Urteil des VG Frankfurt (Oder) vom 15.03.2017

VG Frankfurt(oder ): politische verfolgung, jugend und sport, wissenschaft und forschung, hochschule, krankenschwester, berufliche ausbildung, öffentliche gewalt, schüler, ddr, medizin

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Gericht:
VG Frankfurt (Oder)
2. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 K 1970/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 1 Nr 3 BerRehaG, § 3
BerRehaG, § 1 VwRehaG
Berufliche Rehabilitierung als Schüler
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 v. H. des
Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt ihre Anerkennung als verfolgter Schüler.
Sie besuchte die Polytechnische Oberschule bis 1983 und beendete die 10. Klasse mit
dem Prädikat „ausgezeichnet“. Von September 1983 bis August 1985 besuchte sie die
Erweiterte Oberschule (EOS) in xxx und erreichte nach der 12. Klasse die Note „gut“.
Bereits am 12. September 1984 hatte sie auf entsprechenden Antrag einen
Zulassungsbescheid zum Direktstudium an der Medizinischen Fachschule am Klinikum
xxx in der Fachrichtung Krankenschwester für das Studienjahr 1985/1986 erhalten.
Mit Schreiben vom 18. Januar 2003 beantragte sie bei dem Beklagten ihre Rehabilitation
nachdem beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) mit der Begründung, die
Schulleitung und die zuständige Klassenlehrerin der EOS hätten ihr unter Berufung auf
die staatliche Studienlenkung die Aushändigung der Bewerbungsunterlagen für ein
Hochschulstudium an einer wissenschaftlichen Hochschule der DDR entgegen ihrer
entsprechender Bitte verweigert. Man habe dem Wunschstudium der Medizin, aber auch
einem anderen, nicht zugestimmt und erklärt, die staatliche Studienlenkung schließe
dies aus, weil sie als aktives Mitglied der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde xxx
gesellschaftlich nicht tragbar und ihr Vater als hauptamtlicher Diakon der evangelischen
Kirche und Amtsleiter des kreiskirchlichen Verwaltungsamtes in xxx beruflich aktiv für die
Kirche tätig sei. Ihre Kirchenmitgliedschaft und religiöse Einstellung sei an der EOS
wiederholt kritisiert und ultimativ die Forderung aufgestellt worden, sie solle aus der
Kirche austreten, weil ansonsten ein Studium für sie nicht in Frage komme. Im Anschluss
daran sei ihr auch noch eine Ausbildung an einer Fachschule verweigert worden. Die
notwendige Zustimmung sei erst nach wiederholtem Protest bei der Schulleitung erfolgt.
Daraufhin habe sie am 01. September 1985 eine Ausbildung als Krankenschwester in
xxx aufgenommen und dann bis 1991 als Krankenschwester im Klinikum gearbeitet. Die
1991 erfolgte Zulassung zum Medizinstudium an der xxx-Universität mit Abschluss 1999
und Approbation als Ärztin am 01. Februar 2001 sei erfolgt, weil man seitens der xxx-
Universität wegen der diskriminierenden Gründe eine Wartezeit von zwölf
Hochschulsemestern zwischen dem Abitur und der Studienaufnahme zuerkannt habe.
Auch das Amt für Ausbildungsförderung habe eine Wartezeit von sechs Jahren und
einem Monat festgestellt.
Durch Bescheid vom 05. September 2003 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin
mit der Begründung ab, selbst bei Annahme der geschilderten Verweigerung der
Schulleitung, Bewerbungsunterlagen auszuhändigen sowie, dass die Glaubenshaltung
und die berufliche Position des Vaters dafür ursächlich gewesen sei, liege keine politische
Verfolgung im Sinne des Gesetzes vor. Eine solche sei erst dann gegeben, wenn
Betroffene aufgrund ihrer politischen Überzeugung, Religion oder Zugehörigkeit zu einer
sozialen Gruppe staatlichen Repressalien oder Verfolgung ausgesetzt gewesen seien.
Das sei jedoch nicht anzunehmen, weil sie die Reifeprüfung habe ablegen können. Durch
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Das sei jedoch nicht anzunehmen, weil sie die Reifeprüfung habe ablegen können. Durch
standhaften Widerspruch habe sich die Schulleitung genötigt gesehen, die Bewerbung an
die Fachschule weiterzuleiten, was im Falle einer politischen Verfolgung auszuschließen
gewesen wäre. Zudem stelle die nicht erfolgte Aushändigung der Bewerbungsunterlagen
durch den Schulleiter oder die Klassenlehrerin keine hoheitliche Maßnahme i. S. d.
Gesetzes dar. Ein Gespräch beinhalte keine vollziehend begründete Einzelfallregelung,
die eine unmittelbare Rechtsfolge herbeigeführt haben könnte. Für eine Entscheidung zu
einem Antrag sei die Zulassungskommission der Hochschule zuständig gewesen, die
über den Bewerbungsantrag zu entscheiden gehabt hätte.
Mit ihrer Klage vom 04. Oktober 2003 verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und trägt
vor, im bereits in der 11. Klasse ausgegebenen amtlichen Frage- und Erfassungsbogen
als Studienwünsche ein pädagogisches Studium mit dem Ziel, als Lehrerin tätig zu
werden, ein sozialberuflich orientiertes Studium und ein Medizinstudium angegeben zu
haben. In einem anschließenden persönlichen Gespräch mit dem damaligen Schulleiter
xxx und der Klassenlehrerin xxx sei ihr mitgeteilt worden, die Schule verweigere die
Zustimmung zum Studium wegen ihrer aktiven Kirchenmitgliedschaft und der Tätigkeit
ihres Vaters, weshalb eine Unterstützung ihres Studienwunsches und eine Zustimmung
zum Hochschulstudium nicht in Frage komme. Persönliche Vorsprachen bei der xxx-
Universität xxx mit der Bitte um Aushändigung von Bewerbungsunterlagen seien unter
Hinweis auf das standardisierte schulische Vergabeverfahren, das erforderliche positive
Votum der Lehrerschaft und die Unmöglichkeit freier Bewerbungen an der Hochschule
abgelehnt worden. Sie habe nach Ablegung der Reifeprüfung schließlich am 01.
September 1985 die Ausbildung als Krankenschwester aufnehmen können.
Rechtlich sei die Handlung ihrer Schule als hoheitliche Maßnahme i. S. d. § 1 Abs. 1 des
verwaltungsrechtlichen Rehabilitationsgesetzes (VwRehaG) anzusehen. Die EOS hätten
an entscheidender Stelle im Zulassungsverfahren für die Hochschulen der ehemaligen
DDR eingenommen, da gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 der Zulassungsordnung die Direktoren
die Bewerbungsunterlagen ihrer Schüler den Direktoraten für Erziehung und Ausbildung
der Hochschulen übergeben hätten. Die Auswahl der Bewerber sei auf der Grundlage der
Bewerbungsunterlagen, die eine Einschätzung der Gesamtpersönlichkeit des Bewerbers
durch die Schule beinhaltet hätten, erfolgt. Eine politische Verfolgung des Betroffenen
durch diese hoheitliche Einzelfallmaßnahme sei nicht erforderlich, weil durch die
Regelung des § 3 BerRehaG der Begriff des Verfolgten um die Gruppe der Schüler
erweitert werde. Zudem stelle der Ausschluss vom Studium an einer Hochschule einen
Akt politischer Verfolgung dar. Es müsse für die Anerkennung als verfolgter Schüler vor
dem Hintergrund des politischen Verfolgungsbegriffes des Art. 16 GG genügen, wenn die
berufliche Benachteiligung auf einer politischen Motivation beruhe. Da sie sich nicht
ausschließlich auf ein Medizinstudium festgelegt gehabt habe, sei von entscheidender
Bedeutung, dass ihr jeglicher Studienwunsch verwehrt geblieben sei. Aufgrund der
Kirchenzugehörigkeit sei ihr von vornherein schon nicht die Möglichkeit gegeben
gewesen, auch andere Studiengänge wahrzunehmen. Um die Ausbildungsalternative
einer Krankenpflegeausbildung am Krankenhaus xxx habe sie sich aus eigener Initiative
beworben.
Die Klägerin beantragt,
sie unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 05. September 2003 zu
verpflichten, sie als verfolgte Schülerin gemäß § 3 i. V. m. § 1 Abs. 1 BerRehaG
anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Bezugnahme auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid trägt er
ergänzend vor, dass die Bewerbungsunterlagen für ein Hochschulstudium im Zeitraum
vom 25. Oktober bis 05. November des laufenden Kalenderjahres einzureichen gewesen
seien, der Bewerbungszeitraum für medizinische Fachschulen dagegen bereits am 01.
August geendet habe. Doppelbewerbungen seien nicht zulässig gewesen, es habe ein
Vorpraktikum absolviert werden müssen. Schließlich sei für ein Medizinstudium in der
DDR in der Regel ein Abiturabschluss mit „Auszeichnung“ oder „Sehr gut“
vorausgesetzt worden. Wenn sich bereits im Vorfeld der Bewerbung abgezeichnet habe,
dass ein Studienwunsch aufgrund fehlender Voraussetzungen nicht erfüllbar gewesen
sei, hätten den Schülern andere Möglichkeiten aufgezeigt werden können. Es sei zu
vermuten, dass der Klägerin insofern aufgezeigt worden sei, erst den Beruf der
Krankenschwester zu erlernen und danach über eine Delegierung Medizin zu studieren.
Auf Anfrage des Gerichts hat die Akademische Verwaltung der xxx, Referat
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Auf Anfrage des Gerichts hat die Akademische Verwaltung der xxx, Referat
Studienangelegenheiten, am 03. Februar 2009 mitgeteilt, dass das vorgelegte
Reifezeugnis der Klägerin in keinem Fall für eine Zulassung zum Medizinstudium
ausgereicht hätte. Es sei aus den 80er Jahren kein Ausschlussverfahren aufgrund
christlicher Weltanschauung bekannt, das sei wohl eher in den 60er bzw. 70er Jahren der
Fall gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und Beteiligtenvorbringens wird auf
die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die – soweit
wesentlich – Gegenstand der Entscheidungsfindung und bereits des Erörterungstermins
vom 17. Juli 2008 waren.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte infolge des Einverständnisses der Beteiligten und des
Übertragungsbeschlusses der Kammer vom 29. April 2009 ohne mündliche Verhandlung
durch Einzelrichter entscheiden (§§ 6 Abs. 1, 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung
– VwGO -).
Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 05. September 2003 ist rechtmäßig und verletzt die
Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf verwaltungsrechtliche
Rehabilitierung (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 1 Abs. 1 BerRehaG hat als verfolgter Schüler Anspruch
auf Leistungen nach dem 2. Abschnitt des Gesetzes, wer in dem in § 1 Abs. 1 BerRehaG
genannten Zeitraum (08. Mai 1945 bis 02. Oktober 1990) infolge einer Maßnahme nach
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 (hier: Nr. 3: durch eine hoheitliche Maßnahme nach § 1 des
VwRehaG) nicht zur Ausbildung an einer Fach- oder Hochschule zugelassen wurde. Nach
den Vorschriften des 2. Abschnitts, §§ 6 und 7 BerRehaG haben Verfolgte, die an für die
Förderung zugelassenen beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, Anspruch
auf Arbeitslosengeld bzw. Unterhaltsgeld, das als Zuschuss und nicht – wie sonst
vorgesehen – als Darlehen gezahlt wird. Zudem können sie Weiterbildungskosten in
entsprechender Anwendung der §§ 79 – 83 SGB III erstattet bekommen.
Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor.
Das Gericht ist bereits der Überzeugung, dass ihr Vortrag nicht gänzlich der Wahrheit
entspricht. Es ist ihr nicht seitens der Schulleitung die Aushändigung von
Bewerbungsunterlagen für ein Hochschulstudium, vorzugsweise der Medizin, mit der
Begründung versagt worden, als aktives Kirchenmitglied könne sie nach Maßgabe der
Studienlenkung nicht an einer Universität oder Hochschule studieren. Vielmehr wird ihr
aufgrund ihrer Schulleistungen und des Wunsches, ein Medizinstudium aufzunehmen,
von Seiten der Schule geraten worden zu sein, zunächst eine Ausbildung als
Krankenschwester zu absolvieren und anschließend das Medizinstudium aufzunehmen.
Hierfür spricht zunächst, dass sie sich bereits ein Jahr vor dem Bewerbungstermin für
den Hochschulzugang zum Studium der Medizin für die Ausbildung einer
Krankenschwester beworben hatte und schon am 12. September 1984 zugelassen
wurde. Die Studienwunscherfassung für Schüler der Klasse 11 der EOS erfolgte nach der
Terminübersicht als Anlage 1 zur Anweisung Nr. 10 - 84 zur Vorbereitung und zum
Ablauf des Schuljahres 1984/85 (in: Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für
Volksbildung vom 20. April 1984, S. 53) vom 1. bis 6. Oktober 1984. Hiermit ist ihr
Vortrag, nach der mündlichen Ablehnung der Zustimmung zum Studium habe sie an der
xxx-Universität xxx vergeblich um Vorsprache gebeten, ihr sei die Zustimmung zum
Studium an der Fachschule durch die Schule ebenfalls zunächst verweigert und erst
nach wiederholtem Protest gewährt worden (so Bl. 2 der Verwaltungsvorgänge) bzw. eine
solche Zustimmung sei nicht erforderlich (so der anwaltliche Schriftsatz vom 18. Januar
2010), kaum zu vereinbaren. Aus den zum Verwaltungsvorgang eingereichten
Unterlagen aus dem Jahre 1991 ergibt sich zudem zwar die bereits damalige
Behauptung, an der Aufnahme eines Medizinstudiums gehindert worden zu sein, weil der
Vater als im kirchlichen Dienst Tätiger „verantwortlich war“, nicht aber die ebenfalls
vereitelte Aufnahme eines anderen Studiums. Die Klägerin soll bereits seit längerer Zeit
den Berufswunsch gehabt haben, einmal Ärztin zu werden. Wenn sie – so die von ihr
vorgelegte Erklärung ihrer Lehrerin vom 22. Juni 1991 – nach dem Abitur keinen
Studienplatz bekommen und versucht habe, über die Ausbildung einer Vollschwester
später eine Delegierung zum Medizinstudium (" lang gehegter Berufswunsch") zu
erhalten, fügt sich dies genau in ihr damaliges Leistungsbild. Während sie die POS mit
„ausgezeichnet“ beendete, wird sie in dem Reifezeugnis vom 05. Juli 1985 dahin
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„ausgezeichnet“ beendete, wird sie in dem Reifezeugnis vom 05. Juli 1985 dahin
beschrieben: „Durch ein hoch anzuerkennendes Maß an Fleiß erwarb sie sich gute
Kenntnisse und strebte auch danach, in Fächern, die sie stärker forderten, nicht
aufzugeben, sondern stetig um weitere Verbesserungen zu kämpfen, was ihr auch mit
zunehmendem Erfolg gelang“. Neben drei Benotungen mit „befriedigend“ und zwei als
„sehr gut“ erhielt sie in sieben Fächern und in der Endnote ein „gut“. Dass ein solches
Leistungsbild damals zur Aufnahme eines Medizinstudiums nicht ausreichte, erschließt
sich als allgemein bekannt unmittelbar und wurde so auch von der Senatsverwaltung für
Bildung, Wissenschaft und Forschung bestätigt. Danach und aufgrund der
letztgenannten Bescheinigung ist das Gericht überzeugt, dass die Klägerin wie auch die
Schulleitung bereits 1984 erkannten, dass sie leistungsmäßig keinerlei Chancen hatte,
direkt ein Medizinstudium aufzunehmen. Allein über die Fachschulausbildung als
Krankenschwester und spätere Delegierung, die sie auch betrieb, erschien ein
Medizinstudium möglich, weshalb sie diesen Weg verfolgte. Dieses Procedere entspricht
danach auch dem üblichen, in dem bereits im Vorfeld möglicher Bewerbungen den
Schülern andere Möglichkeiten aufgezeigt werden konnten, wenn sich abzeichnete, dass
ein Studienwunsch aufgrund fehlender Voraussetzungen nicht erfüllbar gewesen wäre.
Wie die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport - Archiv und Gutachterstelle für
Deutsches Schul- und Studienwesen - dem Beklagten am 3. Juni 2006 mitgeteilt hat,
hatten die Direktoren EOS den Direktoraten für Erziehung und Ausbildung an den
Universitäten die vollständigen Bewerbungsunterlagen zu übergeben. Dort sei von einer
Zulassungskommission über die Auswahl der Bewerber sowie über die Zulassung auf der
Grundlage der Bewerbungsunterlagen entschieden worden. Die Entscheidungen der
Zulassungskommission hätten den Schülern über die Direktoren der Schulen zugestellt
werden sollen. Auch nicht zugelassene Bewerber hätten die Entscheidungen schriftlicher
Form erhalten sollen. Für diesen Fall seien persönliche Gespräche über die weitere
berufliche Entwicklung vorgesehen gewesen. Auf dieser Grundlage konnte es
gegebenenfalls möglich gewesen sein, dass eine - aussichtslose - Bewerbung für
Medizinstudium von vornherein verwehrt wurde. Ein an ihrem oder des Vaters
christlichen Glauben und dessen Betätigung anknüpfendes Verweigerungsverhalten,
gegen dessen Vorliegen auch die erfolgte Zulassung zur Reifeprüfung spricht, träte
demgegenüber, läge es vor, eindeutig zurück. Auch den erst in dem Antrag auf
Rehabilitation behauptete Wille, ein anderes Studium als das der Medizin aufzunehmen,
kann das Gericht nicht glauben. Das bereits frühzeitig festgelegte Interessenbild der
Klägerin, Medizin zu studieren, ergibt sich aus dem dann schließlich auch
aufgenommenen Medizinstudium ebenso wie aus dem bescheinigten frühzeitigen
Interesse daran und nicht an einem anderen Hochschulstudium. Eine weitergehende
Aufklärung des Sachverhaltes durch Zeugeneinvernahme war nicht möglich, weil die
Betracht kommenden Personen zwischenzeitlich verstorben sind.
Zudem wäre die Klägerin bei Zugrundelegung ihres Vortrages nicht infolge einer
Maßnahme nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 BerRehaG i. V. m. § 1 VwRehaG nicht zur Ausbildung
zugelassen worden. In der behaupteten Verweigerungshaltung der „Schulleitung und
Lehrkörper“ (so das Rehabilitierungsantragsformular) bzw. Schulleiter xxx und
Klassenlehrerin xxx (so das Antragsschreiben) innerhalb eines Gespräches kann keine
hoheitliche Maßnahme einer Behörde gesehen werden. Dieser Begriff im Rahmen des §
1 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG umfasst einseitige Maßnahmen von Behörden, die diese in
einem Über- und Unterordnungsverhältnis unter Berufung auf ihre öffentliche Gewalt
trifft, nicht aber deren übriges Handeln (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
30. Juni 1998 – BverwG 3 C 39.97). Dieses übrige Handeln ist zwar von § 1 Abs. 1 Nr. 4
BerRehaG erfasst, auf den jedoch in § 3 Abs. 1 BerRehaG nicht verwiesen wird.
Nach § 3 der Anordnung über die Bewerbung, die Auswahl und Zulassung zum
Direktstudium an den Universitäten und Hochschulen – Zulassungsordnung – vom 01.
Juli 1971 (GBl. DDR, II, 1971, 486) leitet der Rektor der Hochschule die Auswahl- und
Zulassungsarbeit und bildet eine Zulassungskommission. Nach § 2 Abs. 3 sind
Bestandteile der Bewerbungsunterlagen u. a. die Einschätzung der
Gesamtpersönlichkeit des Bewerbers durch die Schule oder den Betrieb. Damit nehmen
weder der Betrieb noch die Schule die der Zulassungsbehörde obliegenden Aufgabe war,
sondern liefern nur im Vorbereitungsstadium eine Einschätzung, die nicht gesondert
hoheitlich ergeht. Hierfür spricht auch § 1 der Zulassungsordnung. Danach sind
Voraussetzungen für die Studienbewerbung und die Zulassung zum
Hochschuldirektstudium die aktive Mitwirkung an der Gestaltung der sozialistischen
Gesellschaft und die Bereitschaft zur aktiven Verteidigung des Sozialismus, der
Nachweis hoher fachlicher Leistungen verbunden mit dem Streben, das Wissen und
Können ständig zu vervollkommnen und die Bereitschaft, alle Forderungen der
sozialistischen Gesellschaft vorbildlich zu erfüllen und nach dem erfolgreichen Abschluss
des Studiums ein Arbeitsrechtsverhältnis entsprechend der Absolventenverordnung
abzuschließen. Diese Voraussetzungen sind als Teil der Kaderpolitik der SED und
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abzuschließen. Diese Voraussetzungen sind als Teil der Kaderpolitik der SED und
staatlichen Behörden Ausdruck der systembedingten Besonderheiten des
kommunistischen Staatswesens. Zur Staatsräson der DDR gehörten u. a. die o. g.
Anforderungen für Studenten. Auf dieser Grundlage kann die Nichtaushändigung der
Bewerbungsunterlagen – selbst wenn sie nicht leistungsbezogen motiviert gewesen wäre
– nicht als hoheitliche Maßnahme angesehen werden.
Sie stellt auch keine politische Verfolgungsmaßnahme dar. Eine solche ist nicht
entbehrlich. Dies ergibt sich aus den Materialien zur Gesetzesentstehung. So heißt es in
der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-DS 12/7048, S. 38,39) vom 10.
verfolgte
Rehabilitierungsgesetz zu berücksichtigen, d.h. für diejenigen, die auf dem Weg zum
Abitur oder zum Studium an einer Fach- oder Hochschule Opfer politischer Verfolgung
geworden sind, wenigstens die bevorzugte Studienförderung nach § 60 BAföG oder die
bevorzugte Förderung nach dem 2. Abschnitt BerRehaG vorzusehen. Damit soll nicht
Opfer politischer Verfolgung
waren, dass Verfolgung in vielen Fällen bereits in der Schulzeit angefangen hat.
Allerdings können nicht alle Fälle, in denen es aus politischen Gründen unmöglich war,
eine qualifizierte berufliche Ausbildung zu erhalten, in das BerRehaG einbezogen werden.
Maßnahmen individueller
politischer Verfolgung
Abiturstufe, das Abitur oder die Zulassung zum Studium einer Fach- oder Hochschule
verhindert hat. Andere Fälle systembedingte Bildung Diskriminierung oder Behinderung
vor beruflicher Ausbildung, die denen ganze Bevölkerungsgruppen ausgesetzt waren,
werfen unlösbare Abgrenzungsprobleme auf und sind für Rehabilitierung Behörden kaum
nachvollziehbar". Eine eventuelle Benachteiligung der Klägerin aufgrund von nicht
vollends systemkonformen Verhaltensweisen hätte aber dem allgemeinen Schicksal der
meisten DDR-Bürger entsprochen. Während der Klägerin in dem Abschlusszeugnis der
POS noch bestätigt wurde, sich die Anerkennung im Kollektiv erworben zu haben, so
dass sie besonders in den letzten beiden Schuljahren verantwortungsvolle Funktionen in
der FDJ-Leitung ausführen durfte, und es ihr schon besser gelungen sei, in allen Formen
der politischen Auseinandersetzung überzeugend zu diskutieren, wird sie in dem
Abschlusszeugnis der EOS dahin eingeschätzt, sich durch Ihr freundliches und
bescheidenes Auftreten gut in das Klassenkollektiv eingeführt zu haben und stets an den
gemeinsamen Unternehmungen der FDJ Gruppe, Politdiskussionen und dem FDJ-
Studienjahr beteiligt gewesen zu sein.
Solche möglichen geschaffenen Erschwernisse beim Berufszugang aufgrund
systembedingter hoher Anforderungen sind von der Rehabilitierung ausgeschlossen (vgl.
BT-Ds. 12/4994, S. 18).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung gegen dieses Urteil ist gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 BerRehaG
ausgeschlossen.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Gründe hierfür nach den §§ 135, 132
VwGO vorliegen. Die Entscheidung ergeht aufgrund der konkreten Einzelfallumstände
und weicht weder von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab, noch wirft sie Fragen
von grundsätzlicher Bedeutung auf.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 des
Gerichtskostengesetzes in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung.
Der Beschluss ist gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 BerRehaG unanfechtbar.
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