Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 18.03.2003

VG Frankfurt: eheähnliche gemeinschaft, eheähnliche lebensgemeinschaft, wohngemeinschaft, zusammenleben, sozialhilfe, wohnung, begriff, kontaktaufnahme, eng, gewalt

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Gericht:
VG Frankfurt 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 G 1033/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 122 S 1 BSHG, § 123 Abs 1
S 2 VwGO
Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt in voller Höhe
Leitsatz
Wird bei einer Wohngemeinschaft zwischen Mann und Frau der Mitbewohner von der
Hilfesuchenden als ihr "Lebensgefährte" bezeichnet, ist vom Vorliegen einer
eheähnlichen Gemeinschaft auszugehen.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
Gründe
Der am 05. März 2003 gestellte Antrag,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, der
Antragstellerin Hilfe zum Lebensunterhalt in voller Höhe zu gewähren,
hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung
eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen
werden, wenn diese Regelung zur Abwendung drohender Gewalt oder aus anderen
Gründen notwendig erscheint. Die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend
gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) und der Grund der Eilbedürftigkeit
(Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920
Abs. 2 ZPO.
Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht
glaubhaft gemacht. Ihrem Begehren steht § 122 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz -
BSHG - entgegen. Nach § 122 Satz 1 BSHG dürfen Personen, die in eheähnlicher
Gemeinschaft leben, hinsichtlich der Voraussetzungen sowie des Umfangs der
Sozialhilfe nicht besser gestellt werden als Ehegatten. Hiernach sind -
entsprechend der nach § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG für nicht getrennt lebende
Ehegatten getroffenen Regelungen - auch in einer eheähnlichen Gemeinschaft
Einkommen und Vermögen des Partners des Hilfesuchenden zu berücksichtigen.
Hilfe zum Lebensunterhalt ist demnach dann zu versagen, wenn das Einkommen
des einen Partners der eheähnlichen Gemeinschaft geeignet ist, die
Hilfebedürftigkeit des anderen zu beseitigen (vgl. BVerwGE 39, 261 [267]). Bei
Berücksichtigung des Einkommens des Lebensgefährten der Antragstellerin, Herrn
Markus W., steht der Antragstellerin über den von der Antragsgegnerin gewährten
Betrag von 289,67 Euro keine weitere Hilfe zum Lebensunterhalt zu. Dies hat die
Antragsgegnerin in dem Bescheid vom 03.03.2003 zutreffend berechnet.
Obwohl die Antragstellerin bestreitet, mit Herrn W. in einer eheähnlichen
Gemeinschaft zu leben, hat das beschließende Gericht daran keinen Zweifel. Nach
der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom
17.05.1995 - FEVS 46, 1 [4]) setzt das Merkmal der "eheähnlichen Gemeinschaft"
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17.05.1995 - FEVS 46, 1 [4]) setzt das Merkmal der "eheähnlichen Gemeinschaft"
voraus, dass die Bindungen der Partner so eng sind, dass von ihnen ein
gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet
werden kann, zwischen ihnen also eine Verantwortungs- und
Einstehensgemeinschaft besteht.
Für die Bejahung dieser Voraussetzungen war zunächst von Bedeutung, dass die
Antragstellerin bei ihrer ersten Kontaktaufnahme mit dem zuständigen
Sozialrathaus der Antragsgegnerin selbst Herrn W. als ihren "Lebensgefährten"
bezeichnet hatte. Der Begriff des "Lebensgefährten" ist auch umgangssprachlich
im Sinne der Bejahung des Bestehens einer eheähnlichen Gemeinschaft besetzt
und wird in diesem Sinne auch zur Unterscheidung von ähnlichen Verhältnissen
wie z.B. "Freund", "Bekannter" oder "Mitbewohner der WG" etc. gebracht. Wenn die
Antragstellerin also von ihrem "Lebensgefährten" spricht, dann darf
ausgeschlossen werden, dass sie und Herr W. lediglich zur Kostenminderung die
Wohnung gemeinsam bewohnen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass eine
eheähnliche Gemeinschaft vorliegt.
Selbst wenn die Antragstellerin Herrn W. nicht als ihren "Lebensgefährten"
bezeichnet hätte, gäbe es am Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft im
Sinne des § 122 Satz 1 BSHG keine vernünftigen Zweifel. Nach der
Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 14.04.1997 - VBlBW
1998, 31 ff), der das beschließende Gericht folgt, kann auf das Vorliegen einer
"eheähnlichen Gemeinschaft" in der Regel nur aufgrund von äußeren
Anhaltspunkten, also Indizien, geschlossen werden, wenn die
Einstandsgemeinschaft von den Partnern nicht eingeräumt wird. Dabei muss die
Anwendung des § 122 BSHG jedoch weitgehend sicherstellen, dass hier die
Ehepaare beim Leistungsbezug nicht wirtschaftlich schlechter gestellt werden als
eheähnliche Gemeinschaften. Es verbietet sich deshalb, die Maßstäbe zur
Beurteilung, ob eine eheähnliche Gemeinschaft vorliegt, im Bereich des
Unüberprüfbaren, weil der Darstellung und der Disposition der Betroffenen
überlassen, anzusiedeln. Denn ein solches Vorgehen würde dazu führen, dass Ehe
und Familie, die solche Dispositionsmöglichkeiten bei der Darstellung ihrer Form
des Zusammenlebens nicht haben, faktisch entschieden schlechter gestellt
würden, als nichteheliche Lebensgemeinschaften.
Da der Gesetzgeber in § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG davon ausgeht, dass nicht
getrennt lebende Ehegatten einander den erforderlichen Beistand gewähren, muss
das wichtigste äußere Kriterium für das Vorliegen einer eheähnlichen
Gemeinschaft im Sinne des § 122 Satz 1 BSHG die faktische Wohngemeinschaft
zwischen einem Mann und einer Frau, unter Umständen mit Kindern, sein. Denn
das Zusammenleben mit einem Partner in einer Wohnung bedeutet in aller Regel
eine besondere Nähe, die Einschränkungen in der eigenen Lebensgestaltung mit
sich bringt, so dass sich dieser Situation nur aussetzen wird, wer ein wenigstens
freundschaftliches Verhältnis zu diesem Partner hat. Da der Träger der Sozialhilfe
von den Motiven der Partner in der Wohngemeinschaft keine Kenntnis hat, ist es
Sache des Hilfesuchenden, der in einer Wohngemeinschaft mit einem Partner lebt,
plausible Gründe darzutun, die die Wohngemeinschaft als reine
Zweckgemeinschaft ausweisen. Kann er dies nicht, spricht alles dafür, dass die
besondere Zuneigung zum Partner den Grund für das Zusammenleben darstellt,
was dem Träger der Sozialhilfe den Schluss erlaubt, dass zwischen den
Betroffenen innere Bindungen vorliegen, die eine eheähnliche Gemeinschaft
kennzeichnen (vgl. VGH Baden-Württemberg a.a.O.).
Im Sinne der obigen Darlegungen plausible Gründe dafür, dass es sich bei dem
Zusammenleben der Antragstellerin mit Herrn W. um eine reine
Zweckgemeinschaft handeln könnte, sind nicht ersichtlich. Mangels sonstiger
Anhaltspunkte ist deshalb davon auszugehen, dass zwischen der Antragstellerin
und Herrn W. nicht nur eine Wohngemeinschaft, sondern eine eheähnliche
Lebensgemeinschaft besteht, die der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt
über den bereits gewährten Betrag hinaus entgegensteht.
Als unterliegende Beteiligte hat die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens zu
tragen, § 154 Abs. 1 VwGO, wobei Gerichtskosten nicht erhoben werden, § 188
Satz 2 VwGO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.