Urteil des VG Frankfurt (Oder) vom 12.02.2002

VG Frankfurt(oder ): tatsächliche sachherrschaft, kompostieranlage, verantwortlichkeit, erfüllung, entsorgung, betreiber, vollziehung, amt, grundstück, gemeinschuldner

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Gericht:
VG Frankfurt (Oder)
7. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 K 2193/02
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 21 BImSchG, § 5 BImSchG, §
148 InsO, § 38 InsO, § 55 InsO
Immissionsschutzrechtliche Betreiberpflichten; kein Nachrücken
des Insolvenzverwalters bei vorheriger vollständiger
Betriebsaufgabe durch Gemeinschuldner
Leitsatz
Der Insolvenzverwalter rückt jedenfalls dann nicht in die Betreiberpflichten der
Gemeinschuldnerin im Sinne des § 5 BImSchG ein, wenn der Betrieb der Anlage bereits vor
Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die Gemeinschuldnerin vollständig eingestellt
worden ist.
Tenor
Die Ordnungsverfügung vom 12. Februar 2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2002 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Hinzuziehung der
Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren war erforderlich.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils
beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die als Insolvenzverwalterin tätige Klägerin wendet sich gegen ihre Inanspruchnahme für
die Beseitigung von Abfällen, die aus dem Geschäftsbetrieb der Gemeinschuldnerin
herrühren.
Die Rechtsvorgänger der ... GmbH ..., nachstehend kurz "Gemeinschuldnerin", und
später dann die Gemeinschuldnerin selbst betrieben seit Vor-Wende-Zeiten auf dem
Grundstück ... in ... – Gemarkung ... Flur 2 Flurstücke 71/2, 90, 91, 92, 93 und Flur 3
Flurstück 58 – eine Kompostieranlage. Nach längerer Korrespondenz zwischen der
Gemeinschuldnerin bzw. deren Rechtsvorgängerin, ... GmbH, einerseits und den für
Immissionsschutzrecht und Abfallrecht zuständigen Behörden andererseits zu der Frage,
welche Anforderungen künftig an die Gestaltung des Anlagenbetriebs zu stellen sind,
erteilte das seinerzeitige Amt für Immissionsschutz ... (nachstehend kurz AfI) der
Rechtsvorgängerin der Gemeinschuldnerin, der ... GmbH (nachfolgend kurz ... GmbH) –
die bis heute Eigentümerin der in Rede stehenden Grundstücke ist – unter dem 26. April
1995 den Genehmigungsbescheid ..., durch welchen die Kompostieranlage unter
Nebenbestimmungen genehmigt wurde. Diese Nebenbestimmungen betrafen
namentlich das Verbot bestimmter Einsatzstoffe, vor allem von behandeltem Altholz.
Im weiteren Verlauf wurde die Gemeinschuldnerin aus der ... GmbH ausgegliedert;
Einzelheiten zu den gesellschaftsrechtlichen Vorgängen sind nicht aktenkundig
geworden. Die ... GmbH blieb jedoch Grundstückseigentümerin; die Gemeinschuldnerin
pachtete das Betriebsgrundstück von ....
Mit Stillegungsverfügung vom 18. Oktober 1996 untersagte das AfI der
Gemeinschuldnerin den weiteren Betrieb eines Teils der Kompostieranlage, nämlich des
sog. Mietenplatzes V, und die Annahme von Einsatzstoffen. Zur Begründung führte das
AfI aus: Die nach der Genehmigung vorgesehene Untergrundabdichtung sei nicht erfolgt,
ebenso wie weitere Nebenbestimmungen missachtet worden seien; es liege deshalb ein
ungenehmigter Anlagenbetrieb vor. Die Gemeinschuldnerin legte hiergegen zunächst
Widerspruch ein, den sie im Zusammenhang mit einem weiteren
Genehmigungsverfahren später jedoch zurückzog. Das AfI setzte den Vollzug der
Teilstillegungsverfügung zunächst aus. Mit Genehmigungsbescheid vom 16. Juli 1997
erteilte das AfI der Gemeinschuldnerin die Änderungsgenehmigung Nr. ..., durch welchen
weitere Änderungen und Kapazitätserweiterungen genehmigt wurden.
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Bei mehreren Betriebsbesichtigungen stellte das AfI fest, dass die Gemeinschuldnerin
entgegen der in der Genehmigung vom 26. April 1995 enthaltenen Nebenbestimmung
behandelte Althölzer, namentlich lackierte Fensterrahmen, angenommen hatte und
sämtliche Kompostmieten mit solchen Althölzern durchsetzt waren. Mit
Stillegungsverfügung vom 27. Oktober 1997 ordnete das AfI die Stillegung der gesamten
Kompostieranlage der Gemeinschuldnerin an, untersagte die Annahme von Bau- und
Abbruchholz, traf Anordnungen zur Beseitigung der vorhandenen Althölzer und drohte
für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld an. Ferner ordnete das AfI die sofortige
Vollziehung an. Zur Begründung verwies das AfI im wesentlichen auf die bei mehreren
Vorortkontrollen angetroffenen Verstöße gegen den Genehmigungsinhalt bezüglich
behandelter Althölzer. Wegen der Einzelheiten wird auf den Wortlaut der
Ordnungsverfügung, Blatt 230 ff. der Anlagenakte Teil II des beklagten Landesamtes,
Bezug genommen.
Gegen diese Ordnungsverfügung erhob die Gemeinschuldnerin mit Anwaltsschriftsatz
vom 3. November 1997 Widerspruch. Im Zuge des Widerspruchsverfahrens verständigte
sich die Gemeinschuldnerin zunächst mit dem AfI dahingehend, dass eine umfangreiche
Beprobung vorgenommen und ein Entsorgungskonzept vorgelegt werden sollte; im
Gegenzug setzte das Amt seine Stillegungsverfügung vorläufig nicht durch. Bei weiteren
Kontrollen stellte das AfI jedoch wiederholt fest, dass die Gemeinschuldnerin nach wie
vor behandeltes Altholz annahm und nicht ordnungsgemäß aussortierte.
Mit Abhilfebescheid vom 3. November 1998 hob das AfI diejenigen Nebenbestimmungen
der Genehmigung vom 16. Juli 1997 auf, die die Annahme und Verwendung bestimmter
Einsatzstoffe zum Gegenstand hatten, weil es insoweit an einer
immissionsschutzrechtlichen Ermächtigungsgrundlage fehle; mit Anhörungsschreiben
vom selben Tage hörte das Amt die Gemeinschuldnerin zum beabsichtigten Erlass einer
abfallrechtlichen Untersagungsverfügung gleichen Inhalts an.
Schließlich erließ das AfI unter dem 19. April 1999 eine weitere Ordnungsverfügung, in
der es zunächst die Ordnungsverfügungen vom 18. Oktober 1996 und 27. Oktober 1997
aufhob und sodann der Gemeinschuldnerin aufgab, die Anlage zur Behandlung und
Lagerung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen – Bau- und Abbruchholz mit
schädlichen Verunreinigungen – stillzulegen und zu beseitigen sowie die
Kompostieranlage teilweise stillzulegen und zu beseitigen. Ferner ordnete das AfI die
sofortige Vollziehung an und drohte der Gemeinschuldnerin für verschiede Varianten der
Nichtbefolgung jeweils Zwangsgelder an. Wegen der Einzelheiten wird auf den Wortlaut
des Bescheides – Betriebsakte Teil II Band 2 Blatt 106 ff. des beklagten Landesamts –
Bezug genommen. Die Gemeinschuldnerin legte mit Schriftsatz vom 20. Mai 1999 am
selben Tage Widerspruch gegen diese Ordnungsverfügung ein und begehrte unter dem
11. Juni 1999 ferner einstweiligen Rechtsschutz (VG Frankfurt (Oder) – 7 L 481/99 –). Das
AfI wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 2000 zurück.
Hiergegen erhob die Gemeinschuldnerin am 12. Januar 2000 zum Aktenzeichen 7 K
76/00 Anfechtungsklage.
Der Berichterstatter im Verfahren 7 K 76/00 hielt am 24. März 2000 einen
Erörterungstermin mit Ortsbesichtigung ab. Wegen der bei der Ortsbesichtigung
getroffenen Feststellungen wird auf das Protokoll – Blatt 71-78R der Gerichtsakte 7 K
76/00 – Bezug genommen. Am Ende des Termins erklärten die Beteiligten ihre Absicht,
außergerichtlich über eine geordnete Entsorgung sowie den Übergang zu einem
genehmigungskonformen Anlagenbetrieb verhandeln zu wollen. In der Folgezeit
verständigten sich die Beteiligten über ein Entsorgungskonzept. Die Gemeinschuldnerin
nahm den Antrag im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes am 18. Dezember 2000
zurück; das Verfahren 7 L 481/99 wurde durch Beschluss vom 19. Dezember 2000 auf
Kosten der Gemeinschuldnerin eingestellt. In der Folgezeit kam es zu weiteren – letztlich
fruchtlosen – Verhandlungen zwischen der Gemeinschuldnerin und dem Beklagten über
einen kostengünstigen Weg zur Bereinigung der Situation.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 1. Mai 2001 wurde mit Wirkung
vom selben Tage wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren
über das Vermögen der Gemeinschuldnerin eröffnet und die Klägerin zur
Insolvenzverwalterin bestellt. Mit Schreiben vom 9. Mai 2001 zeigte die Klägerin ihre
Bestellung dem Beklagten an. Im Verfahren 7 K 76/00 zeigte die Klägerin mit Schriftsatz
vom 15. Juli 2001 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie ihre Bestellung zur
Insolvenzverwalterin an und teilte mit, dass sie das Verfahren nicht aufnehmen werde.
Das AfI und die Gemeinschuldnerin nahmen das Verfahren ebenfalls nicht auf; die Akte
wurde entsprechend den Vorschriften der Aktenordnung weggelegt.
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Das AfI teilte der Klägerin mit Schreiben vom 3. August 2001 mit, dass er ein
zwischenzeitlich eingeleitetes weiteres Verwaltungsverfahren betreffend Abgabe von
Emissionserklärungen im Hinblick auf die Insolvenzeröffnung eingestellt habe. Ferner
beabsichtige er, die Ordnungsverfügung vom 19. April 1999 aufzuheben und gleichzeitig
eine im wesentlichen inhaltsgleiche Verfügung an die Klägerin zu adressieren.
Mit der hier streitgegenständlichen Ordnungsverfügung vom 12. Februar 2002 gab das
AfI der Klägerin auf, die auf dem Grundstück Gemarkung ... Flur 2 Flurstücke 71/2, 90,
91, 92, 93 und Flur 3 Flurstück 58 gelagerten Abfälle bis zum 31. Dezember 2002 einer
geordneten Entsorgung zuzuführen und zu diesem Zwecke bis zum 11. März 2002 ein
Entsorgungskonzept vorzulegen. Ferner drohte das AfI die Ersatzvornahme und
weiterhin, die voraussichtlichen Kosten der Ersatzvornahme in Höhe von 1.959.000,00
Euro vorschüssig einzufordern, an. Ferner ordnete das AfI die sofortige Vollziehung an.
Zur Begründung seiner Verfügung führte das AfI aus: Ermächtigungsgrundlage sei § 17
Abs. 1 in Verbindung mit § 5 Abs. 3 Nr. 2 BImSchG. Nach letzterer Vorschrift habe der
Betreiber einer genehmigungsbedürftigen Anlage nach einer Betriebseinstellung dafür
zu sorgen, dass vorhandene Abfälle ordnungsgemäß und schadlos verwertet bzw.
entsorgt würden. Gemäß § 17 Abs. 4a BImSchG könnten Anordnungen zur
Durchsetzung dieser Pflicht noch ein Jahr nach Betriebseinstellung getroffen werden. Bei
einer Vor-Ort-Kontrolle am 3. April 2001 habe der Betrieb eingestellt gewirkt, bei einer
weiteren Inspektion am 2. Juli 2001 sei die Anlage überwachsen und demgemäß bereits
seit längerer Zeit nicht mehr betrieben worden. Das AfI verlange die Entsorgung der
zurückgebliebenden Abfälle von der Klägerin. Auf der Ebene einer etwaigen
Störerauswahl heißt es in dem Bescheid lediglich: "Eine Inanspruchnahme des
Grundstückseigentümers als Zustandsstörer kommt zunächst nicht in Betracht." Wegen
der weiteren Einzelheiten wird auf den Wortlaut des Bescheides, Betriebsakte Teil II Band
2 Bl. 381-390 des beklagten Landesamts, Bezug genommen.
Die Klägerin legte mit Schriftsatz vom 1. März 2002 am 5. März 2002 Widerspruch ein.
Zur Begründung trug sie vor: Der Bescheid sei schon deshalb fehlerhaft, weil die Klägerin
das Betriebsgrundstück bereits am 2. Juli 2001 an den Verpächter, Rechtsanwalt ... als
Insolvenzverwalter über das Vermögen der ... GmbH, zurückgegeben habe. Im übrigen
sei die Verfügung unverhältnismäßig, da das Verfahren massearm sei. Das AfI wies den
Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2002 zurück. Zur Begründung
wiederholte es im wesentlichen die Gründe des Ausgangsbescheides; ergänzend führte
es aus: Die Klägerin sei als Insolvenzverwalterin dafür verantwortlich, dass die nach der
Betriebseinstellung noch vorhandenen Abfälle ordnungsgemäß entsorgt würden. Durch
die Freigabe des Grundstückes an den Verpächter könne sie sich dieser Pflicht nicht
entziehen. Ihre Verantwortlichkeit sei nicht dadurch erloschen, dass sie den Betrieb
weiterverpachtet habe. Zwar sei der Pächter, Rechtsanwalt ..., jetzt Anlagenbetreiber,
die Klägerin könne sich aber ihren Nachsorgepflichten nicht entziehen. Der
Widerspruchsbescheid wurde am 23. Juli 2002 zugestellt.
Die Klägerin hat am 22. August 2002 Klage erhoben.
Sie wehrt sich weiterhin gegen ihre Inanspruchnahme durch die Ordnungsverfügung vom
12. Februar 2002. Zur Klagebegründung trägt sie mit Schriftsatz vom 25. Februar 2003
vor: Die Gemeinschuldnerin habe auf den streitbefangenen Grundstücken bis zum 31.
März 2001 eine Deponie betrieben. Die Verpächterin der Betriebsgrundstücke, ... GmbH,
befinde sich ebenfalls in Insolvenz. Die Klägerin habe den Pachtvertrag über die
Betriebsgrundstücke zum 31. März 2002 gekündigt. Die sofortige Besitzaufgabe habe
der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Verpächterin jedoch nicht akzeptiert. Das
Pachtverhältnis sei schließlich am 24. Mai 2002 beendet worden. Die unter dem 12.
Februar 2002 erlassene Ordnungsverfügung sei unter mehreren rechtlichen
Gesichtspunkten fehlerhaft. Zum einen sei die Klägerin die falsche Adressatin; nicht sie,
sondern allein die Gemeinschuldnerin sei Anlagenbetreiber und Pflichtige hinsichtlich der
Nachsorgepflichten nach Betriebseinstellung. Die Erfüllung der Verfügung sei der
Klägerin tatsächlich unmöglich, weil sie seit dem 24. Mai 2002 keinen Besitz mehr an
den vormaligen Betriebsgrundstücken habe. Die Erfüllung sei ferner rechtlich unmöglich,
weil es sich nicht um eine Masseverbindlichkeit handle. Schließlich sei die Erfüllung auch
wirtschaftlich unmöglich, weil das Verfahren masseunzulänglich sei. Die Klägerin
wiederholt und vertieft dieses Vorbringen mit weiteren Schriftsätzen vom 6. August
2003, 16. Juni 2004 und 6. April 2005. Wegen der weiteren Einzelheiten wird jeweils auf
den Wortlaut der Schriftsätze Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 12. Februar 2002 in der Gestalt des
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die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 12. Februar 2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2002 aufzuheben,
ferner die Hinzuziehung der Prozeßbevollmächtigten im Vorverfahren für
erforderlich zu erklären.
Das beklagte Landesamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das als Funktionsnachfolger des vormaligen AfI nunmehr beklagte Landesamt verteidigt
die Bescheide des AfI: Die Nachsorgepflicht des Anlagenbetreibers sei mit
Insolvenzeröffnung auf die Klägerin übergegangen. Es handle sich um eine auf die Masse
bezogene Entsorgungspflicht, die sich im Insolvenzverfahren fortsetze. Die Klägerin sei
kraft Amtes verpflichtet, die Abfälle in Besitz zu nehmen. An der Ermessensausübung
halte der Beklagte fest. Die Abfälle rührten aus dem früheren Anlagenbetrieb der
Gemeinschuldnerin. Demgegenüber befände sich der Grundstückseigentümer in einer
Opferrolle und sei lediglich nachrangig in Anspruch zu nehmen. Die Erfüllung der
Verfügung sei auch möglich, da es sich um eine Masseverbindlichkeit handle, eine
wenigstens teilweise ausreichende Masse vorhanden sei und erforderlichenfalls eine
Duldungsverfügung an den Grundstückseigentümer erlassen werden könnte.
Die Klägerin hat hinsichtlich der angegriffenen Ordnungsverfügung auch um einstweiligen
Rechtsschutz nachgesucht – 7 L 120/03 –. Hinsichtlich der Ordnungsverfügung vom 12.
Februar 2002 hat das AfI die Anordnung des Sofortvollzuges unter dem 10. Juni 2003
aufgehoben; das Verfahren 7 L 120/03 wurde durch Beschluß vom 18. Juli 2003 auf
Kosten des AfI eingestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
7 L 481/99, 7 K 76/00, 7 K 2193/02, 7 L 120/03, 7 L 525/03 und 7 K 818/04, die
Sitzungsniederschrift vom 6. März 2007, sowie den Inhalt der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die als Anfechtungsklage statthafte Klage ist zulässig und begründet.
Die Ordnungsverfügung vom 12. Februar 2002 und der Widerspruchsbescheid vom 18.
Juli 2002 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1
VwGO.
Das beklagte Landesamt stützt sich auf § 17 Abs. 1 BImSchG in Verbindung mit § 5 Abs.
3 Nr. 2 BImSchG als Ermächtigungsgrundlage für die angegriffene Ordnungsverfügung.
Nach diesen Vorschriften kann die zuständige Behörde die im Einzelfall erforderlichen
Anordnungen erlassen, um die Einhaltung der den Betreiber einer
genehmigungsbedürftigen Anlage treffenden Pflicht sicherzustellen, dass nach einer
Betriebseinstellung vorhandene Abfälle ordnungsgemäß und schadlos verwertet bzw.
entsorgt werden.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage liegen nicht vor.
Die Klägerin war und ist nicht Betreiberin einer genehmigungsbedürftigen Anlage im
Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 2 BImSchG. Zu Recht gehen die Beteiligten davon aus, dass der
frühere Betrieb der Gemeinschuldnerin eine immissionsschutzrechtlich
genehmigungsbedürftige Anlage darstellt, der von der Gemeinschuldnerin auch
betrieben wurde. Die Betriebseinstellung erfolgte nach dem Vorbringen der Klägerin zum
31. März 2001, nach dem – durch eine Vor-Ort-Kontrolle unterlegten – Vorbringen des
beklagten Landesamts jedenfalls vor dem 3. April 2001. Die Bestellung der Klägerin zur
Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Gemeinschuldnerin erfolgte demgegenüber
erst am 1. Mai 2001. Angesichts dieser chronologischen Abfolge kommt eine
Betreiberstellung der Klägerin bezüglich der Anlage im immissionsschutzrechtlichen
Sinne auch nur für einen kurzen Zeitraum nicht in Betracht.
Entgegen der Auffassung des beklagten Landesamts ergibt sich aus der Pflicht zur
Inbesitznahme gemäß § 148 Abs. 1 InsO auch keine fiktive Betreiberstellung, die es
erlaubte, der Klägerin trotz fehlender tatsächlicher Betreibereigenschaft die Pflichten
eines Betreibers aufzuerlegen. Zur Abgrenzung des Rechtskreises des Insolvenzrechts
und des Rechtskreises der öffentlich-rechtlichen Gefahrenabwehr hat das
Bundesverwaltungsgericht ausgeführt (Urteil vom 23. September 2004 – 7 C 22.03 –,
u.a. BVerwGE 122, 75 ff., = NVwZ 2004, 1505, hier zitiert nach juris, Randnummern 12
und 13):
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"(...) Das Insolvenzrecht beschränkt das Ordnungsrecht ebenso wenig wie
umgekehrt das Ordnungsrecht das Insolvenzrecht. Obwohl bei der rechtlichen
Bewältigung von Ordnungspflichten in der Insolvenz beide Rechtskreise ineinander
greifen, sind die ordnungsrechtlich und insolvenzrechtlich zu beurteilenden Fragen
streng zu trennen. Allein das Ordnungsrecht regelt, unter welchen Voraussetzungen eine
Störung der öffentlichen Sicherheit (Gefahr) vorliegt, wie dieser Störung zu begegnen ist
und wer dafür in Anspruch genommen werden kann. Deshalb ist auch die Frage, ob allein
die dem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis folgende Inbesitznahme
der Masse durch den Insolvenzverwalter nach § 148 Abs. 1 InsO eine Ordnungspflicht für
von der Masse ausgehende Störungen begründet, ausschließlich nach den
Tatbestandsmerkmalen des jeweils einschlägigen Ordnungsrechts zu beurteilen. Reicht
danach – wie in § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG – die tatsächliche Gewalt über ein
Grundstück oder – wie in § 11 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 6 des Kreislaufwirtschafts- und
Abfallgesetzes – KrW-/AbfG – die tatsächliche Sachherrschaft aus (vgl. dazu Urteil des
Senats vom 22. Juli 2004 – BVerwG 7 C 17.03 – ZIP 2004, 1766), wird der
Insolvenzverwalter bereits mit der Besitzergreifung ordnungspflichtig. Knüpft die Pflicht
demgegenüber – wie in § 5 und § 22 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes – BImSchG
– an die Stellung als Betreiber einer Anlage an, ist fragwürdig, ob schon die
Inbesitznahme als solche für die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit des
Insolvenzverwalters ausreicht (offen gelassen im Urteil vom 22. Oktober 1998 – BVerwG
7 C 38.97 – BVerwGE 107, 299 <301>). Soweit die Ordnungspflicht sich schließlich nicht
aus der Verantwortlichkeit für den aktuellen Zustand von Massegegenständen ergibt,
sondern an ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten anknüpft, wie etwa die
Verursachung einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1
BBodSchG) oder die Erzeugung von Abfall (§ 11 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 5 KrW-/AbfG)
durch den Gemeinschuldner, kann die Besitzergreifung von vornherein nicht zur
persönlichen Inanspruchnahme des Insolvenzverwalters führen; denn seine
Sachherrschaft hat keinen Bezug zu den Voraussetzungen, die das Ordnungsrecht in
diesen Fällen an die Störereigenschaft stellt.
An diesen ordnungsrechtlichen Befund schließt das Insolvenzrecht an, indem es
bestimmt, wie die Ordnungspflichten im Insolvenzverfahren einzuordnen sind. Trifft die
ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit den Insolvenzverwalter, handelt es sich um eine
persönliche Pflicht, die nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO als Masseverbindlichkeit zu erfüllen
ist. Trifft die Ordnungspflicht demgegenüber als Verhaltensverantwortlichkeit den
Gemeinschuldner, kann sie nur eine Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO
begründen; insoweit kann der Insolvenzverwalter nur nach Maßgabe des Insolvenzrechts
in eine vom Gemeinschuldner abgeleitete Rechtsstellung einrücken (vgl. Urteil des
Senats vom 22. Juli 2004, a.a.O. S. 1768)."
Von diesen Grundsätzen ausgehend fehlt es an einer Rechtsgrundlage für das vom
beklagten Landesamt angenommene Einrücken der Klägerin in die Betreiberstellung der
Gemeinschuldnerin. Zum einen ist die Pflicht des Anlagenbetreibers zur Abfallverwertung
bzw. -entsorgung bei Betriebseinstellung eine Verhaltens- und keine
Zustandsverantwortung, die nicht an das Vorhandensein von Abfällen, sondern an den
Vorgang der Betriebseinstellung anknüpft und damit nur denjenigen treffen kann, der
diesen Vorgang handelnd bewirkt. Zum anderen fehlt es hinsichtlich des Betriebes der
Anlage jedenfalls dann, wenn die Stillegung nicht – anstelle einer sanierungsorientierten
Betriebsfortführung – durch den Insolvenzverwalter erfolgt, sondern bereits vor Eröffnung
des Insolvenzverfahrens durch die (spätere) Gemeinschuldnerin erfolgt ist, auch an dem
Moment der Inbesitznahme durch den Insolvenzverwalter, hinsichtlich dessen die
Möglichkeit einer etwaigen Pflichtigkeit des Insolvenzverwalters in den in Bezug
genommenen älteren Entscheidungen des BVerwG offenblieb. Gegenstand der
Inbesitznahme durch den Insolvenzverwalter ist in diesem Falle kein Betrieb in Sinne
einer Sachgesamtheit, in der sich eine in Betrieb befindliche Anlage verkörpert und
hinsichtlich derer noch Betreiberpflichten denkbar sind, sondern lediglich eine Mehrzahl
von Einzelgegenständen, die nach der durch die Gemeinschuldnerin erfolgten
Betriebseinstellung aus der vormaligen betrieblichen Sachgesamtheit zurückgeblieben
sind, ohne noch einen Betrieb zu bilden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Hinzuziehung des
Prozessbevollmächtigten war im Hinblick auf die rechtlichen Schwierigkeiten der
Abgrenzung vom Ordnungsrecht und Insolvenzrecht erforderlich im Sinne des § 162 Abs.
2 Satz 2 VwGO; diese Vorschrift erfasst auch den sich selbst vertretenden Rechtsanwalt
(vgl. Kopp/Schenk, VwGO, 13. Aufl., § 162 RdNr. 19 mwN). Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 709 ZPO.
Berufungszulassungsgründe im Sinne des § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO sind nicht
ersichtlich; insbesondere hat die Sache, da die wesentlichen Rechtsfragen durch das
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ersichtlich; insbesondere hat die Sache, da die wesentlichen Rechtsfragen durch das
Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden sind, keine grundsätzliche Bedeutung.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 156.720,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Streitwert war gemäß § 13 Abs. 1 GKG a.F. nach dem Interesse der Klägerin am
Streitgegenstand festzusetzen. Die Kammer hat für das Hauptsacheverfahren das
Vierfache des im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes festgesetzten und von den
Beteiligten nicht mit der Streitwertbeschwerde angegriffenen Betrages angenommen;
wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf den den Beteiligten bekannten
Einstellungsbeschluss vom 18. Juli 2003 im Verfahren 7 L 120/03 Bezug genommen.
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