Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 09.02.1995

VG Frankfurt: grundstück, enteignung, öffentlich, vorzeitige besitzeinweisung, eigentümer, hessen, gefahr, grundbuch, anzeige, unterlassen

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Gericht:
VG Frankfurt 2.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 G 20/95
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Leitsatz
Sind die Voraussetzungen für eine Rückenteignung zugunsten des früheren
Eigentümers gemäß § 57Abs. 1 LBG gegeben, so hat sich der öffentlich-rechtliche
Wiederverschaffungsanspruch aus dem originären Enteignungsakt als eine dem
enteigneten Grundstück anhaftende Pflicht konkretisiert. Dem Enteignungsbegünstigte,
dessen Eigentum nur wegen der Zweckbindung der einstigen Enteignung der Gefahr
der Rückenteignung unterliegt, ist im Rahmen des mit der Enteignung begründeten
öffentlich-rechtlichen Enteignungsverhältnisses die Verpflichtung auferlegt worden, alles
zu unterlassen, was den öffentlich-rechtlichen Wiederbeschaffungsanspruch gegen den
enteigneten Staat bis zum Ablauf der in § 57 Abs. 2 LBG bestimmten Frist vereiteln
könnte. Die Verpflichtung des Eigentümers auf Unterlassung von
anspruchsvereitelnden Verfügungen über das Grundstück erscheint auch
verhältnismäßig, da allein er es in der Hand hat, mit der nach § 57 Abs. 2 LBG für
erforderlich gehaltenen Anzeige über den Zweckwegfall an den früheren Eigentümer,
die Verpflichtungen aus dem Enteignungsverhältnis auf ein Jahr zu begrenzen.
Tenor
1. Der Antragsgegnerin wird untersagt, über das im Grundbuch des Amtsgerichts
Frankfurt am Main von Bezirk ... Band ... Blatt ... als lfd. Nr. ... des
Bestandsverzeichnisses eingetragene Grundstück Flur ... Flurstück ... zu verfügen,
insbesondere das Eigentum an diesem Grundstück auf das Land Hessen zu
übertragen. Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf DM 1.500.000,– festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin war bis zum Jahre 1972 Eigentümerin des in F gelegenen 9.483
m² großen Grundstückes, Flur ..., Flurstück ....
Mit Enteignungsbeschluß des Regierungspräsidiums D vom 10.02.1972 ist das
Grundstück auf Antrag der Antragsgegnerin nach dem Landbeschaffungsgesetz
zur "Aufrechterhaltung und Sicherung der bisherigen Inanspruchnahme des
Grundstückes durch die amerikanischen Streitkräfte (PX-Gelände)" enteignet
worden. Die Antragsgegnerin ist als Enteignungsbegünstigte in das Grundbuch
eingetragen worden.
Mit Schreiben vom 31.05.1994 wies die Antragstellerin die Oberfinanzdirektion F
darauf hin, daß hinsichtlich einiger bisher von den US-Streitkräften genutzter
Grundstücke städtische Ansprüche auf Rückenteignung nach § 57 LBG bestünden
und nach Freiwerden der Flächen nach Abzug der Streitkräfte diese Ansprüche
geltend gemacht würden.
Die Nutzung des Grundstückes wird mit dem Abzug der amerikanischen
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Die Nutzung des Grundstückes wird mit dem Abzug der amerikanischen
Streitkräfte im Laufe des Jahres 1995 aufgegeben werden.
Mit notariellem Grundstückskaufvertrag vom 27.12.1994 verkaufte die
Antragsgegnerin ihren im Grundbuch von F des Amtsgerichts F, Bezirk ..., Band ...,
Blatt ... eingetragenen Grundbesitz mit einer Gesamtgrundstücksfläche von
45.000 m² an den Beigeladenen. Das streitbefangene Grundstück, Flur ...,
Flurstück ... stellt eine Teilfläche mit einer Größe von 9.483 m² des veräußerten
Grundbesitzes der Antragsgegnerin dar.
Die Antragsgegnerin verpflichtet sich in § 2 Ziffer 3 des Kaufvertrages innerhalb
von vier Wochen nach Erteilung der Zustimmung zum vorliegenden Vertrag und
nach Vorliegen des katasteramtlichen Veränderungsnachweises, die Auflassung
für das Kaufobjekt zu erklären.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, daß nach Abzug der amerikanischen
Streitkräfte das streitbefangene Grundstück nicht mehr für Zwecke der
Verteidigung benötigt werde, so daß sie als frühere Eigentümerin nach § 57 Abs. 1
LBG einen Rückenteignungsanspruch habe. Sie müsse damit rechnen, daß auf der
Grundlage des Kaufvertrages vom 27.12.1994 das Eigentum an dem Grundstück
auf den Beigeladenen umgeschrieben werde, bevor über den sich aus § 57 Abs. 1
LBG ergebenen Rückenteignungsanspruch der Antragstellerin entschieden sein
wird. Damit bestehe die Gefahr, daß durch eine Veränderung des bestehenden
Zustandes die Verwirklichung ihres Rückenteignungsanspruchs vereitelt werden
könnte. Werde das Eigentum an dem Grundstück auf den Beigeladenen
übertragen, sei die Antragstellerin nur auf einen Schadensersatzanspruch
angewiesen. Das Eigentum an dem Grundstück sei verloren, da eine
Rückenteignung nur zu Lasten des früheren Enteignungsbegünstigten, nämlich der
Antragsgegnerin, nicht aber zu Lasten eines Dritten, der inzwischen Eigentümer
des Grundstückes geworden sei, erfolgen könne. Es sei auch zu befürchten, daß
das Eigentum kurzfristig auf den Beigeladenen umgeschrieben werden könne. Das
Landbeschaffungsgesetz kenne keine dem § 109 BauGB entsprechende Vorschrift,
über die Rechtsvorgänge verhindert werden könnten, die den
Rückenteignungsanspruch unmöglich machen oder wesentlich erschweren würden.
Der zwischen der Antragsgegnerin und dem Beigeladenen geschlossene
Kaufvertrag bedürfe keiner Genehmigung durch die Enteignungsbehörde. Die
Antragstellerin habe auch einen Sicherungsanspruch, da sicherungsfähig und
gefährdet ihre Ansprüche aus § 57 LBG seien. Diese Vorschrift gewähre der
Antragstellerin zwar unmittelbar nur den Anspruch auf Rückenteignung gegenüber
der Enteignungsbehörde. Diesem Rückenteignungsanspruch korrespondiere aber
die materiell-rechtliche Pflicht der Antragsgegnerin, bei Vorliegen der
Voraussetzungen des § 57 LBG das Grundstück auf Verlangen zurück zu
übertragen und gleichzeitig alles zu unterlassen, was den Anspruch der
Antragstellerin auf Eigentumsverschaffung gefährden oder vereiteln könnte.
Die Antragstellerin ist auch der Ansicht, daß sie ihren Sicherungsanspruch
gegenüber der Antragsgegnerin geltend machen könne. Da die Rückenteignung
Spiegelbild der ursprünglichen Enteignung sei, könne folgerichtig Antragsgegnerin
des Anspruchs aus § 57 LBG nur die B sein. § 57 Abs. 3 LBG bestimme zwar, daß
der Antrag auf Rückenteignung bei der Enteignungsbehörde zu stellen sei.
Hierdurch werde allerdings lediglich das Verfahren der Rückenteignung bestimmt.
Auch die Rückenteignung könne wie die seinerzeitige Enteignung nur Kraft
Hoheitsakt ausgeführt werden, so daß sich die Antragstellerin staatlicher Hilfe
bedienen müsse, um ihren materiell-rechtlichen Anspruch auf
Eigentumsverschaffung gegenüber dem jetzigen Eigentümer durchzusetzen. Die
Antragstellerin verlange aber gegenüber der Antragsgegnerin nicht
Rückenteignung, sondern Unterlassung jeglicher Verfügung über das
streitgegenständliche Grundstück die ihren Rückenteignungsanspruch vereiteln
könnte.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sei auch ein Antrag auf
Rückenteignung bei der Enteignungsbehörde nicht Voraussetzung eines
Rechtsschutzbedürfnisses. Ein solches würde nur dann fehlen, wenn die
Antragstellerin durch einen Antrag bei der Enteignungsbehörde schneller und
einfacher Rückenteignung erreichen könnte. Die Antragstellerin sei aber zur
Wahrung ihrer Rechte gerade auf das einstweilige Anordnungsverfahren
angewiesen, weil das Rückenteignungsverfahren, anders als das
Enteignungsverfahren, keine vorzeitige Besitzeinweisung nach § 38 ff LBG kenne,
und mit einer kurzfristigen Entscheidung der Enteignungsbehörde nicht zu rechnen
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und mit einer kurzfristigen Entscheidung der Enteignungsbehörde nicht zu rechnen
sei. Ein Rechtsschutzbedürfnis sei deshalb unabhängig von der Antragstellung im
Rückenteignungsverfahren gegeben.
Außerdem sei der Rückenteignungsantrag am 02.02.1995 gestellt worden. Die
einjährige Antragsfrist nach § 57 Abs. 1, 1. Alt. LBG sei – entgegen der Ansicht der
Antragsgegnerin – auch noch nicht abgelaufen. Die Antragstellerin habe zwar
tatsächlich ab Frühjahr 1994 durch allgemein zugängliche Presseberichte Kenntnis
von dem geplanten Abzug der amerikanischen Streitkräfte erhalten. Ihr sei aber
nicht bekannt gewesen, wann genau und unter welchen Bedingungen der
militärische Bedarf wegfallen werde. Aus diesem Grund bestimme gerade § 57
Abs. 2 LBG, daß das Verlangen auf Rückenteignung binnen eines Jahres zu stellen
sei, nachdem die das Grundstück verwaltende Stelle den früheren Eigentümer von
den Tatsachen, die den Anspruch begründen, Kenntnis gegeben habe. Es stelle
damit eine Obliegenheit der Antragsgegnerin dar, die Antragstellerin über diese
Tatsachen zu unterrichten. Die Ein-Jahres-Frist beginne nicht schon deshalb zu
laufen, weil die Antragstellerin die Kenntnis vom Wegfall des Enteignungszweckes
auf anderem Wege als über die Anzeige der Antragsgegnerin erhalten habe.
Unterlasse die das Grundstück verwaltende Stelle die Bekanntgabe der relevanten
Tatsachen, bleibe der frühere Eigentümer in Ungewissheit über das Vorliegen der
Rückenteignungsvoraussetzungen. Gerade dieses Risiko solle ihm durch die
amtliche Bekanntmachung abgenommen werden.
Die Antragstellerin beantragt,
der Antragsgegnerin wird untersagt, über das im Grundbuch des Amtsgerichts
F von Bezirk ..., Band ..., Blatt ... als lfd. Nr. ... des Bestandsverzeichnisses
eingetragene Grundstück Flur ... Flurstück ... zu verfügen, insbesondere das
Eigentum an diesem Grundstück auf das Land Hessen oder sonstige Dritte zu
übertragen und irgendwelche Handlungen vorzunehmen, vornehmen zu lassen,
oder zu dulden, die der Umschreibung des Eigentums von der Antragsgegnerin auf
das Land Hessen oder einen sonstigen Dritten dienen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, das der Antrag unzulässig sei. Das Landbeschaffungsgesetz
kenne keine Ansprüche, die sich unmittelbar gegen den Enteignungsbegünstigten
richten könnten. Der Antragstellerin bleibe nach § 57 LBG nur die Möglichkeit, bei
der Enteignungsbehörde die Rückenteignung des Grundstücks zu verlangen.
Würde dies durch die Enteignungsbehörde abgelehnt, so sei die Klage gegen das
Land Hessen zu richten. Es sei unstreitig, daß eine einstweilige Anordnung nach §
123 VwGO nur gegenüber demjenigen möglich sei, der im Hauptsacheverfahren
der richtige Beklagte wäre. Darüber hinaus fehle das Rechtsschutzbedürfnis für
den Anordnungsantrag. Die Antragstellerin habe bis heute noch keinen Antrag auf
Rückenteignung des Flurstückes gestellt, obwohl sie der Antragsgegnerin im Mai
1994 erklärt habe, daß die Voraussetzungen dem Grunde nach vorlägen und die
Veräußerung des Grundstückes an den Beigeladenen bereits seit mindestens
Ende 1993 bekannt gewesen sei. Die Antragstellerin habe auch nach eigenen
Verlautbarungen kein Interesse an der Rückenteignung. Es bestünden auch
hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß die Enteignungsbehörde die
Rückenteignung ablehnen werde, da der Antragstellerin der Wegfall des
militärischen Bedarfs seit mindestens einem Jahr bekannt gewesen sei. Ein Antrag
auf Rückenteignung sei nach § 57 Abs. 2 LBG allerdings nur binnen einen Jahres
nach Kenntnis vom Zweckwegfall zu stellen. Zwar habe die Antragsgegnerin dies
nicht mit förmlichen Schreiben mitgeteilt, doch sei es treuwidrig seitens der
Antragstellerin hieraus Rechte ableiten zu wollen, obwohl sie über die Sachlage
informiert sei.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakte sowie vier Ordner
Behördenvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung waren.
II.
Der Antrag ist zulässig.
Der Verwaltungsrechtsweg ist gegeben (§ 40 Abs. 1 VwGO).
Verfahrensgegenstand ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit
nichtverfassungsrechtlicher Art. Streitgegenstand ist die vorläufige Sicherung des
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nichtverfassungsrechtlicher Art. Streitgegenstand ist die vorläufige Sicherung des
Rückenteignungsanspruches hinsichtlich eines im Jahre 1972 nach öffentlichem
Recht, nämlich nach dem Landbeschaffungsgesetz, enteigneten Grundstückes.
Auch die Rückenteignung richtet sich nach dem Landbeschaffungsgesetz, so daß
sich auch die vorläufige Sicherung dieses Anspruchs als Folge eines Sachverhalts
darstellt, der nach öffentlichem Recht zu beurteilen gilt. Ungeachtet dessen, daß
die Rückenteignung verfahrensmäßig über die Enteignungsbehörde – hier des
Regierungspräsidiums D – abzuwickeln ist, besteht daneben zwischen der
Antragstellerin und der Antragsgegnerin aufgrund der vorausgegangenen
Enteignung eine Rechtsbeziehung besonderer Art, die dem öffentlichen Recht
zuzuordnen ist und bis zum Abschluß des Rückenteignungsverfahrens fortdauert.
Die nach § 59 Abs. 1 LBG erfolgte Sonderzuweisung zu den ordentlichen Gerichten
ist allein auf Streitigkeiten über die Festsetzung der Entschädigung beschränkt.
Der Antrag ist auch statthaft, da die Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz nicht
nach § 80 VwGO erlangen kann, § 123 Abs. 5 VwGO. Im Hauptsacheverfahren wäre
nämlich eine allgemeine Leistungsklage (Unterlassungsklage) gegeben.
Dem Antrag fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Die Antragstellerin hat
zwischenzeitlich mit Antrag vom 02.02.1995 einen Antrag auf Rückenteignung des
Flurstücks ... bei der Enteignungsbehörde gestellt. In diesem Zusammenhang ist
es unerheblich, daß die Antragstellerin – worauf die Antragsgegnerin nochmals mit
Schriftsatz vom 08.02.1995 hinweist – kein Interesse am Grundstück habe,
sondern lediglich einen finanziellen Ausgleich anstrebe. Entscheidend ist allein, daß
sie ihre Ansprüche aus § 57 LBG gegenüber der Enteignungsbehörde geltend
gemacht hat.
Der Antrag ist auch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Die Antragsgegnerin ist passiv legitimiert. Entgegen der Ansicht der
Antragsgegnerin ist der von der Antragstellerin verfolgte Antrag gegen sie zu
richten und zwar unabhängig davon, ob eine mögliche Klage im Anschluß an ein
Enteignungsverfahren gegen das Land Hessen zu richten wäre. Der
Antragsgegnerin ist zuzugeben, daß das Landbeschaffungsgesetz keine
unmittelbaren Ansprüche gegen den seinerzeitigen Enteignungsbegünstigten
kennt. Doch schließt dies nicht grundsätzlich die Antragstellerin von einer
Verfolgung ihrer Rechte außerhalb des Landbeschaffungsgesetzes aus, die sich
zumindest mittelbar aus dem Gesetz ergeben können. Die Antragsgegnerin ist
nach der mit dem Antrag verfolgten Zielrichtung auf Unterlassung von
Handlungen das zu verpflichtende Handlungssubjekt. Sie ist zur Zeit noch
Eigentümerin des Grundstücks und ist aus dem mit dem Beigeladenen
geschlossenen Grundstückskaufvertrag verpflichtet, das Eigentum am Grundstück
an diesen zu übertragen. Außerhalb des Rückenteignungsverfahrens ist sie auch in
einem möglichen Hauptsacheverfahren die richtige Beklagte wenn es um die
Unterlassung einer die Ansprüche der Antragstellerin gefährdenden Handlung
geht. Die Antragsgegnerin ist quasi Schuldnerin eines solchen
Unterlassungsanspruchs, weil nur sie als verfügungsberechtigte Eigentümerin,
vorbehaltlich der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen, materiell-rechtlich
verpflichtet werden kann.
Die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wonach das Gericht auf
Antrag auch schon vor der Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug
auf den Streitgegenstand treffen kann, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine
Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts der
Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, liegen vor. Die
Antragstellerin hat den insoweit erforderlichen Anordnungsanspruch glaubhaft
gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die bevorstehende
Übertragung des Eigentums am Grundstück von der Antragsgegnerin auf den
Beigeladenen als Folge des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts, vereitelt
den von der Antragstellerin gegenüber der Enteignungsbehörde geltend
gemachten Rückenteignungsanspruch aus § 57 LBG.
Nach Abs. 1, 1. Alt. dieser in Bezug genommenen Vorschrift kann der enteignete
frühere Eigentümer verlangen, daß das nach den Vorschriften dieses Gesetzes
enteignete Grundstück zu seinen Gunsten wieder enteignet wird (Rückenteignung),
wenn das Grundstück nicht mehr für Aufgaben nach § 1 LBG benötigt wird. Nach
Abs. 2 der Vorschrift ist das Verlangen auf Rückenteignung binnen eines Jahres,
nach dem die das Grundstück verwaltende Stelle dem früheren Eigentümer von
den Tatsachen, die den Anspruch begründen, Kenntnis gegeben hat, spätestens
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den Tatsachen, die den Anspruch begründen, Kenntnis gegeben hat, spätestens
binnen 30 Jahren nach dem der Enteignungsbeschluß, Teil A, unanfechtbar
geworden ist, bei der Enteignungsbehörde zu stellen.
Diese Voraussetzungen sind nach der im Eilverfahren allein möglichen
summarischen Überprüfung offensichtlich gegeben. Die Antragstellerin war bis zur
Enteignung im Jahre 1972 Eigentümerin des Flurstücks .... Ihr ist mit
Enteignungsbeschluß vom 10.02.1972 das Grundstück auf Antrag der
Antragsgegnerin enteignet worden und es wird auch nicht mehr für Aufgaben i. S.
d. § 1 LBG, also für Zwecke der Verteidigung (§ 1 Abs. 1, Ziff. 1 LBG) bzw. zur
Erfüllung der Verpflichtungen des Bundes aus zwischenstaatlichen Verträgen über
die Stationierung und Rechtsstellung von Streitkräften auswärtiger Staaten im
Bundesgebiet (§ 1 Abs. 1 Ziff. 2 LBG), benötigt. Zwar hat die das Grundstück
verwaltende Stelle der Antragstellerin bislang noch nicht den Wegfall des
Enteignungszweckes förmlich mitgeteilt, wie es ihre Aufgabe nach § 57 Abs. 2 LBG
gewesen wäre. Doch dies ist für die Annahme dieser Voraussetzung nicht
zwingend geboten. Zum einen geht selbst die Antragsgegnerin in ihrer
Antragserwiderung vom 17.01.1995 (Bl. 31 d. A.) vom "Wegfall des militärischen
Bedarfs" aus und zum anderen liegt bereits in der zweckwidrigen Verwendung des
Grundstücks, die in der Veräußerung an den Beigeladenen zum Zwecke der
Errichtung eines neuen Polizeipräsidiums erkennbar wird, der Nachweis, daß das
fragliche Grundstück für den Enteignungszwecke nicht mehr benötigt wird (vgl. R.
v. Schalburg, LBG Komm., Ziffer 7 zu § 57 LBG). Aber auch wenn man sich auf den
Standpunkt stellen sollte, das Grundstück sei solange zweckverwandt, solange die
amerikanischen Streitkräfte ihren unmittelbaren Besitz nicht aufgegeben haben
bzw. wieder auf die Antragsgegnerin übertragen haben, es also noch zur Erfüllung
von Verpflichtungen aus zwischenstaatlichen Verträgen den Streitkräften bis zu
ihrem Abzug zur Verfügung gestellt werden muß, so ist dieser Zeitpunkt
angesichts der Mitteilung der Antragsgegnerin – sie geht von einer Räumung des
Areals im Laufe des Aprils 1995 aus – unmittelbar bevorstehend. Jedenfalls darf
angesichts der Bedeutung des in Frage stehenden Rechtsgutes und des mit § 57
LBG insgesamt verfolgten Schutzzweckes, die Norm nicht eng ausgelegt werden.
Die Antragstellerin hat mit ihrem Antrag vom 02.02.1995 auch nicht die Ein-Jahres-
Frist des § 57 Abs. 2 LBG versäumt. Zum einen ist die Antragsgegnerin ihrer
Obliegenheit nach dieser Vorschrift nicht nachgekommen, so daß es überhaupt
fraglich ist, ob die Jahresfrist auch dann zu laufen beginnt, wenn die Antragstellerin
die Kenntnis vom Zweckwegfall nicht von der Antragsgegnerin erhält, sondern von
Dritten bzw. aus allgemein zugänglichen Quellen. Aus Gründen der
Rechtssicherheit spricht einiges dafür, daß die Frist erst dann in Lauf gesetzt wird,
wenn eine förmlich Mitteilung nach § 57 Abs. 2 LBG ergeht. Zum anderen ist die
Jahresfrist auch nicht abgelaufen. Die Antragsgegnerin trägt insoweit vor, die
Antragstellerin habe im Februar 1994 ein städtebauliches Nutzungskonzept für
das geplante Polizeipräsidium vorgelegt. Der in Kopie eingereicht Vorentwurf dazu
trägt den handschriftlichen Datumsvermerk "10.02.94". Geht man davon aus, daß
die Antragstellerin bereits vor diesem Zeitpunkt Kenntnis vom Wegfall des
Enteignungszweckes erlangte, so wäre angesichts der materiellen
Beweislastregelung des § 57 Abs. 2 LBG die Antragsgegnerin für den Beginn des
Fristlaufes darlegungs- und beweislastpflichtig. Da sie dieser Beweislast mit ihrem
Vortrag nicht nachgekommen ist und der genaue Zeitpunkt der Kenntnisnahme
auf andere Weise nicht ermittelt werden kann, geht die Unerweislichkeit des
Zeitpunktes der Kenntnisnahme im Zweifel zu Lasten der Antragsgegnerin.
Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß das Verfahren der Anzeige des
Zweckwegfalls nach § 57 Abs. 2 LBG der Antragsgegnerin bekannt ist, denn in
einem gleichgelagerten Fall – es geht um eine von den US-Streitkräften in F –
Höchst genutzte Liegenschaft – ist sie ihrer Obliegenheit mit Schreiben vom
14.04.1993 an die Antragstellerin nachgekommen.
Sind damit die Voraussetzungen für eine Rückenteignung zugunsten der
Antragstellerin – unabhängig von dem im Enteignungsverfahren noch zu klärenden
Ausschlußgrund des § 57 Abs. 3 LBG – gegeben, so hat sich der öffentlich-
rechtliche Wiederverschaffungsanspruch der Antragstellerin aus dem originären
Enteignungsakt als eine dem enteigneten Grundstück anhaftende Pflicht
konkretisiert. Die beabsichtigte Verfügung der Antragsgegnerin über das
Grundstück zugunsten des Beigeladenen ist auch gegenüber der Antragstellerin
mit der Folge wirksam, daß der aus § 57 Abs. 1 LBG gebotene
Rückabwicklungsvorgang ins Leere gehen würde. Der Beigeladene erhält
lastenfreies Eigentum. Gerade weil das Landbeschaffungsgesetz, anders als
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lastenfreies Eigentum. Gerade weil das Landbeschaffungsgesetz, anders als
vergleichbare Enteignungsgesetze, die Frage der Sicherung des früheren
Eigentümers gegen Verfügungen zugunsten Dritter vor Verwirklichung des
Rückenteignungsanspruches offen gelassen hat, bleibt der Antragstellerin lediglich
die Möglichkeit, außerhalb des Enteignungsverfahrens im Wege der einstweiligen
Anordnung ihren Rechtsanspruch zu sichern. Das Enteignungsverfahren selbst
bietet auch über den § 20 Abs. 1 LBG, der nach § 57 Abs. § LBG auch im
Rückenteignungsverfahren Anwendung findet, keinen ausreichenden Schutz vor
der Vereitelung des Rückübertragungsanspruchs. Die Vorschrift bestimmt zwar in
ihrem Satz 2, daß Rechte, die zum Erwerb des Grundstücks berechtigen, nicht
aufrechterhalten werden. Doch sind damit, auch ausweislich der amtlichen
Begründung (BT-Drs. 2/1977, S. 22), nur Vorkaufs-, Ankaufs- und
Wiederverkaufsrechte gemeint, die mit dem Zweck der Enteignung unvereinbar
sind (vgl. B. Danckelmann, LBG-Komm., § 20 Anm. 2). Die Antragsgegnerin hat
aber bereits einen auf Übereignung gerichteten Grundstückskaufvertrag mit dem
Beigeladenen geschlossen. Da es sich bei dem Kaufvertrag nicht um ein
Erwerbsrecht (Option) i. S. v. § 20 Abs. 1 LBG handelt, geht der
Übereignungsanspruch auch nicht Kraft Gesetzes mit der Rückenteignung unter.
Aus dem Gesagten folgt, daß der Antragsgegnerin, deren Eigentum nur wegen der
Zweckbindung der einstigen Enteignung der Gefahr der Rückenteignung unterliegt,
im Rahmen des mit der Enteignung begründeten öffentlich-rechtlichen
Enteignungsverhältnisses die Verpflichtung auferlegt worden ist, alles zu
unterlassen, was den öffentlich-rechtlichen Wiederbeschaffungsanspruch gegen
den enteigneten Staat bis zum Ablauf der in § 57 Abs. 2 LBG bestimmten Frist
vereiteln könnte. Insoweit ist das Eigentum der Antragsgegnerin und ihr Recht aus
dem Eigentum durch die öffentlich-rechtliche Zweckbindung überlagert und nur
aus ihr heraus ergibt sich die Verpflichtung der Antragsgegnerin,
"Leistungsstörungen" im Rückenteignungsverhältnis zu unterlassen. Entgegen den
Ausführungen der Antragstellerin folgt die Verpflichtung nicht unmittelbar aus Art.
14 Abs. 1 GG, da die Grundrechtsnorm als Abwehrrecht gegen hoheitliche Eingriffe
nicht das Privateigentum, sondern nur das Eigentum Privater schützt, mit der
Folge, daß sich die Antragstellerin als kommunale Gebietskörperschaft nicht auf
den Grundrechtschutz berufen kann.
(vgl. BVerfGE 61, 82 (109)).
Die Verpflichtung der Antragsgegnerin auf Unterlassung von
anspruchsvereitelnden Verfügungen über das Grundstück erscheint auch nicht
unverhältnismäßig. Allein die Antragsgegnerin hat es in der Hand, mit der nach §
57 Abs. 2 LBG für erforderlich gehaltenen Anzeige über den Zweckwegfall an den
früheren Eigentümer, ihre Verpflichtung aus dem Enteignungsverhältnis zeitlich auf
ein Jahr zu befristen. Diese Jahresfrist ist vor dem Hintergrund der nach Sinn und
Zweck auf Dauer angelegten Enteignung nach dem Landbeschaffungsgesetz und
der damit einhergehenden zeitintensiven Planungsabläufe auch nicht zu lang
bemessen als daß sie unverhältnismäßig erscheine.
Die Antragstellerin hat auch den im Rahmen des vorliegenden Verfahrens
erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Es besteht nach Abschluß des Grundstückkaufvertrages vom 27.12.1994 die
konkrete Gefahr, daß die Antragsgegnerin in absehbarer Zeit ihrer Verpflichtung
aus dem Vertrag nachkommt und die Auflassung des Grundstücks erklärt und
damit die Eigentumsübertragung auch im Grundbuch zugunsten der Beigeladenen
erfolgen wird.
Soweit die Antragstellerin mit ihrem Antrag erreichen will, der Antragsgegnerin zu
untersagen, das Grundstück auf sonstige Dritte zu übertragen, oder irgendwelche
Handlungen vorzunehmen, vornehmen zu lassen oder zu dulden, die der
Umschreibung des Eigentums auf einen Dritten dienen, ist der Antrag
zurückzuweisen. Die Antragstellerin hat einen dahingehenden Anordnungsgrund
nicht glaubhaft gemacht. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, daß die
Antragsgegnerin das Flurstück ... außer auf den Beigeladenen, noch auf Dritte zu
übertragen gedenkt.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 155 Abs. 1, Satz 3, 154 Abs. 3
VwGO. Obgleich die Antragstellerin – wie oben ausgeführt – teilweise unterlegen
ist, hält es das Gericht für angemessen, ihr keine Kosten des Verfahrens
aufzuerlegen, denn die von der Antragstellerin im Antrag begehrte Anordnung
wirkt sich gegenüber der seitens des Gerichts für begründet gehaltenen nicht
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wirkt sich gegenüber der seitens des Gerichts für begründet gehaltenen nicht
streitwerterhöhend aus, so daß das teilweise Unterliegen der Antragstellerin auch
keine Auswirkungen auf die Kostenentscheidung haben kann.
Dem Beigeladenen waren keine Kosten aufzuerlegen, da er keine Anträge gestellt
hat, § 154 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 3 GKG, wobei sich
aus dem Antrag der Antragstellerin für sie ergebenden Bedeutung der Sache der
seinerzeitige Entschädigungsbetrag des Enteignungsbescheides, Teil B,
zugrundegelegt worden ist, der im Hinblick auf die Vorläufigkeit der Entscheidung
mit der Hälfte in Ansatz zu bringen war.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.