Urteil des VG Frankfurt (Oder) vom 29.03.2017

VG Frankfurt(oder ): qualifikation, hochschule, berufliche tätigkeit, fachschule, ausbildung, ddr, gleichwertigkeit, förster, ausschluss, diplom

1
2
3
4
Gericht:
VG Frankfurt (Oder)
6. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 K 1872/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 6 Abs 1 S 2 AFBG 2007
Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung:
Gleichwertigkeit des Abschlusses eines Fachschuljuristen
gegenüber dem Fortbildungsabschluss als Betriebswirt (HWK)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht
der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Förderung einer Fortbildung zum Betriebswirt des Handwerks
(HWK).
Der 1961 geborene Kläger schloss im Jahr 1980 eine Facharbeiter-Ausbildung zum
Instandhaltungsmechaniker ab. Von Oktober 1980 bis Februar 1990 war er beim
Ministerium für Staatssicherheit tätig. Ab September 1987 absolvierte er ein
Fernstudium an der Juristischen Fachschule Potsdam-Eiche, im November 1989 erwarb
er dort den Abschluss „Fachschuljurist“. Nach 1990 war er zunächst bei einem
Sicherheitsbüro in Fürstenwalde beschäftigt, anschließend war er Geschäftsführer einer
Schutz- und Wachdienst GmbH.
Am 21. August 2007 stellte er einen Antrag auf Förderung einer Fortbildung zum
Betriebswirt (HWK) im Zeitraum September 2007 bis November 2008. Diesen Antrag
lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 18. September 2007 ab. Im Einigungsvertrag sei
geregelt, dass Abschlüsse der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche bzw.
vergleichbarer Einrichtungen weder der ersten Staatsprüfung gleichgestellt würden noch
zur Aufnahme eines gesetzlich geregelten juristischen Berufes berechtigten. Die
Ausbildung sei nur dem Namen, nicht aber dem Inhalt nach ein juristisches Studium
gewesen, da grundlegende Gebiete wie etwa das Zivilrecht nur eine untergeordnete
Rolle gespielt hätten. Dessen ungeachtet regle aber Art. 37 des Einigungsvertrages,
dass das Recht auf Führung erworbener staatlich anerkannter oder verliehener
akademischer Berufsbezeichnungen, Grade und Titel in jedem Fall unberührt bleibe.
Demnach sei das Fernstudium an der Juristischen Fachschule Potsdam ein Studium
gewesen, da der Kläger berechtigt sei, den Titel des Diplom-Juristen zu führen und damit
formal eine dem Fachhochschulabschluss gleichwertige berufliche Qualifikation
nachweisen könne. Eine Förderung des Klägers nach dem
Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz - AFBG - scheide damit aus, da er bereits über
eine Qualifikation verfüge, die gegenüber den in § 2 AFBG genannten Fortbildungszielen
gleich- oder sogar höherwertig sei. Auf die tatsächliche Verwertbarkeit der erlangten
Qualifikation komme es nicht an. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der
Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2007 zurück.
Der Kläger hat am 14. Dezember 2007 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im
Wesentlichen vor, sein an der Juristischen Fachschule Potsdam-Eiche erworbener
Abschluss als „Fachschuljurist“ besitze kein Qualitätsmerkmal, das einer ersten
Fortbildungsmaßnahme nach dem AFBG entsprechen würde. Nach den Regelungen des
Einigungsvertrages könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Titel
„Fachschuljurist“ dem akademischen Grad des Diplomjuristen gleichgesetzt worden sei.
Darüber hinaus käme auch eine Förderung nach § 6 Abs. 3 AFBG in Betracht. Die
„besonderen Umstände“ i. S. dieser Vorschrift lägen hier in dem Umstand, dass sein
Abschluss nach dem Einigungsvertrag ausdrücklich nicht die Aufnahme eines
juristischen Berufes zulasse.
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
juristischen Berufes zulasse.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18. September 2007 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2007 zu verpflichten, seine
Fortbildung zum Betriebswirt (HWK) nach dem AFBG zu fördern.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf eine Stellungnahme des Ministeriums für Wissenschaft,
Forschung und Kultur. Dort wird ausgeführt, dass im Einigungsvertrag nicht von einem
Ausschluss der Gleichwertigkeit des Abschlusses die Rede sei, sondern nur von einer
Gleichstellung mit der Ersten Juristischen Staatsprüfung. Richtig sei allenfalls, dass eine
Gleichwertigkeitsfeststellung nach Art. 37 Einigungsvertrag faktisch nicht in Betracht
komme, da es an einem vergleichbaren Westabschluss fehle bzw. der einzige in Betracht
kommende Abschluss (Erstes Staatsexamen) ausdrücklich ausgeschlossen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung, § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Ablehnung der begehrten Förderung in den angegriffenen Bescheiden ist rechtmäßig
und verletzt den Kläger folglich nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Förderung seiner Fortbildung zum Betriebswirt (HWK)
nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, das hier in der während der
Maßnahme und bis zum 30. Juni 2009 gültigen Fassung des Art. 6 Abs. 4 des Gesetzes
vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) Anwendung findet - im Folgenden: AFBG a. F. -.
Zwar ist der Antrag des Klägers auf Förderung der Teilnahme an einer einzigen
Maßnahme zur Vorbereitung auf ein erstes Fortbildungsziel im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1
Nr. 2 AFBG a. F. gerichtet, denn die von ihm in der DDR erworbenen Abschlüsse stellen
keine Fortbildungsziele i. S. der letztgenannten Vorschrift dar. Hierfür räumt § 6 Abs. 1 S.
1 AFBG a. F. grundsätzlich einen Anspruch auf Förderung ein.
Einer Förderung des Klägers steht aber § 6 Abs. 1 Satz 2 AFBG a. F. entgegen. Nach
dieser Vorschrift wird die Förderung nicht geleistet, wenn der Antragsteller bereits eine
berufliche Qualifikation erworben hat, die dem von ihm angestrebten
Fortbildungsabschluss mindestens gleichwertig ist. Hier ist der vom Kläger im Rahmen
eines Fernstudiums an der Juristischen Fachschule Potsdam erworbene Abschluss eines
Fachschuljuristen als eine dem Abschluss als Betriebswirt (HWK) mindestens
gleichwertige berufliche Qualifikation anzusehen.
Mit einer dem angestrebten Fortbildungsabschluss mindestens gleichwertigen
beruflichen Qualifikation ist nicht nur eine Qualifikation in der gleichen Fachrichtung
gemeint. Vielmehr genügt auch eine mindestens gleichwertige Qualifikation in einer
anderen Fachrichtung. Das ergibt bereits der Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 2 AFBG a. F.
Es reicht aus, dass der Antragsteller oder die Antragstellerin eine berufliche Qualifikation
- ohne fachrichtungsbezogene Einschränkung - erworben hat (vgl. BVerwG, Urteil vom
12. November 2007 - 5 C 27.06 -, NVwZ-RR 2008, 467).
Aufgrund der Regelung des Art. 31 Abs. 1 Satz 1 des Einigungsvertrages gilt der vom
Kläger erworbene Abschluss eines Fachschuljuristen - wie alle in der DDR erworbenen
schulischen, beruflichen und akademischen Abschlüsse und Befähigungsnachweise -
weiter und darf vom Kläger geführt werden. Dass nach Anlage I Kap III Sachgebiet A
Abschnitt III Nr. 8 Buchst. y zum Einigungsvertrag ein an der Juristischen Hochschule
Potsdam-Eiche oder einer vergleichbaren Einrichtung erworbener Abschluss nicht zur
Aufnahme eines gesetzlich geregelten juristischen Berufs berechtigt, ist im vorliegenden
Zusammenhang unerheblich. Der im Rahmen des § 6 Abs. 1 Satz 2 AFBG a. F.
anzustellende Niveauvergleich setzt nicht voraus, dass die bereits erworbene berufliche
Qualifikation gesetzlich oder anderweitig rechtlich verbindlich für eine bestimmte
19
20
21
22
Qualifikation gesetzlich oder anderweitig rechtlich verbindlich für eine bestimmte
berufliche Tätigkeit festgelegt ist. Entscheidend ist, mit welchen Abschlüssen in der
Lebenswirklichkeit grundsätzlich welche Positionen im Berufsleben erreicht werden
können, wobei zu berücksichtigen ist, dass für sehr viele Positionen im Berufsleben (z. B.
Führungsebene in Unternehmen) keine festen Qualifikationen vorgegeben sind (vgl.
BVerwG, a. a. O.).
Ebenfalls nicht entscheidend ist vorliegend, dass der Kläger - anders als offenbar der
Beklagte annimmt - ersichtlich nicht dazu berechtigt ist, den Titel eines Diplom-Juristen
zu führen. Denn dieser wurde - auch an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche - nur
für den erfolgreichen Abschluss eines Hochschul-, nicht aber eines Fachschulstudiums
verliehen (vgl. Förster, Die Juristische Hochschule des MfS, in:
Henke/Suckut/Vollnhals/Süß/Engelmann (Hrsg.), Anatomie der Staatssicherheit - MfS-
Handbuch -, S. 5). Gleichwohl ist auch der vom Kläger erworbene Abschluss des
Fachschuljuristen gegenüber dem angestrebten Fortbildungsabschluss mindestens
gleichwertig. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Bei dem Lehrgang zum Betriebswirt (HWK) handelt es sich um einen für eine zeitgemäße
Betriebsführung im Handwerk konzipierten managementorientierten Studiengang, der
die Teilnehmer mit modernen handwerksorientierten Methoden der
Unternehmensführung und -analyse vertraut machen soll. Zulassungsvoraussetzung ist
im Regelfall eine erfolgreich abgelegte Meisterprüfung in einem Handwerksberuf oder
eine vergleichbare Qualifikation. Die Ausbildung erfolgt nach einem bundeseinheitlichen
Rahmenlehrplan, der sich in die Bereiche Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft,
Personalführung sowie Recht/Steuern gliedert und ca. 500 Unterrichtsstunden umfasst.
Den Teilnehmern soll die Kompetenz vermittelt werden, Sachaufgaben im Arbeitsalltag
zu lösen sowie Leitungs- und Führungsfunktionen in Betrieben oder Organisationen des
Handwerks zu übernehmen (vgl. hierzu etwa die Internetseite des Bundesverbandes
Betriebswirte des Handwerks e. V.: www.betriebswirte-hwk.de).
Es ist nicht erkennbar, dass die Ausbildung zum Betriebswirt (HWK) eine gegenüber dem
vom Kläger absolvierten Fachschulstudium höherwertige Qualifikation darstellt. Die
Juristische Hochschule (JHS) Potsdam-Eiche war die zentrale Bildungs- und
Forschungsstätte des MfS. Das Fachschulstudium an der JHS (die Fachschule war bis Juli
1989 integrierter Bestandteil der Hochschule, vgl. Förster, a. a. O., S. 14) richtete sich an
die mittlere Ebene der MfS-Mitarbeiter. Voraussetzung für die Zulassung sowohl zum
Fachschuldirekt- als auch zum Fachschulfernstudium war der Abschluss der 10. Klasse
der polytechnischen Oberschule, der Abschluss der Offiziersausbildung im MfS, der
Nachweis von Kenntnissen auf dem Gebiet des Marxismus-Leninismus sowie "die
Bewährung der Kandidaten im Dienste der Organe des MfS". Das Fachschulfernstudium
in der vom Kläger studierten Fachrichtung Rechtswissenschaft bestand aus der
Grundlagenausbildung (Marxismus-Leninismus, Arbeiterbewegung, Staat und Recht,
Strafrecht) und der Fachausbildung (Arbeit mit IM, Psychologie, Kriminalistik,
Bearbeitung operativer Vorgänge), wobei der Anteil rechtsbezogener Lehrgebiete etwa
20 Prozent betrug. Der Unterricht wurde von Hochschullehrern der Juristischen
Hochschule durchgeführt. Das Fachschulstudium endete mit einer Prüfung und der
Fertigung einer Abschlussarbeit. Es eröffnete - neben dem Abitur - den Weg zur
Aufnahme des Hochschulstudiums (vgl. zum Ganzen: Förster, a. a. O., S. 7, 14 f.; vgl.
ferner das vom Kläger eingereichte Abschlusszeugnis, Bl. 4 ff. des
Verwaltungsvorgangs).
Mit dem AFBG wird bezweckt, dem Einzelnen den beruflichen Aufstieg oberhalb des
Niveaus der Gesellen, Facharbeiter oder Gehilfen finanziell zu ermöglichen (vgl. BT-Drs.
13/3698, S. 16). Dieses Ziel ist bereits durch den Fachschulabschluss des Klägers
erreicht. Er stellte eine Qualifikation dar, die einen beruflichen Aufstieg ermöglichte.
Nach den oben dargestellten Ausbildungsinhalten muss angenommen werden, dass das
Fachschulstudium zu eigenständiger Tätigkeit und (ersten) Führungsaufgaben befähigen
sollte und konnte. Die vom Kläger erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten waren zwar
auf die Mitarbeit im MfS ausgerichtet, aber nicht notwendigerweise darauf beschränkt.
Dies gilt nicht zuletzt für die Befähigung zur strukturierenden Organisation eines solchen
Studiums und das damit verbundene Erlernen grundlegender Arbeitstechniken. Dass es
sich um einen systemnahen Studiengang mit starker ideologischer Ausrichtung
handelte, steht der Annahme einer Gleichwertigkeit nicht entgegen. § 6 Abs. 1 Satz 2
AFBG a. F. enthält keinerlei Einschränkung für in der DDR erworbene Qualifikationen. Es
kann deshalb nicht entscheidend darauf ankommen, in welchem - geringeren oder
besonderen - Maß die Abschlüsse auf das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der DDR
ausgerichtet waren. Ferner greift der Ausschluss des Förderanspruchs auch unabhängig
von der beruflichen Verwertbarkeit des erworbenen Abschlusses (BVerwG, a. a. O.; OVG
Lüneburg, Urteil vom 19. Mai 2006 - 3 LB 7/05 -, Juris).
23
24
25
26
Eine andere Beurteilung käme allenfalls dann in Betracht, wenn angenommen werden
müsste, dass es sich bei dem vom Kläger absolvierten Fachschulstudium an der JHS um
ein bloßes "Scheinstudium" handelte, das nicht mit einer beruflichen Qualifikation
verbunden war. Für eine solche Annahme liegen indes keinerlei Anhaltspunkte vor. Der
Kläger hat nichts vorgetragen, was in diese Richtung deuten könnte. Auch die Regelung
in Anlage I Kap III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 8 Buchst. y zum Einigungsvertrag besagt
dies nicht; sie beruht vielmehr auf der Erwägung, dass die Lehrinhalte der Studiengänge
an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche nur in geringem Maße denen eines
herkömmlichen Studiums entsprachen und deshalb die Anerkennung für die
Ausübung gesetzlich geregelter Berufe versagt werden sollte (vgl. BR-Drs
63/07, S. 2).
Schließlich scheidet auch ein Anspruch nach § 6 Abs. 3 AFBG aus, da das
Förderungsbegehren des Klägers nicht auf die Förderung zur Fortbildung auf ein zweites,
sondern - wie ausgeführt - auf ein erstes Fortbildungsziel im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 AFBG gerichtet ist (vgl. BVerwG, a. a. O.; OVG Lüneburg, a. a. O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der
Zivilprozessordnung.
Da das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 188 S. 2 VwGO gerichtskostenfrei
ist (so BVerwG, Urteil vom 12. November 2007 – 5 C 27.06 -, in NVwZ – RR 2008, 467
insoweit nicht abgedruckt; a. A. etwa OVG Schleswig, Beschluss vom 24. Februar 2006 -
3 O 42/05 -, Juris), bedarf es keiner Streitwertfestsetzung.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum