Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 02.04.2001
VG Frankfurt: gutachter, unfall, fürsorgepflicht, leistenbruch, vollstreckung, operation, anerkennung, universität, wissenschaft, gerichtsakte
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Gericht:
VG Frankfurt 9.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 E 4146/00
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Leitsatz
Anspruch auf Leistungen der Unfallfürsorge besteht nicht, wenn ausgeschlossen werden
kann, dass ein Unfallereignis den geltend gemachten Körperschaden herbeigeführt hat.
Tenor
Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der als Beamter in Diensten der Deutschen Telekom AG stehende Kläger rutschte
am Morgen des 02.02.1999 auf dem Weg von seinem Wohnhaus zur Garage in der
Dämmerung auf einer Schnee-Eis-Platte aus und stürzte mit der rechten
Achselhöhle auf den neben ihm abgestellten Gerätekoffer. Er hatte zur Arbeit
fahren wollen. Der Arm war unmittelbar nach dem Vorfall nicht mehr beweglich,
auch in der Folgezeit litt der Kläger noch unter erheblichen Beschwerden. Etwa 10
Tage später trat auch noch ein Leistenbruch auf. Anlässlich der Erstbehandlung
am 04.02.1999 äußerte der behandelnde Arzt Dr. M. den Verdacht einer frischen
Teilruptur der Supraspinatussehne, für die der Unfall am 02.02.1999 mit ursächlich
sei. Da die Beschwerden des Klägers im Schulterbereich nicht nachließen, ließ sich
der Kläger - nach intensiven vorangehenden Untersuchungen, bei denen ein Riss
der Rotatorenmanschette bzw. der Supraspinatussehne festgestellt wurde - im
August 1999 von Prof. Dr. Stürz, Orthopädische Klinik der Justus-Liebig-Universität
Gießen, operieren.
Die Beklagte erkannte zunächst das Ereignis vom 02.02.1999 hinsichtlich der
Verletzungen im Schulterbereich als Dienstunfall an, gewährte aber keinen
Unfallausgleich, da die Erwerbsfähigkeit des Klägers um weniger als 25 %
beeinträchtig gewesen sei. Hiermit erklärte sich der Kläger im Hinblick auf seine
Beschwerden und die durchgeführten Operationen nicht einverstanden. Die
Beklagte wandte sich daraufhin an den Beratenden Facharzt, der am 01.11.1999
dahingehend Stellung nahm, dass seiner Auffassung nach der vom Kläger
geschilderte Unfallhergang nicht geeignet gewesen sei, eine intakte
Rotatorenmanschette zu zerreißen. Ebensowenig sei durch den Unfall der
Leistenbruch des Klägers verursacht worden. In einem von der Beklagten daraufhin
eingeholten orthopädisch-traumatologischen Zusammenhangsgutachten
kommen Dr. Braun und Dr. Schröter vom Institut für Medizinische Begutachtung
am 13.01.2000 zu dem Ergebnis, dass das Unfallereignis allenfalls zu einer
Prellung der Achselhöhle, ggf. auch zu einer axialen Stauchung geführt haben
könne; diese Beschwerden seien jedoch spätestens 2 Wochen nach dem Ereignis
abgeklungen. Ein Riss der Rotatorenmanschette habe durch das Unfallereignis
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abgeklungen. Ein Riss der Rotatorenmanschette habe durch das Unfallereignis
nicht verursacht werden können. Die Beschwerden des Klägers seien insoweit
vielmehr auf degenerative Veränderungen zurückzuführen. Auch eine
Verschlimmerung von Vorschäden in der rechten Schulter sei hier nicht
anzunehmen. Ebensowenig habe der Leistenbruch durch das Unfallereignis
verursacht werden können.
Mit Bescheid vom 28.02.2000 stellte die Beklagte fest, dass die Schäden an der
Supraspinatussehne und der Rotatorenmanschette sowie der Leistenbruch nicht
als Folgen des Dienstunfalls anerkannt und die Beschwerden nach dem
15.02.1999 nicht auf den Dienstfall zurückgeführt werden könnten. Der Kläger
erhob am 24.03.2000 Widerspruch. Seiner Auffassung nach habe das
Zusammenhangsgutachten nicht den tatsächlichen Sachverhalt wiedergegeben.
Der Kläger fügte dem Widerspruch eine Stellungnahme des behandelnden Arztes
Dr. Stürz vom 08.03.2000 bei. Mit dieser Stellungnahme setzte sich das Institut für
Medizinische Begutachtung in einer ergänzenden Stellungnahme von Dr. Braun
und Dr. Schröter vom 18.04.2000 im einzelnen auseinander. Die Beklagte schlug
dem Kläger daraufhin vor, ein weiteres Gutachten einzuholen. Hiermit erklärte sich
der Kläger jedoch ausdrücklich nicht einverstanden. Durch Widerspruchsbescheid
vom 01.08.2000, zugestellt am 02.08.2000, wies die Beklagte den Widerspruch
zurück.
Der Kläger hat am 18.08.2000 Klage erhoben. Zur Begründung beruft er sich auf
die Feststellungen der ihn behandelnden Ärzte. Die Gutachter hätten hingegen
ihre Feststellungen ohne Bezug zu seiner körperlichen Situation getroffen. Darüber
hinaus wendet er sich im einzelnen gegen die medizinischen Schlussfolgerungen
der Gutachter unter Berufung auf vergleichbare fachliche Ausführungen der
Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Frankfurt am Main und ein Urteil des
Landessozialgerichts Schleswig-Holstein.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom 28.02.2000
und ihres Widerspruchsbescheids vom 01.08.2000 zu verpflichten, den Riss der
Supraspinatussehne und die Ruptur der Rotatorenmanschette an der rechten
Schulter als Folgen des Dienstunfalls am 02.02.1999 anzuerkennen und dafür
Leistungen aus der Unfallfürsorge zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft sie sich auf die Ausführungen in den angefochtenen
Bescheiden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter allein
einverstanden erklärt.
Die Unfallakten der Beklagten wurden zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemacht. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die
Unfallakten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich des Leistenbruchs
die Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gem. § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO
einzustellen.
Im übrigen kann die zulässige Klage, über die aufgrund des Einverständnisses der
Beteiligten der Berichterstatter allein entscheiden kann (§ 87 a Abs. 2, 3 VwGO),
keinen Erfolg haben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der von ihm
beklagten Beschwerden in der rechten Schulter als Folgen des Dienstunfalls und
auf Gewährung entsprechender Leistungen der Unfallfürsorge. Die angefochtenen
Bescheide sind rechtmäßig.
Der Sturz des Klägers auf den Gerätekoffer am 02.02.1999 hat die als
unfallbedingte Schäden geltend gemachten Verletzungen - Ruptur der
Supraspinatussehne/Rotatorenmanschette - nicht im Rechtssinn verursacht. Dies
hat die Beklagte auf der Grundlage des orthopädisch-traumatologischen
Zusammenhangsgutachtens des Instituts für Medizinische Begutachtung vom
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Zusammenhangsgutachtens des Instituts für Medizinische Begutachtung vom
13.01.2000 sowie der ergänzenden Stellungnahme vom 18.04.2000 zu Recht in
den angefochtenen Bescheiden festgestellt und zutreffend begründet. Das Gericht
folgt diesen Ausführungen und nimmt insoweit zur Vermeidung von
Wiederholungen hierauf Bezug (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Nach den Ausführungen der Gutachter kam es bei dem vom Kläger geschilderten
Unfallhergang zu einer Stauchung, die allenfalls zu einer Prellung in der
Achselhöhle oder zu einer Anhebung der gesamten Schulter hat führen können,
hingegen nicht zu einer Quetschung in der Tiefe zwischen Oberarmkopf und
Schulterdach, wie sie aber für die Verursachung des beim Kläger aufgetretenen
Risses erforderlich gewesen wäre. Folglich kann der Riss an der
Rotatorenmanschette, dessentwegen sich der Kläger letztlich der Operation im
August 1999 unterzog, nicht auf das Unfallereignis zurückgeführt werden. Die
Gutachter erklären auch die Entstehung dieses Risses plausibel mit den beim
Kläger festzustellenden degenerativen Veränderungen, die bereits anlässlich einer
radiologischen Untersuchung im Klinikum der Justus-Liebig-Universität Gießen am
19.05.1999 als Folge eines "Impingements" (einer Einengung) festgestellt worden
waren (Bl. 51 d. Unfallakten). Dass es beim Kläger insoweit zu degenerativen
Veränderungen gekommen ist, steht an sich der Anerkennung einer (Teil-
)Ursächlichkeit des Unfallereignisses nicht von vornherein entgegen; nur hätte
dann der Unfallhergang zumindest grundsätzlich geeignet sein müssen, den
letztlich aufgetretenen Sehnenriss zu bewirken. Nur unter diesen Umständen
hätte davon die Rede sein können, dass durch den Unfall ein konstitutionelles
Leiden des Klägers wesentlich verschlimmert worden wäre, was allerdings für die
Annahme einer Verursachung im Rechtssinn genügte. Dies ist indes, wie die
Gutachter überzeugend ausführen, nicht der Fall gewesen, da der Unfallhergang,
wie dargelegt, gerade nicht einen Riss der Rotatorenmanschettensehne hat
bewirken können. Folglich kann der Unfall auch nicht als (wesentliche) Teilursache
des aufgetretenen Körperschadens angesehen werden.
Einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts durch Einholung eines
Obergutachtens, wie vom Kläger angeregt, bedarf es nach Auffassung des
Gerichts nicht. Das Gutachten des Instituts für Medizinische Begutachtung ist
unter Berücksichtung der zusätzlichen Stellungnahme aus sich heraus
überzeugend. Es beruht auf einer persönlichen Untersuchung des Klägers, auf
einer Auswertung sämtlicher vorliegender Untersuchungsberichte sowie auf der
Berücksichtigung des vom Kläger selbst geschilderten Unfallhergangs. Die für die
Begutachtung wesentlichen Informationen sind ausgewertet worden, ohne dass
ersichtlich wäre, dass den Gutachtern hierbei Fehler unterlaufen sind. Die
gutachtliche Würdigung beruht schließlich auf einer ausführlichen
Auseinandersetzung mit den einschlägigen wissenschaftlichen Meinungen; ihre
Anwendung im Einzelfall sowie die daraus gezogenen Schlussfolgerungen
erscheinen dem Gericht nachvollziehbar und überzeugend. Die Gutachter legen
insbesondere die in den vergangenen Jahren gewonnenen Erkenntnisse zur
Biomechanik zugrunde, denen zufolge eine allein traumatische Läsion der
Rotatorenmanschette nur in Verbindung mit einer "Subluxation" oder "Luxation"
des Schultergelenks möglich erscheint, die hier jedoch bereits am Tag nach dem
Unfallereignis durch Untersuchungsbefunde ausgeschlossen wurde. Dies
entspricht der überwiegenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft, die
insoweit zu dem Ergebnis gekommen ist, dass nur unter bestimmten Umständen
eine direkte Gewalteinwirkung - wie hier - zu einem Riss der Rotatorenmanschette
führen kann, Umstände, die im vorliegenden Fall nicht gegeben waren (vgl. LSG
Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 14.10.1999 - L 5 U 61/98). Die Gutachter
haben schließlich auch überzeugend darauf hingewiesen, dass der Riss an der
Rotatorenmanschettensehne unter Umständen bereits vor dem Sturz vom
02.02.1999 aufgetreten sein könnte, ohne dass dies notwendigerweise dazu
geführt haben musste, dass der Kläger Schmerzen verspürte, so dass der Kläger
allein aus diesem Umstand - seiner Schmerzfreiheit vor dem Unfall - nicht folgern
kann, das Unfallereignis habe diese Verletzung herbeigeführt. Sind nach alledem
die festgestellten degenerativen Veränderungen, keinesfalls aber der Unfall am
02.02.1999, für die Verletzung des Klägers verantwortlich zu machen, so scheidet
die Annahme aus, der Dienstunfall vom 02.02.1999 habe sie verursacht.
Die Einwände, die der Kläger gegenüber den Gutachtern vorbringt, überzeugen
nicht. Dass es sich um ein Gefälligkeitsgutachten handeln könnte, hat der Kläger
schon nicht hinreichend substantiiert, ist für das Gericht aber auch sonst in keiner
Weise ersichtlich. Soweit der den Kläger behandelnde Arzt zu anderen
medizinischen Schlussfolgerungen gelangt, mag dies auf den unterschiedlichen, in
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medizinischen Schlussfolgerungen gelangt, mag dies auf den unterschiedlichen, in
der medizinischen Wissenschaft vertretenen Ansichten beruhen; dies kann aber
dahingestellt bleiben, da die Ausführungen des behandelnden Arztes Dr. Stürz für
das Gericht wenig nachvollziehbar sind und zudem auf einer offenkundig nur
eingeschränkten Wahrnehmung des den angefochtenen Bescheiden
zugrundeliegenden Gutachtens beruhen, wie die Gutachter in ihrer ergänzenden
Stellungnahme zu Recht feststellen. Der Hinweis des Klägers, Dr. Stürz habe
anlässlich der Operation makroskopisch keine degenerativen Veränderungen
festgestellt, entkräftet die Schlussfolgerungen der Gutachter insoweit ebenfalls
nicht, da allein aus dem makroskopischen Befund insoweit keine verlässlichen
Schlussfolgerungen gezogen werden können. Aussagekräftiger wäre eine
mikroskopische Untersuchung gewesen, die nicht veranlasst wurde, u. a.
deswegen, weil mit einem Abstand von mehreren Monaten zu dem Unfallereignis
verlässliche Schlussfolgerungen insoweit nicht mehr möglich waren. Unabhängig
davon kann es aber schon aufgrund der radiologischen Untersuchung vom
19.05.1999 als gesichert gelten, dass im Bereich des Schultergelenks des Klägers
degenerative Veränderungen stattgefunden haben.
Die Einholung eines weiteren Gutachtens ist schließlich auch nicht im Hinblick auf
die vom Kläger vorgelegten gutachtlichen Ausführungen der
Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik und das Urteil des LSG Schleswig-Holstein
vom 10.06.1998 (L 8 U 123/97) geboten. Auf die Ausführungen der
Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik kann sich der Kläger hier schon deswegen
nicht stützen, weil diese einen anders gelagerten Fall betrafen, nämlich den Riss
einer Achillessehne, der bereits in anatomischer Hinsicht mit einem Riss an der
Rotatorenmanschette nicht verglichen werden kann. Abgesehen davon liegt auch
diesen Darlegungen die Auffassung zu Grunde, dass das Vorliegen degenerativer
Veränderungen die Annahme eines Unfallereignisses nur dann ausschließt, wenn
eine Verursachung des Körperschadens durch das Unfallereignis nicht denkbar ist,
also keine Kausalität angenommen werden kann. Diesbezüglich ist ein Unterschied
zu den gutachtlichen Feststellungen des Instituts für Medizinische Begutachtung
im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Ein derartig kausales Unfallereignis lag dem
vom LSG Schleswig-Holstein entschiedenen Fall - anders als hier - zu Grunde, so
dass der Kläger sich für sein Begehren auch nicht auf dieses Urteil berufen kann.
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Unfallausgleich wegen des Sturzes
am 02.02.1999 liegen nach alledem nicht vor. Soweit der Kläger hierin eine
Missachtung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn sieht, stellt er nicht hinreichend in
Rechnung, dass die der Gewährung von Unfallausgleich zugrundeliegenden
gesetzlichen Vorschriften lediglich eine einfachrechtliche Ausprägung des
Grundsatzes der Fürsorgepflicht des Dienstherrn für seine Beamten darstellen,
mithin von einer Verletzung der Fürsorgepflicht von vornherein dann keine Rede
sein kann, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von
Unfallausgleich nicht erfüllt sind. Der Fürsorgepflicht wird der Dienstherr in diesen
Fällen jedenfalls durch die Gewährung von Beihilfeleistungen hinreichend gerecht.
Die Kosten des Verfahrens sind dem Kläger aufzuerlegen, weil er die Klage
teilweise zurückgenommen hat (§ 155 Abs. 2 VwGO) und im übrigen unterliegt (§
154 Abs. 1 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V.
m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.