Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 26.08.2003

VG Frankfurt: gewöhnlicher aufenthalt, örtliche zuständigkeit, haus, wohnung, anschrift, auflage, jugendhilfe, obhut, schule, vollstreckung

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Gericht:
VG Frankfurt 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 E 4283/02
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 86d SGB 8, § 87 SGB 8, §
89c SGB 8
Keine Hilfe für junge Volljährige gegen deren Willen
Leitsatz
Fehlt bei dem jungen Volljährigen die grundsätzliche Bereitschaft an der Erreichung des
Ziels der Hilfe nach § 41 SGB VIII mitzuwirken, kann der Träger der Jugendhilfe die
Maßnahme beenden.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kostenerstattung für gewährte
Jugendhilfeleistungen.
Die am 18.08.1983 geborene Da. (i. F.: D.) befand sich seit Juli 1988 bis März 1999
in Heimerziehung, danach befand sie sich im betreuten Einzelwohnen.
Am 17.03.2001 wurde ihr Kind C. geboren. Nach der Geburt entschloss sich Da., in
eine Mutter-Kind-Einrichtung zu gehen. Deshalb wurde Da. mit Bescheid des
Beklagten vom 21.03.2001 Hilfe nach § 19 SGB VIII im " Haus am K." in L. gewährt.
Da.. und C. wurden am 22.03.201 im "Haus am K." aufgenommen.
Allerdings verschlechterte sich ab Juni 2001 das Verhalten von Da. Sie provozierte
massiv die Mitarbeiter und nahm keine Anweisungen mehr an, auch bezüglich der
Betreuung und Pflege von C. Ausweislich eines Gesprächsprotokolls vom
13.06.2001 wurde D. insbesondere darauf hingewiesen, dass sie das Fläschchen C.
nicht in den Mund stecken und sich dann entfernen könne, da C. sich durch dieses
Fehlverhalten verschlucken und in der Folge ersticken könne.
Für die am 18.08.2001 volljährig gewordene Da. gewährte der Beklagte mit
Bescheid vom 15.08.2001 ab dem 18.08.2001 Hilfe für junge Volljährige nach § 41
SGB VIII in Form von gemeinsamen Wohnen von Mutter und Kind im Haus am K. in
L.. Diese Hilfegewährung war zunächst für sechs Monate befristet und sollte
stillschweigend um jeweils drei Monate verlängert werden, wenn sie nicht schriftlich
widerrufen würde. Längstens jedoch bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres.
Zugleich wurde in dem Bescheid ausgeführt, dass die Gewährung der Hilfe unter
der Voraussetzung erfolge, dass Da. insbesondere bereit sei, am Erfolg der
Maßnahme mitzuwirken.
Ausweislich eines Hilfeplangesprächs vom 05.09.2001 wurde festgestellt, dass es
bei D. keine Einsicht oder Veränderungen gebe. Sie halte sich auch nach einem
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bei D. keine Einsicht oder Veränderungen gebe. Sie halte sich auch nach einem
halben Jahr noch nicht an die Regeln. So würden benutzte Milchflaschen nicht
entsprechend ausgekocht und gereinigt, sondern einfach im Zimmer stehen
gelassen. C. bekomme entweder ihr Fläschchen selbst in die Hand und so fixiert,
dass sie nicht einmal Luft holen könne oder Da. gebe die Flasche, während sie mit
C. die Treppe hinunterlaufe. Deshalb wurde vereinbart, dass Da. eine letzte Frist
von 14 Tagen erhalte. Sollte sich ihr Verhalten nicht ändern und verbessern, werde
die Maßnahme beendet.
Ausweislich eines Aktenvermerkes vom 12.09.2001 hatte Da. an ihrem Verhalten
weiterhin nicht geändert. Außerdem war C. zum zweiten Mal aus dem Bett
gefallen. Deshalb müsse die Maßnahme von Seiten der Einrichtung beendet
werden.
In diesem Zusammenhang gab Da. an, nach Beendigung der Maßnahme zu ihrem
Freund D.S. nach Hanau ziehen zu wollen. Dies wurde von der zuständigen
Sachbearbeiterin des Beklagten dem zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes
der Klägerin am 13.09.2001 telefonisch mitgeteilt.
Mit Bescheid vom 18.09.2001 hob der Beklagte die gemäß Bescheid vom
15.08.2001 gewährte Hilfe für junge Volljährige mit Wirkung vom 18.09.2001 auf.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Auflagen vom Hilfeplangespräch vom
05.09.2001 während der 2-wöchigen Frist nicht eingehalten worden seien. Den
dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 14.12.2001 zurück. Das darauf bezügliche Klageverfahren (3 E 110/02(2))
wurde eingestellt, nachdem die Beteiligten übereinstimmend die Hauptsache für
erledigt erklärt hatten.
Am 20.09.2001 zog D. nach Hanau, in die H.-Str. zu Herrn D.S. und meldete sich
dort polizeilich an. C. wurde vom Vogelsbergkreis in Obhut genommen nach
Maßgabe von § 42 SGB VIII.
Mit Schreiben vom 20.09.2001 wurde die Klägerin vom Beklagten darüber in
Kenntnis gesetzt. Beigefügt war diesem Schreiben eine Kopie des letzten
Hilfeplanes sowie verschiedene Aktenvermerke.
Am 17.10.2001 erklärte Da. gegenüber einem Mitarbeiter der Klägerin von der
Fachstelle Wohnen, dass sie aus der Wohnung H.-Str. "rausgeflogen" sei. Sie sei
zur Zeit bei Bekannten.
Am 26.10.2001 erklärte Da. gegenüber der ehemals zuständigen Sachbearbeiterin
des Beklagten, dass sie sich seit dem 20.09.2001 in Hanau aufhalte. In der
Wohnung H.-Str. halte sie sich aber nicht mehr täglich auf, weil die Oma von Herrn
S. dies nicht wolle. Sie sei bereits beim Wohnungsamt wohnungssuchend
gemeldet. Sie besuche zur Zeit eine Schule.
Ausweislich eines Vermerks vom 28. November 2001 bezog Da. von der Klägerin
laufende Hilfe zum Lebensunterhalt.
Mit undatiertem Schreiben, beim Beklagten eingegangen am 11. Dezember 2001,
teilte Da. dem Jugendamt des Beklagten mit, dass sie - wie in den
Telefongesprächen vom 26.09. und 26.10.2001 bereits geschehen -, sich seit dem
20.09.2001 in Hanau aufhalte und seit dieser Zeit bei Herrn D.S. in der H.-Str.
wohne. Sie beabsichtige eine eigene Wohnung anzumieten, da sie weiter zur
Schule gehen wolle.
Bei einem Hausbesuch von Mitarbeitern der Klägerin in der H.-Str. teilte die
Großmutter von Herrn S. mit, dass sich Da. sehr sporadisch unter der Anschrift
aufhalte. Da. verfüge weder über ein eigenes Zimmer noch über ein eigenes Bett.
Sie als Hauptmieterin der Wohnung wünsche nicht, dass sich Da. in der H.-Str.
aufhalte noch wünsche sie, dass Da. sich dort polizeilich anmelde. Sie habe Da.
bereits mehrfach gebeten sich umzumelden bzw. sich um neuen Wohnraum zu
bemühen.
Am 05.02.2002 holte Da. ihr Kind C. aus der Einrichtung " Haus am K." ab.
Daraufhin nahm der Fachbereich für soziale Dienste der Klägerin C. gemäß § 42
SGB VIII erneut in Obhut und brachte es in einer Kurzzeitpflegestelle unter.
Seit dem 16. April 2002 war Da. zusammen mit dem Kind C. auf Veranlassung der
Klägerin in einem Mutter-Kind-Heim untergebracht, wie dies von Da. mit
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Klägerin in einem Mutter-Kind-Heim untergebracht, wie dies von Da. mit
Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 04.02.2002 beantragt worden war.
Mit Schriftsatz vom 18.02.2002 meldete die Klägerin beim Beklagten ihren
Kostenerstattungsanspruch gemäß § 89 c SGB VIII aufgrund pflichtwidriger
Untätigkeit an.
Dies lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 15.03.2002 ab.
Mit Schriftsatz vom 09.10.2002, bei Gericht eingegangen am 11.10.2002, hat die
Klägerin Klage erhoben.
Zur Begründung wird vorgetragen, dass der Beklagte pflichtwidrig gehandelt habe.
Es sei seitens des Beklagten noch nicht einmal der Versuch unternommen
worden, auf Da. einzuwirken, die Maßnahmen gegebenenfalls in einer anderen
Einrichtung fortzuführen. Da. sei ohne jegliche Perspektive "vor die Tür" gesetzt
worden. Aus Äußerungen von Da., sie habe einen Bekannten in Hanau, hätten die
Mitarbeiter des Beklagten den Entschluss gefasst, den Hilfefall an die Klägerin
abzuschieben. Da. habe im Zuständigkeitsbereich der Klägerin jedoch weder eine
Wohnung noch habe sie dort verwandtschaftliche Beziehungen. Tatsächlich sei Da.
unter der von dem Beklagten hervorgerufenen Annahme, die Klägerin werde sich
nunmehr um ihren Hilfefall kümmern, nach Hanau gereist. Sie habe jedoch nur
einige Male bei Bekannten übernachten können. Wo sie sich tatsächlich
überwiegend aufgehalten habe, sei der Klägerin nicht bekannt. Die Anmeldung in
Hanau habe Da. nur vorgenommen, damit sie in den Genuss von laufender Hilfe
zum Lebensunterhalt ohne tägliche Vorsprache in einem Sozialamt gelange. Der
beklagte Landkreis habe den Jugendhilfefall auch weiterhin, wenn auch
unzureichend, bearbeitet. Das Kind C. sei vor dem Auszug von Da. aus der
Einrichtung in Obhut genommen worden. Es sei sogar noch ein Antrag auf Entzug
des Sorgerechts gestellt worden. Eine an den üblichen Standards ausgerichtete
Fallbearbeitung habe jedoch nicht mehr stattgefunden.
Dies habe Da. erlaubt, ihr Kind aus der Pflegestelle abzuholen. Deshalb habe die
Klägerin sofort eine in Obhutnahme des Kindes C. veranlassen müssen. Nur die
Untätigkeit des Beklagten habe ein Situation heraufbeschworen, die durch das
sofortige Handeln der Klägerin habe abgewendet werden müssen. Zu Unrecht
versuche der Beklagte den Eindruck zu vermitteln, dass er nach der Volljährigkeit
von Da. kein Handlungsalternative gehabt habe. Tatsache sei jedoch, dass Da.
immer die Fortsetzung der Maßnahme nach § 19 SGB VIII gewünscht habe. Sie
habe auch weiterhin betreut werden wollen. Der Klägerin sei es nach der
Inobhutnahme von C. ohne größere Mühe gelungen, eine andere
Betreuungseinrichtung für Da. und ihr Kind zu finden.
Der Jugendhilfefall sei auch nicht für drei Monate unterbrochen worden. D. habe
rechtzeitig einen Antrag auf Weitergewährung bzw. Wiederaufnahme der
Leistungen nach § 19 SGB VIII gestellt. Denn sie habe die Einstellung der
Maßnahme nach § 19 SGB VIII durch einen Rechtsbehelf angegriffen und deren
Fortsetzung verlangt.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die für das Kind Marie
C. A. und seiner Mutter Da. gewährte Jugendhilfeleistungen seit dem 05.02.2002
zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wird vorgetragen, dass die Einstellung der Leistungen nach § 19
SGB VIII zu Recht geschehen sei. Der Bescheid vom 15.08.2001 sei befristet
gewesen und habe unter anderem die Bedingung enthalten, an dem Erfolg der
Maßnahme mitzuwirken. Bei dem Verhalten von Da. im " Haus am K." habe der
Beklagte die Hilfe einstellen und das Kind C. in Obhut nehmen müssen. Er hätte
sich sonst, wenn dem Kind etwas passiert wäre, strafbar gemacht.
Es könne auch nicht die Rede davon sein, dass er - der Beklagte - pflichtwidrig
gehandelt habe, insbesondere Da. ohne jegliche Perspektive "vor die Tür" gesetzt
habe. Da. sei vom Beklagten nicht nach Hanau abgeschoben worden. Sie habe ja
dort bis zum 22.03.2001 gelebt und dort ihren Freundes- und Bekanntenkreis
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dort bis zum 22.03.2001 gelebt und dort ihren Freundes- und Bekanntenkreis
gehabt. Sie habe genau gewusst, bei wem sie wohnen konnte. Sie habe den
Namen und die Anschrift schon am 13.09.2001 im " Haus am K." mitgeteilt und sei
mit Hilfe der Einrichtung dann auch am 20.09.2001 dorthin gebracht worden.
Insgesamt sei bei Da. davon auszugehen, dass sie nicht willens war,
Vereinbarungen einzuhalten und auch nicht gewillt war, Jugendhilfeangebote
anzunehmen, da sie sich durch die Jugendhilfe eingeengt gefühlt habe.
Wie habe der Beklagte jemanden helfen sollen, der diese Hilfe nicht wollte und
seine Mitwirkung verweigerte.
Deshalb habe der Beklagte zu Recht mit Bescheid vom 18.09.2001 die Leistungen
an Da. eingestellt. Dieser Bescheid sei bestandskräftig. Da. habe auch länger als
drei Monate keine Jugendhilfeleistungen erhalten. Damit sei die Zuständigkeit der
Klägerin gegeben, so dass diese keinen Anspruch auf Kostenerstattung gegen den
Beklagten habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die
einschlägigen Behördenakten (2 Hefter des Beklagten, 1 Hefter der Klägerin) sowie
die Akten des Verfahrens 3 E 110/02(2)) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht kann über die vorliegende Klage ohne mündliche Verhandlung
entscheiden, weil die Beteiligten dazu ihr Einverständnis erklärt haben, § 101 Abs.
2 VwGO.
Die erhobene Feststellungsklage ist statthaft, denn sie ist in Fallgestaltungen wie
der vorliegenden als eine der Leistungsklage gleichwertige Rechtsschutzform
anerkannt, weil die Ausführung durch den Schuldner - hier den Beklagten - mit
Sicherheit zu erwarten wäre (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom
22.02.2001 - BVerwGE 114, 61 (63) m. w. N.).
Die im übrigen zulässige Klage ist jedoch unbegründet. Der Klägerin steht kein
Anspruch auf Erstattung der ihr in der Zeit ab dem 05.02.2002 entstandenen
Kosten für Jugendhilfemaßnahmen zu, so dass eine entsprechende
Erstattungspflicht des Beklagten nicht festgestellt werden kann.
Ein solcher Anspruch folgt hier nicht aus § 89 c Abs. 1 SGB VIII i. V. m. § 86 d SGB
VIII. Nach § 89 c Abs. 1 SGB VIII sind Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen
seiner Verpflichtungen nach § 86 d SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen
Träger zu erstatten, dessen Zuständigkeit durch den gewöhnlichen Aufenthalt
nach den §§ 86, 86 a und 86 b begründet wird. Eine Verpflichtung zum vorläufigen
Tätigwerden nach § 86 d SGB VIII für die Klägerin hätte jedoch nur dann bestanden,
wenn die örtliche Zuständigkeit zum Leistungszeitpunkt nicht festgestanden hätte,
oder wenn der zuständige örtliche Träger nicht tätig geworden wäre. Im
vorliegenden Fall sind jedoch die Voraussetzungen für keine beiden Fallvarianten
des § 86 d SGB VIII gegeben.
Zum Leistungszeitpunkt stand nämlich fest, dass die Klägerin örtlich zuständig für
die gewährten Leistungen war. Dies ergibt sich für die Unterbringung von Da. und
ihrem Kind C. seit dem 16.04.2002 aus § 86 b Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Danach ist
für Leistungen in gemeinsamen Wohnformen für Mütter oder Väter und Kinder der
örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich der nach § 19 Leistungsberechtigte
vor Beginn der Leistung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Dabei ist bei der Auslegung des Begriffes "gewöhnlicher Aufenthalt" in § 86 b SGB
VIII von der Legaldefinition dieses Begriffes in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I
auszugehen. Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand den gewöhnlichen
Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er
an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorrübergehend verweilt. Zur
Begründung des gewöhnlichen Aufenthaltes ist nicht ein dauerhafter oder längerer
Aufenthalt erforderlich. Es genügt vielmehr bereits, dass der Betreffende sich an
dem Ort oder in dem Gebiet "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen
Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehung hat (vgl.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.03.1999 - DVBl 1999, 1126). Die
allgemein anerkannte rechtliche Bewertung eines Aufenthalts "bis auf weiteres" als
gewöhnlicher Aufenthalt im Rechtssinne ist auch dem vorliegenden Sachverhalt
zugrunde zu legen. In Anwendung dieser Grundsätze hatte Da. ab dem 20.09.2001
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zugrunde zu legen. In Anwendung dieser Grundsätze hatte Da. ab dem 20.09.2001
ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Stadtgebiet der Klägerin. Da. äußerte schon im
Vorfeld ihres Umzuges am 20.09.2001 den Wunsch, zu Herrn D.S. - ihrem Freund -
in die H.-Str. in Hanau zu ziehen und setzte dieses Vorhaben auch um. Dort
meldete sich Da. polizeilich an, meldete sich als wohnungssuchend und besuchte
die Eugen-Kaiser-Schule in Hanau mit dem Ziel, den Hauptschulabschluss zu
machen und erhielt schließlich von der Klägerin laufende Hilfe zum
Lebensunterhalt. Bei diesen gebündelten persönlichen, wirtschaftlichen und
ausbildungsbedingten Beziehungen zum Stadtgebiet der Klägerin kann es keinen
vernünftigen Zweifeln unterliegen, dass Da. dort nach ihrem Umzug "bis auf
weiteres" den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen hatte.
Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, dass Da. nach eigenem Bekunden vom
17.10.2001 aus der Wohnung H.-Str. "rausgeflogen" sei, was auch nach der
Darstellung der Hauptmieterin der Wohnung in der H.-Str. bei dem Hausbesuch
am 20.12.2001 als zutreffend erscheint, weil danach Da. immer wieder tage- oder
wochenweise verschwunden war. Solche vorübergehenden Abwesenheiten von der
Anschrift H.-Str. in Hanau, mögen sie von der Hauptmieterin erzwungen sein oder
(auch) teilweise eigener Neigung von Da. entsprungen sein, nehmen der
Anwesenheit von Da. nicht die Qualität des gewöhnlichen Aufenthaltes. Denn
durchweg hatte Da. vorgetragen, sich seit ihrem Umzug in Hanau aufgehalten zu
haben und aufzuhalten. Dementsprechend erhielt Da. auch in diesen Zeiten
durchgängig von der Klägerin laufende Hilfe zum Lebensunterhalt.
Schließlich wurde auch in dem von Da. angestrengten Verwaltungsstreitverfahren
gegen den Beklagten wegen Fortsetzung der Gewährung von Jugendhilfeleistungen
(3 E 110/02(2)) als Anschrift genannt "c/o D.S., H.-Str., 63450 Hanau."
Die gleiche Anschrift wurde in einem weiteren Schriftsatz der Bevollmächtigten von
Da. an den Beklagten vom 04.02.2002 genannt. Dies belegt, dass Da. im
Stadtgebiet der Klägerin nicht nur vorübergehend verweilte.
Der örtlichen Zuständigkeit der Klägerin steht auch die Vorschrift des § 86 b Abs. 3
nicht entgegen. Danach bleibt der örtliche Träger zuständig, der bisher zuständig
war, wenn der Leistung Hilfe nach den §§ 27 bis 35 a oder eine Leistung nach § 13
Abs. 3, § 21 oder § 41 voraus geht. Eine Unterbrechung der Hilfeleistung von bis zu
drei Monaten bleibt dabei außer Betracht (Satz 2).
Eine fortbestehende örtliche Zuständigkeit des Beklagten scheitert hier - entgegen
der Auffassung der Klägerin - daran, dass der Zeitraum zwischen Einstellung der
Hilfeleistung am 18.09.2001 durch den Beklagten und der Weiterführung durch die
Klägerin ab dem 16.04.2002 länger als drei Monate ist. Der Auffassung der
Klägerin, dass der Jungendhilfefall nicht für drei Monate unterbrochen war, weil Da.
rechtzeitig einen Antrag auf Weitergewährung bzw. Wiederaufnahme der
Leistungen nach § 19 SGB VIII gestellt habe, kann nicht gefolgt werden. § 86 b Abs.
3 SGB VIII verlangt eine Unterbrechung der Hilfeleistung von bis zu drei Monaten.
Der Widerspruch von Da. gegen den Bescheid des Beklagten vom 18.09.2001
vermag eine Hilfeleistung nicht zu ersetzen.
Ein der Klägerin zustehender Anspruch auf Erstattung folgt auch nicht aus § 89 c
Abs. 2 SGB VIII. Danach sind die aufgewendeten Kosten des örtlichen Trägers und
zusätzlich ein Betrag in Höhe eines Drittels der Kosten zu erstatten, wenn der
zuständige örtliche Träger pflichtwidrig gehandelt hat. In diesem Sinne pflichtwidrig
ist - unter Einbeziehung der zu § 107 BSHG a. F. ergangenen Entscheidungen (vgl.
Heilemann/Kunkel, Kinder- und Jugendhilfe, 2. Auflage, § 89 c Rdnr. 4) - jedes
Verhalten, das eine Umgehung der eigenen Leistungspflicht darstellt und geeignet
ist, eine ungerechtfertigte Lastenverschiebung zu Ungunsten eines anderen
Trägers der Jugendhilfe herbeizuführen bzw. herbeiführt. Dies ist beispielsweise
dann der Fall, wenn ein Träger der Jugendhilfe die im Einzelfall erforderliche Hilfe
nicht, nicht rechtzeitig oder nicht ausreichend gewährt, obwohl er deren
Voraussetzungen kennt oder bei der ihm obliegenden Sorgfalt kennen müsste
(vgl. Knopp/Fichtner, Bundessozialhilfegesetz, 7. Auflage, § 107 Rdnr. 5).
Soweit die Klägerin dies darin verwirklicht zu sehen glaubt, dass Da. von dem
Beklagten quasi ihrem Schicksal überlassen worden sei (vgl. Bl. 51 BA Hanau), weil
Da. ohne jegliche Perspektive "vor die Tür" gesetzt worden sei, vermag dem das
Gericht nicht zu folgen.
Da erhielt aufgrund des Bescheides vom 15.08.2001 Hilfe für junge Volljährige
nach § 41 SGB VIII, die von vornherein unter der Voraussetzung erfolgte, dass Da.
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nach § 41 SGB VIII, die von vornherein unter der Voraussetzung erfolgte, dass Da.
am Erfolg der Maßnahme mitwirkte. Dabei handelt es sich um eine nach der
gesamten Konstruktion des SGB VIII selbstverständliche Voraussetzung für die
Gewährung von Leistungen. Gegen den Willen eine jungen Volljährigen und ohne
seine grundsätzliche Bereitschaft zur Mitwirkung an der Erreichung des Ziels der
Hilfe ist eine Leistungsbewilligung nicht möglich (vgl. Schellhorn, SGB VIII/KJHG, 2.
Auflage, § 41 Rdnr. 8; Mrozynski, Kinder- und Jugendhilfegesetz, 3. Auflage, § 41
Rdnr. 4). Im übrigen hat eine auf Verselbständigung des jungen Menschen
ausgerichtete Hilfeleistung auch dessen gegebenenfalls abweichenden
Lebensentwurf ernst zu nehmen und nicht zum Anlass zu nehmen, diesen mit
erzieherischen Mitteln zu verändern. Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss
vom 18.07.1967 - BVerfGE 22, 180 (219 f); Beschluss vom 07.10.1981 - BVerfGE
58, 208 (225)) hat wiederholt ausgeführt, dass der Staat nicht die Aufgabe habe,
seine Bürger zu "bessern", da es unter der Herrschaft des Grundgesetzes in der
Regel jedermann freistehe, Hilfe zurückzuweisen, sofern dadurch nicht Rechtsgüter
anderer oder der Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen werden.
Zwar muss in diesem Zusammenhang auch gesehen werden, dass
tatbestandliche Voraussetzung der Hilfegewährung nach § 41 SGB VIII gerade der
Umstand ist, dass der Prozess der Persönlichkeitsentwicklung noch nicht
abgeschlossen ist, so dass die Motivation des jungen Volljährigen zur
Überbrückung einer "Durststrecke" gerade Teil der Hilfe zur
Persönlichkeitsentwicklung und eigenverantwortlichen Lebensführung sein kann
(vgl. Wiesner, SGB VIII, 2. Auflage, § 41 Rdnr. 24).
Für das Vorliegen einer solchen - überschaubaren - "Durststrecke" gibt es im
vorliegenden Fall jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte. Schon dem
Abschlussbericht der Stiftung der Evangelischen Marienkirchengemeinde zu Hanau
vom 05.04.2001 - Da. war dort in das betreute Wohnen aufgenommen - ist zu
entnehmen, dass Da. schon zum damaligen Zeitpunk vor hatte, auf keinen Fall
länger als bis zu ihrer Volljährigkeit mit ihrem Kind in einer Einrichtung zu bleiben.
In der Folge - bis zur Beendigung der Maßnahme in dem "Haus am Kirchberg" - hat
sich Da. Verhalten nicht geändert, selbst dann nicht, als ihr in dem
Hilfeplangespräch vom 05.09.2001 eine letzte Frist von 14 Tagen eingeräumt
wurde.
Bei dieser Sachlage bedurfte es keiner besonderes aufwendigen Hilfegewährung
nach § 41 SGB VIII, sondern Da. war - bei entsprechender Bedürftigkeit -
entsprechend ihren Wünschen mit den Leistungen nach den §§ 11 ff BSGH
ausreichend geholfen (vgl. Mrozynski, a. a. O. § 41 Rdnr. 4).
Sonstige Anspruchsgrundlagen für das Begehren der Klägerin sind nicht
ersichtlich, insbesondere ist § 105 Abs. 1 SGB X - wie oben dargelegt - nicht
einschlägig, weil die Klägerin zuständige Leistungsträgerin war.
Auch soweit das Kind C. ab dem 05.02.2002 in Obhut genommen hatte, kann die
Klägerin für die damit verbundenen Kosten von dem Beklagten keinen Ersatz
verlangen. Für die Inobhutnahme von C. am 05.02.2002 war die Klägerin als
örtliche Trägerin zuständig, da sich C. tatsächlich in Hanau aufhielt, § 87 SGB VIII.
Für einen Erstattungsanspruch nach Maßgabe von § 89 b Abs. 1 SGB VIII sind die
gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben. Erstattungspflichtig ist der örtliche
Träger, dessen Zuständigkeit durch den gewöhnlichen Aufenthalt nach § 86 SGB
VIII begründet wird. Dabei kommt es nach § 86 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB VIII darauf
an, in wessen Bereich Da. als Kindesmutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Diesen hat Da. - wie oben dargelegt - im Gebiet der Klägerin.
Als unterliegende Beteiligte hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen,
§ 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m.
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.