Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 18.09.2003
VG Frankfurt: öffentliche sicherheit, tschechische republik, diebstahl, geldstrafe, verfügung, ausweisung, öffentliches interesse, abschiebung, hepatitis, körperverletzung
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Gericht:
VG Frankfurt 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 E 839/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 45 Abs 1 AuslG, § 46 AuslG,
§ 50 Abs 3 S 2 AuslG, § 53 Abs
6 AuslG
Abschiebung einer tschechischen Staatsangehörigen
Tenor
1. Ziffer 4 der Verfügung der Beklagte vom 04.03.2002 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 18.02.2003
wird aufgehoben. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Verfahrens hat die Klägerin 2/3, die Beklagte 1/3 zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Kostenschuldner kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der
vollstreckbaren Kostenschuld abwenden, wenn nicht zuvor der jeweilige
Kostengläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin ist tschechische Staatsangehörige. Sie reiste erstmals im Dezember
1970 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 28.05.1976 die
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die ihr am 13.06.1977 befristet erteilt wurde
und in der Folgezeit letztmals am 21.09.1999 bis zum 20.09.2001 verlängert
wurde.
Am 12.09.2001 beantragte die Klägerin die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.
Während ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland ist die Klägerin wie
folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
1. Amtsgericht Hanau, Urteil vom 18.02.1983, rechtskräftig seit 01.03.1983 AZ: 12
Js 1970/82 wegen gemeinschaftlichem Diebstahl zu einer Geldstrafe von 15
Tagessätzen zu je 15,00 DM
2. Amtsgericht Hanau, Urteil vom 24.11.1983, rechtskräftig seit 07.12.1983 AZ:
(M1502) - 13 Js 10813/83 wegen Diebstahl zu einer Verurteilung zu einer
Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15,00 DM
3. Amtsgericht Regensburg, Urteil vom 18.04.1985, rechtskräftig seit 26.04.1985
AZ: (D3410) - 28 Js 17027/84 - wegen Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von 4
Monaten, 3 Jahre Bewährungszeit
4. Amtsgericht Hanau, Urteil vom 29.10.1985, rechtskräftig seit 22.11.1985 AZ:
(M1502) - 13 Js 3564/85 - wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe
von 30 Tagessätzen zu je 10,00 DM
5.Amtsgericht Hanau, Urteil vom 15.01.1986, rechtskräftig seit 15.01.1986 AZ:
(M1502) - 5 Js 9881/85 - wegen versuchter gemeinschaftlicher Erpressung zu einer
Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15,00 DM
6. Amtsgericht Regensburg, Urteil vom 14.08.1986, rechtskräftig seit 01.09.1986
AZ: (D3410) - 28 Js 17027/84 - unter Einbeziehung der Urteile 3. und 4. zu einer
Freiheitsstrafe von 4 Monaten, einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10,00
DM, 3 Jahre Bewährungszeit
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7. Amtsgericht Frankfurt, Urteil vom 29.06.1988, rechtskräftig seit 01.08.1988 AZ:
(M1201) - 5 Js 8786/88-97 DS 113 wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis und
Straßenverkehrsgefährdung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 15,00
DM
8. Amtsgericht Hanau, Urteil vom 02.11.1988, rechtskräftig seit 10.11.988 AZ:
(M1502) - 4 Js 14799/87 52 LS wegen Diebstahl in 6 Fällen zu einer Freiheitsstrafe
von einem Jahr und 6 Monaten, Strafe im Gnadenwege teilweise zur Bewährung
ausgesetzt bis 09.03.1992, ausgesetzt durch: 10.03.1989 + 4 GNS
4/89+M1500+LG Hanau + Bewährungszeit im Gnadenwege neu festgesetzt bis
09.03.1993, Strafarrest im Gnadenwege erlassen mit Wirkung vom 08.02.1994
9. Amtsgericht Frankfurt, Urteil vom 08.05.1989, rechtskräftig seit 08.05.1989 AZ:
(M1201) - 5 Js 45425/87-97 DS 1019 - wegen Diebstahl in zwei Fällen jeweils im
Zustand verminderter Schuldfähigkeit zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu
je 10,00 DM
10. Amtsgericht Frankfurt, Urteil vom 10.09.1990, rechtskräftig seit 31.01.1991
AZ: (M1201) - 5 Js 11877.0/90 - wegen Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von 4
Monaten, Strafrest zur Bewährung ausgesetzt bis 21.11.1993
11. Amtsgericht Frankfurt, Urteil vom 26.10.1990, rechtskräftig seit 26.10.1990
AZ: (M1201) - 88 Js 45476.5/89 - 933 LS wegen unerlaubtem Erwerb von
Betäubungsmittel in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, 3 Jahre
Bewährungszeit, Strafe erlassen mit Wirkung vom 17.12.1993
12. Amtsgericht Frankfurt, Urteil vom 19.02.1991, rechtskräftig seit 11.03.1991
AZ: (M1201) - 77 Js 20123.4/90-914 LS - wegen Diebstahl im Zustand
verminderter Schuldfähigkeit zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 10,00
DM
13. Amtsgericht Frankfurt, Urteil vom 19.09.1991, rechtskräftig seit 19.10.1991
AZ: (M1201) - 5 Js 20704.0/91 - 96 Cs 1015 wegen Beförderungserschleichung zu
einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 15,00 DM
14. Amtsgericht Frankfurt, Urteil vom 07.11.1991, rechtskräftig seit 24.02.1992
AZ: (M1201) - 5 Js 5763.9/91 - 96 DS 1015 wegen Diebstahl im Zustand
verminderter Schuldfähigkeit zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten, 3 Jahre
Bewährungszeit
15. Amtsgericht Frankfurt, Urteil vom 27.07.1993, rechtskräftig seit 03.09.1993
AZ: (M1201) - 5 Js 15937.1/93-97 CS 1020 - wegen Diebstahl geringwertiger
Sachen zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15,00 DM
16. Amtsgericht Hanau, Urteil vom 03.05.1995, rechtskräftig seit 11.05.1995 AZ:
(M1201) 13 Js 13032.3.91 51 DS - wegen Diebstahl in vier Fällen zu einer
Freiheitsstrafe von 14 Monaten, 4 Jahre Bewährungszeit, Strafaussetzung
widerrufen
17. Amtsgericht Frankfurt, Urteil vom 05.02.1996, rechtskräftig seit 01.03.1996
AZ: (M1201) - 5 Js 29827.0/95 96 CS - wegen Hausfriedensbruch zu einer
Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 10,00 DM
18. Amtsgericht Hanau, Urteil vom 26.03.1996, rechtskräftig seit 27.05.1997 AZ:
(M1502) - 7 Js 13867.0/95 52 LS wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von 7 Monaten
19. Amtsgericht Frankfurt, Urteil vom 27.11.1996, rechtskräftig seit 27.11.1996
AZ: (M1201) - 5 Js 9761.1/96 96 DS - wegen Diebstahl zu einer Geldstrafe von 40
Tagessätzen zu je 15,00 DM
20. Landgericht Hanau, Urteil vom 21.11.2001, rechtskräftig seit 21.11.2001 AZ:
(M1500) - 12 Js 12937/98 V 3 NS wegen Diebstahl in 4 Fällen, sowie vorsätzlicher
Körperverletzung im Zustand verminderter Schuldfähigkeit zu einer Freiheitsstrafe
von 9 Monaten, Bewährungszeit bis 20.11.2004
Nach vorheriger Anhörung der Klägerin wies die Beklagte die Klägerin mit
Verfügung vom 04.03.2002 für unbefristete Dauer aus dem Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland aus, lehnte den Antrag auf Verlängerung der
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Bundesrepublik Deutschland aus, lehnte den Antrag auf Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis ab, setzte der Klägerin eine Ausreisefrist von drei Monaten
und drohte ihr die Abschiebung in die tschechische Republik an. Zur Begründung
der auf § 46 Ziffer 2 AuslG gestützten Ausweisungsverfügung ist ausgeführt, die
Klägerin habe serienmäßig gegen Strafvorschriften der Bundesrepublik
Deutschland verstoßen. Sie sei wegen Diebstahls, wegen vorsätzlicher
Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Beförderungserschleichung, versuchte
gemeinschaftliche Erpressung und wegen unerlaubtem Erwerb von
Betäubungsmitteln in insgesamt über 20 Fällen verurteilt worden. Obwohl sich die
Klägerin seit mehr als 30 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte, habe
sie sich in keinster Weise in die Rechtsordnung und die hiesigen
Lebensverhältnisse eingegliedert. Insoweit falle ins Gewicht, dass die Klägerin trotz
Verbüßung diverser Haftstrafen immer wieder straffällig geworden sei. Auch der
Umstand, dass die Klägerin inzwischen verhandlungsunfähig erkrankt sei, hindere
sie nicht daran, zur Bestreitung ihres Drogenkonsums weiterhin Straftaten zu
begehen. Therapien zur Beendigung der Drogensucht seien erfolglos gewesen.
Auch der Umstand, dass die Klägerin, die an einer HIV-Infektion, einer Hepatitis-
Infektion und einer Leberzirrhose leide, und inzwischen betreuungsbedürftig sei,
gebe der Klägerin kein Recht, sich über die in der Bundesrepublik Deutschland
geltenden Gesetzte hinwegzusetzen. Der Klägerin sei eine familiäre Betreuung
gestattet worden, auch dies habe sie nicht davon abgehalten, weitere Straftaten
zu begehen. Auch wirtschaftlich sei die Klägerin nicht integriert. Sie beziehe Jahren
Hilfe zum Lebensunterhalt. Die Klägerin sei während ihres Aufenthalts in der
Bundesrepublik Deutschland zu keinen Zeitpunkt erwerbstätig gewesen. Die
erforderliche ärztliche Versorgung der Klägerin sei auch in der Tschechischen
Republik möglich. Durch die automatische Aufnahme in das staatliche
Krankenversicherungssystems sei gewährleistet, dass eine adäquate
medikamentöse und ambulante Weiterbehandlung der Klägerin in der
Tschechischen Republik stattfindet. Auch der Umstand, dass die Klägerin mit ihrer
Mutter, den zwei Kindern und einem Enkelkind in einer Haushaltsgemeinschaft
lebe, rechtfertige keine andere Beurteilung, hinzukomme, dass die Mutter der
Klägerin ebenfalls zur Ausreise aufgefordert worden sei und eine Schwester der
Klägerin in der Tschechischen Republik lebe. Im Hinblick auf die Ausweisung sei die
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abzulehnen.
Die Klägerin legte mit Schreiben vom 22.03.2002 Widerspruch ein, der mit
Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 18.02.2003
zurückgewiesen wurde. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, der
inländische Aufenthalt der Klägerin beeinträchtige in gravierender Weise die
öffentliche Sicherheit und Ordnung. Die Klägerin erfüllt unentwegt den
Ausweisungstatbestand des § 46 Nummer 2 AuslG. Nach einer Mitteilung des
Polizeipräsidiums Frankfurt am Main vom 30.10.2002 sei die Klägerin in insgesamt
99 Fällen polizeilich in Erscheinung getreten. Im Rahmen der
Ermessensentscheidung sei zu berücksichtigen, dass von der Klägerin eine
erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. Durch das
Verhalten der Klägerin seien bereits erhebliche Schäden entstanden und seien
auch weiterhin zu erwarten. Es bestehe daher ein ganz besonderes dringendes
öffentliches Interesse an der Ausweisung der Klägerin. Die persönlichen Belange
der Klägerin seien nicht geeignet, die öffentlichen Interessen zu relativieren. Zwar
sei die Klägerin derzeit weder transportfähig noch in der Lage, sich in ihrem
Heimatland zu recht zu finden. Deshalb sei ihr auch eine Duldung erteilt worden.
Aber auch diese Umstände rechtfertigen nicht, von der Ausweisung abzusehen,
weil die von der Klägerin ausgehenden Gefährdungen so schwerwiegend seien,
dass auch in Ansehung der Abschiebungshindernisse es nicht vertretbar
erscheine, auf die vollziehbare Ausreisepflicht der Klägerin zu verzichten. Es könne
nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin während einer zeitweiligen
Besserung ihres Gesundheitszustandes auf Grund eigener Initiative ausreise oder
sich die medizinischen Verhältnisse in der Tschechischen Republik verbessert und
die Versorgung der Klägerin dort gewährleistet sei. Auch erscheine es denkbar,
dass die wirksame Ausweisung die Klägerin dazu bewegen könne, ihr strafbares
Verhalten wenigstens zu reduzieren.
Die Klägerin hat am 21.02.2003 Klage erhoben, mit der sie Ausweisungsverfügung
begehrt.
Die Verfügung der Beklagten sei rechtswidrig. Der Klägerin sei eine
Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 AuslG zu erteilen. Jedenfalls seien
Abschiebungshindernisse nach § 55 AuslG bzw. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gegeben.
Die Klägerin lebe seit 32 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Sie sei
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Die Klägerin lebe seit 32 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Sie sei
lebensbedrohlich erkrankt. Sie leide an HIV-Infektion, einer Hepatitis B-Infektion
und einer Leberinsuffizienz mit Aszites, Unterschenkelödemen und
Verwirrtheitszuständen auf Grund einer hepatitischen Encephalopathie. Wie sich
aus einer Stellungnahme des Klinikums der Johann-Wolfgang-Goethe Universität,
Zentrum der Inneren Medizin vom 06.06.2002 ergebe, führe eine Abschiebung der
Klägerin zu einer raschen Progression zu Aids, was zur Folge habe, dass der Tod
der Klägerin eintrete. Außerdem sei für die Klägerin eine Betreuung bestellt
worden, die Klägerin sei in die Pflegestufe 3 eingestuft und könne ohne Hilfe nicht
zurechtkommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte, den Inhalt der vorgelegten Behördenvorgänge (3 Hefter) sowie
den Inhalt der beigezogenen Akte des Verfahrens 1 G 2140/02 (V) Bezug
genommen. Ferner wird Bezug genommen auf das im Eilverfahren eingeholte
amtsärztliche Gutachten des Main-Kinzig-Kreises vom 15.08.2002.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist soweit sie sich gegen Ziffer 1 und 4 der Verfügung richtet als
Anfechtungsklage und soweit sie sich gegen Ziffer 2 der Verfügung richtet als
Verpflichtungsklage statthaft und auch im übrigen zulässig. Die Klage ist auch
begründet, soweit sie sich gegen Ziffer 4 der angegriffenen Verfügung der
Beklagten vom 04.03.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des
Regierungspräsidiums Darmstadt vom 18.02.2003 wendet. Insoweit ist die
angegriffene Verfügung rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Soweit sich die Klägerin allerdings gegen Ziffer 1 und 2 der angegriffenen
Verfügung richtet, ist die Klage nicht begründet. Insoweit ist die Verfügung
rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die in Ziffer 1 der streitbefangenen Verfügung enthaltene Ausweisung ist
rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die streitbefangene Ausweisungsverfügung ist § 45 Abs. 1
i.V.m. § 46 Nr. 2 AuslG. Danach kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn
sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erheblichen
Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt, insbesondere wenn er
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften
begangen hat. Die Vorschrift ist dahin zu verstehen, dass ein Rechtverstoß nur
dann unbeachtlich ist, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, also andererseits
wenn er beachtlich ist, wenn er vereinzelt aber nicht geringfügig oder geringfügig
aber nicht vereinzelt ist. Diese Auslegung gebietet Sinn und Zweck der Vorschrift
sowie deren systematische Zusammenhang mit den §§ 47 und 48 AuslG (vgl.
BVerwG, Urteil vom 24.09.1996 Informationsbrief Ausländerrecht 1997, Seite 63).
Vorliegend hat die Klägerin nicht nur vereinzelt oder geringfügig gegen die
Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland verstoßen. Die Klägerin wurde
im Zeitraum von 1983 bis 2001 insgesamt zwanzigmal wegen Diebstahls,
vorsätzlicher Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Beförderungserschleichung,
versuchte gemeinschaftliche Erpressung und wegen unerlaubten Erwerb von
Betäubungsmitteln verurteilt.
Auch die getroffene Ermessensentscheidung über die Ausweisung der Klägerin ist
rechtlich nicht zu beanstanden. Eine derartige Entscheidung erfordert eine
sachgerechte Abwägung der öffentlichen Interessen an einer Ausreise der Klägerin
mit den Interessen des Ausländers an einem weiteren Aufenthalt in der
Bundesrepublik Deutschland. Die Beklagte hat in ihre Überlegungen zum einen
eingestellt, dass die Klägerin in die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland
nicht integriert ist, weil sie zum einen immer wieder straffällig geworden ist und seit
ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland keiner Erwerbstätigkeit
nachgegangen ist, sondern fortlaufend Sozialhilfe bezogen hat. Auf der anderen
Seite hat sie in die Überlegungen eingestellt, dass die Klägerin in einem familiären
Verbund mit ihrer Mutter den beiden Kindern und einem Enkelkind lebt und
lebensbedrohlich erkrankt ist. Wenn sie in Abwägung der Interessen zu dem
Ergebnis gekommen ist, dass das öffentliche Interesse an einer Ausweisung der
Klägerin gegenüber dem privaten Interesse überwiegt, weil die Klägerin trotz ihrer
schweren Erkrankung, ihrer familiären Bindungen und zahlreicher Hilfestellungen
ihr strafrechtliches Verhalten unbeeindruckt fortgesetzt hat und konkret zu
befürchten ist, dass die Klägerin bei einem weiteren Aufenthalt in der
Bundesrepublik Deutschland weiterhin die öffentliche Sicherheit und Ordnung
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Bundesrepublik Deutschland weiterhin die öffentliche Sicherheit und Ordnung
beeinträchtigt und weitere Schäden verursacht, kann dies rechtlich nicht
beanstandet werden. Angesichts des Verhaltens der Klägerin erscheint die
Ausweisung auch nicht als unangemessene Härte und damit unverhältnismäßig.
Auch die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung ist
rechtmäßig. Nach § 8 Abs. 2 AuslG wird einem Ausländer, der ausgewiesen ist,
auch keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt.
Soweit sich die Klägerin jedoch gegen die Abschiebungsandrohung wendet hat die
Klage Erfolg, weil sich die Abschiebungsandrohung als rechtswidrig erweist. Zwar
ist die Klägerin nach § 42 Abs. 1 AuslG zur Ausreise verpflichtet, da sie eine
erforderliche Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr besitzt. Die Ausreisepflicht ist
nach § 42 Abs. 2 AuslG auch vollziehbar, da die Versagung der
Aufenthaltsgenehmigung vollziehbar ist. Die Abschiebungsandrohung verstößt
jedoch gegen § 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG. Danach ist in der Androhung der Staat zu
bezeichnen, in den der Ausländer nach den §§ 51 und 53 Abs. 1-4 AuslG nicht
abgeschoben werden darf. über den Wortlaut dieser Vorschrift hinaus gilt diese
Bezeichnungspflicht auch für zwingende Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs.
6 Satz 1 AuslG, wenn das der Behörde nach dieser Bestimmung eingeräumte
Ermessen etwa aufgrund vorrangigen Rechts ausnahmsweise gebunden und die
Behörde verpflichtet ist von der Abschiebung abzusehen (vgl. BVerwG,. Urteil vom
19.11.1996, NVWZ 1997, Seite 685). Vorliegend besteht in der Person der Klägerin
ein Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. § 53 Abs. 6
Satz 1 AuslG erfasst solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im
Zielstaat begründet sind. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann
sich auch aus der Krankheit eines Ausländers ergeben, wenn diese sich im
Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend
sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine notwendige Behandlung oder
Medikation für die betreffende Krankheit in dem Herkunftsstaat wegen des
geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist (vgl. BVerwG, Urteil
vom 29.10.2002, NVWZ - Beilage I 7/2003, Seite 53). Diese Voraussetzungen sind
hier gegeben. Ausweislich der bei den Behördenakten befindlichen zahlreichen
ärztlichen Attesten leidet die Klägerin an einer HIV-Infektion, Stadium B3, einer
dekompensierten Leberinsuffizienz in Folge chronischer Hepatitis B sowie einer
chronisch rezidivierenden Drogenabhängigkeit und Unterschenkelödemen. Wie
sich aus der von der Beklagten eingeholten Auskunft der Botschaft der
Bundesrepublik in der Tschechischen Republik vom 22.01.2002 ergibt, kann auch
in der Tschechischen Republik HIV und Hepatitis B vergleichbar den
therapeutischen Möglichkeiten in der Bundesrepublik Deutschland behandelt
werden. Allerdings bedarf die Klägerin - wie sich aus der ärztlichen Bescheinigung
des Klinikums der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main vom
06.06.2002 ergibt nicht nur der üblichen Behandlung. Im Vordergrund ihrer
Beschwerden stehen die Folgen einer chronischen Hepatitis. Die Klägerin leidet an
einer dekompensierten Leberinsuffizienz mit Aszites, Unterschenkelödemen und
Verwirrtheitszuständen aufgrund einer hepatischen Encephalopathie. In Folge ihrer
Lebererkrankung kann die Klägerin nicht antiretroviral behandelt werden. Vielmehr
bekommt sie in vierzehntägigem Abstand Immunglobuline. Diese Therapie ist in
der Tschechischen Republik aus Kostengründen nicht weiterführbar. Im Falle einer
Abschiebung würde der Klägerin mit dem Wegfall der Therapie mit
Immunglobulinen eine rasche Progression der HIV-Infektion zu AIDS drohen. Im
übrigen bestehe bei einer ungesicherten Weiterführung der Polamidonsubstitution
die Gefahr des Gebrauchs illegaler Drogen und damit eine Verschlechterung der
Gesamtsituation. Vor dem Hintergrund dieser ärztlichen Bescheinigung des
Klinikums der Johann Wolfgang Goethe-Universität, dessen Aussage zwischen den
Beteiligten nicht streitig ist, droht der Klägerin im Falle ihrer Abschiebung eine
erhebliche Verschlimmerung ihrer Erkrankung. Da die Klägerin somit auf eine
Weiterbehandlung in der Bundesrepublik Deutschland angewiesen ist, weil eine
adäquate Behandlung in der Tschechischen Republik derzeit nicht möglich ist,
erweist sich die Abschiebungsandrohung als rechtswidrig, weil die Beklagte die
Tschechische Republik nicht als ein Staat aufgeführt hat, in den die Klägerin
abgeschoben werden darf.
Soweit die Klägerin sich des weiteren unter Hinweis auf ein amtsärztliches Attest
vom 27.09.2002 darauf beruft, dass sie selbst bei schonendstem Transport mit
ärztlicher Begleitung nicht transportfähig sei, bestehen im Hinblick auf den Vortrag
der Beklagten im Termin Bedenken. Denn wenn es zutrifft, dass die Klägerin
eigenständig nach Frankfurt reist, dort Ladendiebstähle begeht und mit Heroin
dealt dürfte die Annahme einer Transportunfähigkeit in ärztlicher Begleitung durch
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dealt dürfte die Annahme einer Transportunfähigkeit in ärztlicher Begleitung durch
das tatsächliche Verhalten der Klägerin widerlegt sein. Im Hinblick darauf, dass die
Klägerin wegen der derzeit fehlenden Behandlungsmöglichkeiten in der
Tschechischen Republik und der damit einhergehenden Gefahr für ihre Gesundheit
nicht abgeschoben werden darf, kann die weitere Frage, ob auch ein inländisches
Vollstreckungshindernis wegen fehlender Transportfähigkeit vorliegt, einstweilen
dahinstehen.
Von den Kosten des Verfahrens hat die Klägerin 2/3, die Beklagte 1/3 zu tragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 VwGO. Die Kostenverteilung entspricht
dem Maß des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m.
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.