Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 11.09.2000
VG Frankfurt: genfer konvention, politische verfolgung, somalia, emrk, staatliche verfolgung, europäische menschenrechtskonvention, unmenschliche behandlung, betroffene person, abschiebung
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Gericht:
VG Frankfurt 9.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 E 30078/99.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen für die Feststellung von Abschiebungshindernissen im Sinne
von §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG (hier: für Somalia im Einzelfall bejaht).
Tenor
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom
18.11.1999 (Az.: 2 389 985-273) verpflichtet festzustellen, dass die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes für den Kläger und
Hindernisse im Sinne des § 53 Abs. 4, 6 des Ausländergesetzes für eine
Abschiebung des Klägers nach Somalia vorliegen.
Im übrigen wird das Verfahren eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens haben die Beklagte zu 2/3 und der Kläger zu 1/3 zu
tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in
Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn der jeweilige Kostengläubiger
nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger, somalischer Staatsangehöriger, traf am 22.09.1998 auf dem
Flughafen-Frankfurt am Main ein, wurde dort im Transitbereich festgestellt und
offenbarte sich als Asylsuchender. Er war nicht im Besitz von Ausweis- oder
Reisedokumenten. Eine Befragung durch das Bundesgrenzschutzamt Flughafen-
Frankfurt/Main fand am selben Tag statt (Bl. 12 ff. d. Verwaltungsvorgangs).
Am 24.09.1998 stellte der Antragsteller einen Asylantrag, zu dem das Bundesamt
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ihn am 25.09.1998 anhörte
(Niederschrift: Bl. 32 ff. d. Verwaltungsvorgangs); wegen der Einzelheiten wird auf
die Niederschrift Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 18.01.1999 (Bl. 50 ff. d. Verwaltungsvorgangs) lehnte das
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag ab und
stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zugleich forderte es
den Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland auf und drohte ihm
die Abschiebung nach Somalia oder in einen anderen Staat an, in den er einreisen
darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Der Bescheid wurde dem
Kläger am 20.01.1999 zugestellt.
Der Kläger hat am 01.02.1999 Klage erhoben, die er im wesentlichen unter
Bezugnahme auf sein früheres Vorbringen begründet. Er sei 1984 in Mogadischu
geboren und gehöre dem Stamm der Reer-Hammar an, und zwar dem Clan
Gibilad , Subclan Bandhaaboo . Seine Eltern seien 1995 umgebracht worden. Er
habe noch 6 Geschwister, die in Mogadischu lebten. Ebenso lebe in Mogadischu
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habe noch 6 Geschwister, die in Mogadischu lebten. Ebenso lebe in Mogadischu
noch eine Schwester der Mutter, also seine Tante, wie auch sonst noch viele
Verwandte. Nach dem Tod der Eltern seien er und seine Geschwister von der
Tante, von Bekannten und Nachbarn versorgt worden; sie hätten noch im eigenen
Haus leben können. Sie seien aber fast jede Nacht von Angehörigen des Stammes
Habr-Gedir bedrängt, verfolgt und auch geschlagen worden, dies seit 1996. Zuletzt
sei das Haus von diesen Stammesangehörigen geplündert worden, er sei aus
diesem Anlass geflohen, und zwar am 20.09.1998. Sein Stamm sei in Mogadischu
in der Minderheit und werde diskriminiert; darauf beruhten auch die
Nachstellungen durch die Habr-Gedir . Er habe in Mogadischu keine
Existenzgrundlage mehr.
Mit Schriftsatz vom 20.05.1999 (Bl. 36 f. d. A.) hat der Kläger die Klage
zurückgenommen, soweit sein Begehren sich auf die Anerkennung als
Asylberechtigter richtete.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 18.01.1999 zu verpflichten,
festzustellen, dass die Voraussetzungen für Abschiebungsverbote nach § 51 Abs.
1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG in der Person des Klägers
vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid des
Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.
Mit Beschluss vom 31.05.1999 hat die Kammer den Rechtsstreit dem
Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
Die das Asylverfahren des Klägers betreffenden Verwaltungsvorgänge und die
Erkenntnisquellen der Kammer betreffend das Land Somalia, wie sie in der zuletzt
übersandten Erkenntnisquellenliste aufgeführt sind, wurden zum Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gemacht. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes
wird auf die genannten Unterlagen sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Hinsichtlich des Begehrens, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, war im
Hinblick auf die teilweise Klagerücknahme das Verfahren mit der aus § 92 Abs. 3
VwGO sich ergebenden Kostenfolge einzustellen.
Im übrigen ist die Klage zulässig und begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf
die Feststellungen, dass in seiner Person die Voraussetzungen für
Abschiebungsverbote nach § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach §
53 AuslG vorliegen.
Das Bundesamt hat im angefochtenen Bescheid zwar ausgeführt, es bestehe
keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für Verfolgungsmaßnahmen i. S. d. § 51 Abs.
1 AuslG, da diese Vorschrift ebenso wie Art. 16 a Abs. 1 GG politische und damit
staatliche Verfolgung voraussetze, woran es in Somalia derzeit fehle. Dem vermag
sich das Gericht nicht anzuschließen. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts
setzt die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht
voraus, dass der oder die Asylsuchende Maßnahmen politischer und damit
staatlicher Verfolgung ausgesetzt ist oder war.
Die Kammer hat dazu in ihrem rechtskräftigen Urteil vom 28.03.1994 (9 E
11871/93.A (V) - NVwZ - RR 1994, 358 ff.) ausgeführt:
"Das Abschiebungshindernis nach § 51 Abs. 1 AuslG verbietet es, einen Ausländer
in einen Staat abzuschieben, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner
Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Aus § 51
Abs. 2 S. 2 AuslG, wo von der Berufung auf "politische Verfolgung" die Rede ist,
schließt der 9. Senat des BVerwG, dass sich die Voraussetzungen von Art. 16 a
Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG decken, soweit es die Verfolgungshandlung, die
geschützten Rechtsgüter und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft.
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geschützten Rechtsgüter und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft.
Der Unterschied des Abschiebungshindernisses zum Asylgrundrecht bestehe
darin, dass § 51 Abs. 1 AuslG auch sog. Nachfluchtgründe erfasse (U. v.
18.02.1992 - 9 C 59.91 - DVBl. 1992, 843). Daraus wird weiter gefolgert, dass es
sich auch im Rahmen dieser Vorschrift um staatliche Verfolgung - im Sinne der
Rechtssprechung des BVerfG zum Asylgrundrecht - handeln müsse, um den
Abschiebungsschutz zu erlangen (BVerwG U. v. 18.01.1994 - 9 C 48.92 - E 95, 42
(44 ff.)). Dem vermag das erkennende Gericht - nach Beratung in der Kammer -
nach erneuter Überprüfung der maßgeblichen Rechtsfragen nicht mehr folgen. §
51 Abs. 1 AuslG ist vielmehr hinsichtlich der geschützten Rechtsgüter auf den
Schutz von Leben oder Freiheit des Betroffenen beschränkt, also insoweit enger
als das Asylgrundrecht, das keine Begrenzung der geschützten Rechtsgüter kennt.
Andererseits ist der Schutz durch § 51 Abs. 1 AuslG jedoch weiter, da die
Verfolgung keinen politischen Charakter im Sinne des Asylgrundrechts tragen
muss.
§ 51 Abs. 1 AuslG vom 09.07.1990 (BGBl. I S. 1354) stellt wie die wortgleiche
Bestimmung des § 14 Abs. 1 S. 1 AuslG vom 28.04.1965 (BGBl. I S. 353) für den
Bereich des Abschiebungsschutzes die Übernahme der
Abschiebungsbeschränkungen in Art. 33 des Abkommens über die Rechtsstellung
der Flüchtlinge - genannt Genfer Konvention (GK) - vom 28.07.1951 (BGBl. 1953 II
S. 55) dar, wenn auch unter Verzicht auf die Voraussetzung des Art. 33 Nr. 1 GK,
dass es sich um einen Flüchtling (gemeint ist: im Sinne des Art. 1 GK) handeln
muss. Für den Bereich der Zurückweisung und Zurückschiebung, die ebenfalls von
Art. 33 Nr. 1 GK erfasst werden, ist die entsprechende Anwendung von § 51 Abs. 1
AuslG in § 60 Abs. 5 AuslG 1990 geregelt, wie dies in § 18 Abs. 3 AuslG 1965 durch
das Gebot der entsprechenden Anwendung des § 14 Abs. 1 AuslG vorgesehen war.
Seit 1965 war damit der Abschiebungs- und Zurückweisungsschutz des Art. 33 Nr.
1 GK auch im Ausländerrecht kodifiziert. Einerseits galt (und gilt) dieser Schutz für
alle Ausländer unabhängig von der Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 1 GK,
andererseits konnten aber die Flüchtlinge im Sinne der GK daneben noch den
Schutz des Art. 33 Nr. 1 GK für sich geltend machen. 1965 stellte der
Abschiebungs- und Zurückweisungsschutz des AuslG eine Erweiterung des
Schutzes von Ausländern dar, da als Flüchtlinge im wesentlichen nur Personen
behandelt werden mussten, deren begründete Verfolgungsfurcht sich auf
Ereignisse bezog, die vor dem 01.01.1951 eingetreten waren (Art. 1 A Nr. 2 GK).
Dies änderte sich mit dem Protokoll vom 31.01.1967. Als Flüchtling ist danach jede
Person im Sinne von Art. 1 A Nr. 2 GK ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der die
Verfolgungsfurcht begründenden Ereignisse anzusehen. Die Bundesrepublik hat
das Protokoll mit Gesetz vom 11.07.1969 ratifiziert (BGBl. II S. 1293). Die
Änderung ist am 05.11.1969 in Kraft getreten (BGBl. II 1970 S. 194). Damit
unterscheiden sich die Regelungen über den Schutz vor Abschiebungen und
Zurückweisungen aus den genannten Gefahrengründen nur noch hinsichtlich des
Begriffs "Ausländer" und des Begriffs "Flüchtling". Dem kann jedoch im Hinblick auf
die Erweiterung des Anwendungsbereichs der GK durch das Protokoll von 1967
keine Bedeutung mehr zukommen, so dass für die Zeit ab dem Inkrafttreten
dieses Protokolls von einem identischen Regelungsgehalt auszugehen ist
(Koisser/Nicolaus ZAR 1991, 9, 11, 14). Dieser Auffassung hat sich der 1. Senat
des BVerfG in seinem Urteil vom 21.01.1992 (1 C 21.87 - DVBl. 1992, 835, 837)
angeschlossen. Er legt § 51 Abs. 1 AuslG so aus, dass er mit dem
Flüchtlingsbegriff des Art. 1 A Nr. 2 GK übereinstimmt. Das BVerfG hat in seinem
Beschluss vom 26.05.1992 (2 BvR 20/93 - Ausländer- und Asylrecht 1993, 238,
239) ebenfalls ausgeführt, Art. 33 GK stehe in engem Zusammenhang mit § 51
Abs. 1 AuslG, sieht die Dinge als ähnlich. Das entspricht insbesondere § 51 Abs. 2
S. 1 Nr. 2 AuslG, wonach Flüchtlinge im Sinne der GK stets den Schutz des § 51
Abs. 1 AuslG genießen, da die Bundesrepublik hier auch ausländische
Flüchtlingsanerkennungen ausreichen lässt.
Demgegenüber leitet der 9. Senat des BVerwG in seinem Urteil vom 18.01.1994
aus der Verwendung des Begriffs der politischen Verfolgung in § 51 Abs. 2 S. 2
AuslG und der Überschrift des § 51 AuslG ab, dass damit an die Definition der
politischen Verfolgung im Sinne oder Rechtsprechung des BVerfG zum
Asylgrundrecht laut Beschluss vom 10.07.1989 (2 BvR 502, 1000, 961/86 - NVwZ
1990, 151 ff.) angeknüpft werde. Damit sei auch Art. 33 Nr. 1 GK vom Gesetzgeber
authentisch in dieser Weise interpretiert worden. Auf diese Weise wird jedoch dem
Begriff der politischen Verfolgung in § 51 AuslG ein unzulässiges Gewicht beigelegt.
Die Überschrift enthält nur eine den wesentlichen Gehalt der Vorschrift angebende
Inhaltsbezeichnung, eine Kurzfassung, ohne eine eigenständige begriffliche
Aussage zum Inhalt politischer Verfolgung im Sinne des Abschiebungsschutzes zu
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Aussage zum Inhalt politischer Verfolgung im Sinne des Abschiebungsschutzes zu
treffen. Das ergibt sich schon aus § 51 Abs. 1 AuslG, wo die sachlichen
Voraussetzungen des Abschiebungsschutzes abschließend aufgezählt sind, sich
aber an keiner Stelle der Begriff der politischen Verfolgung wiederfindet. Er kann
also, was die Überschrift oder § 51 Abs. 2 S. 2 AuslG angeht, nur als verkürzte
Inhaltsangabe des Abschiebungsschutzes im Sinne eines allgemeinen, auch
außerjuristischen Sprachgebrauchs verstanden werden. So jedenfalls wird der
Begriff offenbar vom 1. Senat des BVerwG in seinem Beschluss vom 09.09.1992 (1
B 71.91 - Buchholz 402.22 Art. 32, 33 GK Nr. 7) verwandt. Dabei ist auch zu
berücksichtigen, dass in der früheren Rechtsprechung des BVerwG der Inhalt des
Asylgrundrechts durch Art. 1 A Nr. 2 GK bestimmt wurde, was eine Gleichsetzung
der politischen Verfolgung mit dem Flüchtlingsbegriff der Konvention nahegelegte,
aber keine Beschränkung des Konventionsinhalts bedeutete (vgl. BVerwG U. v.
07.10.1975 - I C 46.69 - DVBl. 1976, 500, 501; 29.11.1977 - 1 C 33.71 - DVBl 1978,
884; 08.11.1983 - 9 C 93.83 - DVBl. 1984, 564). Deshalb kann dem Begriff der
politischen Verfolgung in § 51 AuslG nicht die enge und zwingende Bedeutung
beigelegt werden, wie sie dem Begriff in Art. 16 a Abs. 1 GG von Verfassungs
wegen nach der bindenden Rechtsprechung des BVerfG seit den 80'er Jahren
zukommt, zumal dem auch § 51 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AuslG entgegensteht.
Für diese Auslegung spricht ferner der Zweck des § 51 Abs. 2 S. 2 AuslG. Diese
Vorschrift enthält nämlich keine materiell-rechtliche Regelung, sondern verweist
den Ausländer auf ein bestimmtes Verfahren, wenn er den Abschiebungsschutz
geltend machen will. Deshalb begnügt sich § 13 Abs. 1 AsylVfG nicht damit, als
Inhalt eines Asylantrages das Begehren um Schutz vor politischer Verfolgung
anzugeben, sondern erwähnt daneben den Wunsch, vor einer Abschiebung oder
sonstigen Rückführung in einen Staat geschützt zu werden, in dem ihm die in § 51
Abs. 1 AuslG genannten Gefahren drohen. Der von § 51 Abs. 1 AuslG erfasste
Personenkreis wird in der Überschrift des § 3 AsylVfG als "sonstige politisch
Verfolgte" bezeichnet, wobei der Gesetzestext dieser Vorschrift nur die von § 51
Abs. 1 AuslG bezeichneten Gefahren erwähnt und selbst nicht den Begriff der
politischen Verfolgung verwendet.
Schließt man sich dieser Auslegung des § 51 Abs. 1 AuslG unter Einbeziehung von
Art. 1 A Nr. 2 GK nicht an, erschwert dies lediglich die praktische Verwirklichung der
sich aus Art. 33 Nr. 1 GK ergebenden Abwehrrechte. Die GK ist ausweislich von Art.
2 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes vom 01.09.1953 (BGBl. II S. 559) bereits 1 Monat nach
der Verkündung des Gesetzes als innerstaatliches Recht in Kraft getreten, also
unabhängig von der erst 1954 eingetretenen völkerrechtlichen Verbindlichkeit des
Abkommens (BGBl. 1954 II S. 919). Das BVerwG geht deshalb zutreffend davon
aus, dass die Konvention innerstaatliche Rechte und Pflichten begründet und
unmittelbar anwendbares Recht enthält, auf das sich der einzelne berufen kann (U.
v. 25.11.1958 - I C 122.57 - NJW 1959, 451, 452; 16.10.1990 - 1 C 15.88 - DVBl.
1991, 270; 04.06.1991 - 1 C 42.88 - DVBl. 1992, 290, 291; 21.01.1992 a. a. O. S.
836; ebenso BGH U. v. 12.07.1963 - IV ZR 254/62 - RzW 1964, 76, 77). Damit ist
neben § 51 Abs. 1 AuslG stets auch der Abschiebungsschutz des Art. 33 GG zu
beachten (vgl. BVerwG. B. v. 09.09.1992 a. a. O.). Das BVerfG ist davon in
mehreren Entscheidungen zur Auslegung und Anwendung des Asylgrundrechts in
GG ausgegangen und hat dabei stets betont, gerade soweit das Asylgrundrecht
mangels Erfüllung der Voraussetzungen einer politischen Verfolgung nicht
eingreife, könne sich der Schutz des Ausländers über das Grundrecht hinaus aus
den Abschiebungsschutzvorschriften des AuslG, aus Art. 33 GK und aus Art. 3 MRK
ergeben (B. v. 10.07.1989 a. a. O. S. 155; 26.11.1986 -BvR 1058/85 - NVwZ 1987,
311, 313). Damit ist von einer selbständigen Geltung des Art. 33 GK auszugehen.
Dem lässt sich nicht dadurch ausweichen, dass der Regelungsgehalt von Art. 33
GK auf den von § 51 Abs. 1 AuslG in seiner restriktiven Auslegung reduziert wird
(so aber BVerwG U. v. 18.01.1994 a. a. O.). Ein solches Vorgehen könnte zwar bei
einem schlichten innerstaatlichen Gesetz in Betracht gezogen werden, auch wenn
sich dann die Frage stellte, warum die ältere Vorschrift nicht angepasst oder
aufgehoben worden wäre, vorausgesetzt es bestünden inhaltliche Unterschiede.
Bei einem innerstaatlich geltenden, zugleich aber auch völkerrechtlich die
Bundesrepublik nach Art. 59 Abs. 2 GG bindenden Abkommen ist eine solche
Auslegung jedoch nicht möglich. Eine nachträgliche Beschränkung des
Abkommensinhalts durch den Gesetzgeber kommt solange nicht in Betracht, als
nicht das Abkommen selbst nach seinen Vorschriften angepasst (Art. 45 GK) oder
- womöglich teilweise - durch Kündigung (Art. 44 GK) außer Kraft gesetzt worden
ist. Da derartiges in bezug auf die Konvention unterblieben ist, besteht kein
Spielraum für den Gesetzgeber, die GK nach ihrem Inkrafttreten einengend zu
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Spielraum für den Gesetzgeber, die GK nach ihrem Inkrafttreten einengend zu
interpretieren oder sonstwie ihren Anwendungsbereich sachlich zu beschränken.
Vielmehr sind die Gewährleistungen der GK unabhängig vom AuslG auszulegen
und anzuwenden, jedenfalls soweit sie über das AuslG hinausgehende Rechte
begründen. Diese Sichtweise lag erkennbar dem Urteil des 1. Senats des BVerwG
vom 21.01.1992 (a. a. O.) zugrunde, in dem er sich für die Berücksichtigung der für
Ausländer günstigeren Regelung der Art. 1 A Nr. 2, Art. 33 GK entschied und dem
durch eine entsprechende Auslegung von § 51 Abs. 1 AuslG Rechnung trug. Der 9.
Senat des BVerwG hat sich dagegen in seinem Urteil vom 18.01.1994 für den
gegenteiligen Weg entschieden, den Inhalt der GK anhand seiner Interpretation
von § 51 Abs. 1 AuslG bestimmt und sich ausdrücklich zur Befugnis des
Gesetzgebers bekannt, nachträglich eine sog. authentische Auslegung des
Flüchtlingsbegriffs der GK durch § 51 AuslG vornehmen zu dürfen. Er weicht damit
der Auffassung des 1. Senats ab, so dass ohne eine Anrufung des Großen Senats
des BVerwG das Urteil vom 18.01.1994 nicht hätte ergehen dürfen (§ 11 Abs. 2, 3
VwGO).
Die Konsequenz der zusätzlichen Anwendung von Art. 33 Nr. 1 GK neben § 51 Abs.
1 AuslG wäre, dass der Abschiebungsschutz für Flüchtlinge im Sinne von Art. 1 A
Nr. 2 GK nicht nur im Rahmen des Asylverfahrens nach § 51 AuslG, sondern auch
außerhalb davon zu prüfen wäre und damit das Ziel des Gesetzgebers von
1990/92 verfehlt würde, den Abschiebungsschutz von Ausländern im Hinblick auf
die in § 51 Abs. 1 AuslG und Art. 33 Nr. 1 GK identisch bezeichneten Gefahren nur
in einem einzigen Verfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge klären zu lassen. Auch aus diesem vom 1. Senat des
BVerwG in seinem Urteil vom 21.01.1992 genannten Grund ist der Auffassung zu
folgen, wonach § 51 Abs. 1 AuslG unter Einfluss von Art. 1 A Nr. 2 GK auszulegen
und anzuwenden ist, um so zu der vom Gesetzgeber angestrebten Konzentration
der Flüchtlingsschutzverfahren zu kommen. Andernfalls müsste bei der
Überprüfung der Abschiebungsandrohung und des in ihr genannten Zielstaates die
Einhaltung der Erfordernisse von Art. 33 GK selbständig berücksichtigt werden. Bei
einem Verstoß gegen Art. 33 GK wäre die Abschiebungsandrohung dann insoweit
aufzuheben, da § 50 Abs. 3 AuslG nicht anwendbar wäre (BVerwG B. v. 09.09.1992
a. a. O).
Der Abschiebungsschutz nach Art. 33 GK und damit auch der nach § 51 Abs. 1
AuslG geht in mehrfacher Hinsicht über Art. 16 a Abs. 1 GG hinaus, wovon auch
das BVerfG ausgeht (B. v. 10.07.1989 u. 26.11 1986 a. a. O.). Er knüpft an den
Flüchtlingsbegriff des Art. 1 GK an und verbietet Abschiebungen oder
Zurückweisungen in einen Staat, auf welche Weise auch immer, in dem die näher
bezeichneten Gefahren drohen, die zugleich maßgeblich für die Begründung der
Flüchtlingseigenschaft nach Art. 1 A Nr. 2 GK in seiner Fassung seit 1967 sind. Art.
33 GK stellt dabei die Mindestgewährleistung für Flüchtlinge, vor allem solche im
Sinne von Art. 1 A Nr. 2 GK dar. Denn die Konvention enthält zwar - anders als Art.
16 a Abs. 1 GG - kein Zutrittsrecht zum Bundesgebiet mit anschließendem
Aufenthaltsrecht (Marx ZAR 1992, 3, 8 ff. 12; Heilbronner ZAR 1987, 3 ff.). Sie
sichert den Schutz der Flüchtlinge jedoch durch das Verbot der in Art. 33 Nr. 1 GK
genannten Maßnahmen und stellt im übrigen das Verfahren zur Aufnahme von
Flüchtlingen oder ihrer Anerkennung in das Ermessen des Gesetzgebers, der dabei
allerdings an Art. 33 Nr. 1 GK nicht vorbeikommt (Marx u. Heilbronner a. a. O.). Im
Ergebnis führt dies dazu, dass in irgendeiner Weise ein angemessenes Verfahren
bereit gestellt sein muss, um jedenfalls die Beachtung der in Art. 33 GK
enthaltenen Verbote zu sichern und die Flüchtlingseigenschaft als Voraussetzung
dieser Regelung klären zu lassen (BVerwG U. v. 25.11.1958 a. a. O) einschließlich
des durch Art. 16 GK gewährleisteten freien und ungehinderten Zugangs zu den
Gerichten.
Bei Flüchtlingen, die diese Eigenschaften aufgrund von Art. 1 A Nr. 2 GK besitzen,
bemisst sich der Abschiebungsschutz nach Art. 33 GK, § 51 Abs. 1 AuslG daher
nach den Maßstäben, die für den Erwerb der Flüchtlingseigenschaft gelten
(BVerwG U. v. 21.01.1992 a. a. O.; Koisser/Nicolaus, ZAR 1991, 9, 14; Marx a. a. O.
S. 8 f; a. A. Hess.VGH U. v. 26.07.1993 - 12 UE 2439/89; Kanein/Renner,
Ausländerrecht, 6. Aufl., § 51 AuslG Rn. 9, GG Rn. 120, 122). Denn Art. 33 Nr. 1 GK
wiederholt mit dem Begriff des Flüchtlings nur die in Art. 1 GK für die jeweilige
Flüchtlingskategorie geltenden Voraussetzungen. Daran müssen sich deshalb
auch die Überlegungen zum Schutz der Flüchtlinge orientieren. Wer wegen
begründeter Verfolgungsfurcht im Sinne von Art. 1 A Nr. 2 GK Flüchtling ist, dessen
Abschiebungs- und Zurückweisungsschutz setzt ebenfalls nur diese begründete
Verfolgungsfurcht voraus (Koisser/Nicolaus a. a. O.; Koisser, Stellungnahme des
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Verfolgungsfurcht voraus (Koisser/Nicolaus a. a. O.; Koisser, Stellungnahme des
Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) zur Frage der
Verfolgung im Sinne des Art. 1 A (2) GFK bzw. Art. 33 (1) GFK, Bonn, d. 19.05.1992
ZDWF-Schriftreihe Nr. 51 S. 12 ff; Marx a. a. O).
Die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaften nach Art. 1 A Nr. 2 GK stimmen
zwar weitgehend mit Art. 16 a Abs. 1 GG überein, enthalten aber eine teils engere,
teils weitere Regelung (vgl. schon Kanein, AuslG, 1966, § 28 Erl.A.1.). Enger ist Art.
1 A Nr. 2 GK in seiner seit dem Protokoll vom 31.01.1967 geltenden Fassung
insofern, als die Verfolgungsmerkmale abschließend bestimmt werden, während
Art. 16 a Abs. 1 GG keine Begrenzung der geschützten Rechtsgüter oder der
asylerheblichen Merkmale kennt (BVerfG B. v. 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80
- NJW 1980, 264 f.; vgl. auch B. v. 01.07.1987 - 2 BvR 478, 962/86 - NVwZ 1988,
237, 239; B. v. 10.07.1989 a. a. O; 04.02.1959 - 1 BvR 193/57 - NJW 1959, 763,764;
vgl. ferner BVerwG U. v. 31.01.1981 - 9 C 6.80 - DVBl. 1981, 774 f.). Eine
Verfolgungsfurcht kann damit nur dann relevant im Sinne der GK sein, wenn sie im
kausalen Zusammenhang mit einer Verfolgungsmaßnahme steht
(Koisser/Nicolaus a. a. O. S. 10; Bierwirth für den UNHCR, Amt des Vertreters in
der Bundesrepublik Deutschland, vom 10.08.1992 an RA Heinhold in ZDWF-
Schriftreihe Nr. 51, 1992, S. 55, 69 ff.; Koisser, Stellungnahme S. 25). Andererseits
genügt für die Flüchtlingseigenschaft schon eine begründete ("good reasons")
Furcht vor einer Verfolgung im Heimatland wegen der Konventionsmerkmale,
während das Asylgrundrecht eine objektive Beurteilung der Verfolgungsgefahr
erfordert und sich der subjektive Bezug darauf beschränkt, dass die - drohende -
politische Verfolgung für den Betroffenen der Anlass für die Flucht gewesen sein
muss (BVerfG B. v. 02.07.1980 a. a. O; Koisser/Nicolaus a. a. O; Koisser,
Stellungnahme S. 12; Bierwirth a. a. O. S. 68; Kanein, AuslG, 2. Aufl. 1974, Erl. zu §
28). Entscheidend für Art. 1 A Nr. 2 GK ist die glaubwürdige Darstellung des
einzelnen, unter Berücksichtigung seines familiären Hintergrunds, seiner
persönlichen Erfahrungen, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe,
Religion, Nationalität oder seiner politischen Überzeugung gute Gründe für eine
Verfolgungsfurcht zu haben, die auch ein objektiver Beobachter nachvollziehen
kann (Bierwirth a. a. O.; Gutachten des Amtes des Hohen Kommissars der
Vereinten Nationen für Flüchtlinge RzW 1968, 150, 153 ff.). Dabei kommt es nur
auf den Kausalzusammenhang zwischen den in Art. 1 A Nr. 2 GK genannten
Merkmalen/Eigenschaften der Person und der Verfolgung an (Koisser/Nicolaus a. a.
O.; BGH U. v. 12.07.1963 - IV ZR 254/62 - RzW 1964, 76, 78 f.; U. v. 17.01.1962 - IV
ZR 183/61 - RzW 1962, 371, 372). Demgegenüber verlangt Art. 16 a Abs. 1 GG
darüber hinaus die objektive Verfolgungsgefahr und einen Kausalzusammenhang
zwischen politischer Verfolgung(sgefahr) und Flucht in die Bundesrepublik, schließt
also nach neuerer Rechtsprechung Nachfluchtgründe grundsätzlich aus (BVerfG B.
v. 26.11.1986 - 2 BvR 1085/85 - NVwZ 1987, 311, 313: a. A. Hofmann NVwZ 1987,
299 ff.; Brunn NVwZ 1987, 301 ff.; Schumann DVBl. 1987, 294 ff.). Einen solchen
Ausschuss kennt die GK nicht (Koisser/Nicolaus u. Hofmann a. a. O.; BVerwG U. v.
07.10.1975 - I C 46.69 - DVBl. 1976, 500, 501; 29.11.1977 - 1 C 33.71 - DVBl.1978,
883, 884f.; 08.11.1983 - 9 C 33.83 - DVBl. 1984, 564; BGH a. a. O.).
Wesentlichster Unterschied zwischen Art. 1 A Nr. 2 GK und Art. 16 a Abs. 1 GG ist
jedoch, dass die Konvention keine politische Verfolgung verlangt, sondern die
begründete Furcht vor einer Verfolgung im Heimatland wegen eines
Konventionalmerkmals ausreichen lässt. Bedeutsam wird dies bei der Beurteilung
der Urheberschaft von - drohenden - Verfolgungsmaßnahmen. Während politische
Verfolgung im Sinne des Asylgrundrechts nach der verbindlichen Auslegung des
BVerfG in neuerer Zeit grundsätzlich staatliche Verfolgung ist und Maßnahmen
Dritter, Privater im allgemeinen die Inanspruchnahme des Grundrechts nicht
begründen können, ist dies im Rahmen von Art. 1 A Nr. 2 GK anders. Danach
genügt es, dass der Betroffene den Schutz seines Landes nicht in Anspruch
nehmen kann oder wegen der Befürchtung nicht in Anspruch nehmen will. Damit
wird letztlich für die 1. Alternative auf die Abwesenheit einer Schutzmöglichkeit
durch das Land abgestellt, dem der Betroffene als Staatsangehöriger angehört
oder in dem im Falle einer Staatenlosigkeit seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte
(BVerwG U. v. 01.06.1965 - I C 118.62 - UA S. 5). Auf die Ursache der Abwesenheit
dieses Schutzes durch das eigene Land stellt die GK nicht ab (so schon Gutachten
des Amtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge RzW
1968, 150, 152 f.; Kanein, AuslG 1966, Art, 1 GK Erl. C 5), aus der Sicht des
Flüchtlings zu Recht; denn für ihn spielt es keine Rolle, ob die befürchtete
Verfolgung wegen eines Konventionsmerkmals durch die Regierung, sonstige
staatliche Stellen oder die von dem Land nicht mehr kontrollierten Gruppen
erfolgt. Es genügt, wenn der Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, den
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erfolgt. Es genügt, wenn der Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, den
erforderlichen Schutz zu gewähren (BVerfG B. v. 02.07.1980 a. a. O. S. 2642;
BVerwG U. v. 31.01.1981 - 9 C 6.80 - DVBl. 1981, 774 unter Bezug auf das U. v.
01.06.1965). Ebenso unerheblich ist, ob die Herstellung eines Schutzes durch das
Land möglich ist oder dessen Kräfte übersteigt. Für die begründete
Verfolgungsfurcht spielt dies keine Rolle, da auch hier das Fehlen des Schutzes
ausschlaggebend ist (BGH U. v. 12.07.1963 a. a. O.). Daran zeigt sich die
besondere Bedeutung dieses Flüchtlingstatbestandes. Er stellt entscheidend auf
die Sichtweise des Flüchtlings ab, die allerdings nachvollziehbar sein muss, und
nicht auf die Haltung des Landes, die Motivation staatlicher Stellen oder
gesellschaftlicher Gruppen (Koisser, Stellungnahme a. a. O.; Bierwirth a. a. O.;
Koisser/Nicolaus a. a. O.).
Die Richtigkeit dieser Auslegung bestätigt sich einerseits durch die der GK
zugrunde liegende, in ihrer Präambel verankerte humanitäre Zielrichtung.
Andererseits verzichtet Art. 1 A Nr. 2 GK offenbar bewusst auf das Wort "Staat"
(state/e'tat), sondern spricht ausschließlich von "Land" (country/pays). An anderen
Stellen der GK ist dagegen ausdrücklich von Staaten (z. B. Art. 32 f. GK) die Rede.
Der unterschiedliche Sprachgebrauch ist daher beachtlich und kein bloßer Zufall.
Damit können auch diejenigen Angehörigen eines Landes Flüchtlinge sein, das
zwar als völkerrechtliches Subjekt noch besteht, aber z.B. mangels staatlicher
Strukturen handlungsunfähig geworden ist. Denn durch eine Auflösung der
staatlichen Strukturen eines Landes geht dessen Völkerrechtsfähigkeit noch nicht
unter, so dass seine Staatsangehörigen sich nach wie vor im internationalen
Rechtsverkehr an dieser Eigenschaft festhalten lassen müssen, ohne jedoch den
Schutz des Landes in Anspruch nehmen zu können (BGH U. v. 12.07.1963 a. a.
O.). Das gleiche gilt für Bürgerkriegssituationen, bei denen fraglich ist, wer wo als
Regierung noch angesehen werden kann bzw. ob es überhaupt noch eine
Regierung gibt.
Diesen durchaus paradoxen Situationen trägt die besondere Formulierung in Art. 1
A Nr. 2 GK Rechnung, indem sie lediglich auf die Unmöglichkeit abstellt, den
Schutz des eigenen Landes erlangen zu können, um die Verfolgung abzuwenden
oder zu beenden (BGH und Kanein a. a. O.). Dieser Gedanke kommt in den von
Koisser (Stellungnahme a. a. O. S. 14 ff.) wiedergegebenen Entscheidungen von
Gerichten/Behörden der Vereinigten Staaten von Amerika, Australien, Kanadas
oder der Niederlande zutreffend zum Ausdruck. Auch der BGH hat sich seit 1966
unter Präzisierung seiner früheren teilweise engeren Auslegung von Art. 1 A Nr. 2
GK dieser Meinung angeschlossen und lediglich die Abwesenheit staatlichen
Schutzes (Staatsversagen) verlangt (U. v. 02.03.1966 - IV ZR 12/65 - RzW 1966,
367; B. v. 31.01.1967 - IV ZB 547/66 - RzW 1967, 325; U. v. 11.07.1968 - IX ZR
156/66 RzW 1968, 571, 572 f.). Die Ursachen dieses Staatsversagens hat er für
unbeachtlich gehalten. Auch hat er auf die Frage verzichtet, ob die
Verfolgungsmaßnahmen von gesellschaftlichen Gruppen dem Staat zuzurechnen
waren. Damit kommt es für den Erwerb der Flüchtlingseigenschaft auf die
Ursachen eines Staatsversagens nicht an, sofern es nicht doch zumutbar ist, sich
um staatlichen Schutz zu bemühen. Daran fehlt es jedoch, wenn die staatlichen
Strukturen sich aufgelöst haben, da dann kein Adressat eines solchen
Schutzbegehrens mehr vorhanden ist. Denn die GK hat die Aufgabe, den
fehlenden oder unzumutbaren Schutz des Heimatlandes zu ersetzen (BVerwG U.
v. 01.06.1965 - I C 118.62 - UA S. 5).
Die dagegen vom 9. Senat des BVerwG in seinem Urteil vom 18.01.1994
angeführten Gründe vermögen nicht zu überzeugen. Einerseits setzt sich der 9.
Senat unzureichend mit dem besonderen Wortlaut von Art. 1 A Nr. 2 GK
auseinander. Andererseits unterschlägt er die Auffassung des BGH und die in der
Präambel der GK fixierte Zielsetzung des Abkommens. Die Hinweise auf die
Überzeugungen zum Inhalt der Konvention in den Anfangsjahren ihrer Geltung
können die einschränkende Auslegung nicht tragen, schon weil dabei zu Unrecht
von einer Irrelevanz des Ansatzes der GK ausgegangen wird und die
innerstaatliche Praxis der GK während der 60'er Jahre die Einschränkung nicht
trägt. Die praktische Gleichsetzung von wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung
und objektiv bestehender Verfolgungsgefahr verkennt die unterschiedliche
Reichweite der Flüchtlingstatbestände, wie sie sich aus den gesamten Literatur-
und Rechtsprechungsnachweisen entnehmen lassen.
Schließlich lässt die gesetzgeberische Handhabung des Asylgrundrechts und der
GK erkennen, dass man sich des Unterschieds beider Regelungen bewusst war.
Nach Art. 28 AuslG 1965 waren als Asylberechtigte nämlich nicht nur die
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Nach Art. 28 AuslG 1965 waren als Asylberechtigte nämlich nicht nur die
Verfolgten im Sinne von Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG a. F. anzuerkennen, sondern
daneben auch diejenigen, die Flüchtlinge im Sinne von Art. 1 GK waren. Die zu § 28
AuslG ergangene Verwaltungsvorschrift vom 07.07.1967 (GMBl. S. 231) geht
davon aus, dass sich die Voraussetzungen beider Anerkennungstatbestände nur
im wesentlichen, also eben nicht vollständig decken. Bedeutung erlangte dieser
Unterschied vor allem ab dem Inkrafttreten des Protokolls vom 03.01.1967, da die
eine Verfolgungsfurcht begründenden Ereignisse nun nicht mehr vor dem
01.01.1951 eingetreten sein mussten. Dieser Anspruch auf Anerkennung als
Asylberechtigter (Flüchtling) allein unter den Voraussetzungen des Art. 1 GK fiel
zwar mit dem Erlass des AsylVfG von 1982 und der gleichzeitigen Aufhebung der
§§ 28 AuslG 1965 weg. Der Bestand der Mindestgewährleistungen für Flüchtlinge
im Sinne der GK nach deren Art. 33 blieb davon jedoch unberührt. Insofern lässt
sich aus dem im Gesetzgebungsverfahren von 1992 gescheiterten Versuch, zu §
28 Nr. 1 AuslG 1965 zurückzukehren, nicht schließen, damit sei auch ansonsten
der Inhalt von Art. 1, 33 GK beschränkt worden. Geht man davon aus, die
Konvention garantiere keinen Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling allein nach
Maßgabe der Voraussetzungen von Art. 1 GK (vgl. Koisser/Nicolaus a. a. O. S. 12;
a. A. BVerwG, U. v. 25.11.1958 a. a. O.), sondern stelle dies in das Ermessen jedes
einzelnen Vertragsstaates, so bleiben doch die Verpflichtungen aus Art. 33 GK
davon unberührt, da sie schon bei der Einreise gelten, aber auch sonst die
Modalitäten einer Rückführung von Flüchtlingen regeln unabhängig von deren
sonstigem Status in der Bundesrepublik (BVerwG a. a. O.; Marx u. Heilbronner a. a.
O.). Dieser Schutz ist jedoch enger als der einer Anerkennung nach Art. 1 GK mit
anschließender Legalisierung des Aufenthalts, da Art. 33 GK lediglich bestimmte
Eingriffsmaßnahmen (Zurückweisung, Abschiebung) verbietet und diese Verbote
davon abhängig macht, dass bei der Durchführung einer solchen Maßnahme das
Leben oder die Freiheit des Flüchtlings bedroht wären. Dieser Unterschied macht
deutlich, dass die Ablehnung einer Rückkehr zu § 28 Nr. 1 AuslG 1965 nicht
gleichbedeutend ist mit einer Aufgabe von Art. 33 GK, zumal der Gesetzgeber für
die Dauer einer Bindung an die Konvention darüber nicht frei verfügen kann."
Ergänzend dazu ist darauf hinzuweisen, dass die Maßgeblichkeit der Genfer
Konvention für die Auslegung des unterverfassungsrechtlichen Flüchtlingsrechts
durch Art. K2 des Vertrages über die europäische Union vom 07. Februar 1992 -
Maastricht-Vertrag - (ABl.EG C 191 vom 29.07.1992 S. 1) wie auch durch Art. 28
des Übereinkommens "Schengen II" vom 19.06.1990 (BGBl. 1993 II. S. 1013, 1010)
und den Gemeinsamen Standpunkt des Rates der EU vom 04.03.1996 (ABl. EG
1996 Nr. L 63/2) bestätigt worden ist. Danach ist diese Konvention die Grundlage
des innerstaatlichen wie auch des zwischen den Staaten der Europäischen Union
zu praktizierenden Flüchtlingsrechts einschließlich der Verpflichtungen, welcher
Staat ein Asylverfahren mit Bindungswirkung für einen anderen Staat der Union
durchzuführen hat. Daraus folgt aber auch zugleich, dass bei der Auslegung der
Konvention wie auch des des die Konvention umsetzenden innerstaatlichen
sonstigen Rechts die Praxis und die Rechtsprechung der anderen Vertragsstaaten
zur Genfer Konvention entsprechend den Vorschriften der Wiener
Vertragsrechtskonvention zu berücksichtigen sind. Folglich kann es nicht
ausschließlich darauf ankommen, welche Überzeugungen gegebenenfalls bei
Abschluss der Konvention im Jahre 1951, bei ihrer Ratifikation im Jahre 1952/54
oder auch bei der Erweiterung ihres Anwendungsbereichs in den Jahren 1967/69
bei den Signatarstaaten gemeinsam vorhanden waren. Vielmehr ist auch die
weitere Entwicklung in den Folgejahren bis einschließlich in den Beginn der 90er
Jahre hinein zu berücksichtigen, was insbesondere eine qualifizierte
Berücksichtigung der Rechtsprechung aus den Niederlanden, Großbritannien oder
Frankreich zur Folge hat. Dies kann für die Anwendung der Genfer Konvention in
der Bundesrepublik Deutschland nicht ohne Auswirkungen bleiben, da den
genannten beiden Abkommen aus den 90er Jahren die Überzeugung zugrunde
liegt, zu einer gemeinsamen, also auch inhaltlich im Kern übereinstimmenden
Flüchtlingspolitik zu kommen. Folglich kann eine abweichende Auslegung der
maßgeblichen Rechtsvorschriften der Konvention durch die einzelnen
vertragsschließenden Parteien nicht beabsichtigt gewesen sein. Dementsprechend
ist eine einheitliche Auslegung anzustreben, der die Auffassung der Kammer näher
steht als diejenige des Bundesverwaltungsgerichts im oben genannten Urteil im
Januar 1994.
Die jüngste Entscheidung des BVerwG vom 17.04.1997 (9 C 15.96) gibt der
Kammer keinen Anlass, von ihrer Auffassung abzuweichen. Sie sieht sich vielmehr
durch den Gemeinsamen Standpunkt des Rates der Europäischen Union vom 4.
März 1996 (ABl. EG 1996 Nr. L 63/2) in ihrer Auslegung grundsätzlich bestätigt,
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März 1996 (ABl. EG 1996 Nr. L 63/2) in ihrer Auslegung grundsätzlich bestätigt,
zum einen was die Maßgeblichkeit der Genfer-Konvention für die Bestimmung der
Flüchtlingseigenschaft angeht, zum anderen was die Voraussetzungen für die
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Einzelfall angeht. Einerseits lassen die
Ziffern 3. u. 4. des Gemeinsamen Standpunktes unzweideutig erkennen, dass es
nicht auf die objektive Verfolgungsgefahr, sondern allein auf die subjektiv
empfundene und wohlbegründete Furcht vor Verfolgung wegen eines der in der
Konvention genannten Merkmale ankommt. Dies ergibt sich insbesondere aus Ziff.
4 Abs. 3, zweiter Spiegelstrich letzter Satz, wird aber auch aus dem letzten Satz in
Ziff. 3, erster Absatz deutlich. Was die Ursachen der Verfolgung angeht, besteht
anders als es das Bundesverwaltungsgericht annimmt nicht die Notwendigkeit,
lediglich staatliche Verfolgungsmaßnahmen als relevant für die Begründung der
Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer-Konvention wie des § 51 Abs. 1 AuslG
anzuerkennen.
Ziff. 5.1. des gemeinsamen Standpunktes des Rates der EU geht zwar davon aus,
dass die Verfolgung im allgemeinen von einem Organ der Staatsgewalt ausgeht,
wobei sein völkerrechtlicher Status keine Rolle spielt. Daneben werden aber auch
Parteien oder Organisationen genannt, die den Staat beherrschen. Insgesamt
steht dieser Ausgangspunkt jedoch unter dem Vorbehalt, dass der staatliche
Charakter der Verfolgungsmaßnahmen nur die Regel ist, was aus den Worten "im
allgemeinen" hervorgeht. Es sind daher auch Verfolgungsmaßnahmen denkbar,
die nicht in dieser Weise einem Organ der Staatsgewalt zugerechnet werden
können. Dies ergibt sich mit aller Deutlichkeit aus Ziff. 5.2. des Gemeinsamen
Standpunktes. Danach fällt eine Verfolgung durch Dritte, d. h. durch nicht der
Staatsgewalt zuzurechnende Stellen, Organisationen oder Personen, auch dann in
den Anwendungsbereich der Genfer-Konvention, wenn sie von den Behörden
gefördert oder gebilligt wird. Bleiben die Behörden untätig, so muss nach Ziff. 5.2.
des Gemeinsamen Standpunktes geprüft werden, ob die festgestellte Untätigkeit
willentlich erfolgt oder nicht. Daraus wird zwar deutlich, dass grundsätzlich der
Staat für die Aufrechterhaltung der innerstaatlichen Friedensordnung
verantwortlich ist. Genügt er aber dieser Verantwortung nicht, können relevante
Verfolgungen im Sinne der Konvention auch von Dritten ausgehen. Dies
festzustellen ist jedoch Sache des Einzelfalles, kann aber nicht im Wege eines
allgemeinen Rechtssatzes schlechthin von der Anwendung des § 51 Abs. 1 AuslG
oder der Genfer-Konvention ausgenommen werden. Bestätigt wird diese
Auffassung durch Ziff. 6 des Gemeinsamen Standpunktes. Zwar reicht danach der
Hinweis auf eine Bürgerkriegssituation oder die mit Gewalt verbundenen inneren
oder allgemeinen Konflikte einschließlich der damit verbundenen Gefahren allein
nicht aus, um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu rechtfertigen. Dies
entspricht auch der Auffassung der Kammer, da die Furcht vor Verfolgung nur
dann die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft mit sich bringen kann, wenn die
Verfolgung wegen eines Konventionsmerkmals erfolgt. Entscheidend für die hier
maßgebliche Frage ist jedoch, dass in Abs. 2 von Ziff. 6 des Gemeinsamen
Standpunktes ausdrücklich anerkannt wird, dass Verfolgung in
Bürgerkriegssituationen oder bei mit Gewalt verbundenen inneren oder
allgemeinen Konflikten die Verfolgung sowohl vom Staat wie auch von durch den
Staat unterstützten oder geduldeten Dritten ausgehen kann als auch von Stellen,
die faktisch die Hoheitsgewalt in einem Teil des Staatsgebietes ausüben, innerhalb
dessen der Staat seinen Bürgern keinen Schutz mehr gewähren kann. Letzteres
trifft beispielsweise auf die Verhältnisse in Somalia zu, da der Staat als
Völkerrechtssubjekt nicht untergegangen ist, andererseits aber mangels
hinreichender Organisation in keinem Teil seines Gebietes mehr den erforderlichen
staatlichen Friedensschutz gewähren kann. Vielmehr wird das, was man noch als
Hoheitsgewalt vergleichbar einer Staatsgewalt bezeichnen kann, in Somalia von
den verschiedenen Familienclans, gelegentlich untereinander auch verbündet,
ausgeübt. Folglich sind sie jedenfalls solange, wie es an einer zentral verfassten
Staatsgewalt fehlt, die über alle Gebiete hinreichende Hoheitsgewalt ausübt, rein
tatsächlich gesehen die alleinigen Träger von Hoheitsgewalt, so dass von ihnen
auch eine Verfolgung im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG wie der Genfer-Konvention
ausgehen kann. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Betroffenen sich
nirgendwo in Somalia oder einem vergleichbaren Land an eine in ihrem
Staatsgebiet befindliche Stelle wenden können, die Kraft übergeordneter Gewalt
auf die lokalen Machthaber hinreichend einwirken könnte, um den notwendigen
Schutz für die grundlegenden Persönlichkeits- und Menschenrechte zu
gewährleisten."
Daran wird festgehalten.
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Im Fall des Klägers sind diese Voraussetzungen erfüllt. Der Kläger wird nicht
politisch verfolgt, aber die von ihm glaubhaft geschilderten
Verfolgungsmaßnahmen, die letztlich zu seiner Ausreise geführt haben, knüpften
daran an, dass er Angehöriger der Reer-Hammar und damit einer in Mogadischu
verfolgten Minderheit ist. Damit liegen die Voraussetzungen für die Annahme vor,
dass der Kläger wegen seiner Volkszugehörigkeit Verfolgungshandlungen
ausgesetzt war. Das Gericht hat keinerlei Anlass, an der Glaubhaftigkeit der
Angaben des Klägers insoweit zu zweifeln. Folglich steht der Feststellung von
Abschiebungsverboten nach § 51 Abs. 1 AuslG auch nicht etwa der Bericht des
Niederländischen Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten vom 23.10.1999
entgegen. Aus diesem Bericht ergibt sich zwar, dass Angehörige von Minderheiten
im Großraum Mogadischu kein Ziel allgemeiner Verfolgung durch die kämpfenden
Parteien der herrschenden Clans seien, sondern lediglich im Rahmen der dort
herrschenden allgemeinen Situation Gefahr liefen, Opfer von Gefechtshandlungen
zu werden. Im Fall des Klägers ist das Gericht indes zu der Überzeugung gelangt,
dass die vom Kläger geschilderten regelmäßigen Drangsalierungen und
Repressalien durch Angehörige der Habr-Gedir ein Ausmaß erreicht haben,
welches die Annahme rechtfertigt, der Kläger habe sich ethnisch motivierten
Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gesehen, zumal dies bis hin zu körperlichen
Verletzungen ging. Dass es sich bei den geschilderten Verfolgungshandlungen um
geplante, an der Volkszugehörigkeit der Betroffenen, u. a. des Klägers,
anknüpfende Maßnahmen handelte, ergibt sich für das Gericht auch daraus, dass
in Somalia die Angehörigen des Stammes Reer-Hammar als relativ reich gelten,
was der Fall des Klägers auch bestätigt, war es ihm mitsamt seinen Geschwistern
doch möglich, für einen Zeitraum von mehr als 2 Jahren ohne Eltern im eigenen
Haus zu leben, wenn auch mit Unterstützung von Verwandten und Bekannten.
Dies lässt es als naheliegend erscheinen, dass die Maßnahmen, denen der Kläger
ausgesetzt war, gerade an diesem Umstand und damit an seiner
Volkszugehörigkeit anknüpften.
Die Ablehnung der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4
AuslG ist ebenfalls nicht rechtmäßig.
Nach § 53 Abs. 4 AuslG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich
aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten vom 04.11.1950 (BGBl. 1952 II S. 686) - Europäische
Menschenrechtskonvention (EMRK) - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. §
53 Abs. 4 AuslG enthält insofern keine eigenständige Regelung von
Abschiebungshindernissen, sondern nimmt nur auf die Europäische
Menschenrechtskonvention und die sich aus ihr ergebenden
Abschiebungshindernisse Bezug. Maßgeblich ist insoweit vor allem Art. 3 EMRK,
wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder
Behandlung unterworfen werden darf. Zwar haben die Vertragsstaaten der EMRK
im Rahmen des etablierten Völkerrechts und vorbehaltlich ihrer vertraglichen
Verpflichtungen einschließlich der Konvention das Recht, die Einreise, den
Aufenthalt und die Ausweisung von Ausländern zu regeln; gleichwohl kann die
Ausweisung eines Asylbewerbers durch einen Vertragsstaat eine Verletzung von
Art. 3 EMRK darstellen (EGMR, st. Rspr.: Urt. v. 30.10.1991 im Fall Vilvarajah u. a.
NVwZ 1992, 869; Urt. v. 17.12.1996 im Fall Ahmed, NVwZ 1997, 1100; Urt. v.
29.04.1997 im Fall H.L.R., NVwZ 1998, 163, 164 Tz. 33 ff.; 02.05.1997 im Fall D.,
NVwZ 1998, 161, 162 Tz. 46 ff.).
Nach der vorgenannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte ergibt sich ein Schutz vor Auslieferung, Ausweisung oder
Abschiebung aus Art. 3 EMRK dann, wenn wesentliche Gründe dafür vorliegen,
dass die betroffene Person in dem Land, in das sie zurückkehren muss, der realen
Gefahr ausgesetzt ist, einer Behandlung ausgesetzt zu sein, die mit Art. 3 EMRK
unvereinbar ist. Unter diesen Umständen schließt Art. 3 EMRK stillschweigend die
Verpflichtung ein, den Betroffenen nicht in dieses Land auszuweisen (EGMR, a. a.
O.; BVerwG, Urt. v. 17.10.1995, E 99, 331 (333)). Voraussetzung hierfür ist, dass
objektive Tatsachen vorliegen, die den stichhaltigen Hinweis für das Bestehen
einer realen Gefahr der Misshandlung begründen, und dass die Misshandlung ein
Minimum an Schwere voraussichtlich erreichen wird. Daraus folgt, dass die
Überprüfung sich auf die voraussehbaren Folgen der Abschiebung des Betroffenen
in das jeweils vorgesehene Zielland konzentrieren muss, und zwar sowohl im
Hinblick auf die allgemeine Situation im Zielland als auch im Hinblick auf die
persönlichen Umstände des jeweils Betroffenen (EGMR, Urt. v. 30.10.1991,
29.04.1997, 02.05.1997, a. a. O.). Ferner ist bei der Beurteilung der realen
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29.04.1997, 02.05.1997, a. a. O.). Ferner ist bei der Beurteilung der realen
Gefahren im Sinne von Art. 3 EMRK im Zielland von einer Wechselwirkung zwischen
der allgemeinen Situation im Zielland und den persönlichen Umständen des
Betroffenen auszugehen. Ist die allgemeine Situation im Zielland von einem so
hohen Gefährdungspotential im Hinblick auf Folter, unmenschliche oder
erniedrigende Behandlung bzw. Bestrafung gekennzeichnet, dass für jeden
Rückkehrer nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr
eigener Betroffenheit durch eine im Widerspruch zu Art. 3 EMRK stehende
Behandlung gegeben ist, so kann es entscheidungserheblich nicht mehr auf die
jeweiligen persönlichen Umstände des Betroffenen ankommen, es sei denn diese
sind so beschaffen, dass sie ihrerseits, entgegen der allgemeinen Situation, eine
entsprechende Gefährdung im Sinne von Art. 3 EMRK deutlich zu reduzieren
vermögen. Ist die allgemeine Situation im Zielland indes nicht von einem
entsprechend hohen allgemeinen Gefahrenpotential gekennzeichnet, so kommt
es entscheidend auf die persönliche Situation des jeweils Betroffenen an, die sich
in irgendeiner Hinsicht als schlechter darstellen muss als die der Mehrzahl der
Personen im Zielland bezogen auf die konkreten Gefahren des Art. 3 EMRK (vgl.:
EGMR, Urt. v. 30.10.1991, 29.04.1997, a. a. O.).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ergibt sich im Hinblick auf die aktuellen
Verhältnisse in Somalia, dass bereits die allgemeine Situation dort ein so hohes
Gefahrenpotential für jeden Rückkehrer beinhaltet, dass unabhängig von den
persönlichen Umständen des jeweiligen Rückkehrers wesentliche Gründe dafür
gegeben sind, dass die betroffene Person in Somalia der ernsthaften Gefahr von
Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung
ausgesetzt ist. Die Situation in Somalia ist aktuell nach wie vor von Clan-Kämpfen
und dem Zusammenbruch jeglicher staatlicher Strukturen gekennzeichnet. Die
persönliche Gefahr für Somalis innerhalb des Landes und auch für Rückkehrer aus
dem Ausland ist dementsprechend sehr hoch, jedenfalls soweit sie sich in einem
von einem bestimmten Clan wesentlich beherrschten Gebiet aufhalten und selbst
einem anderen oder keinem Clan angehören. Aus dem unverändert gültigen
Lagebericht des Auswärtigen Amtes betreffend Somalia vom 30.06.1993 ergibt
sich, dass jeder Somali in Lebensgefahr geraten kann, soweit er nicht unmittelbar
aus dem Ausland in sein Clan- bzw. Fraktionsgebiet zurückkehren kann. Da die
Einreise nach Somalia wiederum praktisch nur über Mogadischu möglich ist,
dessen südlicher Teil, in dem sich See- und Flughafen befinden, vom Hawiye Sub-
Clan Habr-Gedir kontrolliert wird, ist für Angehörige anderer Stämme und
Fraktionen die Einreise lebensgefährlich, da nur derjenige relativ sicher ist, der sich
innerhalb eines Gebietes aufhält, welches von seinem Clan bzw. Sub-Clan
kontrolliert wird. Insoweit führt das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht Somalia
vom 03.12.1993 aus, dass der Aufenthalt von Rückkehrern in einem clanfremden
Gebiet zur sofortigen Tötung oder zur Geiselnahme als häufige Folge führen kann.
Auch aus dem Bericht des Auswärtigen Amtes für die asyl- und
abschiebungsrelevante Lage in Somalia vom 24.02.1997 ergibt sich, dass nach wie
vor in ganz Somalia ein latenter, teilweise sogar offener Bürgerkriegszustand
herrscht. Die zur Zeit laufenden Friedensbemühungen für Somalia bieten keine
konkreten und kurzfristigen Erfolgsaussichten. Unverändert bleibt für die
persönliche Sicherheit eines Somalis die Eingebundenheit in eine Großfamilie
(Clan, Sub-Clan, Stamm) maßgebend. Die Nichtexistenz gesamtstaatlicher
Strukturen, die Ineffizienz und Begrenztheit der von den Clan-, Sub-Clan oder
Familienführern ausgeübten Autorität sowie die weite Verbreitung von Waffen hat
hiernach in vielen Landesteilen dazu geführt, dass schwerbewaffnete Milizen lokal
und regional als Ordnungsfaktoren fungieren. Hierbei handeln sie teilweise
unabhängig und losgelöst von der Kontrolle der Clan-, Sub-Clan- oder
Familienführer. Besonders Geiselnahmen in umkämpften Gebieten ereigneten sich
auch noch in jüngerer Zeit. Die Sicherheitslage wechselt örtlich und zeitlich in nicht
vorherzusehender Weise sehr rasch. Auch nach Einschätzung des Auswärtigen
Amtes kann eine Rückkehr aufgrund dieser Umstände nur in das jeweilige Clan-
Gebiet erfolgen, wobei das Gebiet feindlicher Stämme dabei nicht zu durchqueren
sein darf. Eine Abschiebung des Klägers nach Somalia, die allenfalls über
Mogadischu und damit nur unter Durchquerung eines clanfremden Gebietes
erfolgen könnte, trägt demnach die reale Gefahr in sich, dass der Kläger in
Somalia einer Behandlung ausgesetzt sein könnte, die mit Art. 3 EMRK
unvereinbar ist. Dies gilt im Fall des Klägers um so mehr, nachdem auch der
Suchdienst des Roten Kreuzes den Aufenthaltsort seiner Verwandten nicht hat
ermitteln können, so dass feststeht, dass der Kläger derzeit keinen Kontakt zu
Verwandten in Somalia hat und auch nicht aufnehmen kann, sollte er dorthin
zurückkehren müssen.
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Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 17.10.1995 (E 99, 331 ff.)
dahingehend erkannt, dass grundsätzlich nur eine vom Staat ausgehende oder
von ihm zu verantwortende Misshandlung eine unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung i. S. d. Art. 3 EMRK sein kann, da die EMRK nur den Zweck verfolge,
dem Missbrauch staatlicher Gewalt vorzubeugen und den der Herrschaftsgewalt
eines Staates Unterworfenen bestimmte Rechte und Freiheiten einzuräumen. Als
unmenschliche Behandlung gem. Art. 3 EMRK könnten hiernach grundsätzlich nur
unmittelbare oder mittelbare Misshandlungen durch staatliche oder quasi-
staatliche Organe des Landes, in das abgeschoben werden soll, angesehen
werden.
Dieser Rechtsprechung kann indes schon im Hinblick auf das Urteil des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.1996 (Fall Ahmed
gegen Österreich, NVwZ 1997, 1100), der für die Auslegung der EMRK die
Letztentscheidungsbefugnis besitzt (Art. 45 f. EMRK), nicht gefolgt werden. Denn
der EGMR stellt in dieser Entscheidung fest, dass der dortige Kläger in Anbetracht
der Lage nicht nach Somalia zurückkehren könne, ohne Gefahr zu laufen, einer
Behandlung ausgesetzt zu sein, die mit Art. 3 EMRK unvereinbar ist. Angesichts
des absoluten Charakters von Art. 3 EMRK stehe diesem Schluss auch das Fehlen
jeder staatlichen Gewalt in Somalia nicht entgegen. Daran hat der EGMR in seinem
Urteil vom 29.04.1997 (NVwZ 1998, 163, 164 Tz. 40) ausdrücklich festgehalten
und anerkannt, reale Gefahren im Zielstaat, verursacht von nichtstaatlichen
Stellen, könnten ebenfalls einer Abschiebung nach dort entgegenstehen. Dann
aber kann dem Kläger der aus Art. 3 EMRK folgende Abschiebungsschutz nicht
unter Hinweis darauf versagt werden, dass in Somalia derzeit und in absehbarer
Zeit kein Staat besteht bzw. voraussichtlich bestehen wird.
Im übrigen richtet sich das in Art. 3 EMRK enthaltene Verbot an die Staaten, die an
die Konvention durch Ratifikation gebunden sind. Den Konventionsstaaten wird
eine unmenschliche Behandlung von Ausländern ungeachtet ihrer Souveränität
hinsichtlich des Ausländerrechts verboten. Folglich ist maßgebendes
Staatsverhalten i. S. d. Art. 3 EMRK das deutscher Stellen, wenn diese
Staatstätigkeit bei einer Abschiebung im Einzelfall zu einer unmenschlichen
Behandlung des Ausländers führt. Die diesem in dem Staat, in dem er
abgeschoben werden soll, wirklich drohenden Gefahren einer unmenschlichen
Behandlung werden dem die Abschiebung androhenden und durchführenden Staat
zugerechnet, weil ohne die Abschiebung der Ausländer dieser besonderen
Gefahrenlage real nicht ausgesetzt wäre (vgl. EGMR, Urt. vom 02.05.1997, NVwZ
1998, 161 f. zu der mit Art. 3 MRK unvereinbaren Ausweisung eines
Schwerkranken, dessen Leben durch die Verhältnisse im Zielstaat mangels
Therapiemöglichkeiten konkret gefährdet wäre). So wird das
Abschiebungshindernis gem. § 53 Abs. 4 AuslG auch allgemein dahingehend
verstanden, dass es alle unmittelbar oder mittelbar durch die Abschiebung
bewirkten Gefahren erfasst, mithin auf Handlungen der Bundesrepublik abstellt,
nicht aber auf Handlungen des Zielstaates (Bay.VGH, Urt. v. 29.07.1996, EZAR
233 Nr. 1; VGH BW, Urt. v. 15.05.1996, EZAR 043 Nr. 14). Deshalb vermag die
Kammer der gegenteiligen, von einer Überbetonung des Souveränitätsgedankens
getragenen Auffassung des BVerwG in seinem Urteil vom 15.04.1997 (9 C 38.95)
nicht zu folgen, zumal sich die absolute Geltung des Verbots unmenschlicher
Behandlung auch aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt.
Folglich ist es ohne Bedeutung, ob die reale Gefahr in dem Land, in das
abgeschoben werden soll, seinerseits von staatlichen oder quasi-staatlichen
Organen zu verantworten ist. Denn Kern der EMRK ist letztlich die von den
Vertragsstaaten übernommene Verpflichtung zu umfassender Achtung und damit
zum umfassenden Schutz der originären und unveräußerlichen Menschenrechte
derjenigen Personen, die dem Einflussbereich der Vertragsstaaten unterworfen
sind. Ihnen obliegt in diesem Sinne eine Garantenstellung für den Schutz des
einzelnen vor einer menschenrechtswidrigen Behandlung auch in dem Sinne, dass
niemand einer Situation überantwortet werden darf, in der ihm mit der
erforderlichen Wahrscheinlichkeit menschenrechtswidrige Behandlung droht. Aus
der Sicht des einzelnen Trägers unveräußerlicher Menschenrechte aber kann und
darf es letztlich keinen Unterschied machen, wer im Zielland als potentieller
Verursacher einer Menschenrechtsverletzung auftreten wird, sofern die
entsprechende Gefahr wesentlich gerade durch eine Maßnahme des deutschen
Staates erst wirklich herbeigeführt wird (vgl. EGMR, Urt. v. 17.12.1996, 29.04.1997
u. 02.05.1997 a. a. O.). Eine Reduzierung der mit Ratifizierung der EMRK
übernommenen Schutzpflichten dergestalt, dass die Vertragsstaaten zwar
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übernommenen Schutzpflichten dergestalt, dass die Vertragsstaaten zwar
niemanden staatlich verursachter Misshandlung überantworten dürfen, gleichwohl
- "konventionskonform" - nichtstaatlicher Misshandlung, ließe sich demnach mit
den übernommenen Schutzpflichten der Vertragsstaaten nicht vereinbaren. Der
vom EGMR betonte absolute Charakter des Menschenrechts in Art. 3 EMRK
verbietet es daher deutschen Stellen schlechthin, Maßnahmen zu ergreifen, die
einen Menschen der realen Gefahr einer unzulässigen unmenschlichen
Behandlung aussetzen.
Aus den gleichen Gründen bestehen überdies Abschiebungshindernisse nach § 53
Abs. 6 AuslG. Im Fall einer Rückkehr nach Somalia verfügte der Kläger über
keinerlei Existenzgrundlagen.
Im Hinblick auf die Feststellungen zu § 51 Abs. 1 AuslG war die
Abschiebungsandrohung aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt das
anteilsmäßige Unterliegen des Klägers im Hinblick auf die Klagerücknahme.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V.
m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.