Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 21.10.2009

VG Frankfurt: drittstaat, genfer flüchtlingskonvention, aufschiebende wirkung, gerichtshof der europäischen gemeinschaften, ausländer, vorläufiger rechtsschutz, schengener durchführungsübereinkommen

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Gericht:
VG Frankfurt 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 L 2936/09.F.A
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 27a AsylVfG, § 34a Abs 2
AsylVfG, Art 16a Abs 2 GG, §
154 Abs 1 VwGO
Abschiebung eines Asylbewerbers nach Griechenland
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.
Gründe
Der am 07.10.2009 gestellte Antrag,
der Antragsgegnerin die Rückführung des Antragsstellers nach Griechenland
zu untersagen,
hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist nicht statthaft und deshalb unzulässig.
Nach § 34a AsylVfG ist es dem Verwaltungsgericht untersagt, die Abschiebung
nach § 80 oder § 123 VwGO auszusetzen, wenn ein Ausländer in einen sicheren
Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens
zuständigen Staat abgeschoben werden soll (§ 27a AsylVfG). Im vorliegenden Fall
sind beide Tatbestandsalternativen der Norm erfüllt: Der wohl aus Nigeria
stammende Antragsteller, der hier ein Asylgesuch geäußert hat, soll nach
Griechenland überstellt werden, von wo aus er auf dem Luftweg in die
Bundesrepublik eingereist war. Griechenland ist als EU-Staat sowohl von
Verfassungs wegen sicherer Drittstaat (vgl. Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG, § 26a Abs. 1
und 2 AsylVfG) als auch derjenige Staat der Europäischen Union, der nach den
Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (Dublin
II) für die Prüfung des Asylgesuchs des Antragstellers zuständig ist (Art. 10 Ziffer 1,
Art. 17 Ziffer 1, 2, Art. 18 Ziffer 6, 7).
In seinem Urteil vom 14.05.1996 (BVerfGE 94, 49(94)) hat das
Bundesverfassungsgericht die Drittstaatenregelung des § 26a AsylVfG und die
darauf fußende Rechtsschutzeinschränkung des § 34a Abs. 2 AsylVfG für
verfassungsgemäß erklärt. Beide Regelungen sind Ausfluss des sogenannten
„Asylkompromisses“ aus dem Jahre 1993, durch den das Recht auf Asyl in seinem
persönlichen Geltungsbereich durch den verfassungsändernden Gesetzgeber
eingeschränkt wurde – zulässigerweise, weil dieses Grundrecht nicht zum
Gewährleistungsinhalt von Art. 1 Abs. 1 GG oder sonstigen nach Art. 79 Abs. 3 GG
unveränderlichen Verfassungsbestandteilen gehört (BVerfG, a. a. O., S. 102 ff.).
Art. 16a GG bestimmt wie die Vorgängerregelung in Absatz 1: „Politisch Verfolgte
genießen Asyl.“ In Abs. 2 heißt es aber nunmehr: „Auf Absatz 1 kann sich nicht
berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus
einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über
die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der
Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1
zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf,
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zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf,
bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen
unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.“
Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in der genannten Entscheidung
ausgeführt:
„Ist mithin der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht gehindert, das
Asylgrundrecht als solches aufzuheben, ergibt sich ohne weiteres, daß die
Regelung des Art. 16a GG, die durch Absatz 2 Sätze 1 und 2 den persönlichen
Geltungsbereich des Grundrechts zurücknimmt, ........, durch Absatz 2 Satz 3
.......... die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG umgestaltet ........, sich
innerhalb der Grenzen einer zulässigen Verfassungsänderung hält. …..
(S. 103 f.)
Der Regelungsgehalt des Art. 16a Abs. 2 GG folgt aus dem mit dieser
Verfassungsnorm verfolgten Konzept einer normativen Vergewisserung über die
Sicherheit im Drittstaat. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften
gelten als sicher kraft Entscheidung der Verfassung. ….. Diese normative
Vergewisserung bezieht sich darauf, daß der Drittstaat einem Betroffenen, der
sein Gebiet als Flüchtling erreicht hat, den nach der Genfer Flüchtlingskonvention
und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
gebotenen Schutz vor politischer Verfolgung und anderen ihm im Herkunftsstaat
drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner
Gesundheit oder seiner Freiheit gewährt; damit entfällt das Bedürfnis, ihm Schutz
in der Bundesrepublik Deutschland zu bieten. Insoweit ist die Sicherheit des
Flüchtlings im Drittstaat generell festgestellt. Art. 16a Abs. 2 GG sieht nicht vor,
daß dies im Einzelfall überprüft werden kann. Folgerichtig räumt Satz 3 des Art.
16a Abs. 2 GG den Behörden kraft Verfassungsrechts die Möglichkeit ein, den
Flüchtling in den Drittstaat zurückzuschicken, ohne daß die Gerichte dies im
einstweiligen Rechtsschutzverfahren verhindern dürfen. Auch ein Vergleich mit Art.
16a Abs. 3 GG macht deutlich, daß eine Prüfung der Sicherheit eines Ausländers
im Drittstaat im Einzelfall nicht stattfindet. Gemäß Art. 16a Abs. 3 GG kann der
aus einem sicheren Herkunftsstaat kommende Asylbewerber die Vermutung, er
werde dort nicht politisch verfolgt, durch individuelles Vorbringen ausräumen. Art.
16a Abs. 2 GG enthält keine vergleichbare Regelung. Das ist auch der Wille des
verfassungsändernden Gesetzgebers und der Sinn des Konzepts normativer
Vergewisserung; denn dieses soll die Grundlage dafür bieten, den
schutzbegehrenden Ausländer im Interesse einer effektiven Lastenverteilung
alsbald in den Drittstaat zurückzuführen. ..... (S. 95 f.)
Nach allem kann der Ausländer, der in den Drittstaat zurückgewiesen oder
zurückverbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer
politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in
seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern, für ihn
bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort in seinem
Einzelfall - trotz normativer Vergewisserung - die Verpflichtungen aus der Genfer
Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht
erfüllt würden. Der Ausländer ist mithin mit einer Behauptung ausgeschlossen, in
seinem Fall werde der Drittstaat - entgegen seiner sonstigen Praxis - Schutz
verweigern. Der Ausländer kann sich auch nicht darauf berufen, ein - niemals völlig
auszuschließendes - Fehlverhalten der Behörden im Drittstaat könne in seinem
Fall zu einer Weiterschiebung in den Herkunftsstaat führen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat allerdings Schutz zu gewähren, wenn
Abschiebungshindernisse nach § 51 Abs. 1 oder § 53 AuslG durch Umstände
begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts
normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden
können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der
Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind.
So kann sich im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 Satz 2 EMRK, wonach die Todesstrafe
nicht konventionswidrig ist, ein Ausländer gegenüber einer Zurückweisung oder
Rückverbringung in den Drittstaat auf das Abschiebungshindernis des § 53 Abs. 2
AuslG ( §§ 60 Abs. 5 Satz 1, 61 Abs. 3 AuslG) berufen, wenn ihm dort die
Todesstrafe drohen sollte. Weiterhin kann er einer Abschiebung in den Drittstaat §
53 Abs. 6 Satz 1 AuslG etwa dann entgegenhalten, wenn er eine erhebliche
konkrete Gefahr dafür aufzeigt, daß er in unmittelbarem Zusammenhang mit der
Zurückweisung oder Rückverbringung in den Drittstaat dort Opfer eines
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Zurückweisung oder Rückverbringung in den Drittstaat dort Opfer eines
Verbrechens werde, welches zu verhindern nicht in der Macht des Drittstaates
steht. Ferner kommt der Fall in Betracht, daß sich die für die Qualifizierung als
sicher maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und
die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG hierauf
noch aussteht.
Nicht umfaßt vom Konzept normativer Vergewisserung über einen Schutz für
Flüchtlinge durch den Drittstaat sind auch Ausnahmesituationen, in denen der
Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer
Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) greift und dadurch zum
Verfolgerstaat wird ..... . Schließlich kann sich - im seltenen Ausnahmefall - aus
allgemein bekannten oder im Einzelfall offen zutage tretenden Umständen
ergeben, daß der Drittstaat sich - etwa aus Gründen besonderer politischer
Rücksichtnahme gegenüber dem Herkunftsstaat - von seinen mit dem Beitritt zu
den beiden Konventionen eingegangenen und von ihm generell auch
eingehaltenen Verpflichtungen löst und einem bestimmten Ausländer Schutz
dadurch verweigert, daß er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs
entledigen wird. ….. (S. 98 ff.)
Eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den
Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der
Ausländer freilich nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen
aufdrängt, daß er von einem der soeben genannten, im normativen
Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An diese
Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen. ….. (S. 100)
Der in Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG bestimmte Ausschluß der aufschiebenden
Wirkung jeglichen Rechtsbehelfs verlangt innerhalb der Reichweite des Konzepts
normativer Vergewisserung auch dann Beachtung, wenn sich der Ausländer auf
seine relativen materiellen Rechtspositionen als Ausländer beruft oder wenn er -
etwa im Hauptsacheverfahren - vorträgt, daß der Gesetzgeber bei der
Bestimmung des Staates zum sicheren Drittstaat die verfassungsrechtlichen
Voraussetzungen nicht beachtet habe, ja selbst wenn das Gericht sich zu einer
Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG entschließt.“ (S. 102)
Wenn ernsthafte Zweifel des mit der Sache befassten Gerichts an der
Verfassungsmäßigkeit einer einfachgesetzlichen Bestimmung eines sicheren
Drittstaats ihm nicht erlauben, ausnahmsweise Eilrechtsschutz zu gewähren, muss
dies erst recht gelten, wenn das Grundgesetz selbst wie im vorliegenden Fall einen
anderen Staat zum sicheren Drittstaat erklärt, es sei denn, es läge ein
außerhalb
Vergewisserung vor. Dann gestattet auch das Bundesverfassungsgericht
vorläufigen Rechtsschutz nach allgemeinen Grundsätzen.
Im streitgegenständlichen Fall liegt aber keine der Konstellationen vor, die das
Bundesverfassungsgericht als Ausnahmefälle betrachtet, auch nicht ein
denkbarer, vom Bundesverfassungsgericht nicht bedachter, sonstiger Sonderfall,
der ebenfalls die Grenzen des Konzepts normativer Vergewisserung sprengen
könnte. Insbesondere kommt keine Analogie zu dem Fall in Betracht, dass sich die
für die – einfachgesetzliche - Qualifizierung als sicher maßgeblichen Verhältnisse
im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der
Bundesregierung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG hierauf noch aussteht, auch wenn ein
mit der Grundgesetzänderung nicht abgeschlossener Prozess normativer
Vergewisserung auch bei den kraft Verfassung sicheren Drittstaaten vorstellbar
wäre. Denn die vom Antragsteller erhobenen Vorwürfe, Flüchtlinge sähen sich in
Griechenland der Gefahr des Refoulements ausgesetzt, sind nicht neu. Sie wurden
bereits 1996 laut. Im vom Bundesverfassungsgericht damals entschiedenen Fall
sollte die Beschwerdeführerin ebenfalls nach Griechenland rücküberstellt werden
und machte schon damals dagegen geltend, ihr drohe eine Kettenabschiebung
ohne vorherige Prüfung ihres Asylbegehrens. Dieses Vorbringen veranlasste das
Bundesverfassungsgericht jedoch nicht, ihr Rechtsschutz zu gewähren. Der Senat
führte statt dessen aus: „Die Behauptung, Griechenland sei kein sicherer
Drittstaat, da die Gefahr bestehe, von dort im Wege der Kettenabschiebung über
die Türkei zurück in den Verfolgerstaat verbracht zu werden, kann im Hinblick auf
die der Drittstaatenregelung zugrundeliegende normative Vergewisserung über
den in Griechenland möglichen Schutz nicht mehr Gegenstand einer
Einzelfallprüfung sein.“ (S. 107)
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Wie in dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall stellt der
Antragsteller das Konzept normativer Vergewisserung selbst in Frage mit seiner
Behauptung, ein EU-Mitgliedstaat sei entgegen der Annahme des
verfassungsändernden Gesetzgebers in Wahrheit generell - nicht nur in seinem
Einzelfall – kein sicherer Drittstaat, sondern missachte systematisch seine durch
den Beitritt zur Genfer Flüchtlingskonvention und Europäischen
Menschenrechtskonvention eingegangenen Verpflichtungen. Bei dieser
Argumentation ist, wie oben ausgeführt, nach Auffassung des
Bundesverfassungsgerichts – an die das beschließende Gericht nicht nur
hinsichtlich des im Bundesgesetzblatt (BGB l. 1996 I, S.952) veröffentlichten
Tenors, sondern auch hinsichtlich der tragenden Gründe der Entscheidung
gebunden ist [Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10.06.1975 – BverfGE
40, 88 (93)] - kein Eilrechtsschutz zulässig.
Zwar sind zwischenzeitlich auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene mit der Richtlinie
2003/9/EG des Rates vom 27.01.2003 (Aufnahmerichtlinie), der Richtlinie
2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 (Qualifikationsrichtlinie) und der Richtlinie
2005/85/EG des Rates vom 01.12.2005 (Asylverfahrensrichtlinie) neue
Bestimmungen hinzu gekommen, die die auf sehr unterschiedlichem Niveau
befindlichen europäischen Asylsysteme harmonisieren sollen. Doch tangiert diese
Fortschreibung der schon durch das Schengener Durchführungsübereinkommen
vom 19.06.1990 in Ansätzen geschaffenen Rechtslage in der Gemeinschaft die
Zielsetzung des Art. 16a Abs. 2 GG nicht. Verstöße gegen die dort
festgeschriebenen Standards können nicht zu einem vom
Bundesverfassungsgericht noch nicht vorhersehbaren Ausnahmefall deklariert
werden. Art. 16a Abs. 5 GG hatte diese Rechtsfortentwicklung innerhalb der
Gemeinschaft bereits im Auge. Die Verfassungsnorm ermächtigt zur Vereinbarung
von Zuständigkeitsregelungen, auf die sich auch betroffene Asylbewerber berufen
können (vgl. BVerfG, B. v. 30.07.2003, 2 BvR 1880/00, juris). Weitergehende
Ansprüche auf Einhaltung noch zu vereinbarender Aufnahme- und
Verfahrensstandards verleiht sie nicht, d. h. die Standards der genannten
Richtlinien werden dadurch nicht in den Rang deutscher
Verfassungsbestimmungen erhoben. Schließlich erlaubt Art. 16a Abs. 2 GG auch
die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat, der nicht EU-Mitgliedstaat ist und in
dem deshalb diese europarechtlichen Richtlinien per se nicht gelten (VG Frankfurt
a. M., B. v. 17.06.2008, 12 L 615/08.F.A). Die Einhaltung der genannten Richtlinien
ist mit den gemeinschaftsrechtlichen Instrumenten durchzusetzen.
Dass trotz der durch das Bundesverfassungsgericht vorgenommenen klaren
innerhalb
Konzepts der normativen Vergewisserung unmittelbar gestützt auf Art. 1 GG
gewährt werden könnte und müsste, falls ein Mitgliedstaat nachweislich Flüchtlinge
ungeprüft dem Verfolgerstaat ausliefern sollte, mit der Folge, dass die Betroffenen
durch ihre Überstellung in diesen Drittstaat „sehenden Auges in den sicheren Tod“
(vgl. die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 60 Abs. 7 S. 3
AufenthG) geschickt oder der Folter überantwortet würden, bedarf im vorliegenden
Fall keiner weiteren Erörterung.
Denn der Antragsteller hat keinen Gefährdungsgrad darlegen können, der
geeignet sein könnte, die aufgezeigten hohen verfassungsrechtlichen Hürden zu
überwinden. Sowohl die konkrete Ausgestaltung des Asylverfahrens in
Griechenland als auch seine persönlichen Möglichkeiten lassen ihn nach einer
Überstellung dorthin nicht als chancenlos und an Leib und Leben bedroht
erscheinen, sofern er tatsächlich, wie von ihm behauptet, des Schutzes vor
Verfolgung in seinem Heimatland bedarf. So verfügte der Antragsteller bei seiner
Ankunft auf dem Flughafen Frankfurt/Main augenscheinlich über einen Laptop und
war in der Lage gewesen, in Griechenland eine Rechtsanwältin mit der Vertretung
seiner Interessen zu beauftragen (Bl. 14 BA). Auch aus den Beschlüssen des
Bundesverfassungsgerichts vom 08.09.2009 – 2 BvQ 56/09 und vom 09.10.2009 –
2 BvQ 72/09, auf die sich auch der Antragsteller im Schriftsatz seines
Bevollmächtigten vom 12.10.2009 bezog, ergibt sich diesbezüglich nichts. Das
Bundesverfassungsgericht äußert sich dabei – im Beschluss vom 08.09.2009 - zur
Verfassungsmäßigkeit des vorausgegangenen Beschlusses des OVG Münster
nicht und hat im Übrigen ausschließlich eine Interessenabwägung im konkreten
Einzelfall vorgenommen. Deshalb bleibt das beschließende Gericht hier gehalten,
auf Grund eigener Prüfung nach Maßgabe des fachgerichtlichen Prüfungsrahmens
zu entscheiden.
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Auch unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht, wie immer sein Rangverhältnis zu
nationalem Verfassungsrecht im Einzelnen zu bestimmen sein mag, lässt sich
keine Ermächtigung herleiten, entgegen § 34a Abs. 2 AsylVfG vorläufigen
Rechtsschutz zu gewähren. Die gemeinschaftsrechtlichen
Verfahrensbestimmungen korrespondieren mit der deutschen
Rechtsbehelfseinschränkung. Art. 19 Abs. 2 S. 3 VO (EG) Nr. 343/2003 sieht vor,
dass gegen die Entscheidung, einen Asylsuchenden an einen anderen
Mitgliedstaat zur Durchführung des Asylverfahrens zu überstellen, ein Rechtsbehelf
eingelegt werden kann. In Satz 4 heißt es jedoch: „Ein gegen die Entscheidung
eingelegter Rechtsbehelf hat keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung
der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden
im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach
ihrem innerstaatlichen Recht zulässig ist.“
Diese Regelung wurde 2003 ersichtlich geschaffen, weil in einzelnen
Mitgliedstaaten der Ausschluss des einstweiligen Rechtsschutzes wie in § 34a
AsylVfG gesetzlich vorgeschrieben war (vgl. Filzwieser/Liebminger, Dublin II –
Verordnung, 2. Aufl., Art. 19 K 17) und daran nicht gerüttelt werden sollte. Denn
der Wegfall der aufschiebenden Wirkung liegt im Interesse der Einzelstaaten wie
der Gemeinschaft. Nach Ziffer 4 der Erwägungsgründe der Dublin II-Verordnung
sollen die Zuständigkeitskriterien „insbesondere eine rasche Bestimmung des
zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den
Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das
Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.“ Rechtsbehelfe
gegen einzelne Verfahrensschritte, denen aufschiebende Wirkung zukommt,
könnten das Ziel der Straffung der Asylverfahren gefährden.
Dadurch wird der Antragsteller nicht schutzlos gestellt. Denn es steht dem
Antragsteller offen, im Falle einer Unterschreitung der in den europäischen
Richtlinien für ihr Asylverfahren garantierten Mindeststandards in der Regel die
nationalen Gerichte in ihrem zuständigen Aufnahmestaat anzurufen und – falls
sich dies nicht als effektiv erweisen sollte – den für Verstöße gegen die
Europäische Menschenrechtskonvention zuständigen EGMR oder den für
Verletzungen des Gemeinschaftsrechts zuständigen Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften (EuGH) einzuschalten. Bei beiden Gerichtshöfen besteht neben
dem Klageverfahren auch die Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz zu erwirken
(Art. 39 der Verfahrensordnung des EGMR, Art. 83 der Verfahrensordnung des
EuGH), (vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.12.2008 – NVwZ 2009, 965).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wobei Gerichtskosten nicht
erhoben werden, § 83 b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.