Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 20.09.2010
VG Frankfurt: gefahr im verzug, tagesordnung, mitbestimmungsrecht, beratung, faber, mandat, verfügung, ergänzung, behandlung, geschäftsführung
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Gericht:
VG Frankfurt
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
22 K 96/10.F.PV(V)
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 75 Abs 1 Nr 2 BPersVG, § 20
Abs 1 VwVfG, § 20 Abs 3
VwVfG
Geschäftsführung des Personalrats
-
befangenes Mitglied
Leitsatz
Geschäftsführung des Personalrats
-
befangenes Mitglied
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Gründe
I
Der Antragsteller will sein Mitbestimmungsrecht aus Anlass der kommissarischen
Übertragung einer Bereichsleiterstelle feststellen lassen.
Der Beteiligte schrieb Ende des Jahres 2009 die Stelle eines Bereichsleiters, einer
Bereichsleiterin Leistungswesen (Bereich LW 2) aus. Die Vergütung sollte bei
entsprechender Eignung, Befähigung und vollständiger Aufgabenwahrnehmung
nach der Besoldungsgruppe A 14 BBesG bzw. der entsprechenden Entgeltgruppe
nach dem BG-AT erfolgen. Bewerbungsschluss war der 23. Dezember 2009.
Auf die Ausschreibung bewarben sich unter anderem der Beschäftigte C.,
eingruppiert in eine Stelle der Besoldungsgruppe A 13, der Vorsitzende und der
stellvertretende Vorsitzende des Antragstellers. Bereits mit Verfügung vom 17.
Dezember 2009 wurde dem Beschäftigten C. kommissarisch die ausgeschriebene
Stelle übertragen. Die entsprechende Funktion nimmt er auch heute noch wahr,
obwohl im September 2010 von der Zentralverwaltung der Berufsgenossenschaft
entschieden wurde, die entsprechende Stelle nicht dauerhaft zu besetzen und die
Organisationsstruktur künftig neu zu gestalten.
Am 5. Januar 2010 fasst der Antragsteller unter Mitwirkung seines Vorsitzenden
und des stellvertretenden Vorsitzenden den Beschluss, für die kommissarische
Aufgabenübertragung auf den Beschäftigten C. ein Mitbestimmungsrecht nach §
75 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG gegenüber der Geschäftsleitung vor dem zuständigen
Verwaltungsgericht geltend zu machen. Die Entscheidung fiel mit 7 Jastimmen bei
einer Enthaltung und einer Neinstimme.
Gleichzeitig wurde beschlossen, die Klage durch einen zugelassenen Anwalt, der
auch für den Deutschen Beamtenbund tätig sei, einzureichen. Der Vorsitzende
wurde beauftragt, das notwendige Mandat zu erteilen.
Am 14. Januar 2010 hat der Antragsteller, seinerzeit vertreten durch seinen
Vorsitzenden, durch die Rechtsanwälte D und E das Beschlussverfahren
eingeleitet.
Für den 24. März 2010 lud der Vorsitzende des Antragstellers mit Schreiben vom
19. März 2010 zu einer Personalratssitzung ein. Die Tagesordnung enthielt 9
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19. März 2010 zu einer Personalratssitzung ein. Die Tagesordnung enthielt 9
Punkte, darunter unter Nr. 5 den Punkt „Antragsverfahren Verwaltungsgericht,
erneuter Beschluss“. Der Antragsteller fasste in dieser Sitzung ohne Mitwirkung
seines Vorsitzenden und seines stellvertretenden Vorsitzenden den Beschluss, der
Anspruch auf Mitbestimmung gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG gegenüber der
Geschäftsleitung wegen der kommissarischen Stellenübertragung auf den
Beschäftigten C. solle vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht werden.
Gleichzeitig wurde beschlossen, mit der Durchführung des Verfahrens einen
Fachanwalt zu beauftragen. Der Vorsitzende werde beauftragt das notwendige
Mandat zu erteilen.
In der Folgezeit nahm der stellvertretende Vorsitzende des Antragstellers seine
Bewerbung für die ausgeschriebene Stelle zurück.
Mit Schreiben vom 1. Juni 2010 lud der stellvertretende Vorsitzende zu einer
Personalratssitzung am gleichen Tag ein, deren Termin nach seinen Angaben
bereits zuvor einvernehmlich festgelegt worden war. Die Sitzung sollte um 13.30
Uhr beginnen. Im Betreff ist angegeben: „Einladung zur Personalratssitzung
(Ergänzung)“. Als Tagesordnungspunkte sind angegeben „1. Einstellung Aushilfen
ESB“ und „2. Beschlussfassung LW 1 (siehe Schreiben RA Fischer vom
26.05.2010) Ordner Personalrat/Klageverfahren“. An der Sitzung nahmen von
neun ordentlichen Mitgliedern fünf Mitglieder teil. Für die vier fehlenden Mitglieder
gibt es keine Ersatzmitglieder. Der Vorsitzende nahm an der Sitzung nicht teil. In
der Sitzung wurde beschlossen, den Anspruch auf Mitbestimmung wegen der
kommissarischen Stellenübertragung vor dem Verwaltungsgericht geltend zu
machen und mit der Durchführung des Verfahrens einen Fachanwalt zu
beauftragen. Der stellvertretenden Vorsitzenden werde wegen Befangenheit des
Vorsitzenden der Auftrag erteilt, das notwendige Mandat zu erteilen. Die Ladung
und der Beschluss wurden in der mündlichen Verhandlung vorgelegt.
Der Antragsteller hält es für zulässig, die Ladung zu einer Personalratssitzung mit
mehreren Tagesordnungspunkten auch dann durch den Vorsitzenden
vorzunehmen, wenn dieser hinsichtlich eines Tagesordnungspunktes von der
Teilnahme ausgeschlossen sein sollte. Die Einladung für die Sitzung am 1. Juni
2010 sei rechtzeitig erfolgt, da der Termin für die Sitzung schon einige Zeit vorher
festgestanden habe und den Mitgliedern bekannt gewesen sei.
Der Antragsteller beantragt durch seinen stellvertretenden Vorsitzenden,
festzustellen, dass hinsichtlich der kommissarischen Besetzung der Stelle
eines Bereichsleiters im Leistungswesen (LW 2) mit Herrn C. ein
Mitbestimmungsrecht des Antragstellers besteht.
Der Beteiligte beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er rügt die Zulässigkeit der Beschlüsse des Antragstellers zur Einleitung des
Beschlussverfahrens. Der Beschluss vom Januar 2010 sei rechtswidrig, weil der
Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende mitgewirkt hätte, obwohl sie sich
auf die Stelle beworben hätten und deshalb von einer Mitwirkung ausgeschlossen
gewesen seien.
Der Beschluss vom März 2010 sei rechtswidrig, weil der Vorsitzende selbst zur
Sitzung mit dem entsprechenden Tagesordnungspunkt eingeladen habe. Die
Ladung durch ein offensichtlich verhindertes Mitglied sei grundsätzlich unzulässig.
Der Beschluss vom Juni 2010 sei rechtswidrig, weil es an einer rechtzeitigen
Einladung gefehlt habe.
Der Antrag ist unzulässig, weil der Antragsteller keinen wirksamen Beschluss zur
Einleitung des Beschlussverfahrens gefasst hat.
Der Beschluss vom 5. Januar 2010 ist unter Mitwirkung des Vorsitzenden und des
stellvertretenden Vorsitzenden des Antragstellers gefasst worden, da beide an der
Beratung und Beschlussfassung zur entsprechenden Frage teilgenommen haben.
Beide waren zugleich Bewerber für die dem Beschäftigten kommissarisch
übertragene Stelle und damit durch die Frage, ob und wie ein
Mitbestimmungsrecht des Antragstellers ausgeübt werden soll, unmittelbar in
ihren persönlichen Interessen betroffen. Dieser Umstand hatte zur Folge, dass sie
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ihren persönlichen Interessen betroffen. Dieser Umstand hatte zur Folge, dass sie
als rechtlich verhindert anzusehen waren und deshalb an der Sitzung bzw. dem
entsprechenden Sitzungsteil nicht hätten teilnehmen dürfen (BVerwG B. v.
28.4.1967 – VII P 11.66 – PersV 1968, 110; HessVGH B. 21.12.1992 – 1 TG 1634/92
– PersR 1993, 275 mit zust. Anm. Rothländer; Fischer/Goeres/Gronimus GKÖD § 31
BPersVG Rn. 15, § 37 BPersVG Rn. 37; Faber in
Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Faber § 37 BPersVG Rn. 17; Jacobs in
Richardi/Dörner/Weber, 3. Aufl., § 37 BPersVG Rn. 25;
Altvater/Hamer/Kröll/Lemcke/Peiseler, 6. Aufl., § 37 BPersVG Rn. 17 ff.).
Aus den gleichen Gründen ist auch der im März 2010 gefasste Beschluss
fehlerhaft zustande gekommen. Zur Sitzung mit dem entsprechenden
Tagesordnungspunkt hatte der rechtlich verhinderte Vorsitzende eingeladen. Dies
war unzulässig, da die Frage, ob und wann zur entsprechenden Angelegenheit
erneut im Personalrat beraten und beschlossen werden soll, die persönlichen
Interessen des Vorsitzenden unmittelbar berührte. Daher hätte die Einladung zu
diesem Tagesordnungspunkt nicht durch den rechtlich verhinderten Vorsitzenden
erfolgen dürfen, da schon die Bestimmung des Zeitpunkts der Beratung wie auch
die Aufnahme in die Tagesordnung selbst eine unzulässige und zugleich
vermeidbare Beeinflussung der übrigen rechtlich nicht verhinderten Mitglieder
darstellt. Die Sache mag sich anders verhalten, wenn ein Antrag der
Dienststellenleitung auf Zustimmung zu einer Personalangelegenheit beim
Personalrat eingeht und zur Wahrung der gesetzlichen Fristen für eine eventuelle
Zustimmungsverweigerung alsbald eine Sitzung unter Angabe des
entsprechenden Beratungspunktes anzuberaumen ist. Hier entfaltet die Tätigkeit
eines an sich rechtlich verhinderten Vorsitzenden keine derart weitgehenden
Wirkungen, da der Personalrat über die Angelegenheit auf jeden Fall Beschluss
alsbald fassen muss, um sich zu dem Antrag der Dienststellenleitung fristgerecht
zu verhalten (vgl. Fischer/ Goeres/Gronimus a.a.O. § 34 BPersVG Rn. 16). Insoweit
wäre jedoch zu beachten, dass für die aus Rechtsgründen von der Teilnahme an
einem Verfahren ausgeschlossenen Personen keine auch noch so untergeordnete
oder nebensächlich erscheinende Teilnahme am Verfahren als zulässig angesehen
wird; zu den danach von der Wahrnehmung des Richteramtes nach § 41 ZPO
verbotenen Rechtshandlungen gehört z. B. auch die Terminbestimmung (Gehrlein
in Münchner Kommentar zur ZPO, 3. Aufl., § 41 ZPO Rn. 27 m.w.N.). Andererseits
eröffnet § 20 Abs. 3 VwVfG für die nach § 20 Abs. 1 VwVfG von der Mitwirkung an
einem Verwaltungsverfahren ausgeschlossenen Personen die Möglichkeit, bei
Gefahr im Verzug unaufschiebbare Maßnahmen zu treffen. Diesen Maßstab
zugrunde gelegt, stellte die im März 2010 erfolgte Ladung zur erneuten
Beschlussfassung über die Durchführung des vorliegenden Beschlussverfahrens
keine Notmaßnahme der genannten Art dar. Es bestand keine unaufschiebbare
Notwendigkeit, über die Angelegenheit alsbald und innerhalb sehr kurzer Frist
Beschluss zu fassen. Ob und wann zu dem entsprechenden Punkt erneut eine
Beratung im Personalrat stattfinden sollte, hätte daher dem an die Stelle des
rechtlich verhinderten Vorsitzenden und des seinerzeit ebenfalls rechtlich
verhinderten stellvertretenden Vorsitzenden tretenden Mitglied des Antragstellers
überlassen bleiben müssen.
Die Erheblichkeit des Verfahrensfehlers ist auch nicht deshalb unbeachtlich, weil
sich alle anwesenden Mitglieder mit der Behandlung der Angelegenheit in der
anberaumten Sitzung einverstanden erklärt hätten. Darauf kann es schon deshalb
nicht ankommen, weil laut Anwesenheitsliste drei ordentliche Mitglieder des
Antragstellers an der auf den 5. März 2010 anberaumten Sitzung nicht
teilgenommen haben. An einer auf einen anderen Tag anberaumten Sitzung
hätten diese Mitglieder womöglich teilgenommen. Dies genügt, um den
Einladungsfehler auf die Fehlerhaftigkeit der nachfolgenden Beratung und
Beschlussfassung im Gremium durchschlagen zu lassen.
Der Beschluss vom 1. Juni 2010 ist ebenfalls fehlerhaft, da die Einladung zu dieser
Sitzung jedenfalls in Bezug auf den Tagesordnungspunkt – Einleitung bzw.
Fortsetzung des Beschlussverfahrens – nicht rechtzeitig erfolgt ist. Zwar stand der
Termin der Sitzung schon einige Zeit vorher fest. Eine Tagesordnung war jedoch
vor dem 1. Juni 2010 bekannt. Zwar war den Mitgliedern des Antragstellers wohl
bekannt, dass der Tagesordnungspunkt „Aushilfen ESB“ am 1. Juni 2010
behandelt werden sollte. Die ausweislich des Betreffs der Einladung zur Sitzung
erfolgte Ergänzung betraf jedoch das hier relevante Beschlussverfahren und kam
erst am Sitzungstag auf die Ladung zur Sitzung am gleichen Tage. Nach § 34 Abs.
2 S. 3 BPersVG sind Personalratsmitglieder vom Vorsitzenden – hier vom
stellvertretenden Vorsitzenden – rechtzeitig unter Angabe der jeweiligen
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stellvertretenden Vorsitzenden – rechtzeitig unter Angabe der jeweiligen
Tagesordnung zu laden. Eine genaue Frist gibt das Gesetz zwar nicht vor. Die
Einladung muss jedoch so zeitig erfolgen, dass sich die Mitglieder auf die
Teilnahme einstellen und auf die Sitzung vorbereiten können (Jacobs a.a.O. § 34
BPersVG Rn. 33; Fischer/Goeres/Gronimus a.a.O. § 34 BPersVG Rn. 25; Lorenzen in
Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Faber § 34 BPersVG Rn. 10;
Altvater/Hamer/Kröll/Lemcke/Peiseler § 34 BPersVG Rn. 12). Eine Frist von nur
wenigen Stunden zwischen dem Zugang der Ladung und der nachfolgenden
Sitzung ist grundsätzlich nicht als rechtzeitig anzusehen. Dem steht nicht
entgegen, dass der Termin für eine Sitzung am 1. Juni 2010 schon länger
festgestanden haben mag. Bezugspunkt für die Rechtzeitigkeit nach § 34 Abs. 2 S.
3 BPersVG ist nicht nur der Termin, sondern ebenso die mit der Ladung zu
übermittelnde Tagesordnung. Hier hatten die Mitglieder des Antragstellers
bestenfalls einige Stunden Zeit, sich auf die Sitzung vorzubereiten, ihre
Dienstgeschäfte so zu gestalten, dass eine den Dienstbetrieb möglichst
schonende Teilnahme möglich war (vgl. Fischer/Goeres/Gronimus a.a.O.). Warum
hier ausnahmsweise eine Ladungsfrist von wenigen Stunden nötig gewesen sein
soll, hat der Antragsteller nicht dargelegt. Selbst bei der Ausübung des
Anhörungsrechts im Zusammenhang mit einer außerordentlichen Kündigung oder
einer fristlosen Entlassung steht dem Personalrat nach § 79 Abs. 3 S. 3 BPersVG
ein Zeitraum von drei Arbeitstagen zur Verfügung. Die Frage der Einleitung bzw.
Fortsetzung des anhängigen Beschlussverfahrens stellt keine auch vom Ansatz
her vergleichbar dringliche Angelegenheit dar.
Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Ladung zur Sitzung, sind die dort gefassten
Beschlüsse fehlerhaft (vgl. BVerwG B. v. 19.8.1975 – VII P 2.74 – E 49, 144). Hier
haben an der Sitzung am 1. Juni 2010 von neun ordentlichen Mitgliedern nur fünf
Mitglieder teilgenommen. Berücksichtigt man, dass der Vorsitzende rechtlich
verhindert war, hätten unter Umständen noch drei weitere Mitglieder teilnehmen
können. Daher kann die Behandlung des nicht rechtzeitig geladenen
Tagesordnungspunktes in der Sitzung nicht als von allen Mitgliedern gebilligte
Aufnahme in die Tagesordnung gewertet werden.
Damit fehlt es an einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung des Antragstellers
zur Einleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens.
Es kommt daher nicht darauf an, ob die Beauftragung der das Verfahren
einleitenden Anwälte ebenfalls ordnungsgemäß beschlossen worden ist. Daran
bestehen schon deshalb Zweifel, weil die Beschlüsse nicht besagen, welcher
Anwalt, welche Anwältin konkret beauftragt werden soll. Auch dies ist vom
Gremium in seiner Gesamtheit zu beschließen und kann nicht dem Vorsitzenden
überantwortet werden, der er den Personalrat nur im Rahmen der von ihm
gefassten Beschlüsse vertreten kann, jedoch nicht an seiner Stelle nötige
Beschlüsse fassen darf. Im Hinblick darauf hat der Antragsteller in der mündlichen
Verhandlung den Antrag nur noch durch seinen stellvertretenden Vorsitzenden
gestellt und die zuvor auftretenden Anwälte auf die Funktion von
Zustellungsbevollmächtigten beschränkt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.