewirtschaftung der Freisitzflächen der Gaststätte
der Beigeladenen "…" in der U.-Straße an allen Tagen auf 22.00 Uhr festzusetzen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die
diese selbst tragen.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt eine Vorverlegung der Sperrzeit für die Freisitzflächen der Gaststätte der Beigeladenen in
der U.-Straße von 23.00 Uhr bzw. 24.00 Uhr auf 22.00 Uhr.
2
Die Beigeladene betreibt (als GmbH) die Gaststätte "..." in der U.-Straße und als weiteren Teil ihres Betriebs
die Gaststätte "…" in der L.-Straße. Die Gaststätte "..." befindet sich in der U.-Straße unmittelbar neben der an
der Ecke L.-Straße/U.-Straße gelegenen Gaststätte "...". Der Kläger wohnt im dritten Obergeschoss des
Hauses, in dessen Erdgeschoss sich die Gaststätte der Beigeladenen betrieben wird. Zwei Fenster von
Wohnräumen seiner Wohnung sind zur U.-Straße hin ausgerichtet. Direkt unterhalb dieser Fenster befinden
sich die Freisitzflächen der Gaststätte der Beigeladenen "..." und unmittelbar im südlichen Anschluss daran der
Gaststätte "...". Auf diesen Freisitzflächen befinden sich auf dem östlichen und westlichen Gehweg der U.-
Straße pro Gaststätte etwa 22 (gelegentlich auch 24, an manchen Tagen aber auch weniger) Tische mit jeweils
vier Stühlen, bei beiden Gaststätten also das Doppelte.
3
Für das Gebiet, in dem die Gaststätte der Beigeladenen und die Wohnung des Klägers liegen, existiert kein
Bebauungsplan. Das Quartier an der U.-Straße, der L.-Straße und der benachbarten N.-Straße ist
gekennzeichnet durch zahlreiche Gaststätten, Diskotheken und vereinzelte Ladengeschäfte. Am westlichen
Ende der L.-Straße befindet sich ein so genanntes Spielkasino, das heißt eine Ansammlung von Spielhallen,
sowie ein Drogeriemarkt. In den Obergeschossen der Häuser in diesem Quartier findet auch Wohnnutzung
statt. Nach Mitteilung der Beklagten sind dort 150 Personen mit Wohnsitz gemeldet. Viele Gaststätten in der
L.-Straße und der N.-Straße, insbesondere an der Kreuzung N.-Straße/U.-Straße und an der Einmündung der
N.-Straße und der L.-Straße in die K.-J.-Straße, verfügen über zum Teil ausgedehnte Freisitzflächen, die bei
warmer Witterung intensiv genutzt werden.
4
Mit Bescheid vom 04.11.2005 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die Gaststättenerlaubnis für die
Gaststätten "..." und "…" und gleichzeitig die Sondernutzungserlaubnis für die Außenbewirtschaftung einer
Freisitzfläche von 27 m² auf dem östlichen und weiteren 13 m² auf dem westlichen Gehweg der U.-Straße (wie
dies auch bereits gegenüber dem Vorgänger der Beigeladenen geschah). Eine Beschränkung der Betriebszeit
der Freisitzflächen erfolgte lediglich im Hinblick auf den Beginn der Bewirtschaftung (das Ende der Sperrzeit)
am Morgen. In Bezug auf das Ende der Betriebszeit (den Beginn der Sperrzeit) am Abend wurde keine
Regelung getroffen. Stattdessen enthält die Gaststättenerlaubnis (unter Nr. 8.) den Hinweis auf die
Rechtsverordnung der Beklagten für die Außenbewirtschaftung von Gaststätten vom 12.07.2007, nach der der
Beginn der Sperrzeit für die Außenbewirtschaftung im gesamten Stadtgebiet in den Nächten vor Samstag und
Sonntag sowie in den Nächten vor gesetzlichen Feiertagen auf 24.00 Uhr, an den übrigen Tagen auf 23.00 Uhr
festgesetzt worden ist.
5
Am 02.12.2005 erhob der Kläger gegen die Regelungen über die Zeiten für die Bewirtschaftung der
Freisitzflächen im diesem Bescheid der Beklagten vom 04.11.2005 Widerspruch.
6
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.04.2006 , dem Kläger zugestellt am 11.04.2006, wies das
Regierungspräsidium F. den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen
ausgeführt: Die Lärmimmissionen, über die der Kläger sich beschwere, seien nicht unzumutbar. In den letzten
zwei Jahren sei er der einzige Anwohner, der sich insoweit beschwert habe, obwohl sich in seinem Haus noch
fünf weitere Wohnungen befänden. Auch die Polizei habe den ordnungsgemäßen Betrieb der Freisitzflächen in
U.-Straße bestätigt. Die Umgebung entspreche einem Kerngebiet, in dem die Bewirtung von Gästen bis 23.00
Uhr ortsüblich sei.
7
Am 10.05.2006 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor: Durch Gäste der Gaststätten "..."
und "..." gingen massive Lärmbeeinträchtigungen aus. Insbesondere in den Abendstunden führe die
Außenbewirtung dazu, dass für die Anwohner des Gebäudes eine unzumutbare Lärmkulisse entstehe. Das
gelte insbesondere für ihn, dessen Wohnung sich im dritten Obergeschoss oberhalb der Gaststätte der
Beigeladenen befinde. Seine Wohnräume seien auf die Freisitzfläche in der U.-Straße ausgerichtet. Durch die
Gäste entstehe eine Lärmentwicklung, die nach der TA-Lärm 1998 unzulässig sei. Er wende sich nicht gegen
die Gaststätte der Beigeladenen an sich, sondern lediglich gegen die Verkürzung der Sperrzeit von 22.00 Uhr
auf 23.00 Uhr für die Außenbewirtung. Die Beklagte habe beim Erlass ihrer Rechtsverordnung vom 12.07.2005
(und zuvor vom 21.10.2003) keine sachgerechte Abwägung zwischen dem öffentlichen Bedürfnis an der
Verkürzung der Sperrzeit und den Belangen der Anwohner vorgenommen. Die Sperrzeitverkürzung auf der
Grundlage der Rechtsverordnung vom 12.07.2005 verursache in den Nachtstunden schädliche
Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes. Darauf könne er sich berufen, weil § 18
GastG einen Abwehranspruch des von der Lärmeinwirkung betroffenen Nachbarn normiere. Für die Beurteilung
sei insoweit die TA-Lärm 1998 maßgeblich, die auch Außenbewirtungsfläche der Beigeladenen als Betriebsteil
der Gaststätte gelte. Nach der TA-Lärm gälten Richtwerte von 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts außerhalb
von Gebäuden. Kurzzeitige Geräuschspitzen dürften diese Immissionsrichtwerte nachts um nicht mehr als 20
dB(A) überschreiten. Diese Werte würden durch den Betrieb der Freisitzflächen der Beigeladenen überschritten.
Darauf, ob sich außer ihm noch andere Anwohner beschwert hätten, komme es nicht an. Bei der Bewertung der
Lärmimmissionen müsse auch Berücksichtigung finden, dass neben dem allgemeinen Gaststättenlärm noch
der zusätzlich störende Informationsgehalt hinzukomme, der durch Gespräche, Zurufe und Gelächter von
Besuchern der Gaststätte verursacht würden. Auch der Fußgängerzufluss der Gäste, die sich in den
Sommermonaten um die meist überbelegten Sitzplätze bemühten, was mit weiteren Lärmbeeinträchtigungen
verbunden sei, müsse Berücksichtigung finden. Er selbst sei insbesondere in den Sommermonaten, die
besonders lärmintensiv seien, darauf angewiesen, seine Fenster zum Teil offen zu halten, um für einen
Temperaturausgleich und für Belüftung zu sorgen. Hinzu komme, dass die Beigeladene die geregelten
Sperrzeiten regelmäßig überschreite. Er habe schon mehrfach die Hilfe der Polizei in Anspruch nehmen
müssen, um die Beigeladene zu bewegen, die Gäste zum Verlassen der Freifläche aufzufordern. Bei einer
Überschreitung der Lärmrichtwerte der TA-Lärm sei davon auszugehen, dass auch bei geschlossenen Fenstern
und erst recht bei Fenstern in gekipptem Zustand die Aufwachgrenze erreicht sei und längerfristige
Gesundheitsgefährdungen zu befürchten seien. In der U.-Straße vor dem Haus, in dem er wohne, seien
inzwischen etwa 200 Sitzplätze aufgebaut, davon etwa 100 Sitzplätze vor der Gaststätte der Beigeladenen und
100 weitere vor der Gaststätte "...". Das sei eine erhebliche Erweiterung von ursprünglich etwa vier Tischen pro
Gaststätte mit jeweils drei oder vier Stühlen. Vor beiden Gaststätten befänden sich heute jeweils bis zu 24
Tische. Die Straße sei so zugestellt, dass auch die Feuerwehr Schwierigkeiten habe durchzukommen. Dass
die Beklagte das Gebiet in der näheren Umgebung als Kerngebiet einstufe, sei zutreffend. Dennoch müssten
seine Interessen nicht zurücktreten. Es sei anerkannt, dass ein öffentliches Bedürfnis für eine
Sperrzeitverkürzung dann nicht gegeben sei, wenn die Befriedigung eines entsprechenden Bedarfs nicht im
Einklang mit der Rechtsordnung stehe. Das gelte insbesondere, wenn mit der verlängerten Öffnungszeit
schädliche Umwelteinwirkungen verbunden seien. Im Übrigen verwahre er sich dagegen, von der Beklagten als
Querulant dargestellt zu werden. Im Haus L.-Straße 1 bis 3, in dem er wohne, befänden sich außer seiner
Wohnung noch fünf weitere Wohnungen. Eine davon werde nicht zu Wohnzwecken, sondern als Lager- und
Büroraum der Betreiber der Nachbargaststätte "..." genutzt. Eine weitere Wohnung werde von einem Mann
bewohnt, der für die Beigeladene arbeite. Im zweiten Obergeschoss befänden sich noch zwei weitere
Wohnungen, in denen zwei Rentner im Alter von etwa 80 Jahren lebten. Im vierten Obergeschoss befinde sich
eine Wohnung, die ebenfalls von einem Beschäftigten der Beigeladenen bewohnt werde. Dass die Mitarbeiter
der Gaststätten sich nicht über den Gaststättenlärm beschwerten, sei naheliegend. Es sei auch davon
auszugehen, dass der Vermieter ihnen vergünstigte Mietpreise eingeräumt habe mit der Maßgabe, diese
Lärmbeeinträchtigungen hinzunehmen. Auch an anderen Stellen in der Stadt sei es selbstverständlich, dass
die Anwohner sich für einen angemessenen Interessenausgleich zwischen ihnen und der Gastronomie
einsetzten. Die Behauptung der Beklagten, er sei weit und breit der einzige Anwohner, der sich in der F.-er
Innenstadt über Lärmbelästigungen beschwere, sei deshalb falsch. Entgegen der Auffassung der Beklagten
müsse der Lärm von Passanten, die auf den Freisitzflächen in der U.-Straße keinen Platz gefunden hätten und
entweder stehen blieben oder warteten, bis ein Platz freigeworden sei, oder die weiter gingen, weil sie keinen
Platz gefunden hätten, ebenfalls der Gaststätte der Beigeladenen zugerechnet werden. Es sei für die
Verhältnisse in der U.-Straße nicht zutreffend, dass ein reger Strom von Menschen sie aufsuche, sich dort
aufhalte und niederlasse, ohne dass ein Bezug zu den Freisitzflächen der dortigen Gaststätten bestehe. In der
U.-Straße gebe es für Passanten keine Möglichkeit, sich außerhalb der Freisitzflächen niederzulassen. Es
gebe dort keinen Lärm von Passanten, der nicht im Zusammenhang mit dem Gaststättenbetrieb stehe. Dass
der Gemeinderat die Interessen einzelner Bevölkerungskreise an ausgedehnten Freisitzaufenthalten den
Interessen der Anwohner vorgezogen habe, sei rechtlich ohne Belang.
8
Der Kläger beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 04.11.2005 und den Widerspruchsbescheid des
Regierungspräsidiums F. vom 07.04.2006 aufzuheben, soweit darin eine Bewirtschaftung der
Freisitzflächen in der U.-Straße durch die Beigeladene über 22.00 Uhr hinaus zugelassen wird;
10 hilfsweise:
11
die Beklagte zu verpflichten, den Beginn der Sperrzeit für die Bewirtschaftung der Freisitzflächen der
Gaststätte der Beigeladenen "..." in der U.-Straße an allen Tagen auf 22.00 Uhr festzusetzen.
12 Die Beklagte beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14 Zur Begründung trägt die Beklagte vor: Die Sperrzeit für Freisitzflächen in der Innenstadt sei allgemein durch
Rechtsverordnung allgemein festgelegt. Danach beginne die Sperrzeit täglich um 23.00 Uhr, in den Nächten
von Samstag auf Sonntag sowie vor gesetzlichen Feiertagen um 24.00 Uhr. Aufgrund dieser Rechtsverordnung
seien individuelle Regelungen über die Sperrzeit für Freisitzflächen in Gaststättenerlaubnissen überflüssig
geworden. Betriebszeitbeschränkungen wie früher hätten die Beigeladen eine Sperrzeitverlängerung bedeutet.
Diese habe aber nicht ausgesprochen werden können. Die für eine solche Sperrzeitverlängerung erforderlichen
Voraussetzungen seien jedoch nicht gegeben. Es bestehe ein solches Bedürfnis weder aufgrund örtlicher
Verhältnisse noch eines sonstigen öffentlichen Bedürfnisses. Die Gaststätte der Beigeladenen liege in einem
Kerngebiet, in dem sich zahlreiche weitere Gaststätten, die überwiegend ebenfalls Freisitzflächen ohne
besondere Sperrzeitregelung betrieben, sowie Vergnügungsstätten befänden. Die vorhandene bauliche Nutzung
im gesamten Verlauf der L.- und U.-Straße mit Einzelhandelsgeschäften und Gaststätten in den unteren
Stockwerken sowie Wohnnutzung in den oberen Etagen sei kerngebietstypisch. Eine erhöhte
Störungsempfindlichkeit durch diese tatsächliche bauliche Nutzung sei nicht zu erkennen. Auch die vom
Kläger behauptete Lärmintensivierung aufgrund der baulichen Situation, die einen Tunneleffekt erwirke, sei
nicht gegeben. An der Ecke L.-Straße/U.-Straße befinde sich ein kleiner unbebauter Platz. Das Gebäude auf
der Westseite der U.-Straße sei mit nur einem Stockwerk bedeutend niedriger als das viergeschossige Haus
auf der Ostseite, in dem der Kläger wohne. Somit könne der Schall nicht von einer gegenüberliegenden Mauer
direkt in die Wohnräume des Klägers reflektiert werden. Ähnliche Situationen gebe es übrigens in der gesamten
F.-er Innenstadt. Unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes wäre es nicht nachvollziehbar, wenn das "..."
seine Freisitzflächen nur bis 22.00 Uhr, die anderen Gaststätten aber bis 23.00 Uhr bzw. 24.00 Uhr betreiben
dürften. Auch ein öffentliches Bedürfnis für eine Sperrzeitverlängerung sei nicht gegeben. Der spätere Beginn
der Sperrzeit führe nicht zu einer unzumutbaren Belastung für die Anwohner. Denn die Polizei habe trotz
zahlreicher Kontrollen keine unzumutbaren Lärmbelästigungen festgestellt. Der Kläger sei der einzige, der
solche Beschwerden vorgebracht habe. Viele der Gast- und Vergnügungsstätten in der Nähe richteten sich an
junge Besucher. Charakteristisch sei die starke Frequentierung der Straßen durch Besucher, insbesondere in
den Abendstunden bis in die Nacht, verbunden mit einem häufigen Wechsel der Gäste zwischen den einzelnen
gastronomischen Betrieben, ohne dass diese Gäste unbedingt das "..." aufsuchten. Gerade in der warmen
Jahreszeit sei damit zu rechnen, dass ein reger Strom von Menschen die betreffende Gegend aufsuche und
sich dort auch außerhalb der Freisitzflächen der Gaststätten aufhalte. Es sei fraglich, ob nicht im Fall der
Einschränkung der Betriebszeit mit demselben Aufkommen von Passanten, die andere Gaststätten besuchten,
zu rechnen wäre. Hinzu komme, dass die dann frei geräumte Fläche Platz für Personen böte, um sich dort
(zum Beispiel mit mitgebrachten Getränken) niederzulassen. Entgegen der Behauptung des Klägers habe der
Gemeinderat beim Erlass der Rechtsverordnung nicht allein die Interessen der Gaststättenbetreiber in den
Vordergrund gestellt. Vielmehr sei ein öffentliches Bedürfnis festgestellt worden. Dem veränderten
Freizeitverhalten großer Bevölkerungskreise sei Rechnung getragen worden, indem ein Aufenthalt auf
bewirteten Außenflächen bis 23.00 Uhr ermöglicht worden sei. In diese Entscheidung seien die Belange der
Anwohner eingeflossen. Im Ergebnis habe das öffentliche Bedürfnis schwerer gewogen, zumal sich der Betrieb
von Freisitzflächen nach 22.00 Uhr witterungsbedingt nur auf die heißesten Tage des Jahres beschränke.
Außerdem gebe es Anhaltspunkte für eine Privatstreitigkeit zwischen dem Kläger und der Beigeladenen, die
möglicherweise die eigentliche Ursache für die Klage darstelle. Soweit das im gerichtlichen Verfahren
eingeholte Gutachten auf die TA-Lärm Bezug nehme, sei darauf hinzuweisen, dass die TA-Lärm auf
Freiluftgaststätten gerade gelte. Das liege daran, dass ein solcher Gaststättenbetrieb nicht ganzjährig
veranstaltet werde und ein besonderes soziales und kommunikatives Bedürfnis für solche Einrichtungen
(nämlich Freiluftgaststätten) bestehe. Insoweit wäre es naheliegender gewesen, auf die vom Länderausschuss
für Immissionsschutz verabschiedete Freizeitlärm-Richtlinie zurückzugreifen. Im Ergebnis dürfte sich an der
Bewertung jedoch kaum etwas ändern, da die Systematik der Freizeitlärm-Richtlinie der TA-Lärm entspreche.
Bei beiden Regelungswerken verbiete sich eine schematische Anwendung, da der Betrieb einer Freisitzfläche
ein komplexes Immissionsgeschehen darstelle. Es sei auch darauf hinzuweisen, dass die Geräuschbelastung
für den Kläger sich nicht monokausal aus den Freisitzflächen der Beigeladenen ergebe. Es sei zu bezweifeln,
ob die begehrte Sperrzeitverlängerung um eine Stunde überhaupt eine taugliche Maßnahme sei, um die im
dortigen Arial zuweilen herrschende Geräuschkulisse spürbar zu mindern. Diese Geräuschkulisse sei in
warmen Sommernächten wesentlich mitbestimmt durch den dort präsenten Passantenverkehr, der das
betreffende Quartier überwiegend nicht zügig und zielstrebig durchquere, sondern, wie es für das Flair dieses
Innenstadtgebiets typisch sei, das Flanieren zum Selbstzweck praktiziere, um Bekannte zu treffen oder sich
nach einem Platz auf einer der dort zahlreich vorhandenen Freisitzflächen umzuschauen. Wenn die Suche
nach einem freien Platz nicht auf Anhieb gelinge, werde das Karree ein zweites oder drittes Mal umrundet, weil
allein der Aufenthalt in der dortigen Atmosphäre als unterhaltsamer Eigenwert erlebt und genossen werde.
Diese spezifische und quartiersprägende Situation sei zu berücksichtigen. Eine Einschätzung des Lärmpegels
ohne die streitgegenständlichen Freisitzflächen sei nur schwer möglich. Die Wohnung des Klägers befinde sich
in Bezug auf die nächtliche Lärmsituation in einem vorbelasteten Gebiet, das zum Wohnen eigentlich nur für
Menschen geeignet sei, die sich mit den abendlichen und nächtlichen Geräuschkulissen dort arrangierten.
Wäre das Ruhebedürfnis des Klägers für die Planung dieses Gebiets maßgeblich, wären zahlreichen
Gaststätten in diesem Bereich erhebliche Restriktionen aufzuerlegen. Auch die gebietstypische Attraktivität
dieses Quartiers ginge weitgehend verloren und der Innenstadt würde ein kulturelles Identitätsmerkmal
entzogen. Zu berücksichtigen sei auch, dass sich das Arbeits- und Freizeitverhalten der Bevölkerung heute
weitgehend verändert habe. Die freien Werktage erlaubten es häufiger, den Abend länger als gewöhnlich
auszudehnen und bei einem Getränk mit Unterhaltung und Geselligkeit auf einer Freisitzfläche einer Gaststätte
zu erleben. Wegen der Nähe zur Universität würden die gastronomischen Betriebe in dem maßgeblichen
Bereich ohnehin überwiegend von studentischem Publikum aufgesucht.
15 Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie trägt jedoch vor: Die Behauptung des Klägers, einige Mieter in
seinem Haus seien Angestellte eine der beiden Gaststätten treffe nicht zu. Auch die beiden Rentner seien
keine Pflegefälle. Der Kläger verfolge mit seinen Beschwerde gegen ihren Betrieb vorwiegend wirtschaftliche
Gründe. In der Vergangenheit habe er versucht, von den Betreibern der Gaststätten eine "Entschädigung" in
Höhe von 500,-- DM pro Monat zu erhalten. Nachdem er mit diesen Versuchen gescheitert sei, habe er sich
offensichtlich darauf verlegt, die Gaststättenbetriebe zu vernichten. Wenn der Lärm den Kläger wirklich störte,
wäre er sicher schon längst weggezogen. Die Vermieterin des Klägers sei an einer Räumungsklage gegen ihn
interessiert und wünsche, in diesem Verfahren beigeladen zu werden, um Informationen für eine solche Klage
zu gewinnen.
16 Im Parallelverfahren 4 K 1637/05, in dem es um die benachbarten Freisitzflächen der Gaststätte "..." geht, hat
die Kammer zur Klärung der Frage, welche Geräuschimmissionen in der Zeit nach 22.00 Uhr durch den Betrieb
der auf die U.-Straße befindlichen Freisitzfläche der von den Beigeladenen geführten Gaststätte auf die
Wohnräume des Klägers einwirkten, mit Beschluss vom 07.02.2006 Beweis erhoben durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens. Mit Schreiben vom 01.02.2007 hat der Sachverständige sein schriftliches
Gutachten "Technischer Bericht Nr. TB_929760" vorgelegt. Es wurde auch an die Beteiligten dieses
Verfahrens, die bis auf die Beigeladene mit den Beteiligten des Verfahrens 4 K 1637/05 identisch sind,
übersandt. In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige sein schriftliches Gutachten erläutert und
zu Fragen des Gerichts und der Beteiligten Stellung genommen. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift
verwiesen.
17 Dem Gericht liegen die Akten der Beklagten über die gaststättenrechtlichen Angelegenheiten der Gaststätten
"..." und "..." sowie die Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums F. (jew. ein Heft) vor. Der Inhalt dieser
Akten sowie der Gerichtsakten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung; hierauf wird ergänzend Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
I.
18 Die Klage ist mit ihrem Hauptantrag als Anfechtungsklage unzulässig. Denn für eine solche Klage fehlt dem
Kläger das Rechtsschutzinteresse. Mit einem Obsiegen, das heißt mit einer (Teil-)Aufhebung der
gaststättenrechtlichen Erlaubnis für die Beigeladene vom 04.11.2005, wäre dem Kläger nicht gedient. Es gäbe
auch dann keine (rechtliche) Verpflichtung für die Beigeladene, den Betrieb ihrer Freisitzflächen in der U.-
Straße um 22.00 Uhr einzustellen; vielmehr bliebe es bei der allgemeinen Regelung in der "Rechtsverordnung
der Beklagten über die Festsetzung der Sperrzeit für die Außenbewirtschaftung von Gaststätten vom
12.07.2007" (im Folg.: SperrzeitVO), nach der die Freisitzflächen von Gaststätten täglich bis 23.00 Uhr bzw.
freitags und samstags sowie vor Feiertagen bis 24.00 Uhr betrieben werden dürfen. Zur Durchsetzung seines
Begehrens ist der Kläger auf eine Regelung (in Form eines Verwaltungsakts) angewiesen, durch die die
Beigeladene entweder als nachträgliche "Auflage" zur gaststättenrechtlichen Erlaubnis gemäß § 5 GastG ( zur
rechtlichen Natur einer solchen "Auflage" als selbständige Auflage vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom
10.06.1994, NVwZ-RR 1995, 654; VG München, Urteil vom 29.02.2000 - M 16 K 98.4698 - m.w.N. ) oder durch
einen selbständigen Verwaltungsakt verpflichtet wird. Dies kann der Kläger nicht mit einer Anfechtungsklage,
sondern nur mit einer Verpflichtungsklage erreichen.
II.
A)
19 Die hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage ist demgegenüber zulässig. Zwar hat der Kläger insoweit kein
Vorverfahren durchgeführt, doch ist die Klage hier abweichend von § 68 VwGO nach § 75 VwGO zulässig, weil
die Beklagte über einen Antrag des Klägers auf Vornahme (Erlass) eines Verwaltungsakts (bis heute) nicht
entschieden hat. Dieser Antrag ist in dem "Widerspruch" des Klägers vom 02.12.2005 gegen den Bescheid der
Beklagten vom 04.11.2005 zu sehen. In diesem Widerspruch hat der (juristisch nicht vorgebildete) Kläger auch
unter Berücksichtigung seiner Korrespondenz im parallelen Streit um die Freisitzflächen der benachbarten
Gaststätte "..." der Sache nach hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er sich gegen die
Öffnungszeiten für die Freisitzflächen der Beigeladenen in der U.-Straße über 22.00 Uhr hinaus wendet. Dabei
war für die Beklagte bei der nach den §§ 22 Satz 2, 25 LVwVfG gebotenen wohlwollenden an dem
Empfängerhorizont auszurichtenden Auslegung dieses "Widerspruchs" klar, dass der Kläger dieses Ziel mit
allen ihm juristisch gegebenen Mitteln und eben nicht nur mit dem Mittel des (Anfechtungs-)Widerspruchs
erreichen möchte ( zum Grundsatz der Meistbegünstigung bei der Auslegung von Anträgen und zum
maßgeblichen Empfängerhorizont vgl. Urteil der Kammer vom 18.05.2004 - 4 K 414/02 -; Kopp/Ramsauer,
Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2005, § 22 RdNrn. 36 und 38 sowie § 25 RdNrn. 11 f.;
Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl. 2001, § 22 RdNrn. 44 und 46 ff. sowie § 25
RdNrn. 30 und 34 ff.; speziell zu einem Fall wie dem vorliegenden vgl. Saarl. OVG, Urteil vom 29.08.2006 - 1 R
21 /06 - ). Dass der Kläger das betreffende Schreiben selbst als "Widerspruch" bezeichnet hat, ist unschädlich.
Allein der fehlerhafte Gebrauch juristischer Fachausdrücke - zumal von einem juristischen Laien - hindert eine
sach- und interessengerechte Auslegung von Anträgen nicht, wenn der wirkliche Wille des Antragstellers
hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt.
20 Da seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts (schon bei Erhebung der Klage und erst recht heute)
mehr als drei Monate verstrichen sind, kommt es für die Zulässigkeit der vorliegenden Verpflichtungsklage
nicht darauf an, ob ein zureichender Grund für die Untätigkeit der Beklagten bestand bzw. besteht. Dies ist
ohnehin nur insoweit von Bedeutung, als das Gericht bei Vorliegen eines zureichenden Grunds für die
Untätigkeit der Behörde das Verfahren nach § 75 Satz 3 VwGO aussetzen müsste ( Kopp/Schenke, VwGO,
14. Aufl. 2005, § 75 RdNr. 9 ). Die falsche Auslegung bzw. die Verkennung einer Eingabe eines Bürgers als
Antrag oder als Widerspruch von Seiten der Behörde stellt in keinem Fall einen zureichenden
Verzögerungsgrund im Sinne von § 75 Satz 1 und 3 VwGO dar ( vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 75 RdNr. 15 ),
so dass das Klageverfahren auch nicht auszusetzen war.
21 Dem Kläger kann auch ein Rechtsschutzinteresse für seine Klage selbst dann nicht abgesprochen werden,
wenn er zuvor (vergeblich) versucht haben sollte, mit anderen (zivilrechtlichen) Mitteln, die von der
Beigeladenen als unlauter angesehen werden, gegenüber dem Vermieter seiner Wohnung und/oder gegenüber
der Beigeladenen einen finanziellen Ausgleich für die von ihm beanstandeten Lärmeinwirkungen durch den
Gaststättenbetrieb zu erlangen.
B)
22 Die (Verpflichtungs-)Klage ist auch begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch darauf, dass
sie gegenüber der Beigeladenen den Beginn der Sperrzeit für die Bewirtschaftung der Freisitzflächen der
Gaststätte "..." in der U.-Straße an allen Tagen auf 22.00 Uhr festsetzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO ).
23 Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass die (kleinere) zur Gaststätte "..." gehörende Freisitzfläche der
Beigeladenen in der L.-Straße nicht Klagegegenstand ist.
24
1.
sind die §§ 18 GastG sowie 11 und 12 GastVO ( BVerwG, Urteil vom 07.05.1996, NVwZ 1997, 276; VGH Bad.-
Württ., Urteil vom 27.06.2002, NVwZ-RR 2003, 204; Saarl. OVG, Urteil vom 29.08.2006, a.a.O. ).
25 Die Sperrzeit für die Außenbewirtung von Gaststätten ist im gesamten Stadtgebiet von F. durch die
SperrzeitVO der Beklagten allgemein so festgesetzt, dass sie täglich um 23.00 Uhr bzw. vor Samstagen,
Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen um 24.00 Uhr beginnt. Ob diese SperrzeitVO im Hinblick auf die ihr
zugrunde liegende abstrakt-generelle Abwägung der zu berücksichtigenden widerstreitenden Interessen ohne
Berücksichtigung der in jedem Einfall maßgeblichen immissionsschutzrechtlichen Anforderungen rechtmäßig
oder rechtswidrig und damit nichtig ist ( vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 28.01.1999, NVwZ 1999, 651, betr. die
bayer. BiergartenVO; zu möglichen anderen Nichtigkeitsgründen s. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.08.2004,
NVwZ-RR 2005, 243 ), kann hier dahingestellt bleiben. Denn eine Entscheidung hierüber wäre für das Begehren
des Klägers ohne Bedeutung, da im Fall der Nichtigkeit der SperrzeitVO die allgemeine Sperrzeit nach § 9
GastVO sogar erst um 02.00 Uhr bzw. 03.00 Uhr und damit noch deutlich später begänne als nach der
städtischen SperrzeitVO.
26 Nach den genannten §§ 18 Satz 2 GastG und 12 Satz 1 GastVO kann bei Vorliegen eines öffentlichen
Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse die Sperrzeit verlängert, befristet und widerruflich verkürzt
oder aufgehoben werden. Dem steht auch die SperrzeitVO der Beklagten nicht entgegen, denn § 3 Abs. 2 Satz
2 SperrzeitVO lässt ausdrücklich Raum für die Anwendung von § 12 GastVO. Hier geht es dem Kläger um eine
Vorverlegung des Beginns der (allgemeinen) Sperrzeit und damit um deren Verlängerung. Die §§ 18 GastG und
12 GastVO haben nach allgemeiner Auffassung auch dritt- bzw. nachbarschützenden Charakter, so dass der
Kläger sich als Nachbar der Gaststätte der Beigeladenen zur Begründung einer eigenen Rechtsverletzung ( im
Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 5 Satz 1 VwGO ) auf sie berufen kann ( vgl. u. a. BVerwG, Urteil
vom 07.05.1996, a.a.O.; Saarl. OVG, Urteil vom 29.08.2006, a.a.O; Michel/Kienzle/Pauly, Das
Gaststättengesetz, 14. Aufl. 2003, § 18 RdNrn. 25 und 32 m.w.N. ). Da es hier nicht um das Eigentum,
sondern um andere Rechtsgüter, wie sie insbesondere im Immissions-schutzrecht geschützt werden, geht,
besteht dieses (Abwehr-)Recht auch zu Gunsten eines Mieters ( vgl. allgemein zum Bau- und
Immissionsschutzrecht Dürr, Baurecht, 11. Aufl. 2004, RdNr. 256 m.w.N. ).
27
2.
Bedürfnis für eine Verlängerung der Sperrzeit liegt vor, wenn hinreichende Gründe vorliegen, die ein Abweichen
von der allgemein festgesetzten Sperrzeit im Interesse der Allgemeinheit rechtfertigen. Das ist dann der Fall,
wenn die Ausnutzung der allgemeinen Sperrzeit nicht im Einklang mit der Rechtsordnung oder anderen von der
Verwaltung zu wahrenden Belangen steht, also dem Gemeinwohl zuwider läuft, was vor allem dann vorliegt,
wenn durch die Betriebszeiten einer Gaststätte schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne der §§ 3, 22
BImSchG verbunden sind. Darunter sind Immissionen zu verstehen, die nach Art und Ausmaß oder Dauer
geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die
Nachbarschaft herbeizuführen ( BVerwG, Urteil vom 07.05.1996, VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.06.2002, und
Saarl. OVG, Urteil vom 29.08.2006, jew. a.a.O. ). Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das
Interesse der Nachbarn einer Gaststätte an einer ungestörten Nachtruhe ( BVerwG, Urteil vom 07.05.1996,
a.a.O.; VG Neustadt/W., Urteil vom 21.09.2006 - 4 L 1432/06.NW - m.w.N. ).
28 Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sind nicht genehmigungsbedürftige Anlagen im Sinne des
Bundesimmissionsschutzgesetzes, zu denen auch Gaststätten gehören, so zu errichten und zu betreiben,
dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind.
Schädliche Umwelteinwirkungen sind nach § 3 Abs. 1 BImSchG Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder
Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder
die Nachbarschaft herbeizuführen. Wo dabei die Grenze der erheblichen Belästigung liegt, hängt von den vom
Tatsachengericht zu würdigenden Umständen ab. Soweit es um Lärmeinwirkungen geht, kommt es darauf an,
ob diese - bezogen auf das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen, nicht auf die individuelle
Einstellung eines besonders empfindlichen Dritten - das zumutbare Maß überschreiten. Dabei bestimmt sich
das, was als zumutbar hinzunehmen ist, einmal nach der Lärmart und der Intensität der Geräusche, die - wo
dies angezeigt ist - nach dem einschlägigen technischen Regelwerk ermittelt werden kann, zum andern aber
auch nach der gegebenen Situation, in der Lärmquelle und Immissionsort sich befinden. Bei der Frage der
Zumutbarkeit der Lärmeinwirkungen sind auch wertende Gesichtspunkte als Kriterien heranzuziehen, wie z. B.
die Sozialadäquanz und Akzeptanz spezieller Geräusche in der Bevölkerung. Die Zumutbarkeit von
Lärmeinwirkungen kann nicht ohne die bauliche Situation beurteilt werden. Denn die Schutzwürdigkeit richtet
sich nach der materiellen baurechtlichen Lage ( BVerwG, Urteil vom 07.05.1996, a.a.O., m.w.N. ).
29
2.1
Lärmeinwirkungen und deren gaststättenrechtliche Zulässigkeit beurteilt sich anhand der Regelungen der
aufgrund von § 48 BImSchG erlassenen Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm in der geltenden
Fassung vom 26.08.1998 ( GMBl. 1998, 503 ) - TA-Lärm 1998. Da die TA-Lärm 1998 ausdrücklich auch für
Anlagen gilt, die keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedürfen, findet sie u. a. auch auf
Gaststätten unmittelbar Anwendung. Das gilt auch für Freisitzflächen von Gaststätten, die wie im vorliegenden
Fall lediglich einen Teil des Gaststättenbetriebs bilden und deshalb nicht unter den Begriff der (selbständigen)
"Freiluftgaststätten" fallen, die nach der TA-Lärm 1998 ausdrücklich von ihrem Anwendungsbereich
ausgenommen sind ( vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.06.2002, a.a.O. ). Die Kammer folgt deshalb
nicht der Auffassung der Beklagten, als technisches Regelwerk zur Beurteilung der Lärmimmissionen sei statt
der TA-Lärm 1998 die Freizeitlärm-Richtlinie des Länderausschusses für Immissionsschutz ( NVwZ 1997, 469 )
anzuwenden. Darauf kommt es jedoch im Ergebnis nicht an. Denn auch die Anwendung dieser Freizeitlärm-
Richtlinie würde im vorliegenden Fall zu keinen wesentlich anderen Ergebnissen führen, wie der gerichtliche
Sachverständige in seinem Schreiben vom 30.04.2007 und in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat und
wie auch von der Beklagten selbst eingeräumt wird.
30
2.2
der Schutzwürdigkeit des Immissionsorts, hier der näheren Umgebung der Wohnung des Klägers, und dessen
bauplanungsrechtlicher Zuordnung ab. Da für dieses Gebiet kein Bebauungsplan existiert, kommt es auf die
Beurteilung nach § 34 Abs. 1 oder Abs. 2 BauGB an. Alle Beteiligten gehen übereinstimmend davon, dass das
Gebiet, in dem sich die Gaststätte der Beigeladenen und die Wohnung des Klägers befinden, einem Kerngebiet
im Sinne von § 7 BauNVO entspreche. Das trifft auch nach Auffassung der Kammer in Bezug auf die
Schutzwürdigkeit dieses Gebiets gegenüber Lärmimmissionen im Ergebnis zu, ohne dass es hier allerdings
darauf ankäme, dieses Gebiet definitiv als Kerngebiet im Sinne der §§ 34 Abs. 2 BauGB, 7 BauNVO zu
qualifizieren. Für eine solche Einstufung als Kerngebiet spricht die Lage des Gebiets im Zentrum der
Innenstadt von F. und die starke Prägung der baulichen Nutzungen in der näheren Umgebung (in der U.-Straße,
der L.-Straße, der N.-Straße und der südlichen K.-J.-Straße) durch Schank- und Speisewirtschaften,
Vergnügungsstätten (Diskotheken und Spielhallen), Einzelhandelsbetriebe und Anlagen für kulturelle Zwecke
(Universität), also Anlagen nach § 7 Abs. 1 und 2 Nrn. 2 und 4 BauNVO. Gegen ein Kerngebiet spricht zwar der
Umstand, dass in diesem Gebiet auch in erheblichem Umfang Wohnnutzung stattfindet - nach Auskunft der
Beklagten sind dort 150 Personen, darunter aber wohl auch einige in diesem Quartier tätige Gewerbetreibende
sowie meist jüngere Menschen, wohl Studenten, mit Wohnsitz gemeldet - und dass diese Wohnungen nicht nur
von Aufsichts- und Bereitschaftspersonen oder Betriebsinhabern und Betriebsleitern ( im Sinne von § 7 Abs. 1
Nr. 6 BauNVO ) genutzt werden. Solche in einem Kerngebiet ( nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO ) nur
ausnahmsweise zulässigen Wohnnutzungen sprechen auf der einen Seite eher für eine höhere
Schutzwürdigkeit dieses Gebiets im Hinblick auf Lärmimmissionen. Auf der anderen Seite steht dem jedoch
der insoweit gegenläufige (den zuvor genannten "neutralisierende") Gesichtspunkt gegenüber, dass speziell
das Gebiet westlich der K.-J.-Straße in dem von der L.-Straße, der U.-Straße und der N.-Straße gebildeten
Straßendreieck aufgrund der starken Massierung von Gaststätten und Vergnügungsstätten und der erheblichen
Freiluftaktivitäten dort Elemente eines Sondergebiets für Gast- und Vergnügungsstätten aufweist, in dem eher
mit höheren Lärmimmissionen (als in einem Kerngebiet) gerechnet werden muss.
31
2.3
Immissionsrichtwerte für ein Kerngebiet in der Nachtzeit, die nach der Nr. 6.4 der TA-Lärm 1998 (ebenso wie
nach anderen technischen Regelwerken zur Beurteilung von Lärmimmissionen) grundsätzlich um 22.00 Uhr und
nicht etwa (wegen der Zeitumstellung) in der Sommerzeit erst um 23.00 Uhr beginnt ( vgl. u. a. Bayer. VGH,
Urteil vom 08.05.1996, NVwZ 1996, 339 ), durch den Betrieb der Freisitzflächen in der U.-Straße erheblich
überschritten. Nach Nr. 6.1 der TA-Lärm 1998 gilt für Kerngebiete nachts ein (nach Nr. 6.4 als Stundenmittel zu
ermittelnder) Richtwert von 45 dB(A); außerdem dürfen kurzzeitige Geräuschspitzen diesen Richtwert nachts
um nicht mehr als 20 dB(A) überschreiten. Wie sich aus dem schriftlichen und in der mündlichen Verhandlung
mündlich erläuterten Gutachten des Sachverständigen des TÜV-Süd, Dipl.-Ing. E., ergibt, beträgt der von
diesen Freisitzflächen auf die beiden zur U.-Straße ausgerichteten Fenster der Wohnung des Klägers
einwirkende Dauerschallpegel bei einer weitestgehend vollen Auslastung der Sitzgelegenheiten insgesamt etwa
60 dB(A).
32 Soweit im schriftlichen Gutachten hierzu exakte Werte von 60,3 bzw. 59,6 dB(A) angegeben sind, auf die hier
nicht mehr zurückgegriffen wird, beruht das darauf, dass der Sachverständige (ebenso wie die Kammer)
zunächst davon ausging, dass der Kläger in dem Gebäude oberhalb der Gaststätte der Beigeladenen "..."
wohnt und nicht, wie sich in der mündlichen Verhandlung herausgestellt hat, oberhalb (im Dach) der
Nachbargaststätte der Beigeladenen. Dies führt nach den mündlichen Ausführungen des Sachverständigen
zum einen dazu, dass die für die Freisitzflächen der jeweiligen Gaststätten ermittelten Immissionswerte
ausgetauscht werden müssen, das heißt für die jeweils andere Gaststätte gelten, und zum anderen dazu, dass
diese Immissionswerte nicht mehr so exakt, das heißt bis auf Stellen hinter dem Komma, angegeben werden
können, wie das noch im schriftlichen Gutachten der Fall war.
33 Im Ergebnis bedeutet das, dass insoweit eine Überschreitung der Richtwerte um etwa 15 dB(A) vorliegt. Damit
erreichen die Lärmimmissionen bei voller Belegung der Freisitzflächen die Grenze der Richtwerte, wie sie in
einem Kerngebiet allenfalls am Tag (zwischen 06.00 Uhr und 22.00 Uhr) zulässig sind. Dabei fällt es nicht
nennenswert ins Gewicht, ob man die Lärmeinwirkungen allein auf die zur Gaststätte der Beigeladenen
gehörenden Freisitzflächen bezieht oder ob man in die Beurteilung auch die unmittelbar benachbarten etwa
gleich großen Freisitzflächen der Gaststätte "..." in der U.-Straße einbezieht, die Gegenstand des parallelen
Rechtsstreits des Klägers gegen die dort verantwortlichen Betreiber ( 4 K 1637/05 ) sind - für eine solche
Summierung spricht allerdings angesichts der Regelung in Nr. 2.4 Abs. 3 der TA-Lärm 1998, wonach als
Gesamtbelastung die Belastung eines Immissionsorts gilt, die von allen Anlagen, für die die TA-Lärm 1998 gilt,
hervorgerufen wird ( vgl. hierzu Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 10 RdNr. 318 ),
sowie in Anbetracht der Umstände, dass auch für die benachbarten Freisitzflächen keine gegenüber dem
Kläger unanfechtbare Festsetzung von Sperrzeiten getroffen wurde und dass beide Flächen auf den
unbefangenen Betrachter wie eine große Freisitzfläche einer Gaststätte wirken, Überwiegendes. Denn allein die
von den Gästen auf den Freisitzflächen der Beigeladenen ausgehenden Lärmimmissionen an den beiden
Immissionsorten liegen - unter Berücksichtigung des Umstands, dass die im schriftlichen Gutachten für die
Gaststätte "..." ermittelten Werte in Wahrheit für das "..." gelten ( siehe oben ) - mit gut 58 dB(A) im Verhältnis
zum zulässigen Richtwert von 45 dB(A) nur unerheblich unter der (oben genannten) Gesamtbelastung und
damit immer noch in erheblicher Weise über den zulässigen Richtwerten. Eine solche Überschreitung der
Richtwerte stellt nach Auffassung der Kammer für den Kläger eine deutliche Überschreitung der
Zumutbarkeitsgrenze dar.
34 Darauf, ob auch die Geräuschspitzen den zulässigen Richtwert überschreiten (wofür hier eher weniger spricht),
kommt es hiernach nicht an.
35 Bei der weiteren Bewertung des ermittelten Dauerschallpegels ist zu berücksichtigen, dass das vom Gericht
eingeholte Lärmgutachten nicht auf einer Messung, sondern auf einer Prognose beruht und dass den in diesem
Gutachten ermittelten Lärmimmissionen in erster Linie allgemein anerkannte Erfahrungswerte zugrunde liegen,
die in anderen Fällen menschlicher Freiluftaktivitäten (z. B. in Biergärten) erhoben worden sind. Danach hat der
Sachverständige unter Berücksichtigung der besonderen örtlichen Gegebenheiten errechnet, welche
Emissionen von der Anzahl von Gästen, die auf den Freisitzflächen in der U.-Straße (mit jeweils 22 Tischen zu
je vier Stühlen pro Gaststätte) Platz finden, typischerweise ausgehen und in welcher Stärke sie am
maßgeblichen Immissionsort, das heißt vor den geöffneten Fenstern des Klägers ( vgl. hierzu Nr. 1.3 des
Anhangs zur TA-Lärm 1998 ), ankommen. Soweit der Sachverständige in seinem Gutachten eine Messung
erwähnt, diente sie einzig dazu, die rechnerisch ermittelten Emissionen abzusichern. Aufgrund dieses
Zusammenspiels von Erfahrungswerten und parallel durchgeführter Messung erhielt der Sachverständige eine
weitestgehende Gewissheit über die Validität der von ihm zugrunde gelegten Emissionswerte. Weiter ist zu
berücksichtigen, dass der Sachverständige, wie er in der mündliche Verhandlung ausgeführt hat, im Vergleich
zu den Werten, die in einer zum Lärm aus Biergärten ergangenen Studie ermittelt worden sind, im vorliegenden
Fall (zu Gunsten der Gaststättenbetreiber) eher das untere Spektrum der in Betracht kommenden
Emissionswerte zugrunde gelegt hat, weil er bei seinem Ortstermin den Eindruck gewonnen hatte, dass es sich
bei dem Publikum, das die Freisitzflächen der Beigeladenen aufzusuchen pflegt, eher um einen "gesitteten"
Personenkreis handelt, der nicht durch trunkenheitsbedingte "Lärmexzesse" auffällt. Aus diesem Grund hat er
bei seinen Berechnungen auch keine Zuschläge für auffällige Geräuschspitzen eingerechnet. Vielmehr ist er
lediglich von dem Grundpegel ausgegangen, der von etwa 85 Personen auf den Freisitzflächen der
Beigeladenen bzw. etwa 170 Personen auf den Freisitzflächen der beiden benachbarten Gaststätten auf die
Immissionsorte (vor den Fenstern des Klägers) einwirkt. Ob diese für die Beigeladenen günstigen Annahmen
ausnahmslos zutreffen, das heißt, ob es tatsächlich zutrifft, dass die Freisitzflächen der Beigeladenen niemals
oder zumindest nur höchst selten von Betrunkenen aufgesucht werden, und ob den auf den Freisitzflächen
geführten Gesprächen an den maßgeblichen Immissionsorten durchweg der Informationsgehalt fehlt, der einen
Zuschlag ( nach Nr. 3.3.5 des Anhangs zur TA-Lärm 1998 ) rechtfertigen oder gar gebieten würde, kann hier
dahingestellt bleiben. Denn bereits die von den Freisitzflächen ausgehende Grundbelastung liegt bei Weitem
über den für ein Kerngebiet zulässigen Richtwerten.
36
2.4
Beklagten, der ermittelte Beurteilungspegel werde auch oder gar in erster Linie durch Fremdgeräusche
verursacht, die den Freisitzflächen der Beigeladenen und der benachbarten Gaststätte nicht zurechnet werden
können, nicht gefolgt werden kann. Vielmehr ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen, dass 85
bzw. 170 Personen, die die Freisitzflächen in der U.-Straße aufsuchen, unter Berücksichtigung der besonderen
Örtlichkeiten unabhängig von sonstigen möglichen Lärmquellen vor den Fenstern des Klägers den ermittelten
Beurteilungspegel erzeugen. Eine andere Beurteilung wäre rechtlich nur dann geboten, wenn der Lärm anderer
Lärmquellen mindestens ebenso stark wäre wie der von den Gästen auf den Freisitzflächen ausgehende Lärm,
das heißt, wenn der Fremdlärm so stark wäre, dass man die Bewirtschaftung der Freisitzflächen durch die
Beigeladene und die benachbarte Gaststätte geradezu "hinwegdenken" könnte, ohne dass sich an der
Überschreitung der Lärmrichtwerte für den Kläger etwas ändern würde. Das kann hier jedoch ausgeschlossen
werden. Zwar geht auch die Kammer davon aus, dass auch Personen, die die Freisitzflächen der beiden
Gaststätten in der U.-Straße nicht zum Ziel haben, insbesondere Passanten in der L.-Straße, die die dort oder
weiter in der Innenstadt gelegene Lokalitäten aufsuchen, Lärm und damit eine gewisse Vorbelastung
verursachen. Doch werden dadurch, wie der Sachverständige zutreffend festgestellt hat, im Wesentlichen nur
vereinzelte Lärmspitzen verursacht, die sich auf den hier für den Kläger, dessen Fenster zur U.-Straße hin
ausgerichtet sind, maßgeblichen Dauerschallpegel nicht relevant auswirken. Die U.-Straße selbst, in der sich
die hier angegriffenen Freisitzflächen befinden, weist im Übrigen - anders als andere Straßenzüge in der
Nachbarschaft - außer diesen Freisitzflächen keine gastronomischen oder sonstigen Attraktivitäten auf, die
diese Straße zum Ziel für Passanten machen oder gar zum längeren Verweilen einladen würden. Abgesehen
davon hat der Sachverständige in seinem Gutachten überzeugend dargelegt, dass sich nach seinen beim
Augenschein gewonnenen Erkenntnissen der Großteil des Fußgängerverkehrs zumindest in der U.-Straße auf
der Suche nach einem freien Platz auf den Freisitzflächen der dortigen (beiden) Gaststätten befand, so dass
der dadurch entstehende Lärm auch diesen Freisitzflächen zugerechnet werden muss.
37
2.5
Ereignissen kommt im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung. Denn der Betrieb der Freisitzflächen über 22.00
Uhr hinaus stellt keine voraussehbare Besonderheit dieses Betriebs im Sinne der Nr. 7.2, sondern zumindest in
der warmen Jahreszeit eher den Regelfall dar und außerdem beschränken sich die Ereignisse nicht auf
höchstens zehn Tage oder Nächte bzw. auf höchstens zwei aufeinander folgende Wochenende. Darüber hinaus
würden aber selbst die für seltene Ereignisse zulässigen Richtwerte von 55 dB(A) nachts im vorliegenden Fall
überschritten ( vgl. hierzu die Nrn. 6.3 und 7.2 der TA-Lärm 1998 ).
38
2.6
kommen. Nach dieser Regelung, die dem zuvor erwähnten geänderten Freizeitverhalten der Bevölkerung
(maßvoll und sachgerecht) Rechnung trägt, kann die Nachtzeit bis zu einer Stunde hinausgeschoben werden,
soweit dies wegen der besonderen örtlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung des Schutzes vor schädlichen
Umwelteinwirkungen erforderlich ist. Eine achtstündige Nachtruhe muss aber für die Nachbarschaft im
Einwirkungsbereich der Anlage sichergestellt sein. Eine solche achtstündige Nachtruhe ist im vorliegenden Fall
jedoch nach den eigenen Angaben der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht hinreichend
sicher gewährleistet. Die Straßen in der Innenstadt sind nach der verkehrs- und wohl auch straßenrechtlichen
Regelung morgens ab 05.00 Uhr befahrbar und um diese Uhrzeit setzt auch der Anlieferverkehr in der
Innenstadt ein. Für die U.-Straße bedeutet das, dass der an der Ecke U.-Straße/L.-Straße befindliche
Drogeriemarkt mindestens einmal wöchentlich in den frühen Morgenstunden, nach gegenwärtiger Praxis der
Marktleitung zwischen 06.00 Uhr und 06.30 Uhr, beliefert wird. Außerdem wird die U.-Straße nach dem Vortrag
der Vertreter der Beklagten ebenfalls bereits in aller Frühe (deutlich vor 07.00 Uhr) mehrfach von den
Straßenreinigungsmaschinen der Abfallwirtschaft und Stadtreinigung F. GmbH (ASF) befahren, weil gerade das
Quartier westlich der K.-J.-Straße und südlich der B.-Straße in den Nächten, gerade in den Nächten vor einem
arbeitsfreien Tag, besonders stark verunreinigt werde und einer gründlichen Reinigung bedürfe, die ein
mehrmaliges Durchfahren des Straßendreiecks L.-/N.-/U.-Straße mit Kehrmaschinen und einen frühen Beginn
der Stadtreinigung erfordere. Darüber hinaus ist auch nicht sichergestellt, dass die Anlieferung der Gaststätten
in der Umgebung, insbesondere auch der beiden Gaststätten "..." und "..." selbst, nicht bereits vor 07.00 Uhr
beginnt. Nach den Auskünften des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung reiche jedoch bereits ein
Anlieferungsvorgang mit einem Lkw, um in der maßgeblichen örtlichen Situation den für die Nachtzeit
maßgeblichen Richtwert von 45 dB(A) zu erreichen.
39
2.7
Lärm 1998 geht die Kammer durchaus davon aus, dass die TA-Lärm 1998 keine (Rechts-)Norm ist und dass
die Lärmrichtwerte der TA-Lärm 1998 nicht schematisch anzuwenden sind, sondern lediglich eine
Entscheidungshilfe im Rahmen einer wertenden Abwägung der widerstreitenden privaten und öffentlichen
Interessen darstellen.
40 Dementsprechend hat die Kammer, obwohl dies bereits für die Einstufung der Schutzwürdigkeit dieses Gebiets
als Kerngebiet maßgeblich war ( siehe oben ), in diese Abwägung auch eingestellt, dass das hier maßgebliche
Quartier in ganz besonderer Weise ein Anziehungspunkt für überwiegend jugendliche Besucher von
Gaststätten und Diskotheken ist und dass dieses Quartier, insbesondere die N.-Straße und die L.-Straße,
abends und nachts auch durchaus von vielen Personen passiert wird, die nicht allein die Freisitzflächen der
Gaststätten in der U.-Straße zum Ziel haben ( siehe oben ), und dass dies allen Personen, die in diesem
Quartier wohnen, (auch dem Kläger) bewusst ist oder bewusst sein muss. Allerdings ist insoweit zu bemerken,
dass die Bewirtung im Freien nach 22.00 Uhr dort kein so altes und für die Innenstadt so
identifikationsstiftendes Phänomen darstellt, wie die Beklagte behauptet. Immerhin gibt es die SperrzeitVO,
nach der erstmals eine Bewirtung über 22.00 Uhr hinaus zulässig sein soll, erst seit Oktober 2003.
41 In diese Abwägung wurde ferner auch das wirtschaftliche Interesse der Beigeladenen sowie ihre
Konkurrenzsituation zu anderen Gaststättenbetreibern in der Umgebung eingestellt, die ihre Freisitzflächen
innerhalb der allgemeinen Sperrzeit (bis 23.00 Uhr bzw. 24.00 Uhr) unbeanstandet betreiben dürfen. Weiter
waren auch das sich in den letzten Jahren gewandelte Freizeitverhalten der Bevölkerung und das damit
einhergehende öffentliche Interesse an einem abendlichen/nächtlichen Verweilen auf der Freisitzfläche einer
Gaststätte in Zentrum der Stadt, das durch die vom Gemeinderat der Beklagten beschlossene SperrzeitVO in
gewisser Weise eine öffentliche Anerkennung gefunden hat, (zu Gunsten einer Verlängerung der Betriebsdauer)
in diese Abwägung einzustellen.
42 Doch fallen alle diese Gesichtspunkte angesichts der eklatanten Überschreitung der maßgeblichen Richtwerte
um etwa 15 dB(A), bezogen auf den Gesamtbeurteilungspegel der Freisitzflächen beider Gaststätten, bzw.
etwa 13 dB(A), bezogen auf den allein von den Freisitzflächen der Beigeladenen ausgehenden
Beurteilungspegel, nicht entscheidend ins Gewicht ( eine Steigerung um 3 dB(A) bedeutet etwa eine
Verdoppelung der Lärmquelle; zu den schallphysikalischen Grundlagen vgl. Sparwasser/Engel/Voßkuhle,
a.a.O., § 10 RdNrn. 36 ff. ). Eine durchgehende Geräuschkulisse von etwa 60 dB(A) in der als Nachtzeit
geschützten Zeit zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr bzw. 24.00 Uhr ist auch in einem Gebiet mit an sich
geminderter Lärmschutzwürdigkeit wie einem Kerngebiet für eine Wohnnutzung unter keinem der in Betracht
kommenden Gesichtspunkten mehr zumutbar. Das gilt auch in Anbetracht der Tatsache, dass die
Lärmbeeinträchtigungen durch die Freisitzflächen typischerweise nur in der wärmeren Jahreszeit und auch nur
an den Tagen auftreten, die zu einem (längeren) Verweilen am Abend im Freien einladen. Denn immerhin sind
solche Tage in F., das für sein warmes Klima bekannt ist, recht zahlreich und sie erstrecken sich, wie gerade
die jüngere Vergangenheit gezeigt hat, in der Zeit zwischen April und Oktober zum Teil auch über längere
durchgehende Zeiträume (von mehreren Tagen und Wochen). In dieser Zeit, die einen erheblichen Teil des
Jahres ausmacht, ist der Kläger damit in seiner Nachtruhe gestört. Nach dem geltenden Recht sowie der TA-
Lärm 1998 und allen anderen technischen Regelwerken über Lärmschutz genießt jedoch die Nachtzeit als
Phase der Ruhe, der Erholung und des Schlafes grundsätzlich besonderen Schutz ( vgl. Saarl. OVG, Urteil
vom 29.08.2006, a.a.O.; Bayer. VGH, Urteil vom 08.05.1996, NVwZ 1996, 1038; VGH Bad.-Württ., Beschluss
vom 10.03.1995, NVwZ-RR 1995, 517; VG Neustadt/W., Urteil vom 21.09.2006, a.a.O.; VG München, Urteil
vom 29.02.2000 - M 16 K 98.4698 - ).
43 Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Kläger - nach Darstellung der Beklagten und der Beigeladenen
- der einzige Bewohner des Quartiers ist, der sich über den Lärm der Freisitzflächenbewirtschaftung beschwert
(hat). Denn der Umstand, dass andere Anwohner sich nicht beschwert haben, mag zahlreiche Ursachen haben.
Diese können darin begründet sein, dass zahlreiche Bewohner dieses Quartiers einen anderen Tagesrhythmus
haben oder gegenüber (Gaststätten-)Lärm unempfindlicher sind als der Kläger und die Menschen, an deren
Lebensgewohnheiten sich die maßgeblichen Regelungen im Immissionsschutzrecht und speziell in der TA-
Lärm 1998 nach wie vor orientieren. An diese (zur Zeit geltenden) Regelungen ist auch die Kammer gebunden.
Die Ursachen können darüber hinaus aber auch darin begründet sein, dass viele Anwohner - u. a. angesichts
der geltenden SperrzeitVO und/oder der Verwaltungspraxis der Beklagten - davon abgesehen haben, gegen
(nächtliche) Lärmbeeinträchtigungen durch Freisitzflächen von Gaststättenbetrieben vorzugehen.
44
2.8
Tatbestandsalternative der §§ 18 GastG und 12 GastVO erfüllt ist, das heißt, ob (daneben) auch besondere
örtliche Verhältnisse für den Beginn der Sperrzeit um 22.00 Uhr sprechen, kann hier dahingestellt bleiben.
45
3.
Ermessensspielraum der Beklagten zu Gunsten des Klägers auf Null geschrumpft und die Sache damit
spruchreif im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Eine Verlegung des Beginns der Sperrzeit auf eine Zeit
nach 22.00 Uhr widerspricht dem öffentlichen Bedürfnis im Sinne der §§ 18 GastG und 12 GastVO, weil
dadurch zu Lasten des Klägers schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne der §§ 3, 22 BImSchG hervorgerufen
werden. Andere Lösungen, die den Kläger gleichermaßen wirksam vor unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen
schützen könnten, sind nicht erkennbar. Auch die Vertreter der Beklagten und der Beigeladenen haben hierzu
keine möglichen Lösungen angeboten oder erwogen, obwohl u. a. in der mündlichen Verhandlung danach
gefragt wurde. Insbesondere scheidet eine denkbare Alternativlösung in der Form, dass anstelle zeitlicher
Einschränkungen des Freisitzflächenbetriebs die Zahl der Sitzplätze reduziert wird, hier praktisch aus. Denn
angesichts der erheblichen Überschreitung der zulässigen Richtwerte ( siehe oben ) müsste die Zahl der
Sitzplätze - auch nach Auffassung des Sachverständigen, mit dem diese Fragen in der mündlich Verhandlung
erörtert wurden - so deutlich (auf max. etwa vier Sitzplätze pro Gaststätte) reduziert werden, dass die
Außenbewirtschaftung für die Beigeladenen (nach 22.00 Uhr) praktisch ausscheidet oder zumindest nicht
wirtschaftlich sinnvoll betrieben werden könnte. Auch das Aufstellen von Schirmen bzw. das Anbringen von
Markisen bewirkt nach Auskunft des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung keine relevante
Reduzierung der Lärmimmissionen.
46 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 und 3, 155 Abs. 1 Satz 3 sowie 162 Abs. 3 VwGO. Die
Kammer sieht keinen Anlass, diese nach §167 Abs. 2 VwGO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
47 Die Zulassung der Berufung erfolgt wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und beruht auf § 124
Abs. 2 Nr. 3 VwGO.