Urteil des VG Frankfurt (Oder) vom 14.03.2017

VG Frankfurt(oder ): grundstück, öffentliches interesse, gemeinde, enteignung, rückübertragung, ddr, entschädigung, ertragswert, eigentümer, bodenpreis

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Gericht:
VG Frankfurt (Oder)
4. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 K 993/00
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 2 VermG, § 4 Abs 1
VermG, § 5 Abs 1 Buchst a
VermG
Schädigungstatbestand der Enteignung wegen Überschuldung;
maßgeblicher Zeitpunkt für Ermittlung des Enteignungszwecks;
Restitutionsausschluss bei Änderung der Nutzungsart
Tatbestand
Die Klägerin wehrt sich gegen die Rückübertragung des Grundstücks, Am ... 3-4 in ..., OT
... mit einer Größe von 8.781 m². Das mit einem Zweifamilienhaus bebaute Grundstück
war seit dem 9. Mai 1934 als Eigentum des Vaters der Beigeladenen, Dr. Walter ..., im
Grundbuch von ..., Band 4, Blatt 93, Flur 1, Flurstück 192, eingetragen. Es stand
zunächst unter vorläufiger staatlicher Verwaltung gemäß § 6 der Verordnung zur
Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952. Als Verwalter war der Rat der
Gemeinde ... bestellt.
Mit Schreiben vom 25. Juli 1981 beantragte der Rat der Gemeinde ... beim Rat des
Kreises ... die Inanspruchnahme des Grundstückes gemäß der 2.
Durchführungsbestimmung zum Aufbaugesetz vom 29. September 1972 zur "Sicherung
der Instandsetzung des Mehrfamilienhauses". Der Rat des Kreises stellte daraufhin
seinerseits beim Rat des Bezirkes ... einen Antrag auf Erklärung zum Aufbaugebiet und
gab als Vermögensstatus an:
"Höhe des Einheitswertes:
10.980,- Mark
Wertansatz 80% EW:
8.784,-
"
Höhe des Devisenausländerkontos per Datum des Antrages auf
Inanspruchnahme:
263,24
"
Aktives Vermögen insgesamt:
8.947,24
Höhe der Forderungen insgesamt:
22.550,- Mark
davon Aufbauhypotheken und andere Hypothekenforderungen
22.550,- "
- Steuern bez."
Auf dem Formular ist noch handschriftlich vermerkt:
"Mir fehlt: Neuer Grundbuchauszug Bl.191 neu
Ablehnung von der Kreissparkasse
Valutastand"
Unter dem 1. April 1982 erklärte der Rat des Bezirkes das streitbefangene und zwei
weitere Grundstücke in ... zum Aufbaugebiet. Das Vorhaben bezeichnete er mit:
"Instandsetzung von 3 Wohngebäuden in ...". In der Anlage zum Aufbauplan " ... für die
Aufbaumaßnahme Instandsetzung der Wohngebäude" heißt es in der Spalte des hier
streitbefangenen Grundstücks unter Anzahl der Wohnungen "3 WE". Der Rat des Kreises
nahm daraufhin das Grundstück durch Beschluss vom 21. April 1982 mit Wirkung vom 1.
Juli 1982 in Anspruch.
In einem Beschluss vom 7. Juli 1982 fasste der Rat des Kreises eine
"Grundsatzentscheidung zum Investitionsvorhaben ländlicher Wohnungsbau 5 WE ...,
Kreis ...". In dem Beschluss hieß es unter Ziffer 1. "Begründung der Zielsetzung" u.a.:
Als optimalste Lösung wird in Abstimmung mit dem Rat der Gemeinde ... auf Flur 1
Flurstück Nr. 192 die Einordnung des Wohnblockes vorgenommen."
Unter Ziffer 3. des Beschlusses "Spezielle Angaben zum Vorhaben" heißt es weiter:
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Der Standortbereich gehört zu einem Grundstück, das in die Rechtsträgerschaft der
Gemeinde übertragen ist. ...."
Mit Schreiben vom 29. Juli 1982 lehnte die Kreissparkasse ... einen Kreditantrag des
Rates der Gemeinde ... über 30.000,00 Mark wegen nicht ausreichender
Kreditsicherheiten ab. Der Sachverständige für Wertermittlungen im Grundstücksverkehr
... ermittelte in einem Gutachten vom 20. April 1983 den Zeitwert des Grundstückes mit
8.780,- Mark. Hierfür ermittelte er zunächst den Ertragswert, ausgehend von jährlichen
Mieteinnahmen i.H.v. 1.284,60 Mark und Ausgaben i.H.v. 1.523,29 Mark. Zu dem
Fehlbetrag von 238,69 Mark rechnete er noch 5.300 Mark für unmittelbar anstehende
Reparaturarbeiten hinzu. Zu berücksichtigen seien außerdem noch 980,32 Mark jährliche
Tilgung von Kreditverbindlichkeiten für Werterhaltungsmaßnahmen aus den Jahren 1964
bis 1977. Wegen des Negativsaldos legte er seiner Wertermittlung schließlich den
Bodenwert mit 1,- Mark pro m² zu Grunde.
Auf der Grundlage eines im Mai 1982 erarbeiteten Projektes errichtete die ... in der Zeit
von 1983 bis 1985 auf dem Grundstück ein zweites Wohnhaus mit sechs Wohneinheiten.
Der Kostenaufwand betrug etwa 470.000,00 Mark. Die Staatsbank bewilligte hierfür
Kreditmittel in Höhe von 373.000,00 Mark.
Durch Rechtsträgernachweis vom 10. Oktober 1983 setzte der Rat des Kreises den Rat
der Gemeinde ... als Rechtsträger des volkseigenen Grundstücks ein.
1987/88 führte der Rat der Gemeinde mit Baugenehmigung Nr. 05/87 an dem
Zweifamilienhaus Umbau- und Instandsetzungsarbeiten durch, die auch die Erneuerung
der Heizungs-, Sanitär- und Elektroanlagen umfassten. Der Investitionsaufwand betrug
ca. 101.000,- Mark.
Mit Schreiben vom 14. und 21. September 1990 meldeten die Beigeladenen zu 1) bis 3)
unter Vorlage von Erbscheinen vermögensrechtliche Ansprüche als Rechtsnachfolger
nach dem 1973 verstorbenen Dr. Walter ... an.
Die Oberfinanzdirektion ... ordnete der Klägerin das Eigentum am Grundstück durch
Bescheid vom 04. August 1997 zu, sie ist seit 16. Oktober 1997 im Grundbuch
eingetragen.
Der Beklagte übertrug das Eigentum an dem Grundstück mit Bescheid vom 29. Januar
1998 an die Beigeladenen zu 1) bis 3) unter der Bedingung der Hinterlegung eines
Ablösebetrages zurück. Zur Begründung führte er aus, das Grundstück sei Gegenstand
einer schädigenden Maßnahme im Sinne von § 1 Abs. 2 Vermögensgesetz (VermG)
gewesen, weil es aufgrund nicht kostendeckender Mieten überschuldet und in
Volkseigentum überführt worden sei. Der Rückübertragung stünden Ausschlussgründe
nicht entgegen. Der Neubau des Wohnhauses sei keine Maßnahme des komplexen
Wohnungsbaus gewesen, weil er nicht Bestandteil einer städtebaulichen Einheit
geworden sei.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss I beim
Landesamt ... mit Widerspruchsbescheid vom 7. März 2000 zurück und führt zur
Begründung aus: Es könne hier dahinstehen, ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2
VermG vorlagen, weil die Enteignung jedenfalls gegen eine in diskriminierender Weise zu
niedrig festgesetzte Entschädigung erfolgt sei. Ausweislich des Gutachtens vom 20. April
1983 sei das Grundstück allein nach der Ertragswertmethode und nicht anhand des
sonst üblichen Mittelwertverfahrens bewertet worden. Dies spreche für die Anwendung
der Eigentümer aus dem Westen diskriminierenden Ministerratsbeschlüsse vom 23.
Dezember 1976.
Die Klägerin hat am 20. April 2000 Klage erhoben. Das Grundstück sei zwar überschuldet
gewesen, für die Enteignungsentscheidung habe dies aber keine Rolle gespielt, weil es
den staatlichen Stellen um den Neubau des Wohnblockes gegangen sei. Es könne belegt
werden, dass die Vorbereitung des Neubauvorhabens zeitgleich mit dem
Inanspruchnahmeverfahren erfolgt sei. Die Grundsatzentscheidung des Rates des
Kreises für die Auswahl des Standortes durch Beschluss vom 7. Juli 1982 habe nämlich
auf einer Reihe von Gutachten und Stellungnahmen aus April/Mai 1982 beruht. Für § 1
Abs. 1 Buchst. b) VermG fehle es am notwendigen Zusammenhang zwischen Zugriff auf
das Eigentum und Festsetzung einer diskriminierenden Entschädigung. Denn die
staatlichen Stellen hätten lange vor Ermittlung des Wertes auf das Grundstück
zugegriffen. Im übrigen liege eine diskriminierende Bewertung des Grundstücks hier
schon angesichts des weit über Wert angesetzten m²-Preises von 1 Mark nicht vor. Auch
wenn der Zweck der Inanspruchnahme mit "Instandsetzung der Wohngebäude" falsch
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wenn der Zweck der Inanspruchnahme mit "Instandsetzung der Wohngebäude" falsch
angegeben worden sei, liege hier kein Machtmissbrauch vor, weil es sich dabei lediglich
um eine routinemäßige Floskel handele. Entscheidend sei, dass der tatsächliche
Enteignungszweck - Neubau im ländlichen Wohnungsbau - vom Aufbaugesetz gedeckt
gewesen sei. Eine sogenannte Übermaßenteignung könne ebenfalls nicht angenommen
werden, weil es an einem zielgerichteten Zugriff fehle. Ursache seien lediglich die damals
fehlenden Vermessungskapazitäten und die geringe Wertigkeit der Wald- und
Wiesenflächen gewesen. Schließlich sei die Rückübertragung ohnehin ausgeschlossen,
weil die Klägerin die Nutzungsart und Zweckbestimmung des Grundstücks durch
erheblichen baulichen Aufwand verändert habe. An der Beibehaltung dieser
Nutzungsänderung bestehe auch ein öffentliches Interesse, weil der Wohnraum sozial
schwachen Einwohnern zur Verfügung gestellt werde.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid des Beklagten vom 29. Januar 1998 und den Widerspruchsbescheid
des Widerspruchsausschusses I des Landesamtes ... vom 7. März 2000 insoweit
aufzuheben, als diese die Rückübertragung des Grundstücks Am ... 3 und 4 in ... (Flur 1
Flurstück 192) regeln,
hilfsweise,
den Bescheid des Beklagten vom 29. Januar 1998 und den Widerspruchsbescheid
des Widerspruchsausschusses I des Landesamtes ... vom 7. März 2000 insoweit
aufzuheben, als diese die Rückübertragung einer noch herauszumessenden mit dem 6
WE-Wohnblock bebauten Teilfläche des Grundstücks Am ... 3 und 4 in ... (Flur 1 Flurstück
192) regeln.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verteidigt die angefochtenen Bescheide und verweist auf deren
Begründung. Eine Teilaufhebung komme nicht in Betracht, weil es keinen für einen
Grundstücksteil geltenden Ausschlussgrund gebe.
Die Beigeladenen beantragen,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (4 Hefte) verwiesen, die
vorgelegen haben und - soweit wesentlich - Gegenstand der Beratung und Entscheidung
gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 101 Abs. 2
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und
verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Beklagte
hat das Eigentum am Grundstück Am ... 3 und 4 in ... zu Recht gem. §§ 3 Abs. 1 Satz 1,
2 Abs. 1 VermG an die Beigeladenen zurückübertragen. Nach den genannten
Vorschriften sind Vermögenswerte, die Gegenstand einer schädigenden Maßnahme im
Sinne von § 1 VermG waren, auf Antrag an die Berechtigten bzw. deren
Rechtsnachfolger zurückzuübertragen. Ihre Berechtigung als Rechtsnachfolger nach dem
ursprünglich im Grundbuch eingetragenen Eigentümer, Dr. Walter ..., haben die
Beigeladenen zweifelsfrei unter Vorlage entsprechender Erbscheine nachgewiesen, den
Ausführungen im angegriffenen Bescheid des Beklagten ist insoweit nichts hinzuzufügen
(§ 117 Abs. 5 VwGO).
Schädigende Maßnahme ist vorliegend eine solche nach § 1 Abs. 2 VermG. Danach gilt
das VermG des weiteren für bebaute Grundstücke und Gebäude, die auf Grund nicht
kostendeckender Mieten und infolgedessen eingetretener oder unmittelbar
bevorstehender Überschuldung durch Enteignung, Eigentumsverzicht, Schenkung oder
Erbausschlagung in Volkseigentum übernommen wurden.
Der Schädigungstatbestand von § 1 Abs. 2 VermG setzt nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts dreierlei voraus: Erstens müssen für das bebaute
Grundstück oder das Gebäude in der Zeit vor dem Eigentumsverlust nicht
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Grundstück oder das Gebäude in der Zeit vor dem Eigentumsverlust nicht
kostendeckende Mieten erzielt worden sein. Diese Kostenunterdeckung muss zweitens
zu einer bereits eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Überschuldung geführt
haben. Drittens muss die Überschuldung wesentliche Ursache für den Eigentumsverlust
gewesen sein (vgl. BVerwGE 94, 16 ff., BVerwGE 98, 87ff. und BVerwG, Buchholz 428 § 1
Abs. 2 VermG Nr. 24 S. 97 ff.).
Unabhängig von der Regelvermutung, dass die in der DDR erzielten Mieten nicht
kostendeckend waren (vgl. BVerwGE 108, 281-289), kann das Vorliegen des ersten
Tatbestandsmerkmals hier allein auf der Grundlage des Wertgutachtens des
Sachverständigen ... vom 20. April 1983 bejaht werden. Den jährlichen Mieteinnahmen
i.H.v. 1.284,60 Mark werden dort jährliche Ausgaben von 1.523,29 Mark
gegenübergestellt. Die im Rahmen des zweiten Tatbestandsmerkmals vorzunehmende
Überschuldungsprüfung ergibt ebenfalls ein klares Ergebnis. Laut den vorliegenden
Unterlagen der Abteilung Finanzen beim Rat des Kreises standen dem Einheitswert i.H.v.
10.980,- Mark der Immobilie zuzuordnende Verbindlichkeiten in valutierender Höhe von
22.550,- Mark (eingetragene Aufbauhypotheken über 31.050,- Mark) gegenüber.
Rechnet man noch den Wert der unaufschiebbar notwendigen Instandsetzungsarbeiten,
die im Wertgutachten mit 5.300,- Mark beziffert werden, hinzu, verschärft sich die
Schuldenbilanz bzw. die ökonomische Zwangslage noch weiter (vgl. zur
Beleihungsgrenze in Höhe des Einheitswertes BVerwGE 98, 87 ff.). Dass diese
Überschuldung durch die Kostenunterdeckung verursacht worden war, kann hier
mangels gegenteiliger greifbarer Anhaltspunkte keinem Zweifel unterliegen (vgl. zur
insoweit geltenden Regelvermutung BVerwG, ZOV 1999, 227).
Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin besteht vorliegend auch ein kausaler
Zusammenhang zwischen der zuvor dargestellten Überschuldung und dem
Eigentumsentzug.
Aufgrund des zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Aktenmaterials steht fest,
dass der Rat der Gemeinde ... mit Schreiben vom 25. Juli 1981 in Bezug auf das
streitbefangene Grundstück einen "Antrag auf Inanspruchnahme eines Grundstücks
nach der 2. DB zum Aufbaugesetz vom 29. 9. 1972 (GBl. II. S. 641)" beim Rat des
Kreises gestellt und den Zweck mit "Sicherung der Instandsetzung des
Mehrfamilienhauses in ..., ... Str. 4" bezeichnet hatte. Dieser ist vom Rat des Kreises
auch entsprechend bearbeitet und an den Rat des Bezirkes ... unter Hinweis auf die
einschlägigen Rechtsgrundlagen und die Überschuldung des Grundstücks weitergeleitet
worden, um dort die Erklärung zum Aufbaugebiet zu erwirken. Dass die für die
Überschuldung kennzeichnende Ausschöpfung der Beleihungsmöglichkeit bei der
Bearbeitung des Vorganges jedenfalls nicht von untergeordneter Bedeutung war, zeigt
zudem der handschriftlich angebrachte Vermerk: "Mir fehlt: ... Ablehnung von der
Kreissparkasse ...". Die Ursache dafür, dass der Rat des Bezirkes das Grundstück trotz
fehlender Ablehnung der Kreditbewilligung durch die Kreissparkasse am 01. April 1982
zum Aufbaugebiet erklärte und in das entsprechende Register eintrug, lag mit großer
Wahrscheinlichkeit in der Klarheit der Überschuldungssituation. Auch der Rat des
Bezirkes - der über drei Grundstücke in ... zu entscheiden hatte - bezeichnete das
Vorhaben mit "Instandsetzung von 3 Wohngebäuden in ...". Die für die Überführung in
Volkseigentum letztlich maßgebliche Entscheidung traf der Rat des Kreises am 21. April
1982. Den dem Gericht vorliegenden Unterlagen lässt sich nichts dafür entnehmen,
dass zu diesem Zeitpunkt ein anderer Zweck als die Instandsetzung des
Zweifamilienhauses für die Enteignung maßgeblich gewesen sein könnte. Dem Vortrag
der Klägerin und den von ihr eingereichten Unterlagen kann Gegenteiliges nicht
entnommen werden. Es mag zwar durchaus sein, dass in Bezug auf die Planung der
Errichtung eines Wohnblocks bereits im April und Mai 1982 Baugrund- und andere
Standortuntersuchungen auf dem Grundstück vorgenommen worden sind, von einer
verbindlichen Standortauswahl kann allerdings frühestens mit der
"Grundsatzentscheidung zum Investitionsvorhaben ländlicher Wohnungsbau 5 WE ...,
Kreis ..." des Rates des Kreises vom 7. Juli 1982 ausgegangen werden. Alle
vorangehenden Verlautbarungen staatlicher Stellen über die Einordnung des Projektes
auf dem Grundstück Am ... 3/4 in ... hatten allenfalls empfehlenden Charakter und
konnten keine Grundlage für eine Inanspruchnahme sein. Kommt es nach dem zuvor
Gesagten für die Beweggründe der Enteignung maßgeblich auf den Zeitpunkt der
Inanspruchnahmeentscheidung des Rates des Kreises ... am 21. April 1982 an, kann es
keine Rolle mehr spielen, dass das Grundstück dem Rat der Gemeinde erst durch
Rechtsträgernachweis vom 10. Oktober 1983 mit Wirkung ab dem 1. Juli 1982 übertragen
worden war.
Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin unterstellen würde, dass der Rat des Kreises
... bereits bei seiner Enteignungsentscheidung am 21. April 1982 auch die Errichtung
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... bereits bei seiner Enteignungsentscheidung am 21. April 1982 auch die Errichtung
eines Wohnblocks mit 5 bzw. 6 Wohneinheiten im Blick hatte, könnte dies am rechtlichen
Ergebnis nichts ändern. Denn es könnte auch dann kein Zweifel daran bestehen, dass
die festgestellte Überschuldungslage jedenfalls die wesentliche Ursache für die
Inanspruchnahme war.
Dass Baumaßnahmen an dem Zweifamilienhaus erst 1987 durchgeführt worden sind,
wobei es sich dann auch überwiegend nicht um Instandsetzungs-, sondern um Umbau-
und Modernisierungsmaßnahmen gehandelt haben dürfte, vermag an der
vorangehenden rechtlichen Wertung nichts zu ändern. Denn den Akten kann insoweit
kein greifbarer Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass der benannte
Enteignungszweck - die Durchführung von Instandsetzungsarbeiten - zum Zeitpunkt der
Inanspruchnahme am 21. April 1982 tatsächlich nicht gewollt oder wie die Klägerin
meint, nur floskelhaft angegeben worden war. Im hiesigen Fall erscheint es eher
naheliegend, dass das Vorhaben bzgl. des Zweifamilienhauses zugunsten des Neubaues
aus Kapazitätsgründen zeitlich zurückgestellt worden ist, nachdem letzteres feststand.
Auch die Ablehnung des Kreditantrages des Rates der Gemeinde ... über 30.000,00 Mark
mit Schreiben der Kreissparkasse ... vom 29. Juli 1982 spricht eher dafür, dass man
ursprünglich, d.h. bei Stellung des Kreditantrages, lediglich Instandsetzungen am
Zweifamilienhaus hatte durchführen wollen und noch keine Umbau- und
Modernisierungsmaßnahmen im Werte von über 100.000,- Mark plante.
Schließlich bleibt hier anzumerken, dass es für die staatlichen Stellen keinen Grund gab,
eine Inanspruchnahme zum Zwecke des Wohnungsneubaus zu verheimlichen, weil diese
jederzeit zulässig und darüber hinaus geeignet gewesen wäre, die beträchtliche Größe
der in Anspruch genommenen Fläche zu rechtfertigen.
Darüber hinaus ist der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG ebenfalls
erfüllt. Diese Regelung erfasst Enteignungen, die gegen geringere Entschädigungen
erfolgt sind, als sie Bürgern der früheren DDR zustanden. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts ist Gegenstand des Schädigungstatbestands nicht das bloße
Unterbleiben einer in der DDR üblichen Entschädigung, sondern der diskriminierende
Zugriff auf das Eigentum. Erfasst sind deshalb grundsätzlich nur solche Enteignungen,
bei denen gegenüber den Betroffenen in bewusster Abkehr von den ansonsten für
Bürger der DDR geltenden Vorschriften Entschädigungsbestimmungen zur Anwendung
kamen, die den diskriminierenden Zugriff auf das Eigentum erleichtern sollten. Den
typischen Fall einer solchen diskriminierenden staatlichen Praxis bilden
Entschädigungsfestsetzungen, bei denen durch interne Anweisungen wie die
Ministerratsbeschlüsse vom 23. Dezember 1976 und 28. Juli 1977 (abgedr. in
Schriftenreihe des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen, Heft 1, Dok. 1
und 3) generell die Pflicht zur Zahlung der in der DDR üblichen Entschädigung außer
Anwendung gesetzt und zu Lasten der davon Betroffenen durch eine für sie
ungünstigere Entschädigungsregelung ersetzt wurde. Durch den Ministerratsbeschluss
vom 28. Juli 1977 wurde bei gewerblich genutzten Grundstücken und
Mietwohngrundstücken von Eigentümern "aus kapitalistischen Staaten und West-Berlin"
eine allein am Ertragswert der Grundstücke orientierte und damit zu geringeren
Entschädigungsbeträgen führende Berechnungsmethode vorgeschrieben. Die Regelung
war Teil eines im Ministerratsbeschluss vom 23. Dezember 1976 im Einzelnen näher
beschriebenen Maßnahmenbündels, das dem Ziel diente, mit diskriminierenden
Methoden, insbesondere mit Maßnahmen der gezielten Verschuldung, Vermögen von
Gebietsfremden in staatliche Hand zu bringen. Bei der Ermittlung von Entschädigungen
für im Eigentum von DDR-Bürgern stehenden Grundstücken sowie beim Kauf derartiger
Grundstücke zugunsten des Volkseigentums war hingegen unverändert die
Bewertungsrichtlinie zum Entschädigungsgesetz vom 4. Mai 1960 - BewRL - (abgedr. in
Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR, Bd. IV, 202c Dok I)
anzuwenden, nach deren Abschnitt III b für ein Mietwohngrundstück zur Ermittlung des
Zeitwertes ein Mittel aus Sach- und Ertragswert gebildet werden musste, der jedoch den
aus Bodenpreis und Gebäudewert bestehenden Sachwert als Obergrenze nicht
überschreiten durfte. Der demgegenüber bei Gebietsfremden maßgebende Ertragswert
ließ den Sachwert enteigneter Gebäude außer Ansatz (BVerwGE 95, 289 ).
So liegt der Fall auch hier.
Wie dem Wertermittlungsgutachten vom 20. April 1983 zu entnehmen ist, legte der
Sachverständige ... seinen Berechnungen allein den Ertragswert und nicht den nach
BewRL zu ermittelnden Mittelwert aus Sach- und Ertragswert zu Grunde. Dies entsprach
den diskriminierenden Vorgaben des oben erwähnten Beschlusses des Präsidiums des
Ministerrates über die Anwendung der Preisbestimmungen im Grundstücksverkehr der
DDR vom 28. Juli 1977. Auch wenn sich in den Altakten kein Feststellungsbescheid findet,
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DDR vom 28. Juli 1977. Auch wenn sich in den Altakten kein Feststellungsbescheid findet,
steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Wertermittlung vom 20. April 1983
Grundlage der Festsetzung einer Entschädigung war. Dies ergibt sich unmittelbar aus
dem Schreiben des Rates des Kreises vom 25. Januar 1984 an die Kreissparkasse,
wonach genau der im Gutachten ermittelte Betrag von 8.780,- Mark ausgebucht und die
Restsumme als Forderung gegen den ehemaligen Eigentümer registriert werden sollte.
Der Einwand der Klägerin, dass der Entschädigungsbetrag erst ein Jahr nach der
Überführung in Volkseigentum ermittelt bzw. festgesetzt wurde und es deshalb an dem
"kausalen diskriminierenden Zusammenhang" fehle, kann hier schon deshalb nicht
greifen, weil das Entschädigungsverfahren seinem Sinn und Zweck nach erst
durchgeführt werden konnte, wenn das Inanspruchnahmeverfahren abgeschlossen war.
Dem entsprachen sowohl die einschlägigen Verfahrensvorschriften (vgl. § 8 Abs. 4 1. DB
zum Entschädigungsgesetz vom 30. April 1960, GBl. I S. 336 i.V.m. § 15 Abs. 1 2. DB
zum Entschädigungsgesetz vom 30. April 1960, GBl. I S. 338) als auch die dem Gericht
in einer Vielzahl von Fällen bekannt gewordene Praxis. Da es sich bei den von § 1 Abs. 1
Buchst. b VermG erfassten Fällen typischerweise um einen gestreckten
Schädigungstatbestand handelte, der durch den Enteignungsakt und eine ihm
nachfolgend diskriminierend geringe Entschädigung gekennzeichnet war (vgl. BVerwG,
Urteil vom 24. Juli 2003 - 7 C 1/03 - ZOV 2003 339) kann es nur darauf ankommen, dass
eine (generell) diskriminierende Preisbestimmung zum Zeitpunkt der Enteignung galt
und tatsächlich angewandt wurde. Unerheblich ist, ob – wie die Klägerin meint - die
Enteignung auch ohne die genannte Preisbestimmung durchgeführt worden wäre. Sofern
sich die Klägerin in diesem Zusammenhang auf die Preisverfügung Nr. 3/82 vom 09.
Dezember 1982 beruft, übersieht sie, dass diese dem Beschluss des Ministerrats vom
28. Juli 1977 gerade nachgebildet ist und seinem generell diskriminierenden Charakter
entspricht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Juni 1999 - 8 B 99/99 -, zitiert nach juris).
Die Höhe des zu Grunde liegenden Bodenpreises von 1 Mark pro m² ist nicht geeignet,
den diskriminierenden Charakter der Entschädigung zu widerlegen. Zum einen müsste
der - nach Meinung der Klägerin - überdurchschnittliche Bodenpreis eigens deshalb in
Ansatz gebracht worden sein, um den durch die diskriminierende Berechnungsmethode
entstehenden Nachteil wieder auszugleichen. Es ist aber weder vorgetragen noch
ersichtlich, dass bei einem DDR-Bürger in dieser Situation ein geringerer Bodenpreis
berechnet worden wäre. Zum anderen erscheint es geradezu folgerichtig, das
Grundstück insgesamt für einen höheren Bodenpreis zu entschädigen, denn es ist auch
insgesamt, d.h. ohne Unterscheidung zwischen verschiedenen Nutzungsarten (vgl. § 4
Abs. 4 2. DB zum Aufbaugesetz vom 29. September 1972, GBl. II S. 641) zu einem
investiven Zweck in Anspruch genommen worden.
Der Rückübertragung stehen Ausschlussgründe nicht entgegen. Allein in Betracht
kommender und vorgetragener Ausschlussgrund ist § 4 Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Buchst.
a), Abs. 2 VermG. Danach ist eine Rückübertragung von Eigentumsrechten an
Grundstücken und Gebäuden gem. § 4 Abs. 1 VermG insbesondere auch dann
ausgeschlossen, wenn Grundstücke und Gebäude mit erheblichem baulichen Aufwand in
ihrer Nutzungsart oder Zweckbestimmung verändert wurden und ein öffentliches
Interesse an dieser Nutzung besteht. Voraussetzung ist ferner, dass die maßgeblichen
tatsächlichen Umstände am 29. September 1990 vorgelegen haben.
Die Anwendung dieses Ausschlusstatbestandes scheidet hier schon deshalb aus, weil
weder Nutzungsart noch Zweckbestimmung geändert worden sind. Eine Änderung in
diesem Sinne setzt voraus, dass die Nutzung im Zeitpunkt des Vermögensverlustes
eine qualitativ andere gewesen ist, als sie es am 29. September 1990, dem Zeitpunkt
des Inkrafttretens des Vermögensgesetzes, war. Der Gesetzgeber hatte bei § 5 Abs. 1
Buchst. a) VermG zwar vor allem öffentliche Einrichtungen vor Augen (vgl. BTDrucks
11/7831 S. 7; BVerwGE 100, 70 ), eine geänderte Nutzungsart ist aber auch bei der
Bebauung eines zum Schädigungszeitpunkt unerschlossenen und unbebauten
Grundstücks anzunehmen, um es Wohnzwecken zuzuführen (BVerwG, VIZ 1997, 162 f.).
Hierbei ist letztlich allerdings maßgebend, dass die Nutzung über ihren Umfang hinaus
ein anderes Gepräge erhält, das mit dem vorangegangenen nicht mehr vergleichbar ist.
Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Das streitbefangene Grundstück
diente zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme im Jahre 1982 der Wohnnutzung. Daran
änderte sich in den folgenden Jahren auch durch die Errichtung des Wohnblocks mit 6
Wohneinheiten - bis auf den Umfang der Nutzung - nichts. War das Zweifamilienhaus
bereits vor der Enteignung zu Wohnzwecken (fremd-)vermietet worden, setzte sich dies
auch danach unverändert fort. Die auf volkseigenem Grund und Boden neu errichteten
Wohnungen folgten dieser Nutzungsart lediglich. Etwas anderes könnte allenfalls dann
gelten, wenn ein ausschließlich durch den Eigentümer selbst zu Wohnzwecken genutztes
Grundstück nach der Enteignung zumindest überwiegend der Befriedigung fremder
Wohnbedürfnisse dient (vgl. hierzu Hellmann in
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Wohnbedürfnisse dient (vgl. hierzu Hellmann in
Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, VermG-Kommentar, RdNr. 16 zu § 5
VermG). Davon kann hier keine Rede sein.
Selbst wenn man aber eine Änderung der Nutzungsart annehmen wollte, könnte die
Kammer im vorliegenden Falle das öffentliche Interesse am Fortbestand der veränderten
Nutzung nicht bejahen. Wie oben bereits dargelegt hatte der Gesetzgeber bei § 5 Abs. 1
Buchst. a) VermG solche Nutzungen im Blick, die durch die Rückübertragung gefährdet
würden, wie etwa die Nutzung als öffentliche Einrichtung oder als Anstalt im
Verwaltungsgebrauch. Die von Seiten der Klägerin geltend gemachte Bereitstellung von
Wohnraum für sozial schwächere Bevölkerungsschichten mag zwar traditionell zu den -
freiwilligen - Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung gehören, das mit der
Wahrnehmung dieser Aufgabe verbundene Interesse rechtfertigt es wegen seiner
Allgemeinheit aber für sich gesehen noch nicht, die Rückübertragung des Grundstücks
an den Eigentümer auszuschließen und diesem damit den Vermögenswert
vorzuenthalten. Hinzu kommen muss vielmehr ein besonderes Bedürfnis, auf die
Nutzung des Vermögenswertes zu Wohnzwecken im Blick auf das Wohl der Allgemeinheit
gesteigerten Einfluss nehmen zu können (vgl. BVerwG, VIZ 1997, 162). Für die
Notwendigkeit gesteigerter Einflussnahme auf die Vermietung des Wohnraumes hat die
Klägerin keinen substantiierten Vortrag geliefert, auch sonst ist dafür nichts ersichtlich.
Auf die pauschale Erklärung, der auf dem Grundstück vorhandene Wohnraum werde
benötigt, um ihn sozial schwachen Bürgern zur Verfügung zu stellen, konnte die Kammer
ihre Überzeugungsbildung jedenfalls nicht stützen. Zunächst erscheint zweifelhaft, ob es
angemessen ist, den Ausschluss anderweitiger Unterbringungsmöglichkeiten auf ... zu
beschränken. Hierbei handelt es sich nämlich lediglich um einen untergeordneten Teil
des Ortsteils ..., der seinerseits zu den kleineren Ortsteilen der Klägerin gehört.
Unabhängig davon hätte die Klägerin aber zumindest darlegen müssen, dass es in
ihrem Einzugsbereich eine das Angebot übersteigende Nachfrage nach sozial besonders
verträglichem Wohnraum gibt. Das Gericht konnte dies angesichts des erheblichen
Leerstandes gerade im Bereich des von den Kommunen im Land Brandenburg
gehaltenen Wohnungsbestandes nicht als offenkundige Tatsache gem. § 291
Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 173 VwGO unterstellen.
Der Hilfsantrag hat nach dem zuvor Gesagten in der Sache ebenfalls keinen Erfolg.
Die begehrte Teilrestitution kommt nicht in Betracht, weil es hier - nach Feststellung der
auf das gesamte Grundstück bezogenen schädigenden Maßnahme - keinen, auch nicht
eine Teilfläche betreffenden, Ausschlussgrund gibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Dabei entspricht es
der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen
aufzuerlegen, da dieser sich durch Stellung eines Sachantrages einem eigenen
Kostenrisiko ausgesetzt haben (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre rechtliche Grundlage in § 167 VwGO i. V. m. §§ 708
Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
Gegen die Entscheidung, gegen welche die Berufung nicht gegeben ist (§ 37 Abs. 2
VermG) ist die Revision nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2
VwGO nicht vorliegen.
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