Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 08.07.2003
VG Frankfurt: aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, vollziehung, gemeinnützige arbeit, zumutbare arbeit, arbeitsmarkt, pflege, verwaltungsakt, anweisung, arbeitskraft
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Gericht:
VG Frankfurt 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 G 3086/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 18 BSHG, § 19 BSHG, § 25
BSHG, § 80 Abs 2 Nr 4 VwGO,
§ 80 Abs 5 VwGO
Heranziehung zu gemeinnütziger Arbeit
Leitsatz
Zur Verwaltungsaktsqualität eines Bescheides auf Heranziehung zu gemeinnütziger
Arbeit nach § 19 BSHG.
Zu den Anforderungen an die Darlegung des öffentlichen Interesses bei Anordnung der
sofortigen Vollziehung eines solchen Bescheids.
Tenor
Die Anträge werden abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen; dabei werden
Gerichtskosten nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen
die Anordnung der sofortigen Vollziehung vom 27.05.03 des
Heranziehungsbescheides des Antragsgegners zu gemeinnütziger Arbeit vom
09.05.03 ist nach § 80 Abs. 5 VwGO verfahrensrechtlich zulässig. Er ist
insbesondere statthaft. Dies ergibt sich daraus, dass der Widerspruch keine
aufschiebende Wirkung hat (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Denn die Heranziehung zu
gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit im Sinne von 19 Abs. 2 Satz 1 BSHG ist
auch ein belastender Verwaltungsakt. Kommt der Hilfesuchende ihm nicht nach,
darf der Sozialhilfeträger nach den allgemeinen Regeln (vgl. § 80 Abs. 1 VwGO) nur
dann Konsequenzen im Sinne einer Leistungskürzung oder -einstellung ziehen,
wenn er unanfechtbar ist oder ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat.
Dies bedeutet, dass bei Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr.
4 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs entfällt und der
Hilfesuchende Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO beantragen kann (so auch VG
Frankfurt am Main, Beschluss vom 04.04.2003 - 3 G 1428/03(2) -; ferner Hess
VGH, Beschluss vom 24.02.1987, FEVS 37, 18 ff; zuletzt Bay. VGH, Beschluss vom
02.07.2001, FEVS 53, 181 sowie OVG Münster, Beschluss vom 28.05.2002, FEVS
54, 54).
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO ist
aber unbegründet.
In formeller Hinsicht entspricht die Anordnung der sofortigen Vollziehung im
Bescheid vom 27.05.2003 den Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO.
Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung
nicht zu beanstanden.
Einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO
ist stattzugeben, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich
rechtswidrig ist, da ein öffentliches Interesse an der Vollziehung eines
rechtswidrigen Verwaltungsaktes nicht besteht. Der Antrag ist abzuweisen, wenn
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rechtswidrigen Verwaltungsaktes nicht besteht. Der Antrag ist abzuweisen, wenn
der Verwaltungsakt rechtmäßig ist und ein besonderes öffentliches Interesse an
seiner sofortigen Vollziehung gegeben ist, diese also eilbedürftig ist. Lässt sich
weder das eine noch das andere bei summarischer Prüfung feststellen, so hängt
der Erfolg des Antrags davon ab, ob das öffentliche Interesse bzw. das Interesse
eines Beteiligten an der sofortigen Vollziehung oder das entgegenstehende private
Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs
überwiegt.
Hier erweist sich nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren notwendigerweise
nur möglichen summarischen Beurteilung des Sachstandes die Heranziehung des
Antragstellers zu gemeinnütziger Arbeit als offensichtlich rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Aufforderung bei der Hauptverwaltungsstelle des M-
Kreises von Montag bis Freitag 20 Wochenstunden Hausmeistertätigkeiten
("Instandsetzung und Pflege der Innen- und Außenanlagen nach Anweisung der
Hausmeister" gemäß der Präzisierung im Bescheid vom 27.05.03) zu verrichten,
sind die §§ 18 und 19 BSHG. Nach § 18 Abs. 1 BSHG muss jeder Hilfesuchende
seine Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und seine
unterhaltsberechtigten Angehörigen einsetzen. Nach § 18 Abs. 2 BSHG ist darauf
hinzuwirken, dass der Hilfesuchende sich um Arbeit bemüht und Arbeit findet.
Hilfesuchende, die keine Arbeit finden können, sind zu einer für sie zumutbaren
Arbeitsgelegenheit nach §§ 19 oder 20 BSHG verpflichtet.
Der 51-jährige Antragsteller hat seit Jahren nicht gearbeitet. Nach seinen Angaben
im Sozialhilfeantrag will er letztmals im Jahr 1983 gearbeitet haben. In der
Vergangenheit wurde der Antragsteller bereits zu gemeinnütziger Arbeit
herangezogen. Den Aufforderungen kam er nicht oder nur zögerlich nach, wobei
zum Teil Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt wurden, nach deren Ablauf
jedoch die Tätigkeit nicht mehr aufgenommen wurde. Gesondert wurde versucht,
dem Antragsteller mit Maßnahmen des Berufsbildungs- und
Beschäftigungszentrums des M-Kreises (BBZ) bei der Wiedereingliederung in den
Arbeitsmarkt zu helfen. Auch dies schlug fehl. So hat der Antragsteller zuletzt mit
einem Schreiben vom 12.06.2003 die Gelegenheit erhalten, an einer
Trainingsmaßnahme im Bereich Recycling teilzunehmen. Dort ist er nicht
erschienen. Der Antragsteller wurde in der Vergangenheit mehrfach auf
gesundheitliche Einschränkungen hin untersucht. Eine zuletzt am 06.05.03 erfolgte
Untersuchung durch einen Vertragsarzt des Antragsgegners gelangte zu dem
Ergebnis, dass der Antragsteller zeitlich uneingeschränkt arbeitsfähig sei,
ausgeschlossen sei lediglich "über- Kopf-Arbeiten" sowie das Heben und Tragen
von Lasten von mehr als 10 kg Gewicht. Auch die vom Antragsteller vorgelegte
ärztliche Bescheinigung vom 01.11.2002 äußert sich in diesem Sinne, attestiert
aber auch keine Arbeitsunfähigkeit.
Bei dieser Sachverhaltslage ist die Maßnahme des Antragsgegners rechtlich nicht
zu beanstanden. Der Antragsteller ist offensichtlich arbeitsentwöhnt. Ernsthafte
eigene Bemühungen, eine Beschäftigung zu finden, sind nicht dokumentiert.
Deshalb durfte der Sozialhilfeträger die für den Antragsteller bestehende
Verpflichtung zur Annahme einer zumutbaren Arbeitsgelegenheit nach § 19 BSHG
durch Aufforderung zu gemeinnütziger Arbeit in der Hauptverwaltungsstelle des M-
Kreises konkretisieren, um über diesen Weg darauf hinzuwirken, dass der
Antragsteller sich um Arbeit bemüht und Arbeit findet.
Die dem Antragsteller angesonnene Tätigkeit bei der Hauptverwaltungsstelle des
M-Kreises ist auch sonst mit den Vorgaben des § 19 vereinbar. Es handelt sich um
eine auf 20 Wochenstunden zeitlich begrenzte Maßnahme, und zwar
Hausmeistertätigkeiten. Dies hat der Antragsgegner in dem Bescheid vom
27.05.03 noch einmal dahingehend konkretisiert, dass es sich um Instandsetzung
und Pflege der Innen- und Außenanlagen nach Anweisung der Hausmeister
handele. Wenn der Antragsteller die Auffassung vertritt, die Heranziehung lasse
nicht erkennen, dass es sich um "zusätzliche" Arbeit handele, ist dies
unzutreffend. Der Hess VGH hat zuletzt dahingehend entschieden, dass eine
gemeinnützige Arbeit dann zusätzlich ist, wenn sie ihrer Art und Beschaffenheit
nach auch zusätzlich erledigt werden könne (hier Hausmeistertätigkeiten). Die
weite Fassung des § 19 Abs. 2, 2. Halbsatz BSHG fordere nicht primär Tätigkeiten,
die sich mit "regulären" Tätigkeiten nicht überschnitten (Hess. VGH, Beschluss
vom 26.11.2002 - 10 TG 2371/02 - JurisRspr). Diese Auffassung teilt das Gericht.
Gerade für Hausmeistertätigkeiten stellt der Hess. VGH fest, dass solche
Verrichtungen, die von einem Hausmeister - wie hier - übertragen werden sollen,
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Verrichtungen, die von einem Hausmeister - wie hier - übertragen werden sollen,
regelmäßig nicht zu diesem Zeitpunkt und nicht in diesem Umfang von den fest
angestellten Kräften wahrgenommen werden können. Dies betrifft gerade auch
Arbeiten zur Instandsetzung und Pflege der Innen- und Außenanlagen.
Auch sonst ist für gibt das Gericht nicht zu erkennen, dass die Heranziehung
gemäß dem Bescheid vom 09.05.03 in Verbindung mit dem Bescheid vom
27.05.03 Rechtsmängel aufweist.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist auch gegen die Begründung für die
Anordnung der sofortigen Vollziehung im Blick auf das erforderliche Eilbedürfnis
rechtlich nichts zu erinnern.
Zu berücksichtigen ist hierbei, dass es für ein anzuerkennendes zusätzliches
öffentliches Interesse für die Durchbrechung des Grundsatzes des § 80 Abs. 1
VwGO, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung
zukommen soll, nicht ausreicht, dass unverzüglich durch den Sozialhilfeträger
Konsequenzen aus der Arbeitsaufforderung mit Blick auf die danach mögliche
Kürzung oder Einstellung der Hilfeleistungen nach § 25 BSHG gezogen werden
sollen (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 28.05.2002, a. a. O., S. 56). Der
Antragsgegner hat hier die Anordnung der sofortigen Vollziehung unter anderem
aber damit begründet, dass erfahrungsgemäß längere beschäftigungslose Zeiten
eine spätere Vermittelbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erschwerten, so
dass solche Zeiten unbedingt zu vermeiden seien. Damit hat der Sozialhilfeträger
das zu fordernde zusätzliche Vollzugsinteresse ausreichend begründet. Denn
durch eine lang andauernde Arbeitslosigkeit besteht die Gefahr, dass die Situation
am Arbeitsmarkt durch den Hilfesuchenden falsch eingeschätzt wird und er den
Bezug zur Arbeitsmarktwirklichkeit verliert. Dem kann bei Anbieten der in Rede
stehenden Arbeitsgelegenheit nur dann entgegengewirkt werden, wenn die
Maßnahme unverzüglich greift. Dies gilt insbesondere im Blick auf die Person des
Antragstellers, der seit langer Zeit nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis
gestanden hat. Dies legt hier auch die Annahme einer Arbeitsentwöhnung nahe,
die ein Zuwarten bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache
nicht zulässt.
Der Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen
Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, ihm ab dem 01.06.03 weiter
Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG zu zahlen, hat keinen Erfolg, weil die
hierfür erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO - der hier alleine in Betracht kommt - sind
einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf
ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei
dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder
drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die
tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs
(Anordnungsanspruch) und der Grund für eine notwendige vorläufige Regelung
(Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2
ZPO).
Soweit der Antragsteller Leistungsansprüche für die Vergangenheit - für die Zeit
vor der Beantragung gerichtlichen Rechtsschutzes am 26.06.03 - geltend macht,
ist der Antrag wegen Fehlens des erforderlichen Anordnungsgrundes abzulehnen,
weil mit der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ihrer
Regelungsstruktur zufolge grundsätzlich nur die Abwendung einer gegenwärtigen
Notlage erreicht werden kann. Dies ist der Zeitraum ab Antragstellung bei Gericht.
Vermeintliche Leistungsansprüche für einen vorhergehenden Zeitraum sind
gegebenenfalls in einem Hauptsacheverfahren zu verfolgen. Gesichtspunkte, die
hier zu abweichender Beurteilung führen könnten, sind nicht ersichtlich.
Der Antragsteller hat überdies - insbesondere für den Zeitraum ab dem 26.06.03 -
keinen Sachverhalt glaubhaft gemacht, wonach ihm Leistungen der Hilfe zum
Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zustehen. Denn der
Antragsgegner hat nach derzeitigem Erkenntnisstand einen Leistungsanspruch
des Antragstellers zu Recht auf der Grundlage von § 25 Abs. 1 Satz 1 BSHG
verneint.
Nach dieser Vorschrift hat keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, wer
sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten oder zumutbaren Maßnahmen nach den
§§ 19 und 20 BSHG nachzukommen. Nach der Rechtsprechung des
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§§ 19 und 20 BSHG nachzukommen. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 27.05.1995, FEVS 46, 12, 14 ff), der das
Gericht folgt, dient § 25 Abs. 1 BSHG dazu, Maßnahmen der in §§ 18 ff BSHG
geregelten Hilfe zur Arbeit zu unterstützen. Im Hinblick auf das Verständnis des §
25 Abs. 1 BSHG als Hilfenorm, deren Anwendung einen Hilfesuchenden zur
Selbsthilfe durch Aufnahme (zumutbarer) Arbeit motivieren soll, tritt die
anspruchsvernichtende Wirkung von § 25 Abs. 1 Satz 1 BSHG nur dann ein, wenn
ein Hilfesuchender durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, dass ihm der Wille
zur Selbsthilfe durch Einsatz seiner Arbeitskraft fehlt.
Hier sind diese Voraussetzungen erkennbar erfüllt. Der Antragsteller wurde - wie
oben dargelegt - zuletzt rechtmäßig zur Leistung gemeinnütziger Arbeit nach § 19
BSHG herangezogen. Hier kommt hinzu, dass sich der Antragsteller - wie oben
dargelegt - in der Vergangenheit - auch bei Berücksichtigung verschiedener Zeiten
von Arbeitsunfähigkeit - nur zögernd oder gar nicht auf Maßnahmen nach § 19
BSHG und Angebote des BBZ eingelassen hat. Sonstige ernsthafte eigene
Arbeitsbemühungen sind vom Antragsteller weder für die Vergangenheit noch für
den aktuellen Zeitpunkt dokumentiert. In das gesamte Bild passt, dass der
Antragsteller ungeachtet des vorliegenden Verfahrens nicht einmal auf das letzte
Angebot des BBZ vom 23.06.03 reagiert hat.
Dass bei dieser Sachlage nur eine neuerliche Kürzung der regelsatzmäßigen
Leistungen im Rahmen der Ermessensbetätigung der Antragsgegnerin, nicht aber
die gänzliche Ablehnung der Hilfeleistung hätte vorgenommen werden dürfen, ist
nicht ersichtlich. Denn das gesamte Verhalten des Antragstellers vermittelt den
Eindruck, dass er sich jeglicher Arbeit bzw. Ausbildungsangeboten beharrlich und
nachdrücklich entzieht. Ist deshalb derzeit ein Leistungsanspruch nicht gegeben,
kann das Gericht Zweifel an der Mittellosigkeit des Antragstellers zurückstellen, die
daraus resultieren würden, wenn sich der Antragsteller - wie vom Antragsgegner
ausgeführt - privatärztlich bei einem Homöopathen behandeln lässt. Denn dies
dürfte mit den regelsatzmäßigen Leistungen der Sozialhilfe nicht abzudecken sein.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen, weil er unterlegen ist (§
154 Abs. 1 VwGO). Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.