Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 08.01.2003

VG Frankfurt: ausbildung, praktikum, behörde, zwischenprüfung, chemie, student, besuch, wiederholung, leistungsfähigkeit, professor

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Gericht:
VG Frankfurt 10.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 E 3800/01
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 9 Abs 1 BAföG, § 15 Abs 2 Nr
1 BAföG, § 48 Abs 1 BAföG
Mangels Erfolgsaussichten keine Prozesskostenhilfe
Leitsatz
Einzelfall verweigerter Prozesskostenhilfe für eine Verpflichtungsklage auf Gewährung
von Ausbildungsförderung, obwohl die Bescheinigung nach § 48 BAföG nicht vorgelegt
wurde.
Tenor
Der Prozesskostenhilfe- und Beiordnungsantrag wird abgelehnt.
Gründe
I. Der Antragsteller nahm zum Wintersemester 1998/1999 (WS 98/99) ein Studium
in der Fachrichtung Pharmazie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in
Frankfurt am Main auf. Für dieses Studium wurde ihm bis zum Ende des vierten
Fachsemesters (SS 2000) Ausbildungsförderung bewilligt. Am 09.10.2000 stellte er
einen Wiederholungsantrag für das WS 2000/01. Dabei gab er an, dass es ihm aus
gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen sei, im Wintersemester
1999/2000 erfolgreich an der Antrittsprüfung für ein Praktikum teilzunehmen, er
habe das Praktikum nachgeholt. Zugleich legte er eine ärztliche Bescheinigung
vor, wonach er an einer extremen Prüfungsangst mit körperlichen Symptomen wie
Magen- und Darmbeschwerden leide.
Außerdem reichte der Antragsteller am 13.11.2000 eine Bescheinigung nach § 48
BAföG ein, wonach er die bis zum Ende des vierten Fachsemesters üblichen
Leistungen am 02.11.2000 nicht erbracht hat. Mit Bescheid vom 16.01.2001
lehnte die Behörde den Antrag des Antragstellers auf spätere Vorlage einer
positiven Bescheinigung nach § 48 BAföG und Ausbildungsförderung für Oktober
2000 bis September 2001 ab. Daraufhin übersandte der Antragsteller mit
Schreiben vom 22.01.2001 ein Schreiben des Professor S.Z. vom 03.01.2001,
wonach er das Praktikum erst im Sommersemester 2000 habe abschließen
können, bei den übrigen Klausuren und Kolloquien hätte er sich als eifriger Student
erwiesen.
Mit weiterem Bescheid vom 26.01.2001 hielt die Behörde die mit Bescheid vom
16.01.2001 getroffene Entscheidung aufrecht, weil das Nichtbestehen einzelner
Leistungsnachweise im Rahmen des § 48 BAföG nicht berücksichtigt werden dürfe.
Gegen die Bescheide vom 16.01. und 26.01.2001 legte der Antragsteller mit
Schreiben vom 14.02.2001 Widerspruch ein und machte geltend, dass es für
Studierende des Studiengangs Pharmazie offenbar keine Möglichkeit für eine
spätere Vorlage der Bescheinigung nach § 48 BAföG gebe. Dadurch sei er
gegenüber anderen Studierenden benachteiligt. Außerdem wies er darauf hin,
dass er an der Antrittsprüfung im Wintersemester 1999/2000 teilgenommen habe,
diese aber nicht bestanden habe. Grund für das Nichtbestehen sei seine
Erkrankung gewesen.
Den Widerspruch wies die Behörde mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2001 als
unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus:
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"Nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 BAföG wird die Ausbildung nur gefördert, wenn die
Leistungen des Auszubildenden erwarten lassen, dass er das angestrebte
Ausbildungsziel innerhalb der förderungsfähigen Zeit erreicht.
Dies wird gemäß § 9 BAföG widerleglich vermutet, solange der Auszubildende bei
dem Besuch einer Hochschule die den jeweiligen Ausbildungs- und
Prüfungsordnungen entsprechenden Studienfortschritte erkennen lässt. Hierüber
sind die nach § 48 BAFöG erforderlichen Nachweise zu erbringen.
Nach § 48 Abs. 1 BAföG wird vom 5. Fachsemester an Ausbildungsförderung für
den Besuch einer Hochschule nur von dem Zeitpunkt an geleistet, in dem der
Auszubildende entweder 1. ein Zeugnis über eine bestandene Zwischenprüfung,
die nach den Ausbildungsbestimmungen erst vom Ende des 3. Fachsemesters
abgeschlossen werden kann und vor dem Ende des 4. Fachsemesters
abgeschlossen worden ist, oder 2. eine nach dem Beginn des 4. Fachsemesters
ausgestellte Bescheinigung der Ausbildungsstätte darüber, dass er die bei
geordnetem Verlauf seiner Ausbildung bis zum Ende des jeweiligen Fachsemesters
üblichen Leistungen erbracht hat.
Demzufolge gilt, dass Ausbildungsförderung vom 5. Fachsemester an nur bewilligt
werden darf, wenn der Auszubildende im Sinne des § 9 BAföG geeignet ist und er
eine Eignungsbescheinigung nach § 48 Abs. 1 S. 1 BAföG vorgelegt hat.
Nach § 48 Abs. 1 S. 3 BAföG gelten die Nachweise als zum Ende des
vorhergehenden Semesters vorgelegt, wenn sie innerhalb der ersten vier Monate
des folgenden Semesters vorgelegt werden und sich aus ihnen ergibt, dass die
darin ausgewiesenen Leistungen bereits in dem vorhergehenden Semester
erbracht worden sind."
Ferner führte die Behörde aus: Der Antragsteller habe am 09.10.2000 die
Bewilligung von Ausbildungsförderung für die Zeit ab Oktober 2000, d. h. ab dem
fünften Fachsemester beantragt. Für die Bewilligung von Ausbildungsförderung ab
Oktober 2000 wäre es erforderlich gewesen, dass er bis spätestens 31.01.2001
eine Bescheinigung nach § 48 BAföG vorgelegt hätte, wonach ihm bestätigt
worden wäre, dass er die bei geordneten Verlaufs einer Ausbildung bis zum Ende
des vierten Fachsemesters üblichen Leistungen bis zum 30.09.2000 erbracht
habe. Da der Antragsteller keine entsprechende Bescheinigung vorgelegt habe,
sei der Antrag auf Ausbildungsförderung abzulehnen gewesen.
Die Zulassung der Vorlage der Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 BAföG zu einem
späteren Zeitpunkt nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 BAföG (Vorliegen eines schwierigen
Grundes für die Verzögerung der Ausbildung) setze z. B. eine Krankheit, eine
Unterbrechung der Ausbildung zur Ableistung des Grundwehr- und Zivildienstes,
einer von dem Auszubildenden nicht vertretende Verlängerung der Examenszeit,
eine verspätete Zulassung zur examensnotwendigen Lehrveranstaltungen, das
erstmalige Nichtbestehen einer Zwischenprüfung, wenn sie Voraussetzung für die
Weiterführung der Ausbildung ist voraus. Entsprechendes gelte für die erstmalige
Wiederholung eines Studienhalbjahres wegen des Misslingens von
Leistungsnachweisen, wenn anstelle einer Zwischenprüfung laufend
Leistungsnachweise zu erbringen seien.
Die von dem Antragsteller geltend gemachte krankheitsbedingte Verzögerung
hinsichtlich der Antrittsprüfung für das Praktikum der organischen Chemie im
Wintersemester 1999/2000 (drittes Fachsemester) kann nicht die spätere Vorlage
der Bescheinigung nach § 48 um ein Semester, d. h. bis zum Ende des fünften
Fachsemesters (WS 2000/2001) rechtfertigen, denn mit der Teilnahme an der
Prüfung habe der Antragsteller zu erkennen gegeben, dass er prüfungsfähig
gewesen sei. Eine nachträgliche Berufung auf gesundheitliche Beeinträchtigung im
Prüfungstermin scheide aus, da er zu diesem Zeitpunkt keine Differenzierung
mehr getroffen werden könne, ob das Nichtbestehen tatsächlich allein auf
gesundheitliche Gründe oder auf mangelnde Kenntnisse zurückzuführen sei. Dabei
sei auch zu berücksichtigen gewesen, dass die vorgelegte ärztliche Bescheinigung
keine Anhaltspunkte dafür enthalte, dass sich gerade im Zeitpunkt der
Antrittsprüfung die geschilderten Symptome gezeigt haben. Zudem könne nicht
außer Acht gelassen werden, dass dem Antragsteller von Professor S.Z. bestätigt
worden sei, die übrigen Klausuren und Kolloquien erfolgreich absolviert zu haben.
Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 06.09.2001 persönlich
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Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 06.09.2001 persönlich
übergeben.
Mit Fax übermitteltem Schriftsatz vom 17.09.2001 hat der Kläger Klage erhoben
und will die Aufhebung der Bescheide vom 26.01. und 16.09.2001 und die
Verpflichtung der Behörde zur Bewilligung von Ausbildungsförderung für sein
Studium über das vierte Fachsemester hinaus erreichen, vorsorglich die
Bewilligung der späteren Vorlage der Bescheinigung nach § 48 BAföG.
Er beantragt ferner ihm für diese Klage Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von
Rechtsanwalt S.B zu bewilligen, weil die Klage Aussicht auf Erfolg habe und auch
nicht mutwillig sei. Der Kläger habe die seinerzeit nicht bestandene Prüfung
(Antrittsprüfung für das Praktikum der organischen Chemie) inzwischen
bestanden. Der geforderte Leistungsstand sei demnach mit der ersten
Wiederholungsmöglichkeit doch noch erreicht worden. Bei dem Kolloquium im
dritten Semester handele es sich um zwei Versuche, die allerdings nur einige
Tage, nämlich höchstens eine Woche, auseinander lägen. Im Vergleich zu anderen
Studiengängen sei es im Pharmaziestudium nicht möglich, Prüfungstermine zu
verschieben oder im folgenden Semester nachzuholen. Das Nichtbestehen einer
Prüfung führe daher automatisch zur Verlängerung der Studienzeit um ein volles
Jahr, mithin um zwei Fachsemester.
Der Kläger habe die Prüfung seinerzeit nicht bestanden, weil er unter extremer
Prüfungsangst leide, die sich bei ihm in Heulkrämpfen und Magen-Darm-
Problemen niederschlage. Die Heulkrämpfe vor den Prüfungen könnten auch von
seinen Kommilitonen bezeugt werden.
Ferner führt der Kläger aus, dass es richtig sei, dass er die Prüfung gleichwohl
angetreten habe. Die Ansicht des Beklagten, dass hiermit unwiderlegbar seine
Prüfungsfähigkeit belegt, treffe allerdings nicht zu. Er habe gar keine andere Wahl
gehabt, als die Prüfung anzutreten. Er habe damals die Prüfung angetreten, weil er
nicht vorab prognostizieren konnte, in welcher Weise sich seine Prüfungsangst auf
seine Leistungsfähigkeit am Prüfungstag auswirke. Da es sich um eine psychisches
Problem handele, könne er weiter auch nicht vorhersagen, ob er bei Auslassen
einer Prüfung im Wiederholungsfall nicht den gleichen oder gar stärkeren
Strapazen ausgesetzt gewesen wäre. Ihm sei daher gar nichts anderes übrig
geblieben, als sich den Prüfungen zu stellen. Hinzu komme, dass der Kläger ohne
Teilnahme an der Antrittsprüfung das Praktikum im Folgesemester gar nicht hätte
antreten können, mit der weiteren Folge, dass ihm der Nachweis einer
erfolgversprechenden Ausbildung dann auch für die Zukunft verbaut worden wäre.
Wie in anderen Bereichen auch, müsse es für den Kläger möglich sein, mindestens
in einem Prüfungsfach wenigstens einmal eine Prüfung wiederholen zu können. So
hätte der Kläger den Leistungsnachweis nicht erbringen können, so dass ihm
letztlich nur dieser eine Versuch verblieben sei. Der Kläger räumt ein, dass der
Studierende mit der Teilnahme an der Prüfung seine Prüfungsfähigkeit zu
erkennen gebe. Der Grundsatz schließe jedoch nicht aus, dass auch an der
Prüfung teilnehmende Studierende sich in einem gesundheitlichen Zustand
befänden, in dem bei objektiver Würdigung eine Prüfung nicht hätte abgenommen
werden dürfen. Die Prüfungsangst des Klägers hänge nicht mit Wissenslücken
zusammen. Aus der vorgelegten Bescheinigung des Dozenten ergebe sich, dass
der Kläger ein fleißiger und strebsamer Student sei. Sei psychische Situation
könne er jedoch nicht steuern.
Wegen der Einzelheiten der Ausführungen wird auf die Schriftsätze vom
17.09.2001 und 06.03.2002 verwiesen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 26.01.2001 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16.08.2001 den Beklagten zu verurteilen, ihm über
das vierte Fachsemester hinaus Ausbildungsförderung zu bewilligen,
vorsorglich,
ihm nachzulassen, die Bescheinigung nach § 48 BAföG mit dem Leistungsstand
des vierten Fachsemesters zum Ende des fünften Fachsemester vorzulegen.
Er beantragt weiter,
ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S.B zu bewilligen.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er wegen der Einzelheiten im Wesentlichen auf die
Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid. Er führt weiter aus: Nach den
allgemeinen Grundsätzen des Prüfungsrechts gebe der Student mit der Teilnahme
an einer Prüfung zu erkennen, dass außerhalb seiner Einflusssphäre bestehende
Einflüsse, wie etwa ein eingeschränkter Gesundheitszustand, dem Erfolg des
Prüfungsversuches nicht entgegenstünden. Daraus ergebe sich, dass bei einem
Misslingen später nicht solche Gründe aus kausal herangezogen werden können,
denn niemand könne mehr feststellen, ob das Misslingen darauf beruhe, dass der
zu Prüfende sich unzulänglich auf die Prüfung vorbereitet oder auch schlicht den
durchgearbeiteten Stoff nicht verstanden gehabt habe oder schließlich zu
aufgeregt war, um das Erlernte zutreffend auch einzusetzen.
Ob im vorliegenden Falle auch eine eingeschränkte gesundheitliche
Leistungsfähigkeit mit eine Rolle gespielt habe, könne mit solch komplexen
Vorgängen im nachhinein nicht mehr festgestellt werden. Auch der Umstand, dass
später bei einer wiederholten Teilnahme die von der Ausbildungsstätte verlangten
Leistungsanforderungen erfüllt worden seien, lasse einen Rückschluss auf ein
zuvor lediglich krankheitsbedingtes Versagen nicht zwingend erscheinen, denn es
ist Sinn und Zweck solch einer Wiederholungsprüfung, dass mit einer noch
besseren Vorbereitung und dem durch die frühere Teilnahme erworbenen Wissen
um die Anforderungen in der Leistungskontrolle, das Ergebnis in der Prüfung sich
bessere.
Ferner sei darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem nichtbestandenen
Zwischenkolloquium des dritten Studienpraktikums (organische Chemie) nicht um
eine Prüfungsleistung, sondern um eine Studienleistung gehandelt habe, für die
die Regelungen nach der Teilziffer (Tz.) 48.2.1 Abs. 2 der Verwaltungsvorschrift
zum BAföG nicht anwendbar sei.
Die Behördenakten (Bl. 1 bis Bl. 91) haben vorgelegen.
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 08.01.2003 dem
Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
II. Die Anträge haben keinen Erfolg.
Nach § 114 S. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), der hier wegen § 166 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gilt, ist Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn
jemand nach seinen persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten
der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und
wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Aussicht auf Erfolg besteht
für die Klage nicht.
Zur Vermeidung von Wiederholung wird auf die Ausführungen im
Widerspruchsbescheid und die in der Klageerwiderung im gerichtlichen Verfahren,
denen sich das Gericht im Ergebnis anschließt, verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Aus diesen Gründen scheitert sowohl der Prozesskostenhilfe- wie der
Beiordnungsantrag (§ 121 ZPO). Auch das angeregte Sachverständigengutachten
kann die beweisbedürftige Tatsache nicht beweisen, weil das Beweismittel
ungeeignet ist, denn auch der Sachverständige kann nicht verlässlich feststellen,
welche Ursache für das Misslingen kausal gewesen ist.
Die Gerichtskostenfreiheit des vorliegenden ausbildungsförderungsrechtlichen
Verfahrens ist in § 188 VwGO gesetzlich angeordnet, die außergerichtlichen Kosten
hat der Antragsteller als unterlegener Beteiligter zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.