Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 17.11.2003

VG Frankfurt: psychologisches gutachten, aufschiebende wirkung, vollziehung, fahreignung, fahrspur, gefahr, eingriff, fahrbahn, entziehung, nötigung

1
2
3
4
5
6
Gericht:
VG Frankfurt 12.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 G 4391/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 11 Abs 3 Nr 4 FeV
Leitsatz
1. § 11 Abs. 3 Nr. 4 Fahrerlaubnisverordung (FeV) verstößt nicht gegen das
Übermaßverbot, wenn der Fahrerlaubnisinhaber bei Straftaten, die im Zusammenhang
mit dem Straßenverkehr oder im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen
oder bei denen Anhaltspunkte für ein hohes Agressionspotential bestehen, sich neben
einer psychologischen Untersuchung auch einer ärztlichen Untersuchung stellen muss.
2. Das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit, vor ungeeigneten Kraftfahrzeugführern
geschützt zu werden, überwiegt in der Regel das berufliche Interesse am vorläufigen
Erhalt der Fahrerlaubnis.
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag,
die sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom
28.08.2003, mit der dem Antragssteller die Fahrerlaubnis entzogen wurde,
auszusetzen und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 05.09.2003
wiederherzustellen,
ist zulässig aber unbegründet.
Das von der Antragsgegnerin im angefochtenen Bescheid dargelegte besondere
öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der verfügten Entziehung der
Fahrerlaubnis überwiegt das Interesse des Antragstellers, bis zur rechtskräftigen
Entscheidung im Hauptsacheverfahren weiterhin über die ihm erteilte
Fahrerlaubnis zu verfügen.
Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf die Gefahr,
die von dem Antragsteller bei der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr für
andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, gestützt (S. 2 Abs. 7 bis 9 des Bescheides
vom 29.08.2003). Damit hat sie das besondere Interesse an der sofortigen
Vollziehung zutreffend schriftlich begründet. Der Schutz der Allgemeinheit vor den
Gefahren, die durch die Teilnahme von ungeeigneten Kraftfahrzeugführern am
motorisierten Straßenverkehr entstehen, wiegt in Anbetracht der Bedeutung der
geschützten Rechtsgüter von Leib und Leben und der Schwere der bei einem
Unfall drohenden Verletzungen derart schwer, dass es gerechtfertigt ist, diese
Fahrzeugführer sofort von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr
auszuschließen.
Die Gefahrenprognose ist im vorliegenden Fall auch begründet, weshalb sich die
angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis auch als offensichtlich rechtmäßig
7
8
9
angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis auch als offensichtlich rechtmäßig
erweist. Nach § 3 Abs. 2 StVG i. V. m. § 46 der Verordnung über die Zulassung von
Personen im Straßenverkehr (Fahrerlaubnisverordnung, im Folgenden: FeV) muss
die Behörde demjenigen die Fahrerlaubnis entziehen, der sich als ungeeignet zum
Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Zur Vorbereitung einer solchen Entscheidung
kann bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder im
Zusammenhang mit der Kraftfahrteignung stehen oder bei denen Anhaltspunkte
für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen gem. § 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 Abs. 3
Nr. 4 FeV die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten
Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch psychologisches Gutachten)
anzuordnen. Dies ist hier der Fall gewesen. Der Antragsteller beging nach den
überzeugenden Feststellungen des Amtsgerichtes Rüsselsheim in dessen Urteil
vom 23.10.2002, denen der Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten ist,
einen vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit
Nötigung. In den Urteilsgründen heißt es: "Der Angeklagte befuhr am 05.12.2000
gegen 08.20 Uhr mit dem Pkw BMW, amtliches Kennzeichen F-… die
Bundesautobahn A3 von Frankfurt kommend in Richtung Wiesbaden. Der Pkw ist
auf den Namen seiner Lebensgefährtin, Frau X, zugelassen. Etwa auf Höhe des
Mönchhof-Dreiecks fuhr der Angeklagte auf der linken Spur zunächst auf das
Fahrzeug der Zeugin B mit hohem Tempo sehr dicht auf. Die Zeugin fühlte sich
dadurch erheblich bedrängt. Sie wollte sodann den Überholvorgang eines auf der
rechten Fahrbahn fahrenden Lkws abbrechen, bremste wenig ab, um so das
Einscheren auf der rechten Fahrspur vorzubereiten. Der Angeklagte wiederum zog
den von ihm geführten Pkw auf die rechte Fahrspur, überholte die Zeugin B um
seines schnelleren Vorankommens wegen auf der rechten Fahrspur und zog
seinen Pkw wieder nach links vor das Fahrzeug der Zeugin. Dort bremste er die
Zeugin mehrmals vorsätzlich stark aus. Diese musste ihr Fahrzeug wiederum
stark abbremsen, kam ins Schleudern und konnte ihr Fahrzeug nur mit Mühe auf
der Fahrbahn halten. Für die Zeugin B und das von ihr benutzte Fahrzeug bestand
die nahe Gefahr eines Unfalls mit Personen- und Sachschaden." Angesichts dieser
Feststellungen des Strafgerichtes hat das Gericht bei summarischer Prüfung der
Sachlage keine Zweifel daran, dass sich der Antragsteller eines gefährlichen
Eingriffs in den Straßenverkehr schuldig gemacht hat. Der bloße Vortrag, er
bestreite den Vorfall, habe jedoch nicht zuletzt aus Kostengründen das Urteil
akzeptiert, ist in keiner Weise geeignet, derartige Zweifel auch nur in Betracht zu
ziehen.
Die vom Verordnungsgeber vorgesehene Beibringung eines Gutachtens einer
amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung ist auch kein
unverhältnismäßiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Es verstößt
nicht gegen das Übermaßverbot, wenn der Fahrerlaubnisinhaber sich neben einer
psychologischen Untersuchung auch einer ärztlichen Untersuchung stellen muss,
denn Straftaten, insbesondere wenn bei ihnen Anhaltspunkte für ein hohes
Aggressionspotenzial bestehen, können nicht nur auf einen charakterlichen
Mangel sondern auch auf eine Anpassungsstörung und damit auf eine psychische
Erkrankung hindeuten, die alleine der dazu ausgebildete Arzt und nicht der
Psychologe diagnostizieren kann. Psychische Störungen können die Eignung zum
Führen von Kraftfahrzeugen ebenfalls ausschließen (vgl. Anlage 4.7 zu den §§ 11,
13 und 14 FeV).
Da der Antragsteller sich der rechtmäßig angeordneten medizinisch
psychologischen Untersuchung nicht unterzog, durfte die Antragsgegnerin bei
ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Antragstellers schließen. Das
entspricht der Regelung des § 11 Abs. 8 S. 1 FeV und der bisherigen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (vgl. Urteil v. 12.03.1985, 7 C
26.83, BVerwGE 71, 93). Denn der Verkehrsteilnehmer ist verpflichtet, an der
Klärung von Zweifeln mitzuwirken, die hinsichtlich seiner Fahreignung bestehen.
Verletzt er diese Mitwirkungspflicht, so rechtfertigt dies den Schluss, dass
Eignungsmängel vorliegen, die verborgen werden sollen. Weitere Umstände
müssen nicht hinzutreten, um auf die Nichteignung zu schließen. Diese
Vermutung kann der Antragsteller deshalb nicht dadurch entkräften, dass seit
dem Vorfall mehr als 2 1/2 Jahre vergangen sind, ohne dass er erneut im
Straßenverkehr aufgefallen sei. Die Antragsgegnerin weist zurecht darauf hin, dass
Eignungsmängel durchaus über längere Zeit verborgen bleiben, ohne das hieraus
der Schluss gezogen werden kann, dass sie nicht mehr bestehen.
Das vom Antragsteller dargelegte berufliche Interesse, vorläufig bis zum Abschluss
des Hauptsacheverfahrens über eine Fahrerlaubnis zu verfügen, wiegt weniger
schwer als das öffentliche Interesse, die Allgemeinheit vor den Gefahren zu
10
11
schwer als das öffentliche Interesse, die Allgemeinheit vor den Gefahren zu
schützen, die durch die Teilnahme von ungeeigneten Kraftfahrzeugführern am
motorisierten Straßenverkehr entstehen. Die Sicherheitsinteressen der übrigen
Verkehrsteilnehmer überwiegen. Es ist schlicht nicht einzusehen, weshalb das
Schutzbedürfnis der Allgemeinheit dann zurücktreten soll, wenn der
Fahrerlaubnisinhaber beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist und deshalb
von dieser auch noch vermehrt Gebrauch macht, also eine erhöhte
Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes besteht.
Die Kosten des Verfahrens hat gem. § 154 Abs. 1 VwGO der Antragsteller zu
tragen, da er unterliegt.
Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13
Abs. 1 S. 1 GKG. Bei der Streitwertfestsetzung geht das Gericht davon aus, dass
der Streitwert nach § 13 Abs.1 S. 1 GKG in Fahrerlaubnissachen bei Bestehen
eines beruflichen Interesses an der Fahrerlaubnis 8.000,00 Euro beträgt. Dieser
wird angesichts der Vorläufigkeit der in Streit stehenden Entscheidung gem. § 20
Abs. 3 GKG um die Hälfte reduziert.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.