Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 21.01.2003

VG Frankfurt: juristische person, anwohner, verkehrsbeschränkung, prozessvertretung, satzung, zustellung, richteramt, gewerkschaft, eigentum, rechtsberatung

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Gericht:
VG Frankfurt 12.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 E 4266/01
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 45 Abs 1 StVO, § 45 Abs 9
StVO
Rechtsverletzung durch nicht zwingend gebotene
Verkehrsbeschränkung
Leitsatz
Einbahnstraßen-Regelung
Tenor
Die durch das Aufstellen der Verkehrszeichen 267 und 220 zu § 41 Abs. 2 StVO
angeordnete Einbahnstraßen-Regelung in der Töplitzstraße in Frankfurt am Main
wird aufgehoben.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der noch
festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
Die Kläger bewohnen ein Hausgrundstück in der Töplitzstraße in Frankfurt am
Main. Bei der Töplitzstraße handelt es sich um eine kurze und schmale Straße, die
aus Kopfsteinpflaster besteht. Durch Aufstellen der Verkehrszeichen 267 und 220
zu § 41 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung (StVO) ordnete die Beklagte im Januar
2001 in der Töplitzstraße eine Einbahnstraßen-Regelung an, so dass die Straße nur
noch von der Vogelweidstraße aus befahren werden kann. Nach einer
Stellungnahme des Ordnungsamtes der Beklagten vom 27.11.2001 erfolgte die
Einbahnstraßen-Regelung zum Schutz der Anwohner vor einem befürchteten
Schleichverkehr zur Umgehung des sich häufig auf der parallel verlaufenden
Gartenstraße bildenden Rückstaus vor der Signalanlage
Gartenstraße/Stresemannallee. Mit Schreiben vom 06.02.2001 legten die Kläger
Widerspruch gegen die "Umwandlung der Töplitzstraße in eine Einbahnstraße sowie
gegen die Anbringung des entsprechenden Verkehrsschildes Einbahnstraße" ein.
Eine Bescheidung des Widerspruchs ist bisher nicht erfolgt. Die zuständige
Widerspruchsbehörde, das Regierungspräsidium Darmstadt, teilte der Beklagten
mit Schreiben vom 25.10.2001 mit, dass die Sache nicht entscheidungsreif sei, da
u.a. nicht ohne weiteres nachvollziehbar sei, in welcher Weise die getroffene
Anordnung zu einer merklichen verkehrlichen Entlastung beitragen könne.
Die Kläger haben am 08.10.2001 die vorliegende Klage erhoben.
Die Kläger vertreten die Auffassung, die angeordnete Einbahnstraßen-Regelung sei
rechtswidrig. Eine Einbahnstraßen-Regelung sei wegen der damit verbundenen
Eingriffe in die Rechte der Anwohner und des allgemeinen Verkehrs nur zulässig,
wenn sie aus den in § 45 StVO genannten Gründen, also aus Gründen der
Sicherheit und Ordnung des Verkehrs, erforderlich sei. Diese Voraussetzungen sei
hier jedoch nicht gegeben. Entgegen der Annahme der Beklagten sei die
Töplitzstraße als Schleichweg für die Umfahrung eines Staus auf der Gartenstraße
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Töplitzstraße als Schleichweg für die Umfahrung eines Staus auf der Gartenstraße
ungeeignet, da damit ein erheblicher Zeitgewinn nicht verbunden sei. So betrage
die Teilstrecke der Gartenstraße, die bei einem Rückstau durch die Ludwig-Rehn-
Straße, die Töplitzstraße und die Vogelweidstraße umfahren werden könnte,
lediglich ca. 40 m. Außerdem befinde sich - was ebenfalls unstreitig ist - an der
Einmündung der Vogelweidstraße in die Gartenstraße keine Signalanlage, so dass
die Auffahrt auf die Gartenstraße nur mit Schwierigkeiten möglich sei. Durch die
einseitige Verkehrsführung habe die Beklagte dazu beigetragen, dass die
Töplitzstraße nunmehr mit erhöhter Geschwindigkeit durchfahren würde, mit der
Folge, dass sich die Unfallgefahr sowie die Lärmbelästigung erhöht habe. Durch die
getroffene Anordnung seien die Anwohner auch zu erheblichen Umwegen
gezwungen. Schließlich vertreten die Kläger noch die Auffassung, dass die
Beklagte das ihr zukommende Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt habe,
da sie die Belange der Anwohner bei der Entscheidung nur unzureichend
berücksichtigt habe.
Die Kläger beantragen,
die durch das Aufstellen der Verkehrszeichen 267 und 220 zu § 41 Abs. 2 StVO
angeordnete Einbahnstraßen-Regelung in der Töplitzstraße in Frankfurt am Main
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, die erfolgte Anordnung der Einbahnstraßen-
Regelung sei rechtmäßig. Die Maßnahme habe weder zu einem erhöhten
Sicherheitsrisiko noch zu einer höheren Lärmbelastung und
Umweltverschmutzung geführt.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 10.12.2002 den Rechtsstreit gem. § 6 Abs. 1
VwGO dem Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Das Gericht hat die
Behördenunterlagen (1 Hefter) beigezogen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig.
Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 1. Alternative VwGO) statthaft. Die
an der Einmündung der Vogelweidstraße in die Töplitzstraße angebrachten
Verkehrszeichen 220 zu § 41 Abs. 2 Nr. 2 StVO sowie die an der Einmündung der
Ludwig-Rehn-Straße in die Töplitzstraße angebrachten Verkehrszeichen 267 zu §
41 Abs. 2 Nr. 6 StVO (Verbot der Einfahrt) sind belastende Verwaltungsakte in der
Form der Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 HessVwVfG) mit Dauerwirkung (vgl.
BVerwGE 59, 221, 225 f. = NJW 1980, 1640; VGH Baden-Württemberg, VBlBW
1994, 415). Denn sie regeln eine konkrete örtliche Verkehrssituation dauerhaft in
der Weise, dass die Töplitzstraße als Einbahnstraße nur von der Vogelweidstraße
aus befahren werden kann.
Gem. § 75 Satz 1 VwGO ist die Anfechtungsklage auch ohne vorherige
Durchführung eines Vorverfahrens zulässig, da das Regierungspräsidium
Darmstadt als zuständige Widerspruchsbehörde ohne zureichenden Grund nicht in
angemessener Frist den am 06.02.2001 eingelegten Widerspruch der Kläger
beschieden hat.
Die Kläger sind in ihrer Eigenschaft als Anwohner und Verkehrsteilnehmer auch
klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Ein Verkehrsteilnehmer kann als Verletzung
seiner Rechte geltend machen, dass die Voraussetzung für eine auch ihn treffende
Verkehrsbeschränkung nach § 45 Abs. 1 StVO nicht gegeben seien. Hinsichtlich
der behördlichen Ermessensausübung kann er allerdings nur verlangen, dass
seine eigenen Interessen ohne Rechtsfehler abgewogen werden mit den
Interessen der Allgemeinheit und anderer Betroffener, die für die Einführung der
Verkehrsbeschränkung sprechen (BVerwG, NJW 1993, 1729, 1730 und Buchholz
442.151 § 45 StVO Nr. 12). Hiernach ist die Klagebefugnis der Kläger in ihrer
Eigenschaft als Anwohner der Töplitzstraße und Verkehrsteilnehmer gegeben, da
es möglich erscheint, dass die Kläger durch die getroffene Einbahnstraßen-
Regelung in ihren Rechten verletzt werden.
Die Klage ist auch begründet.
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Die durch das Aufstellen der entsprechenden Verkehrszeichen angeordnete
Einbahnstraßen-Regelung ist rechtswidrig und verletzt die Kläger dadurch in ihren
Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Anordnung einer Einbahnstraßen-Regelung ist § 45 Abs. 1
Satz 1 StVO, wonach die Straßenverkehrsbehörde aus Gründen der Sicherheit und
Ordnung des Verkehrs die Benutzung bestimmter Straßen beschränken kann.
Nach Abs. 9 Satz 1 und 2 der genannten Bestimmung sind Verkehrszeichen nur
dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten
ist; insbesondere dürfen Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs
nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine
Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den
vorstehenden Absätzen der Bestimmung genannten Rechtsgüter erheblich
übersteigt. Dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind, ist
jedoch weder vorgetragen noch sonst erkennbar. Nach Angaben der Beklagten
erfolgte die Anordnung der Einbahnstraßen-Regelung zum Schutze der Anwohner
vor einem befürchteten Schleichverkehr zur Umgehung eines Rückstaus auf der
Gartenstraße. Die Kläger haben vorgebracht, dass es in der Vergangenheit keinen
Schleichverkehr - zumindest in einem beachtlichen Umfang - durch die
Töplitzstraße gegeben hat. Für die Richtigkeit dieses Vorbringens spricht, dass bei
einer Umfahrung eines Rückstaus auf der Gartenstraße durch die Töplitzstraße
lediglich eine Strecke von ca. 40 m auf der Gartenstraße überbrückt werden kann,
und sich hieran anschließend das Problem stellt, sich wieder in den Stau auf der
Gartenstraße einfädeln zu müssen. Es kann somit ausgeschlossen werden, dass
durch eine solche Umfahrung ein erheblicher Zeitgewinn erreicht werden kann, so
dass ein Anreiz für einen Schleichverkehr nicht besteht. Die Beklagte ist diesem
Vorbringen der Kläger auch nicht substantiiert entgegen getreten. Weder ihrem
Vorbringen noch dem vorgelegten Behördenvorgang lässt sich entnehmen, dass
es in der Vergangenheit in der Töplitzstraße zu einem Schleichverkehr gekommen
ist, der die Anordnung der Einbahnstraßen-Regelung aus Gründen der Sicherheit
oder Ordnung des Verkehrs zwingend geboten hatte. Somit sind bereits die
tatbestandlichen Voraussetzungen für die getroffene Anordnung nicht gegeben.
Darüber hinaus ist nicht erkennbar, dass die Beklagte ihr Ermessen
ordnungsgemäß ausgeübt hat. Weder dem Vorbringen der Beklagten noch den
vorgelegten Behördenunterlagen lässt sich entnehmen, dass die Beklagte bei ihrer
Entscheidung die Interessen der Kläger in einem ausreichenden Maße
berücksichtigt und abgewogen hat mit den Interessen der Allgemeinheit und
anderer Betroffener, die für die Einführung der Verkehrsbeschränkung sprechen.
Die Beklagte hat als unterliegende Beteiligte die Kosten des Verfahrens zu tragen
(§ 154 Abs. 1 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf § 167
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
Sonstiger Langtext
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung nur zu, wenn sie vom
Hessischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung
ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe
darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.
Die Berufung ist nur zuzulassen,
1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten
aufweist,
3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des
Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe
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Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe
des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser
Abweichung beruht, oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender
Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung
beruhen kann.
Der Antrag und die Begründung sind bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt am
Main zu stellen.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung kann nur durch einen Rechtsanwalt oder
Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des
Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt eingelegt werden. In
Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge und des Schwerbehindertenrechts sowie
der damit in Zusammenhang stehenden Angelegenheiten des Sozialhilferechts
kann er auch von - kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozessvertretung befugten -
Mitgliedern und Angestellten von Vereinigungen, deren satzungsgemäße
Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und
Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder
der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung
von Art und Umfang ihrer bisherigen Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die
Gewähr für eine sachkundige Erfüllung dieser Aufgaben bieten, und von
Gewerkschaften erhoben werden. Weiterhin ist auch eine Antragstellung durch
Angestellte einer juristischen Person, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen
Eigentum einer solchen Vereinigung stehen, zulässig, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder der
Vereinigung entsprechend deren Satzung durchführt und die Vereinigung für die
Tätigkeit des Bevollmächtigten haftet. In Abgabenangelegenheiten kann der
Antrag auch durch einen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer erfolgen. In den
Angelegenheiten, die ein Beamten-, Richter-, Wehrpflicht-, Wehrdienst- oder
Zivildienstverhältnis oder dessen Entstehung betreffen, in
Personalvertretungsangelegenheiten und in Angelegenheiten, die in einem
Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von
Arbeitnehmern i. S. d. § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes (Arbeiter, Angestellte, zur
Berufsausbildung Beschäftigte, in Heimarbeit Beschäftigte und die ihnen
Gleichgestellten, sonstige Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen
Unselbständigkeit als arbeitsnehmerähnliche Personen anzusehen sind) stehen
einschließlich Prüfungsangelegenheiten, kann der Antrag von Mitgliedern und
Angestellten von Gewerkschaften eingelegt werden, die kraft Satzung oder
Vollmacht zur Prozessvertretung befugt sind; weiterhin ist auch eine
Antragstellung durch Angestellte einer juristischen Person, deren Anteile sämtlich
im wirtschaftlichen Eigentum einer Gewerkschaft stehen, zulässig, wenn die
juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der
Mitglieder der Gewerkschaft entsprechend deren Satzung durchführt und die
Gewerkschaft für die Tätigkeit des Bevollmächtigten haftet. Juristische Personen
des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder
Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren
Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit
Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen
kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören,
vertreten lassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird gem. § 13 Abs. 1 GKG auf 4.000 Euro (Auffangstreitwert)
festgesetzt.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen die Festsetzung des Streitwerts steht den Beteiligten die Beschwerde zu,
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 50,00 Euro übersteigt.
Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main schriftlich oder
zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Sie ist nur innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der
Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat,
zulässig.
37 Soweit der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt
wird, kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Streitwertfestsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.