Urteil des VG Frankfurt (Oder) vom 11.09.2008

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Gericht:
VG Frankfurt (Oder)
4. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 K 1318/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 2 S 3 KDVG, § 5 KDVG
Anforderungen an den Antrag auf Anerkennung als
Kriegsdienstverweigerer
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung
gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht
die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der 1984 geborene Kläger begehrt seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer.
Er wurde am 29. März 2005 gemustert.
Mit Bescheid vom gleichen Tage stellte das Kreiswehrersatzamt ... den Kläger wegen
seiner bereits begonnenen Berufsausbildung bis zum 31. Juli 2006 vom Wehrdienst
zurück.
Mit einem am 08. Juni 2006 beim Kreiswehrersatzamt ... eingegangenen Schreiben teilte
der Kläger dem Kreiswehrersatzamt mit, dass er zum 01. Juli 2006 seinen Dienst nicht
antreten könne, da er sich noch in Ausbildung befinde und im Juli oder August seine
Abschlussprüfung ablege.
Das Kreiswehrersatzamt ... wies mit Schreiben vom 12. Juni 2006 darauf hin, dass der
Kläger bereits ohnehin bis einschließlich zum 31. Juli 2006 vom Wehrdienst zurückgestellt
sei.
Mit Schreiben vom 08. Juli 2006 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers
die Zurückstellung des Klägers vom Wehrdienst bis zum 22. August 2006, weil dieser
sich im August auf die praktische Prüfung am 22. August 2006 vorbereiten müsse. Da
der Kläger die Absicht habe, direkt nach der Prüfung möglichst ab September 2006 eine
Anstellung als Koch zu finden, wurde darum gebeten, den Kläger nicht bereits zum 01.
Oktober 2006 zum Grundwehrdienst einzuberufen.
Mit Bescheid vom 17. Juli 2006 lehnte das Kreiswehrersatzamt ... den
Zurückstellungsantrag ab und führte zur Begründung aus, dass die Heranziehung zum
Wehrdienst für den Kläger keine besondere Härte bedeute.
Mit Bescheid vom 04. August 2006 berief das Kreiswehrersatzamt ... den Kläger zum
Grundwehrdienst ab dem 01. Oktober 2006 ein.
Mit Schreiben vom 07. August 2006 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte des
Klägers dessen Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen.
Darauf wurde der Einberufungsbescheid vom 04. August 2006 aufgehoben.
Mit Bescheid vom 05. April 2007 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf
Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ab und führte zur Begründung aus, dass der
Antrag unvollständig sei. Der Kläger sei mit Schreiben vom 02. November 2006
aufgefordert worden, seinen Antrag zu vervollständigen, was er nicht getan habe.
Dagegen erhob der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 08. Mai
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Dagegen erhob der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 08. Mai
2007 Widerspruch.
Mit Schreiben vom 21. Juni 2007 forderte die Beklagte den Kläger auf, innerhalb von
einem Monat nach Zugang des Schreibens eine persönliche und ausführliche Darlegung
der Beweggründe für die Kriegsdienstverweigerung zu übersenden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 2007 wies die Beklagte den Widerspruch des
Klägers als unbegründet zurück, da er die persönliche und ausführliche Darlegung seiner
Gewissensgründe nicht eingereicht habe.
Der Kläger hat am 18. September 2007 die vorliegende Klage erhoben.
Der Kläger trägt vor: Durch die Erziehung seiner Eltern und in der Schule sowie durch
Erfahrungen in seinem Leben habe sich in ihm ein Gewissen gebildet, dass ihm den
Kriegsdienst an der Waffe verbiete. In seiner Familie seien Konflikte regelmäßig verbal
ohne Gewalt gelöst worden. Er habe deshalb für sich verinnerlicht, auf Gewalt nicht mit
Gegengewalt zu reagieren. So sei er ungefähr vor einem Jahr vor einer Diskothek von
einem anderen Gast mit Fäusten geschlagen worden, wobei er nicht zurückgeschlagen
habe, obwohl ihm bekannt gewesen sei, sich in Notwehr verteidigen zu dürfen. Er habe
aber eine innere Hemmung dagegen gehabt, jemandem weh zu tun und nicht gewollt,
dass die Gewalt weiter eskaliere.
Als er noch Jugendlicher gewesen sei, habe seine Mutter einen Verkehrsunfall erlitten
und dabei ein Schädelhirntrauma erlitten. Damals sei ihm bewusst geworden, wie schnell
ein Menschenleben, z.B. durch einen Verkehrsunfall, zu Ende gehen könne. Durch dieses
Ereignis habe er für sich gespürt, dass jedes Menschenleben etwas sehr Kostbares sei.
Die Bundeswehr werde immer mehr dazu eingesetzt, politischen Krisen und Gefahren
auch zur Not mit Gewalt zu begegnen. Bei den Einsätzen der Bundeswehr in Jugoslawien
und Afghanistan würden regelmäßig Menschen getötet, darunter viele Zivilisten. Als
Soldat der Bundeswehr könne er jedoch den Befehl bekommen, auf Menschen zu
schießen, was ihm sein Gewissen verbiete.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für den
Zivildienst vom 05. April 2007 und des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2007 zu
verpflichten, festzustellen, dass er berechtigt ist, den Kriegsdienst an der Waffe zu
verweigern.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor: Die von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgelegte Darlegung
der Beweggründe entspreche nicht den Anforderungen des § 2 Abs. 2 Satz 3 KDVG, da
sie nicht persönlich verfasst worden sei. Die Darlegung der Beweggründe müsse vom
Antragsteller selbst verfasst werden, weil der Antragsteller dadurch gezwungen werden
solle, über die Beweggründe seiner Verweigerungsentscheidung selbst volle Klarheit zu
gewinnen und darüber auch Rechenschaft abzugeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte und
den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung
verhandeln und entscheiden, weil in der Ladung auf diese Möglichkeit ausdrücklich
hingewiesen wurde (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Verpflichtungsklage ist nicht begründet.
Die Ablehnung des Antrages des Klägers auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer
durch den Bescheid des Bundesamtes für den Zivildienst vom 05. April 2007 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2007 ist rechtmäßig und verletzt
den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Er hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gemäß Art. 4 Abs.
3 Satz 1 GG i. V. m. §§ 1, 5 KDVG.
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Zu Recht weist die Beklagte mit Schriftsatz vom 24. Mai 2007 darauf hin, dass die von
dem Prozessbevollmächtigten des Klägers im Rahmen der Klagebegründung
vorgetragenen Beweggründe bereits nicht den formellen Anforderungen eines
ordnungsgemäßen Antrags auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gemäß §§ 5
Nr. 1, 2 Abs. 2 Satz 3 KDVG entsprechen. Danach ist dem Antrag unter anderem eine
persönliche, ausführliche Darlegung der Beweggründe für die Gewissensentscheidung
beizufügen. Das Wort „persönlich“ bedeutet, dass die Darlegung sich nicht nur auf die
Person des Antragstellers bezieht, sondern auch von ihm stammen soll, so dass der
Antragsteller also seine Beweggründe in einem von ihm selbst verfassten Schreiben
darlegen muss (Boehm-Tettelbach, Wehrpflichtgesetz, Kommentar, § 2 KDVG Rdn. 11
bb; Johlen, Wehrpflichtrecht in der Praxis, 4. Auflage 1996, Rdn. 288).
Während somit die Antragstellung selbst durch einen Verfahrensbevollmächtigten
erfolgen kann (BVerwG, NVwZ 1988, 61) ist der Antragsteller gehalten, seine
Beweggründe selbst zu verfassen. Durch die Verwendung des Wortes „persönlich“ soll
im Gegensatz zu Willenserklärungen, die von Stellvertretern abgegeben werden können,
sichergestellt werden, dass der Betreffende die Erklärung selbst abgibt. Das Erfordernis
einer persönlichen Erklärung ist auch in anderen Vorschriften vorgesehen, etwa bei der
Errichtung eines Testaments, § 2064 BGB, der Eheschließung, § 1311 BGB, der
Asylantragstellung gem. § 23 Abs. 1 AsylVfG oder bei der Stimmabgabe bei Wahlen, vgl.
§§ 36 Abs. 2 Satz 1, 34 Abs. 2 Nr. 1 BWG. In diesen Fällen ist die Stellvertretung bei der
Abgabe von Willenserklärungen grundsätzlich ausgeschlossen.
Gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 BWG muss der Wähler bei der Briefwahl an Eides statt
versichern, dass der Stimmzettel „persönlich“ oder „gemäß dem erklärten Willen des
Wählers“ gekennzeichnet worden ist. Eine entsprechende oder vergleichbare
Formulierung wie „gemäß dem erklärten Willen“ fehlt in § 2 Abs. 2 Satz 3 KDVG, was
ebenfalls dafür spricht, dass eine Erklärung, die zwar dem Willen des Antragstellers
entsprechen mag, von diesem aber nicht selbst verfasst wurde, nicht ausreichend ist.
Mit dem Erfordernis einer ausführlichen Begründung der Gewissensentscheidung soll der
Antragsteller gezwungen werden, über die Beweggründe seiner Entscheidung im Lichte
des richtig verstandenen Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung volle Klarheit zu
gewinnen und wenigstens in dieser schriftlichen Form dem Staat darüber Rechenschaft
zu geben (vgl. Bundestagsdrucksache 9/2124, S. 11).
Auch diese Gesetzesbegründung spricht für die vorgenommene Auslegung. Denn nur
wenn ein Antragsteller gezwungen wird, seine Beweggründe für eine
Gewissensentscheidung selbst schriftlich zu formulieren, besteht ein hinreichender Grad
an Gewissheit, dass er sich die entsprechenden Gedanken selbst gemacht und sich mit
der Gewissensfrage auseinandergesetzt hat.
Abgesehen davon, dass der Kläger keine persönliche Darlegung seiner Beweggründe
vorgelegt hat, sind die in dem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten in der
Klagebegründung vom 16. März 2008 dargelegten Gründe auch nicht geeignet, das
Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu begründen, vgl. § 5 Nr. 2 KDVG.
Aus diesen schriftlichen Ausführungen ergibt sich nicht, dass die Verweigerung des
Wehrdienstes auf einer Gewissensentscheidung des Klägers beruht. Die
Gewissensentscheidung ist unter Schilderung von Erlebnissen, moralischen Geboten, der
Erziehung bzw. anderen Prägungen schlüssig darzulegen. Diesen Anforderungen genügt
die Klagebegründung nicht. Die Schilderung seiner Gewissensbildung durch die
Erziehung seiner Eltern und seiner Erfahrungen in der Schule ist zu allgemein gehalten.
Der Vorfall vor der Diskothek, der sich ungefähr ein Jahr vor der Klagebegründung gemäß
dem Schriftsatz vom 16. März 2008, also etwa im März 2007, zugetragen haben soll, ist
kein schlüssiger Hinweis auf eine Gewissensentscheidung. Der Kläger trägt vor, er habe
von einer anderen Person Schläge einstecken müssen und auf Notwehr verzichtet, weil
er gegen die Anwendung von Gewalt sei. Insoweit ist zunächst festzustellen, dass sich
dieser Vorfall offenbar eine geraume Zeit nach der Antragstellung zugetragen hat und
somit nicht geeignet sein kann, die bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung am 07.
August 2006 angeblich bereits vorhanden gewesene Gewissensentscheidung zu
begründen. Der Umstand des Schlägeeinsteckens weist im Übrigen nicht zwingend auf
eine moralische Gewissensentscheidung hin.
Die Schilderung der Verletzung seiner Mutter bei einem Verkehrsunfall in seiner
Jugendzeit steht in überhaupt keinem Zusammenhang mit der Frage, warum das
Gewissen des Klägers ihm verbietet, in einem Verteidigungskrieg als Soldat zu kämpfen.
Die allgemeinen Ausführungen zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr sind ebenfalls
nicht geeignet, eine Gewissensentscheidung des Klägers zu belegen. Zunächst ist
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nicht geeignet, eine Gewissensentscheidung des Klägers zu belegen. Zunächst ist
festzustellen, dass Wehrpflichtige nicht an solchen Auslandseinsätzen teilzunehmen
brauchen. Sofern der Kläger vortragen lässt, dass er als Soldat der Bundeswehr den
Befehl bekommen könne, auf Menschen schießen zu müssen, was seinem Gewissen
widerspreche, ist nicht schlüssig dargelegt, wie es zu dieser Gewissensentscheidung
gekommen ist.
Des Weiteren lässt das gesamte Verhalten des Klägers im Verwaltungs- und
Gerichtsverfahren den Schluss zu, dass er keine ernsthafte Gewissensentscheidung
getroffen hat. Bereits das Verwaltungsverfahren wurde nachlässig betrieben, weil der
Kläger auf schriftliche Aufforderungen durch das Bundesamt für Zivildienst nicht reagiert
und die angeforderten Anlagen nicht vorgelegt hat. Das Verhalten des Klägers im
Verwaltungsverfahren erweckt den Eindruck, dass es ihm nur darum ging, um den
Wehrdienst „herum zu kommen“. Der Kläger hat zunächst ab dem Zeitpunkt der
Musterung am 29. März 2005 den Eindruck erweckt, grundsätzlich den Wehrdienst
ableisten zu wollen, jedoch im Hinblick auf seine Ausbildung Zurückstellungsanträge
gestellt. Erst nachdem ein erneuter Antrag vom 08. Juli 2006 mit Bescheid vom 17. Juli
2006 abgelehnt worden war und mit Bescheid vom 04. August 2006 eine Einberufung
zum 04. Oktober 2006 erfolgte, hat der Kläger postwendend mit anwaltlichem Schriftsatz
vom 07. August 2006 einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen lassen.
Das bereits im Verwaltungsverfahren nachlässige Betreiben des
Anerkennungsverfahrens hat der Kläger im gerichtlichen Verfahren fortgesetzt. So hat
das Gericht mehrfach mit Schreiben vom 11. Oktober 2007 und vom 06. Dezember
2007 zur Begründung der Klage aufgefordert und unter dem 15. Januar 2008 eine
entsprechende Betreibensaufforderung erlassen, worauf dann die Klage mit Schriftsatz
vom 16. März 2008 begründet wurde.
Allein die Bereitschaft des Klägers, die "lästige Alternative" eines gegenüber dem
Wehrdienst verlängerten und erschwerten zivilen Ersatzdienstes auf sich zu nehmen,
reicht für die Annahme einer Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der
Waffe ebenso wenig aus, weil für die Berücksichtigung dieser "lästigen Alternative" erst
dann Raum ist, wenn der Wehrpflichtige vorher eine Gewissensentscheidung gegen den
Kriegsdienst mit der Waffe dargelegt hat, die den Darlegungserfordernissen des § 2 Abs.
2 Satz 3 und § 5 Nr. 2 KDVG genügt (BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 1997 – 6 B 38/97).
Der Umstand, dass in der mündlichen Verhandlung vom 11. September 2008 von der
Klägerseite niemand erschienen ist, unterstreicht letztlich - ohne dass es noch darauf
ankäme - das völlige Desinteresse des Klägers am Anerkennungsverfahren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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