Urteil des VG Frankfurt (Oder) vom 15.03.2017

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Gericht:
VG Frankfurt (Oder)
5. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 L 182/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 60a Abs 2 AufenthG, § 81 Abs
3 AufenthG, Art 6 Abs 1 GG
Aufenthalt von Ausländern: Duldungsanspruch im
Spannungsfeld zwischen familiärer Lebensgemeinschaft und
begangenen Straft
Leitsatz
1. Ein Anspruch darauf, eine Duldung zu erhalten, um das Aufenthaltserlaubnisverfahren nicht
als Visumverfahren, sondern im Bundesgebiet durchzuführen, besteht bei einem Ausländer,
der sich zur Begründung auf eine familiäre Gemeinschaft mit in Deutschland lebenden
Angehörigen beruft nur, wenn bei angemessener Berücksichtigung von Art. 6 GG die
Trennung der Familie für die Dauer dieses Verfahrens unzumutbar erscheint. Das ist erst
dann der Fall, wenn eine (allein schutzwürdige) familiäre Gemeinschaft tatsächlich besteht,
diese Gemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden kann und eine
im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass
unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles die öffentlichen Interessen
an der sofortigen Entfernung des Ausländers aus der Bundesrepublik Deutschland nicht
schwerer wiegen als der mit Verfassungsrang ausgestattete Schutz von Ehe und Familie.
2. Bei der abschließenden Abwägung, ob dem betroffenen Ausländer trotz einer familiären
Lebensgemeinschaft die (ggf. vorübergehende) Rückreise in sein Heimatland zugemutet
werden kann, um dort das Visumverfahren nachzuholen, ist die vorzunehmende
Gegenüberstellung der widerstreitenden Belange im Rahmen eines auf die Erteilung einer
Duldung gerichteten Eilverfahrens auf die Betrachtung des Zeitraums begrenzt, der
voraussichtlich erforderlich sein wird, das Aufenthaltserlaubnisverfahren vom Ausland aus
nachzuholen.
3. Die in diesem Zusammenhang vorzunehmende Gewichtung der durch Art. 6 GG
geschützten privaten Interessen des Ausländers hat alle Umstände in den Blick zu nehmen,
die für die Schutzbedürftigkeit der familiären Gemeinschaft von Bedeutung sein können.
Insbesondere wird sie davon beeinflusst sein, ob lediglich erwachsenen Eheleuten eine
(vorübergehende) Trennung zugemutet wird oder im Falle einer Abschiebung auch eine
Trennung eines Elternteils von eigenen Kindern herbeigeführt werden würde, ggf. von der Zahl
und dem Alter der Kinder. Außerdem ist bedeutsam, ob eine häusliche Lebensgemeinschaft
oder lediglich eine sonst geschützte familiäre Gemeinschaft besteht.
4. Die Betrachtung der öffentlichen Interessen an einer Rückreise hat sich daran zu
orientieren, ob überhaupt, mit welcher Wahrscheinlichkeit und mit welcher Intensität deren
Gefährdung gerade während der mutmaßlichen Dauer des Visumverfahrens droht. Steht als
öffentliches Interesse an einer Ausreise des Ausländers die Verhinderung der Begehung von
Straftaten im Raum, so hat maßgebende Bedeutung, ob die Zahl und die Schwere der in der
Vergangenheit begangenen Delikte befürchten lassen muss, dass es zu derartigen
Vorkommnissen auch während des Aufenthaltserlaubnisverfahrens kommen wird und deshalb
ein weiterer Verbleib auch in Ansehung der durch Art. 6 GG geschützten Rechte selbst für
diese Zeit nicht hingenommen werden kann.
Tenor
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem
Antragsteller eine Duldung zu erteilen, längstens bis zur bestandskräftigen Bescheidung
seines Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bzw. bis zum rechtskräftigen
Abschluss eines daran anschließenden Klageverfahrens.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsteller und der Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur
Hälfte.
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2. Der Streitwert wird auf 5000,00 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 8. Mai 2007 gegen den
Bescheid des Antragsgegners vom 13. April 2007 anzuordnen,
hilfsweise
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu
verpflichten, ihm eine Duldung zu erteilen,
hat lediglich hinsichtlich des Hilfsantrages Erfolg.
I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die
Versagung der Aufenthaltserlaubnis ist bereits unstatthaft und deshalb nicht zulässig.
Denn der Antragsteller war zu keinem Zeitpunkt im Besitz einer im Wege des § 80 Abs. 5
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - sicherungsfähigen Rechtsposition. Gemäß § 81
Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) gilt der Aufenthalt eines Ausländers, der sich
rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen und die
Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt, bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde
als erlaubt. Beantragt ein Ausländer die Verlängerung seines Aufenthaltstitels oder die
Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom
Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend
(Abs. 4 desselben Gesetzes). Widerspruch und Klage gegen die Ablehnung eines
Antrages auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels haben nach § 84 Abs. 1
Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung. Aus diesem Grund ist die Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes durch einen Ausländer, der sich rechtmäßig in der
Bundesrepublik Deutschland aufhält und dessen Antrag auf Erteilung oder Verlängerung
eines Aufenthaltstitels abgelehnt worden ist, nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu suchen
und auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des eingelegten Rechtsbehelfs zu
richten. Hat dieser Antrag nämlich Erfolg, so lebt die mit der Stellung des Erteilungs-
oder Verlängerungsantrages verbundene Fiktionswirkung des erlaubten Aufenthalts
wieder auf.
Das kommt im Fall des Antragstellers aber nicht in Betracht. Seinem
Aufenthaltserlaubnisantrag vom 28. März 2007 kam eine Fiktionswirkung im Sinne von §
81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG nämlich nicht zu, weil er sich in dem nach den oben
angeführten Vorschriften maßgebenden Zeitpunkt nicht rechtmäßig in der
Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik
Deutschland hat er zunächst einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter gestellt
und hat sich nach dem ablehnenden Bescheid des Bundesamtes stets nur auf der
Grundlage von Duldungen, also ohne ein Aufenthaltsrecht im Sinne des Gesetzes, hier
aufgehalten.
II. Der auf die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung einer Duldung gerichtete
Hilfsantrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat dagegen Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung
treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden
Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich
erschwert werden könnte. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind vom
Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2
und § 294 Zivilprozessordnung – ZPO –).
1. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben; der Antragsteller hat Anspruch auf die
Erteilung der begehrten Duldung.
a) Allein in Betracht kommende Rechtsgrundlage ist § 60 a Abs. 2 AufenthG. Nach dieser
Vorschrift wird einem Ausländer eine Duldung erteilt, solange seine Abschiebung aus
rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis
erteilt wird. So ist es hier; die Abschiebung des Antragstellers erweist sich bei der
gebotenen und allein möglichen summarischen Prüfung als rechtlich unmöglich, da ihr
gegenwärtig höherrangiges Recht, namentlich sein Grundrecht aus Art. 6 Grundgesetz -
GG -, entgegensteht.
Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG gilt der Familie als Lebens-
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Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG gilt der Familie als Lebens-
und Erziehungsgemeinschaft; in der Familie und der elterlichen Erziehung findet die
leibliche und seelische Entwicklung des Kindes eine wesentliche Grundlage (BVerfGE 80,
81 ff.; BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 -, Juris; vgl. hierzu
auch Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Oktober 2006 -
OVG 11 S 29.06). Besteht eine solche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen
dem Ausländer und seinem Kind und kann diese Gemeinschaft nur in der
Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden, so drängt die Pflicht des Staates, die
Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (vgl. BVerfG,
InfAuslR 1993, 10 f. und InfAuslR 1994, 394 f).
In solchen Fällen kann Art. 6 GG als inlandsbezogenes Hindernis die Abschiebung des
Familienangehörigen verbieten und es erlauben, etwa auf der Grundlage von § 25 Abs. 5
AufenthG abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG auch einem an sich vollziehbar
ausreisepflichtigen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen und dabei nach
pflichtgemäßem Ermessen von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen abzusehen
(§ 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG: „auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht
zumutbar“; § 5 Abs. 3 Halbsatz 2 AufenthG: „kann abgesehen werden“). Ob der
Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis selbst besteht, ist allerdings im
vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nicht zu entscheiden (vgl.
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. September 2006 - OVG 8 S 97.06 -;
Beschluss vom 25. April 2006 - OVG 11 S 18.06). Die Beantwortung dieser Frage ist
vielmehr dem auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Verfahren
vorbehalten, das nach dem System des Aufenthaltsrechts regelmäßig als
Visumverfahren vom Ausland aus zu führen ist (vgl. § 5 Abs. 2 AufenthG und Abschnitt 4
der Aufenthaltsverordnung). Ein Anspruch darauf, eine Duldung zu erhalten, um das
Aufenthaltserlaubnisverfahren abweichend von den genannten Regelungen im
Bundesgebiet durchzuführen, besteht vor diesem Hintergrund nur, wenn bei
angemessener Berücksichtigung von Art. 6 GG die Trennung der Familie für die Dauer
dieses Verfahrens unzumutbar erscheint. Das ist erst dann der Fall, wenn eine (allein
schutzwürdige) familiäre Gemeinschaft tatsächlich besteht, diese Gemeinschaft nur in
der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden kann und eine im Rahmen der
Zumutbarkeitsprüfung vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass unter
Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles die öffentlichen Interessen
an der sofortigen Entfernung des Ausländers aus der Bundesrepublik Deutschland nicht
schwerer wiegen als der mit Verfassungsrang ausgestattete Schutz von Ehe und Familie.
b) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
Der Kläger pflegt mit seinen 1992, 1993 und im Jahr 2002 geborenen Kindern eine
familiäre Gemeinschaft. Dem steht nicht entgegen, dass er mit den Kindern und seiner
ehemaligen Ehefrau nach der Ehescheidung nicht mehr in einem gemeinsamen
Haushalt lebt. Eine unter dem Schutz von Art. 6 GG stehende Eltern-Kind-Gemeinschaft
kann vielmehr auch außerhalb einer Hausgemeinschaft gelebt werden (BVerfG,
Beschluss vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, Juris; vgl. auch den bereits zitierten
Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. Oktober 2006, a. a.
O.).
Bei der danach gebotenen Würdigung aller bisher bekannten Umstände hat die Kammer
derzeit keine Bedenken, eine familiäre Gemeinschaft des Antragstellers mit seinen
Kindern zu bejahen. Dafür spricht zunächst die von ihm im Scheidungstermin vor dem
Amtsgericht XXX am 17. August 2005 abgeschlossene Vereinbarung über das
Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder. Danach waren der Antragsteller und seine
inzwischen geschiedene Ehefrau darin einig, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht für
die drei Kinder der Kindesmutter zustehen sollte. Ferner war dort ausgeführt, "Die
Parteien sind des Weiteren darüber einig, dass dem Kindesvater wie bereits praktiziert
ein großzügiges Umgangsrecht mit allen drei Kindern zusteht." Damit hat aber auch die
geschiedene Ehefrau des Antragstellers bestätigt, dass bis zu diesem Zeitpunkt das
Verhältnis des Antragstellers zu seinen Kindern durch die erforderliche Nähe und
Fürsorge gekennzeichnet war.
Für eine familiäre Gemeinschaft in dem hier maßgeblichen Sinn sprechen ferner die zur
Gerichtsakte gereichten Schreiben der Kinder des Antragstellers vom 4. Mai, 10. Juni und
12. Juni 2007, in denen sie erklärt haben, er kümmere sich um sie, kaufe ein, koche für
sie und helfe ihnen bei den Hausaufgaben. Schließlich hat sich auch seine inzwischen
geschiedene Ehefrau in einer schriftlichen Erklärung für ihn verwendet und darauf
hingewiesen, sie selbst sei an Diabetes erkrankt und habe oft Kopfschmerzen und
Schwindel. Sie hoffe, dass der Antragsteller in Deutschland bleibe, damit er für die Kinder
sorgen und sie erziehen könne, wenn sie selbst krank und dazu nicht mehr in der Lage
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sorgen und sie erziehen könne, wenn sie selbst krank und dazu nicht mehr in der Lage
sei. Sie hat ferner eine substantiierte eidesstattliche Versicherung abgegeben, wonach
der Antragsteller am Freitag zu seinen Kindern komme und bis zum Sonntagnachmittag
bei der Familie bleibe. In dieser Zeit übernachte er dort und übernehme die
Verantwortung für Haushalt und Kinder. Er koche, kontrolliere die Hausaufgaben der
Kinder, helfe ihnen dabei und putze mit ihnen gemeinsam die Wohnung. Auch spiele er
mit den Kindern und bringe sie ins Bett. Mit dem jüngsten Sohn spreche er oft
vietnamesisch, weil er wolle, dass dieser nicht nur die deutsche, sondern auch die
vietnamesische Sprache beherrsche.
Diese familiäre Gemeinschaft des Klägers mit seinen Kindern kann auch nur in
Deutschland geführt werden. Diese können nicht darauf verwiesen werden, gemeinsam
mit ihm nach Vietnam auszureisen. Denn sie leben in einer familiären
Lebensgemeinschaft mit ihrer Mutter, der dies nicht angesonnen werden kann, weil sie
vom Antragsteller geschieden und im Besitz eines Aufenthaltstitels ist.
Bei der abschließenden Abwägung, ob dem betroffenen Ausländer trotz seiner familiären
Lebensgemeinschaft die (ggf. vorübergehende) Rückreise in sein Heimatland zugemutet
werden kann, um dort das Visumverfahren nachzuholen, ist zunächst wesentlich, dass
der Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG nur einwanderungspolitische Belange
zurückdrängt, nicht aber jegliches öffentliche Interesse, das gegen einen weiteren
Aufenthalt in Deutschland spricht. Die vorzunehmende Gegenüberstellung der
widerstreitenden Belange ist ferner nach Auffassung der Kammer im Rahmen eines auf
die Erteilung einer Duldung gerichteten Eilverfahrens auf die Betrachtung des Zeitraums
begrenzt, der voraussichtlich erforderlich sein wird, das Aufenthaltserlaubnisverfahren
vom Ausland aus nachzuholen. Da in diesem Verfahren den durch Art. 6 GG
geschützten Rechten ebenfalls maßgebende Bedeutung zukommt, steht mit seinem
Abschluss nämlich fest, ob die Trennung der familiären Gemeinschaft im Ergebnis
Bestand haben wird oder ein gemeinsamer Aufenthalt der Familienmitglieder in
Deutschland auch ohne Duldung, dann nämlich mit einer Aufenthaltserlaubnis, zulässig
ist.
Die in diesem Zusammenhang vorzunehmende Gewichtung der durch Art. 6 GG
geschützten privaten Interessen des Ausländers hat alle Umstände in den Blick zu
nehmen, die für die Schutzbedürftigkeit der familiären Gemeinschaft von Bedeutung
sein können. insbesondere wird sie davon beeinflusst sein, ob lediglich erwachsenen
Eheleuten eine (vorübergehende) Trennung zugemutet wird oder im Falle einer
Abschiebung auch eine Trennung eines Elternteils von eigenen Kindern herbeigeführt
werden würde, ggf. von der Zahl und dem Alter der Kinder. Außerdem ist bedeutsam, ob
eine häusliche Lebensgemeinschaft oder lediglich eine sonst geschützte familiäre
Gemeinschaft besteht.
Die Betrachtung der öffentlichen Interessen an einer Rückreise hat sich demgegenüber
daran zu orientieren, ob überhaupt, mit welcher Wahrscheinlichkeit und mit welcher
Intensität deren Gefährdung gerade während der mutmaßlichen Dauer des
Visumverfahrens droht. Steht als öffentliches Interesse an einer Ausreise des
Ausländers - wie hier - die Verhinderung der Begehung von Straftaten im Raum, so hat
maßgebende Bedeutung, ob die Zahl und die Schwere der in der Vergangenheit
begangenen Delikte befürchten lassen muss, dass es zu derartigen Vorkommnissen
auch während des Aufenthaltserlaubnisverfahrens kommen wird und deshalb ein
weiterer Verbleib auch in Ansehung der durch Art. 6 GG geschützten Rechte selbst für
diese Zeit nicht hingenommen werden kann.
An diesen Grundsätzen gemessen muss das öffentliche Interesse an einer Ausreise des
Antragstellers hinter seinem privaten Interesse an einem weiteren Verbleib in
Deutschland während der Dauer des Visumverfahrens zurücktreten.
Bei der Bestimmung der Dauer eines etwaigen Aufenthaltserlaubnisverfahrens ist zu
berücksichtigen, dass das reine Verwaltungsverfahren je nach den Umständen durchaus
schnell abgeschlossen werden kann; so hat die Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland in Hanoi auf Anfrage im Verfahren der Kammer 5 L XXX mitgeteilt, bei
Vorliegen der Vorabzustimmung nach § 31 Abs. 1 AufenthV dauere das Visumverfahren
circa eine Woche. Schließt sich dagegen im Falle einer Versagung der Visumerteilung ein
gerichtliches Verfahren an, so kann dessen Dauer jedoch auch mehrere Jahre betragen.
Dies zugrunde gelegt wird das Gewicht der privaten Interessen des Antragstellers an
einem weiteren Verbleib in Deutschland weiter dadurch bestimmt, dass er eine familiäre
Gemeinschaft mit drei Kindern pflegt. Dabei kommt allerdings den im Oktober 1992 und
im Dezember 1993 geborenen Kindern keine in diesem Zusammenhang allein
ausschlaggebende Bedeutung zu, weil bei 14 bzw. 15 Jahre alten Jugendlichen erwartet
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ausschlaggebende Bedeutung zu, weil bei 14 bzw. 15 Jahre alten Jugendlichen erwartet
werden kann, dass sie eine vorübergehende Trennung von einem Elternteil, mit dem sie
ohnehin nicht in häuslicher Gemeinschaft leben, verkraften, ohne dass sie in ihrer
Entwicklung oder die familiäre Gemeinschaft als solche Schaden nehmen. Anders verhält
es sich mit dem dritten und jüngsten Kind des Antragstellers. Bei einem fünfjährigen
Kind kann schon, je nachdem, wie intensiv die Bindung an den betreffenden Elternteil ist,
nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass eine erzwungene Trennung ohne
seelische Folgen bleibt. Erst recht gilt das im Hinblick auf die familiäre Gemeinschaft;
denn dass eine unter Umständen länger dauernde Unterbrechung der Kontakte zu einer
dauernden Entfremdung führen kann, liegt auf der Hand. Das gilt auch in Anbetracht des
Umstandes, dass der Antragsteller mit seinem jüngsten Kind ebenfalls nicht in einer
häuslichen Gemeinschaft lebt. Das mindert zwar nach den oben gemachten
Ausführungen das Gewicht seiner in die Abwägung einzustellenden Interessen, hebt sie
aber nicht auf, weil er nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen ein - so die im
Scheidungstermin vor dem Amtsgericht getroffene Vereinbarung - großzügiges
Umgangsrecht mit seinen Kindern hat, das er der eidesstattlichen Versicherung seiner
Ehefrau zufolge auch tatsächlich wahrnimmt.
Auf der Seite der öffentlichen Interessen, die für eine Durchführung des Visumverfahrens
vom Ausland her streiten, steht eine Anzahl von Straftaten, die der Antragsteller in den
zurückliegenden Jahren begangen hat. So ist er in den Jahren 1995, 1996 und 1998
jeweils wegen Steuerhehlerei bzw. gewerbsmäßiger Steuerhehlerei, im Jahr 1996 wegen
eines Verstoßes gegen das Asylverfahrensgesetz, im Jahr 2000 wegen gemeinschaftlich
begangenen Diebstahls und im Jahr 2005 wegen fahrlässiger Körperverletzung (im
Auszug aus dem Bundeszentralregister ist insoweit unzutreffend von Körperverletzung
die Rede) verurteilt worden. Hierbei ist zwar zulasten des Antragstellers zu
berücksichtigen, dass es sich um eine beachtliche Zahl von Rechtsverstößen gehandelt
hat, denen die Strafgerichte ersichtlich teilweise auch eine recht erhebliche Schwere der
Schuld zugemessen haben müssen. Denn der Antragsteller ist dreimal - einmal davon
allerdings unter Einbeziehung einer anderen Verurteilung - zu Freiheitsstrafen, und zwar
von einem Jahr und sieben Monaten, vier Monaten und sechs Monaten verurteilt worden,
die teilweise auch vollstreckt worden sind. Dem steht allerdings gegenüber, dass seine
vorletzte Tat bereits im Jahr 1998 begangen wurde, also inzwischen nahezu 10 Jahre
zurückliegt und es sich bei seiner letzten Straftat im Jahr 2004 um eine fahrlässige
Körperverletzung handelte, die mit einer Geldstrafe von lediglich 20 Tagessätzen
geahndet worden ist.
Insgesamt rechtfertigt das die Einschätzung, dass der Antragsteller während der Dauer
des Aufenthaltserlaubnisverfahrens Straftaten nicht, und schon gar nicht in einer Zahl
oder von einem Gewicht begehen wird, die es rechtfertigen würden, die rechtlich
geschützte familiäre Gemeinschaft mit seinen Kindern für diese Zeit zu unterbrechen.
2. Die ohne Erteilung einer Duldung bestehende Gefahr einer alsbaldigen Abschiebung
und die damit verbundenen Folgen für die familiäre Gemeinschaft des Antragstellers mit
seinen Kindern begründen die Eilbedürftigkeit der Entscheidung und die ausnahmsweise
Notwendigkeit einer Vorwegnahme der Hauptsache. Vor dem Hintergrund des auf das
Visumverfahren begrenzten Abwägungszeitraums versieht die Kammer die einstweilige
Anordnung jedoch gemäß §§ 123 Abs. 3 VwGO, 938 ZPO mit der aus dem Tenor
ersichtlichen Maßgabe.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3, 45 des
Gerichtskostengesetzes, wobei die Kammer Haupt- und Hilfsantrag jeweils mit 2500,00 €
bewertet.
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