Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 23.02.2011

VG Frankfurt: künstliche befruchtung, uvg, sozialleistung, drucksache, unterhaltsleistung, form, vaterschaft, verfügung, einkünfte, kauf

1
2
3
4
Gericht:
VG Frankfurt 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 K 4145/10.F
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 UhVorschG, § 2
UhVorschG
kein Unterhaltsvorschuss bei anonymer Samenspende
Leitsatz
Die Leistungsgewährung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz setzt voraus, dass
zivilrechtliche Unterhaltsleistungen des nach § 2 UVG maßgebgenden Elternteils
planwidrig ausbleiben.
An dieser Planwidrigkeit fehlt es, wenn mit der Befruchtung in Form einer anonymen
Samenspende von der Kindsmutter von vornherein bewusst und gewollt und damit
planvoll ein Lebenssachverhalt herbeigeführt wird, in dem ein gesetzlich zum Unterhalt
verpflichteter Vater, der den Sozialleistungsträger in Anspruch nehmen könnte, nicht
zur Verfügung steht.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. Gerichtskosten werden nicht
erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten
abwenden, falls nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die am XX.XX.2009 geborene Klägerin stellte am 07.09.2009 durch ihre Mutter bei
der Unterhaltsvorschusskasse der Beklagten einen Antrag auf Bewilligung von
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG). Im Rahmen dieser
Antragstellung gab die Mutter der Klägerin an, dass das Kind durch eine künstliche
Befruchtung gezeugt worden sei. Während des Antragsverfahrens legte sie einen
Nachweis über die künstliche Befruchtung durch einen anonymen Samenspender
in einer dänischen Fertilitätsklinik vor.
Mit Bescheid vom XX.XX.2010 lehnte die Beklagten den Antrag mit der
Begründung ab, dass die Anspruchsvoraussetzungen nach § 1 Abs. 1 UVG hier
nicht erfüllt seien, weil freiwillig von der Mutter der Klägerin die Voraussetzungen
dafür geschaffen worden seien, dass sie im Alltag mit der Erziehung auf sich
gestellt sei. Dies könne nicht zu Lasten der Unterhaltsvorschusskasse gehen.
Die Mutter der Klägerin legte dagegen am XX.XX.2009 Widerspruch ein und
begründete diesen damit, dass es keine Gesetzesgrundlage dafür gebe, die
Zahlung von Unterhaltsvorschussleistungen aus den im ablehnenden Bescheid
dargestellten Gründen zu verweigern.
Mit Widerspruchsbescheid vom XX.XX.2010 wies die Beklagte den Widerspruch als
unbegründet zurück und führte dabei im Wesentlichen aus: Die
Anspruchsvoraussetzungen seien hier nicht erfüllt, weil die Mutter der Klägerin
selbst die Voraussetzungen dafür geschaffen habe, dass sie im Alltag mit der
Erziehung auf sich gestellt sei. Sie habe dies bewusst in Kauf genommen. Zwar
habe die Kindesmutter glaubhaft gemacht, dass ihr Kind im Ausland (Dänemark)
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
habe die Kindesmutter glaubhaft gemacht, dass ihr Kind im Ausland (Dänemark)
durch anonyme Samenspende gezeugt worden sei. Dennoch scheide hier ein
Anspruch auf Leistungen aus, da die anonyme Befruchtung eigens zu dem Zweck
vorgenommen worden sei, einen zum Unterhalt verpflichteten Vater von
vornherein auszuschließen. Damit habe die Mutter der Klägerin freiwillig die
Voraussetzungen dafür geschaffen, unter deren Vorliegen der Anspruch auf
Leistungen nach § 1 Abs. 1 UVG ausgeschlossen sein könne. Die gesetzliche
Intention, nämlich eine Sozialleistung für Kinder solcher Elternteile bereitzustellen,
die Alltag und Erziehung auf sich gestellt bewältigen müssten, werde von diesem
Sachverhalt möglicherweise gar nicht erfasst. Hier sei nämlich die Lage der
Betroffenen freiwillig zu Lasten der UVG-Leistungen herbeigeführt worden.
Außerdem könne es sich in einem solchen Fall rein begrifflich weder um
Unterhaltsvorschüsse noch Unterhaltsausfallleistungen im Sinne des Gesetzes
handeln, weil ein gesetzlich zum Unterhalt verpflichteter Vater, den der
Sozialleistungsträger in Anspruch nehmen könne, von vornherein ausscheide.
Die Klägerin hat am 03.11.2010 Klage erhoben, mit der sie ihr Anliegen
weiterverfolgt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Ihre Mutter habe
gegenüber der Unterhaltsvorschusskasse sämtliche Auskünfte erteilt. Auch
Mütter, denen Namen und Aufenthaltsort des Vaters nicht bekannt seien,
erhielten Zahlungen aus der Unterhaltsvorschusskasse. Auch diesen Müttern sei
von vornherein bewusst, dass Unterhaltszahlungen des leiblichen Vaters für ihr
Kind nicht erzielbar seien. Aufgrund mangelnder beruflicher Qualifikation sei es
auch vielen Vätern nicht möglich, Einkünfte über den Selbstbehalt zu erzielen. Sie
- die Klägerin - dürfe nicht schlechter gestellt werden als diejenigen Kinder, deren
Mütter bei Zeugung auf natürlichem Weg den Namen des Vaters nicht kennen
würden oder die gegenüber dem leiblichen Vater zu keiner Zeit eine Klage auf
Unterhaltszahlung mit Aussicht auf Erfolg führen könnten.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom XX.XX.2009 sowie den darauf bezüglichen
Widerspruchsbescheid vom XX.XX.2010 aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, ihr Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich im Wesentlichen zur Begründung auf die Gründe ihres
Widerspruchsbescheides.
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 26.01.2011 auf den
Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beklagten (1
Hefter), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom XX.XX..2009
und deren darauf bezüglicher Widerspruchsbescheid vom XX.XX.2010 sind
rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die Klägerin kann für die Zeit ab September 2009 Unterhaltsvorschussleistungen
nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) auf der Grundlage des dafür in
Betracht zu ziehenden § 1 Abs. 1 Nr. 3 a) nicht verlangen. Danach hat Anspruch
auf Unterhaltsvorschuss oder –ausfallleistung, wer das zwölfte Lebensjahr noch
nicht vollendet hat, in Deutschland bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig,
verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner
dauernd getrennt lebt, und nicht oder regelmäßig Unterhalt mindestens in der in §
2 Abs. 1 und 2 UVG bezeichneten Höhe erhält. Dabei kann die Frage des
„Erhaltens“ bzw. des „Nichterhaltens“ von Unterhalt nicht allein anhand der
äußeren Tatsache beantwortet werden, ob der andere Elternteil nicht zahlt (vgl.
VGH Mannheim, Urteil vom 08.11.1995 - 6 S 1945/95 – juris).Nach Zweckrichtung
und gesetzgeberischer Konzeption stellen Leistungen auf der Grundlage des
Unterhaltsvorschussgesetz eine besondere Sozialleistung – auch für den
alleinerziehenden Elternteil – dar. Der Gesetzgeber hat sie vorgesehen, weil
15
16
alleinerziehenden Elternteil – dar. Der Gesetzgeber hat sie vorgesehen, weil
alleinerziehende Elternteile ihre Kinder in der Regel unter erschwerten
Bedingungen erziehen und bei Ausfall von Unterhaltsleistungen des anderen
Elternteils auch im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit für den von dem anderen
Elternteil geschuldeten Unterhalt aufkommen müssen. Diese zusätzliche
Belastung soll durch eine öffentliche Unterhaltsleistung aufgehoben oder
wenigstens gemildert werden (VGH Mannheim, Urteil vom 08.11.1995, a.a.O. unter
Hinweis auf: BT-Drucksache 8/1952 Seite 6; BT-Drucksache 8/2774, Seite 11; vgl.
BVerwG, Urteil vom 21.11.1991 – 5 C 13.87 – BVerwGE 89, 192 (197f)). Deshalb
soll die öffentliche Unterhaltsleistung dem alleinerziehenden Elternteil – wenn auch
Anspruchsinhaber das von ihm erzogene Kind ist – dann eine Hilfestellung geben,
wenn die erwarteten Unterhaltsleistungen des anderen Elternteils gewissermaßen
planwidrig
das Ausbleiben des zivilrechtlichen Unterhalts als „planwidrig“ etwa VGH
Mannheim, Urteil vom 08.11.1995 – 6 S 1945/95 – juris; VGH Kassel, Beschluss
vom 01.07.2004 – 10 UZ 1802/03 – juris; ferner Grube, Kommentar zum UVG
2009, § 1 Rdnr. 3 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). An dieser
Planwidrigkeit des Ausbleibens des zivilrechtlichen Unterhalts fehlt es hier. Denn
mit der Befruchtung in einer dänischen Fertilitätsklinik in Form einer anonymen
Samenspende ist von vornherein bewusst und gewollt und damit planvoll ein
Lebenssachverhalt herbeigeführt worden, in dem ein gesetzlich zum Unterhalt
verpflichteter Vater, den der Sozialleistungsträger in Anspruch nehmen könnte,
nicht zur Verfügung steht (ebenfalls in diese Richtung gehend, aber im Ergebnis
dahingestellt bleiben lassend VG Arnsberg, Beschluss vom 15.04.2002 – 14 L
427/02 – juris; ebenso Grube, a.a.O., § 1 Rdnr. 99 ). Insofern besteht keine
unmittelbare Vergleichbarkeit zu solchen Fallgestaltungen, wie sie die Klägerin für
sich in Anspruch nimmt. Da es sich bei den Unterhaltsvorschussleistungen um
keine rentenähnliche Sozialleistung handelt, muss die Frage der tatsächlich
gegebenen Mittellosigkeit des Vaters – im Unterschied zur vorliegenden
Fallgestaltung – durchgängig zur Überprüfung durch die Unterhaltsvorschusskasse
stehen, was – im Unterschied zur vorliegenden Fallgestaltung – nur möglich ist,
wenn der Vater auch bekannt wird. Deshalb läuft das Begehren der Klägerin nicht
auf die Erlangung einer Vorschussleistung hinaus, sondern letztlich von vornherein
auf einen verlorenen Zuschuss. Einen solchen Charakter haben nach dem UVG –
dann terminologisch als Ausfallleistung – die Aufwendungen, die insbesondere in
Halbwaisenfällen vorgesehen sind. Das setzt dann aber voraus, dass ein Elternteil
nachweislich verstorben sein muss. Dies kann hier hinsichtlich des anonym
gebliebenen Samenspenders und Kindsvaters nicht einfach unterstellt werden.
Wenn die Klägerin darauf hinweist, dass es auch sonst Fälle gebe, in denen der
leibliche Vater dem Kind und insbesondere dessen Mutter nicht bekannt sei,
gleichwohl dann aber ein Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen bestehe, ist
diese – offensichtlich unter dem Gesichtspunkt vermeintlicher Gleichbehandlung –
vermittelte Sicht der Dinge so nicht zutreffend. Denn zunächst gilt, dass das
Unterhaltsvorschussgesetz gemäß seinem § 1 Abs. 3 einen Anspruch auf
Leistungen ausschließt, wenn der alleinerziehende Elternteil bei dem das Kind lebt,
sich weigert, die Auskünfte, die zur Durchführung des Gesetzes erforderlich sind,
zu erteilen oder bei der Feststellung der Vaterschaft oder des Aufenthalts des
anderen Elternteils mitzuwirken. Das bedeutet, dass das Gesetz auch insoweit für
seinen Anwendungs- und Leistungsbereich Fallgestaltungen
anspruchsausschließend in den Blick nimmt, in denen etwa die Kindesmutter es
vornherein geplant oder beabsichtigt hatte, einen anonymen Erzeuger eines
Kindes zu erhalten. Denn dann wäre Ihr Verhalten darauf angelegt gewesen, die in
§ 1 Abs. 3 UVG vorgesehene Mitwirkung bei der Feststellung der Vaterschaft von
vornherein zu unterlaufen, was wiederum nicht den nach dem Gesetzeszweck
geforderten planwidrigen Ausfall von Unterhaltsleistungen zur Folge hätte. Nur in
denjenigen Fällen, in denen solch zielgerichtetes Handeln der Kindesmutter nicht
gegeben ist, von ihr also mit substantiiertem Vorbringen glaubhaft gemacht
werden kann, dass angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalles eine
Mitwirkung an der Vaterschaftsfeststellung aus sonstigen Gründen nicht möglich
ist, kann der Anspruch auf Unterhaltsleistungen nach dem
Unterhaltsvorschussgesetz danach erhalten bleiben (VG Frankfurt am Main,
Beschluss vom 23.04.2009 – 3 K 603/09.F –). Darin bestünde aber gerade auch
der maßgebende Unterschied zum – hier anspruchsausschließenden – Vorgehen
der Mutter der Klägerin.
Die Kosten des Verfahrens hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Klägerin zu tragen,
weil sie unterlegen ist. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO.
Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Hessischen
17
Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Hessischen
VGH in Streitigkeiten nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V.
m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.