Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 05.01.2010

VG Frankfurt: erlass, sanierungsgewinn, gewerbesteuer, streichung, abgabenordnung, einkommenssteuer, härte, rechtsgrundlage, vollstreckung, einziehung

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Gericht:
VG Frankfurt 4.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 K 1380/09.F
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 227 AO, § 114 VwGO, § 3 Nr
66 EStG
Erlass der Gewerbesteuer bei Sanierungsgewinn wegen
Unbilligkeit
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 21.01.2008 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 20.04.2009 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet den Kläger erneut unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 2/3, die Beklagte zu 1/3.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung in Höhe der festzusetzenden
Kostenschuld abwenden, wenn nicht vor der Vollstreckung der jeweilige
Kostengläubiger Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger den Erlass der
Gewerbesteuernachzahlung für das Jahr 2004 wegen Sanierungsgewinn.
Der Kläger wurde für das Jahr 2004 zur Gewerbesteuer herangezogen. Hierbei
wurde ein gewerbesteuerpflichtiger Gewinn ermittelt, der aus einem
Sanierungsgewinn in Höhe von 590.753,-- Euro bestand. Zwei Hauptgläubiger u. a.
die D-Bank sowie die D-Anstalt hatten auf einen Teil ihrer Forderung endgültig
verzichtet, um dem Unternehmen das wirtschaftliche Überleben zu ermöglichen
und die Sanierung nicht zu gefährden.
Unter dem 23.03.2007 erließ das Finanzamt E. dem Kläger sowie seiner Frau die
Einkommenssteuer in Höhe von 42.101,95 Euro.
Unter dem 03.04.2007 beantragte der Kläger unter Mitteilung, dass das Finanzamt
E. den Erlass der Einkommenssteuer 2004 auf den Sanierungsgewinn positiv
beschieden habe, den Erlass des Gewerbesteuerbetrages aus denselben Gründen.
Mit Bescheid vom 21.01.2008 lehnte die Beklagte den Erlass ab mit der
Begründung, als Rechtsgrundlage für den Erlass komme allein § 227 der
Abgabenordnung in Betracht. Mit der Gewährung eines Steuererlasses aus
sachlichen Billigkeitsgründen in den Fällen, in denen Sanierungsgewinne, wie
vorliegend gegeben seien, würde der vom Bundesgesetzgeber bewusst
vorgenommenen Abschaffung des gesetzlichen Sanierungsprivilegs zuwiderlaufen,
da durch die Streichung der Steuerfreiheit von § 3 Nr. 66 des
Einkommenssteuergesetzes die Streichung der Steuerfreiheit von
Sanierungsgewinnen gerade bewusst erfolgen solle. Aus rechtlicher Sicht fehle es
hier eindeutig an einer im Billigkeitswege nach § 227 AO auszugleichenden Härte,
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hier eindeutig an einer im Billigkeitswege nach § 227 AO auszugleichenden Härte,
da der Gesetzgeber gerade bewusst angeordnet habe, dass auch bei
bestehenden Sanierungsgewinnen eine Besteuerung zu erfolgen habe.
Mit diesen rechtlichen Grundsätzen stehe die Rundverfügung der
Oberfinanzdirektion G. nicht im Einklang, ebenso nicht der Inhalt des BMF-
Schreibens vom 27.03.2003. Diese Verwaltungsvorschriften hätten jedoch keinerlei
Einfluss auf die Ausübung des Ermessens durch die gemeindliche
Steuerverwaltung.
Gegen den Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, der, entgegen der
Empfehlung des Anhörungsausschusses bei dem Landrat vom 12.02.2009, mit
Widerspruchsbescheid vom 20.04.2009 zurückgewiesen wurde, im Wesentlichen
mit derselben Begründung, dass es aus rechtlicher Sicht eindeutig an einer im
Billigkeitswege nach § 227 AO auszugleichenden Härte fehle.
Der Kläger hat am 20.05.2009 Klage erhoben.
Er macht umfangreiche Ausführungen zu den Voraussetzungen der sachlichen
Unbilligkeit und rügt fehlende Ermessenserwägungen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides vom
21.01.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2009 zum
Erlass der Gewerbesteuer für das Jahr 2004 zu verpflichten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Auch sie macht Ausführungen über das Vorliegen der sachlichen Unbilligkeit und
erläutert die getroffene Ermessensentscheidung.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und
Behördenakten, die Gegenstand der Beratung gewesen sind, verwiesen.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren
einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nur zum Teil begründet. Die den Erlass ablehnende
Entscheidung in der Fassung des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und
verletzt den Kläger in seinen Rechten, da diese Entscheidung keinerlei
Ermessenserwägungen erkennen lässt.
Rechtsgrundlage des begehrten Erlasses ist § 227 Abgabenordnung. Danach
können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen
werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes und des Bundesverwaltungsgerichts
ist anerkannt, dass diese Erlassnorm eine einheitliche Ermessensvorschrift
enthält, weil der Begriff „unbillig“ mit der Rechtsfolge „können“ unlösbar verzahnt
ist (BVerwG, NVwZ-RR 2000, 317, 318; BFHE 185, 94).
Sind die Behörden ermächtigt nach ihrem Ermessen zu entscheiden, so haben sie
dieses entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die
gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Das Verwaltungsgericht prüft
gemäß § 114 VwGO dann nur, ob die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig
ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem
Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht worden ist. Das Gericht ist grundsätzlich nicht zu einer eigenen
Ermessensausübung befugt, weil es damit letztlich seine Erwägungen an die Stelle
der hier allein maßgebenden Ermessenserwägungen der Behörde setzen würde.
Eine Ausnahme gilt nur bei einer Ermessensreduzierung auf Null.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist die Ablehnung der Beklagten, die
Gewerbesteuer des Jahres 2004 aus Sanierungsgewinn zu erlassen,
rechtsfehlerhaft.
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Weder der Ausgangsbescheid noch der Widerspruchsbescheid lassen erkennen,
dass die Beklagte bei ihrer Entscheidung davon ausging, einen
Ermessensspielraum zu haben. Die Beklagte hat nur ausgeführt, nach § 227
Abgabenordnung könnten Steuerschulden erlassen werden, wenn ihre Einziehung
sachlich unbillig wäre.
Ausweislich der Entscheidung des Finanzamts hat das Finanzamt die Frage der
sachlichen Unbilligkeit bei Sanierungsgewinn bejaht und hat dementsprechend in
Verfolg ihrer internen Verwaltungsvorschriften einen Erlass ausgesprochen.
Nachdem der Gesetzgeber nämlich die ertragsteuerliche Steuerfreiheit von
Sanierungsgewinnen durch Streichung der Vorschrift abgeschafft hatte, hat die
Finanzverwaltung die Steuerfreiheit im Billigkeitswege faktisch wieder eingeführt,
indem per Verwaltungsanweisung Steuern im Wege der Ermessensreduzierung auf
Null aus sachlichen Gründen zu erlassen waren, soweit sie auf Sanierungsgewinne
entfielen.
An diese Entscheidung ist die Beklagte allerdings nicht gebunden. Die
Entscheidung, Gewerbesteuer nach § 227 AO zu erlassen, weil der als
Gewerbeertrag zugrundeliegende Gewinn als Sanierungsgewinn zu qualifizieren ist,
ist den Gemeinden überlassen. Dementsprechend besteht eine Bindung der
Gemeinde an die Auffassung und Entscheidung der Finanzämter nicht.
Das eigene Prüfungsrecht der Gemeinden entbindet diese aber nicht, eine
eigenständige Ermessensentscheidung zu treffen.
An einer solchen fehlt es im konkreten Fall. Weder dem Ausgangsbescheid, noch
dem Widerspruchsbescheid lassen sich irgendwelche Ermessenserwägungen
entnehmen. Die Begründung lässt vielmehr erkennen, dass die Beklagte von einer
Entscheidungsfreiheit gar nicht ausgegangen ist sondern davon, dass der
Gesetzgeber durch die Streichung von § 3 Nr. 66 bewusst angeordnet habe, dass
auch bei bestehenden Sanierungsgewinnen eine Besteuerung zu erfolgen habe
(vgl. Widerspruchsbescheid vom 20.04.2009, Seite 3).
Einen über den Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Beklagten
hinaus auf Erlass der Gewerbesteuer hat der Kläger allerdings nicht, denn eine
Ermessenreduzierung auf Null ist anders als durch die die Finanzverwaltung
bindenden internen Richtlinien nicht eingetreten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung
folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Ziffer 11 und 711 ZPO.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 91.500,-- Euro festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.